CSU-Basisprojekt: Zehn Jahre „Konservativer Aufbruch“
Ein ernüchternder Rückblick
von Thomas Jahn
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Im Juni 2014 verstärkte sich mit der damaligen Gründung des „Konservativen Aufbruchs“ in der CSU ein neues Phänomen in der deutschen Parteienlandschaft: parteiinterne Oppositionsgruppen und Einzelpersönlichkeiten wie Thilo Sarrazin oder Boris Palmer, die lautstark Widerstand gegen das Parteiestablishment leisten und sich weigern, die Partei zu verlassen.
2013 stand die CDU wegen Merkels Linkskurs vor einer Zerreißprobe. Wir erinnern uns: Merkel hatte damals nicht nur die Euro-Stabilitätskriterien endgültig über Bord geworfen und die Tür zu einer europäischen Schulden-Union weit aufgestoßen. Die von ihr geführte Koalition aus Union und FDP hatte zwei Jahre zuvor auch die Wehrpflicht abgeschafft und die Bundeswehr so wichtiger Ressourcen beraubt. Noch gravierendere Auswirkungen hatte der völlig kopflose Ausstieg aus der Kernenergie im April 2011. Mit den Rücktritten von Wulff und Schavan im Januar und Februar 2013 hatte Merkel wichtige „Vertraute“ verloren. Mit der Zypernkrise im März 2013 drohte das nächste Euro-Fiasko. Die Zahl der „Euro-Rebellen“ in den Bundestagsfraktionen von Union und FDP erreichte bei der Zypernabstimmung im April 2013 ihren bisherigen Höhepunkt. Aber Merkel hatte im Wahljahr 2013 mehr Glück als Verstand, denn die damals eben erst gegründete AfD lag bei der Bundestagswahl im Herbst 2013 nur knapp vor der Fünf-Prozent-Hürde, was vor allem zulasten der FDP ging, die den Einzug in den Bundestag ebenfalls knapp verpasste und so das Unionsergebnis überragend erscheinen ließ, obwohl CDU und CSU wieder in eine große Koalition mit der SPD gezwungen wurden.
Als Merkel nach der Bundestagwahl auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs zu stehen und der parlamentarische Widerstand in der Unionsfraktion gebrochen schienen, keimte im Juni 2014 in Bayern ein neues oppositionelles Graswurzelprojekt auf: Etwa 50 CSU-Mitglieder gründeten in Nürnberg ein Basisprojekt mit dem langen Namen „Konservativer Aufbruch – CSU-Basisbewegung für Werte und Freiheit“, kurz KA. Schon im Gründungsmanifest wurde klar, dass das Projekt ein Gegenentwurf zur „Sozialdemokratisierung“ von CDU und CSU war, für die die damaligen Parteivorsitzenden Angela Merkel und Horst Seehofer standen. Der KA betonte deshalb die Prinzipien Freiheit, christliches Menschenbild, Subsidiarität, Marktwirtschaft, Eigenverantwortung und Souveränität. „Weniger Staat und mehr privat“ bildete daher eine der zentralen Forderungen, die der „Konservative Aufbruch“ in seinem Gründungsmanifest mit umfassenden Steuersenkungen und einer Rückbesinnung auf die Grundsätze Ludwig Erhards verband: „Wir wollen die Ausplünderung der Bürger, gerade auch der jungen Generation, durch immer neue Ausgabenprogramme stoppen. Soziale Sicherheit kann nicht auf Schuldenbergen gegründet werden. Wir kämpfen für eine umfassende Steuerreform mit einer echten Entlastung der arbeitenden Bevölkerung und für grundlegende Reformen der sozialen Sicherungssysteme. Unser Leitbild ist die Soziale Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards. Sein Programm einer freien Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wurzelt in zeitlos konservativen Tugenden: Für diese Tugenden – Fleiß, Leistung, Sparsamkeit, Verantwortungsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Einsatzfreude und Hilfsbereitschaft – treten wir ein.“
Der KA forderte auch schon damals einen Ausstieg aus der „Energiewende“ und trat für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung auf marktwirtschaftlicher Basis ein. Die Europäische Union wurde, ebenso wie der Euro, als Problem, nicht als Lösung erkannt und es wurde schon damals in sehr hellsichtiger Art und Weise eine ungesteuerte Zuwanderung nach Deutschland problematisiert, mit der Forderung nach klarer Migrationsbegrenzung und der Abschaffung staatlicher Integrationssubventionen sowie der doppelten Staatsbürgerschaft. Bereits damals, als kaum jemand ein Problem sah, sprach sich der KA in seinem Gründungsmanifest gegen die staatliche Förderung der „sinnlosen, ideologischen und unwissenschaftlichen ‚Gender-Mainstreaming-Forschung‘“ aus. Auch das Thema „Cancel Culture“ und die damit verbundenen Gefahren für die Freiheit von Forschung und Lehre sowie die Meinungsfreiheit erkannte der KA früh und forderte konkrete Maßnahmen der damals mit absoluter Mehrheit in Bayern regierenden CSU in Schulen, Universitäten und anderen staatlichen Einrichtungen.
