Meinungsfreiheit: Wir alle diskriminieren jeden Tag – na und?!
Eine Frage der Wahl- und Vertragsfreiheit
von Olivier Kessler
Wer Privilegiengesetze wie Quoten oder Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit in Bezug auf bestimmte Gruppen nicht mittragen will, wird heute vorgeworfen, er mache sich der Diskriminierung schuldig: Rasch wird er mit unvorteilhaften Etiketten behaftet wie „Rassist“, „Sexist“, „homophob“, „islamophob“, „transphob“ oder Ähnliches. Und weil niemand gerne der Diskriminierung bezichtigt werden will, unterstützen zunehmend auch „Bürgerliche“ der Woke-Ideologie entstammende Vorhaben, ohne zu erkennen, dass diese dem bewährten liberalen Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz diametral widersprechen.
Die klassisch liberale Aufklärungsbewegung richtete sich gegen die staatliche Willkürherrschaft und plädierte für universelle Menschenrechte, verstanden als Abwehrrechte. An der Wurzel der Aufklärung stand der Gedanke des Diskriminierungsverbots für den Staat: Er soll Gruppen, Klassen oder Einzelpersonen keine Privilegien gewähren – auch nicht Königen, Politikern und Bürokraten. Alle Menschen sollen vor dem Gesetz gleichbehandelt werden.
Aus dieser Überzeugung entstanden die für den Aufstieg und Erfolg der westlichen Gesellschaften so entscheidenden Grundrechte wie die Rechtsgleichheit, die Wahl- und Vertragsfreiheit, die Meinungsäußerungsfreiheit, der Schutz des Privateigentums und der Privatsphäre sowie der Schutz vor staatlicher Willkür. Für den Staat mit seinem Gewaltmonopol gilt ein Diskriminierungsverbot, weil vor dem Gesetz alle gleich sein sollen; Private andererseits sollen sich ihre Handlungen nicht von der staatlichen Macht diktieren lassen müssen.
Seit einiger Zeit wird dieses liberale Paradigma gehörig auf die Probe gestellt. Mit viel Klamauk, Lärm und Straßendemonstrationen wird versucht, das Diskriminierungsverbot, das bislang hauptsächlich für den Staat im Hinblick auf die Behandlung der Bürger galt, vermehrt auch auf die Beziehungen zwischen Privaten auszuweiten. Die Motivation dahinter – die Gleichstellung gesellschaftlicher Gruppen, die Inklusion und der Abbau von Vorurteilen – mag eine löbliche sein. Auf den ersten Blick klingen gesetzlich verordnete Diskriminierungsverbote durchaus vernünftig und fortschrittlich. Doch in Wahrheit sind solche Gesetze ein Angriff auf die freiheitliche Grundordnung, auf das Fundament des liberalen Rechtsstaates. Denn die individuelle Freiheit, mit anderen ohne Zwang Verträge abschließen zu können und auf freiwilliger Basis zu kooperieren, wird damit stark eingeschränkt.
Zu wählen ist an und für sich nichts Verwerfliches, Verbrecherisches oder Unmoralisches: Wer wählt, der exkludiert oder „diskriminiert“ – je nach Wahrnehmung und Definition – automatisch die Nicht-Wahl. Wer jemanden heiratet, entscheidet sich gegen andere potenzielle Partner. Wer die Bewerberin A einstellt, kann für dieselbe Stelle nicht gleichzeitig den Bewerber B einstellen. Man darf nicht vergessen, dass die Wahl- und Vertragsfreiheit keine Opfer schafft: Niemandem wird mit Gewalt etwas weggenommen. Und eine Nicht-Interaktion mit irgendjemandem darf auf keinen Fall ein strafrechtlich relevantes Vergehen darstellen, weil wir uns ansonsten alle andauernd und ohne bösen Willen strafbar machen würden und die Gesellschaft damit handlungsunfähig wäre.
Eine liberale Gesellschaft wäre keine liberale Gesellschaft mehr, wenn Privaten die Wahl- und Vertragsfreiheit aberkannt würde – auch dann, wenn dies unter dem noblen Vorsatz der Bekämpfung von Diskriminierung geschieht. Wird die Möglichkeit, frei zu wählen, eingeschränkt oder gar verboten, bedeutet dies, dass ein anderer die Entscheidungen für die Betroffenen trifft: also Politiker und Verwaltungsfunktionäre. Staatliche Willkür und Befehle treten dann an die Stelle von Eigenverantwortung und freiwilligen Übereinkünften, die im Sinne aller Beteiligten getroffen werden.