Am Anfang konnte sich der KA sogar der Unterstützung einiger prominenter CSU-Politiker erfreuen. Zu nennen sind dabei der ehemalige CSU-Generalsekretär Thomas Goppel, Ex-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich oder der frühere CSU-Chef Erwin Huber. Die inhaltliche Nähe war dabei vielleicht weniger ausschlaggebend als persönliche Querelen mit Horst Seehofer. Die damalige Parteiführung war natürlich wenig erfreut und reagierte zunächst mit „Reisewarnungen“: Horst Seehofer ließ seinen damaligen Generalsekretär Andres Scheuer bei jeder der gut besuchten KA-Veranstaltungen alle regionalen CSU-Funktionäre abtelefonieren, die dafür sorgen sollten, die Mitglieder davon abzuhalten, die Treffen der „CSU-Rebellen“ zu besuchen. Ein Hase-und-Igel-Spiel begann, und der KA tauchte überall da auf, wo ihn die Parteiführung nicht haben wollte: in Rott am Inn, an der Gruft von Franz Josef Strauß, um symbolhaft die Verbundenheit mit dem CSU-Übervater zu demonstrieren. Am Parteitag in Nürnberg 2014, wo dem KA, unterstützt von 50 Landtagsabgeordneten mit einem spektakulären Initiativantrag gegen die geplante Linksverschiebung des CSU-Grundsatzprogramms, eine große mediale Aufmerksamkeit zuteilwurde. Oder im Fernsehen, wo immer eine Gegenposition zur aktuellen Regierungspolitik gefragt war.
Bereits Ende 2014 zeichnete sich ein erheblicher Asylzustrom nach Deutschland ab. Angela Merkel und Horst Seehofer hatten vor diesem nahenden Riesenproblem erst monatelang die Augen verschlossen, bis Merkel im Spätsommer 2015 im Alleingang die Grenzen nach Deutschland mit den bis heute anhaltenden verheerenden Konsequenzen öffnete. Der KA gehörte natürlich von Anfang an zu den schärfsten Kritikern dieser Politik und hatte seitdem immer wieder den Rücktritt Merkels gefordert. Seehofer hatte zwischenzeitlich eine seiner berühmten Kehrtwenden hingelegt und die Sprecher des KA auf dem Höhepunkt der Migrationskrise am 12. Oktober 2015 in die CSU-Parteizentrale zu einem Treffen eingeladen. Wie man heute weiß und die KA-Sprecher schon damals erfuhren, arbeitete Seehofer tatsächlich mit Vehemenz am Sturz Merkels. Er teilte den verdutzten „CSU-Rebellen“ damals ganz offen mit, dass er nicht nur mit Wolfgang Schäuble in Kontakt stehe, sondern auch bemüht sei, Friedrich Merz zu einer Rückkehr in die Politik zu bewegen, mit dem Ziel, den Parteivorsitz der CDU zu übernehmen. Merz hatte allerdings schon zum damaligen Zeitpunkt aus Mutlosigkeit oder Bequemlichkeit abgelehnt. Der KA nutzte den Zwist zwischen Seehofer und Merkel, um mit Seehofer einen Art „Waffenstillstand“ zu schließen, der sich anschließend in einer Presseerklärung anerkennend über den KA äußerte: „Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer ist heute in München mit den Sprechern des ‚Konservativen Aufbruchs‘ in der CSU zusammengekommen. Bei dem einstündigen Treffen ging es um die aktuelle Flüchtlingskrise und die Rolle der CSU als Richtungsweiser und Taktgeber in Berlin, gerade mit ihren jüngsten Vorschlägen zur Begrenzung der Zuwanderung. Der Parteivorsitzende und die Sprecher des ‚Konservativen Aufbruchs‘ stimmen überein, dass die CSU als große Volkspartei eine enorme Bandbreite mit unterschiedlichen Positionen, darunter christliche, soziale, liberale und konservativ-nationale immer abgebildet hat und auch künftig abbilden wird. Jeder dieser Strömungen ist für das Profil der CSU wichtig, und alle Strömungen sind sich einig in dem Ziel, die CSU insgesamt zu stärken und nicht zu spalten.“