Wenn sich Liberale für die Wahl- und Vertragsfreiheit (und damit auch für die Diskriminierungsfreiheit) einsetzen, müssen sie persönlich nicht jede Entscheidung ihrer Mitmenschen gutheißen, genauso wie jemand, der für Meinungsfreiheit einsteht, nicht alle Meinungen gut finden muss. Es geht bei der Verteidigung der Freiheit ums Grundprinzip und nicht um eine von persönlichen Geschmäckern abhängige Willkür.
Die derzeitige Forderung nach einer Ausdehnung der Antidiskriminierungs-Gesetzgebung ist auch auf das weitverbreitete schwammige Verständnis des Begriffs „Diskriminierung“ zurückzuführen. Viele verstehen unter Diskriminierung eine hasserfüllte, demütigende, erniedrigende und oftmals auch gewalttätige Unterdrückung aufgrund von Vorurteilen gegenüber bestimmten Gruppen. Von Antidiskriminierungs-Gesetzen erhofft man sich eine Überwindung des Hasses und problematischer Vorurteile.
Doch in seiner Essenz bedeutet „diskriminieren“ lediglich, zu unterscheiden, zu differenzieren. Aus welchen Beweggründen dies geschieht, ist zunächst einmal unklar. Überlegenheitsgefühle und Hass auf andere Gruppen können durchaus eine Rolle spielen, doch sie sind mitnichten die einzigen Motive, die zu einer Unterscheidung führen können. So können auch Präferenzen, Bedürfnisse, Erfahrungen, Kriminalitätsstatistiken, Studien, Werte, Prinzipien, Weltanschauung, ökonomische Überlegungen und weitere rationale Argumente, die nichts mit Hass zu tun haben, eine wichtige Rolle spielen.
In diesem Sinne gehören das Exkludieren und Diskriminieren zum menschlichen Alltag dazu. Wir alle tun das auf die eine oder andere Weise, ohne dass dabei Hass im Spiel sein muss. Nehmen wir beispielsweise den Markt für romantische zwischenmenschliche Beziehungen. Viele suchen sich ihre potenziellen Partner anhand von diskriminierenden Kriterien wie Geschlecht, Körpergröße, Gewicht oder Einkommen aus. Die Kriterien mag man als Außenstehender nun gut oder weniger gut finden. Doch nur, weil jemand beispielsweise eine große Frau sucht, bedeutet dies ja nicht, dass er deswegen alle Männer und kleinen Frauen hasst. In den allermeisten Fällen gehen die Menschen freundlich miteinander um, auch wenn sie nicht ihr „Typ“ sind. Den richtigen Partner zu finden, der zu einem passt, ist vielmehr Voraussetzung für die Steigerung des individuellen Glücks. Was für den Markt für romantische Beziehungen gilt, gilt natürlich auch für alle anderen Märkte – wie etwa den Arbeitsmarkt. Diskriminierung ist also nicht gleichzusetzen mit Hass. Es ist auch nicht dasselbe wie Gewalt. In den meisten Fällen entscheiden sich die Menschen friedlich für das eine und gegen das andere.
Aber was ist, wenn jemand beispielsweise Gewalt gegen einen Homosexuellen ausübt, weil er Homosexuelle hasst? Brauchen wir nicht gerade für solche Fälle Antidiskriminierungsgesetze, um Minderheiten zu schützen? Liberale antworten auf solche Forderungen in der Regel so: Wer Gewalt initiiert, soll verurteilt und bestraft werden. Es bedarf keiner Gesetze, die bestimmte Gruppen besonders schützen, weil alle Menschen vor dem Gesetz den gleichen Schutz genießen.
Darauf wird wiederum eingewendet, die Tat sei verwerflicher, wenn sie durch Hass auf eine Minderheitengruppe motiviert sei, und müsse daher härter bestraft werden. Liberale entgegnen mit der Frage, ob es besser wäre, wenn der Täter wahllos gegen irgendjemanden Gewalt anwenden würde. In einem liberalen Rechtsstaat sollte der Täter in beiden Fällen gleich hart bestraft werden, denn alles andere würde implizieren, dass einige Opfer schützenswerter sind als andere; dass einige Menschen mehr wert sind als andere, nur weil sie einer gewissen Gruppe angehören. Doch das widerspricht gerade den aufklärerischen Prinzipien, allen voran der Rechtsgleichheit und der universellen Anwendung der Menschenrechte
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