Zu diesem Zeitpunkt hatte der KA seine Fühler bereits in Richtung CDU ausgestreckt. Feste Kontakte bestanden spätestens ab 2016 in Baden-Württemberg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, wo sich als Vorläufer der späteren Werteunion ebenfalls konservative Basisinitiativen der CDU gründeten. Im März 2017 mündeten diese Initiativen im badischen Schwetzingen in der Gründung der Werteunion, die damals noch den Namen „Freiheitlich-Konservativer Aufbruch“ trug. Im Februar 2019 stieß Hans-Georg Maaßen zur Werteunion und verhalf diesem bis dahin wohl größten parteiinternen Widerstandsprojekt zu einem deutlich höheren Bekanntheitsgrad, während gleichzeitig die Attacken der „Merklisten“ gegen die Werteunion (Stichwort „Krebsgeschwür“) zunahmen. Der „Konservative Aufbruch“ bewahrte sich bis heute in bester bayerischer Tradition seine Eigenständigkeit, musste sich aber spätestens seit der Trennung der Werteunion von der CDU zu Jahresbeginn 2024 eingestehen, die gesteckten Ziele einer politischen Wende in den Unionsparteien nicht erreicht zu haben. Die Nachfolger von Angela Merkel und Horst Seehofer, Friedrich Merz und Markus Söder änderten auch nach der Machtübernahme der linken „Ampel“-Regierung nichts Grundlegendes an der bisherigen politischen Ausrichtung von CDU und CSU. Beide Parteien stellen die Dominanz linker Themen, vor allem das Klima-Narrativ, nicht infrage. Sie wollen anschlussfähig zum rot-grünen Mainstream bleiben und fürchten daher auch, durch die linken Massenmedien abgestraft zu werden. Aus ähnlichen Gründen verhindern die Unionsparteien auch jegliche Versuche einer rechtsstaatlichen Aufarbeitung der „Corona-Zeit“. Die gescheiterte „Brandmauer-Politik“ gegenüber der AfD tut ihr Übriges.
Konservativer Aufbruch und Werteunion haben den Freunden der Freiheit eine Basis gegeben und bewiesen, dass in der Mitgliederschaft und den Grundsatzprogrammen von CDU und CSU viele freiheitliche Gedanken schlummern, die, wenn es vor allem die „medialen Umstände“ zugelassen hätten, zum Leben erweckt worden wären. Es ist schade, dass so viele positive wirtschaftsliberale Potenziale, auch in anderen Unionsgruppierungen wie der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), ungenutzt blieben. Am Ende musste sich bei allen Initiatoren aber leider die Erkenntnis durchsetzen, dass Parteien, ganz ähnlich wie der Staatsapparat, von oben nach unten und nicht umgekehrt funktionieren. Der Gedanke, eine Partei durch die Mobilisierung der eigentlich mehrheitlich wertkonservativ und wirtschaftsliberal geprägten Mitglieder in eine freiheitliche Richtung zu lenken, war es wert, ausprobiert zu werden. Das ernüchternde Fazit nach zehn Jahren ist aber, dass dieses Modell die politische Wende in Deutschland leider nicht einleiten konnte.
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