Erster Verfassungszusatz: Die Zehn Gebote haben in Schulen nichts verloren!
Fragwürdiges Gottesbild
Immer wieder versuchen die Parlamente südlicher US-Bundesstaaten die Verfassung auf dem Territorium des Ersten Amendments in die Schranken zu weisen. Dieses gilt seit den Reconstruction-Amendments zwischen 1865 und 1870 auch für die einzelnen Bundesstaaten, zumindest wird es von Bundesgerichten so ausgelegt. Ihrem Wortlaut gemäß schränkt die Bill of Rights tatsächlich nur den Handlungsspielraum des Kongresses, nicht den der Bundesstaatenparlamente ein.
Doch mit dieser Sichtweise auf die Verfassung, das wage ich jetzt schon zu prognostizieren, wird der Staat Louisiana vor Bundesgerichten kein Glück haben. Ebenso wenig wie mit einem neuen Gesetz, das von öffentlichen Schulen im Pelikanstaat verlangt, in jedem Klassenzimmer gut sichtbar eine Kopie der Zehn Gebote anbringen zu lassen.
Dass die für dieses Gesetz verantwortlichen Politiker
selbst wohl auch gar nicht von der Verfassungskonformität ausgehen, sondern
lediglich auf einen PR-Erfolg schielen, kann man aus entsprechenden
Wortmeldungen heraushören. Eine der Mitinitiatorinnen des Gesetzes, die
demokratische Abgeordnete Sylvia Taylor, erklärte die Notwendigkeit mit einem
gesellschaftlichen Richtungsverlust, den die Politik korrigieren müsse. Viele
Menschen und deren Kinder besuchten keine Gottesdienste mehr. „Wir müssen etwas
in den Schulen tun, um die Leute dahin zurückzubringen, wo sie hinmüssen“, so
Taylor.
Die republikanische Abgeordnete Dodie Horton, ebenfalls Unterstützerin des Gesetzes, betonte, es sei die Absicht, den Schülern zu zeigen, „was Gott für richtig und was Er für falsch hält“. Solche Sätze werden dem Justizminister des Bundesstaates um die Ohren fliegen, wenn er das Gesetz vor Bundesgerichten verteidigen muss. Dass die Klage mehrerer Eltern gegen das Statut am Ende erfolgreich sein wird, ist klar. Doch in der Zwischenzeit können sich die Politiker, in diesem Falle sogar beider Parteien, vor den eigenen Wählern noch als diejenigen inszenieren, die sich einem angeblich so gottlosen Zeitgeist entgegenstemmen und dabei am Ende nur von böswilligen Richtern ausgebremst werden, die doch alle überhaupt kein Verständnis mehr für die Geschichte des Landes hätten.
Mit dem Verweis auf die Geschichte des Landes, den Glauben der Gründerväter und ihren Bildungsauftrag begründet die Politik die zwangsweise Zurschaustellung der religiösen Gebote. Nicht, dass die Glaubensüberzeugungen der Gründerväter für die Lesart des Ersten Verfassungszusatzes irgendwas zur Sache täten. Doch auch inhaltlich ist der Verweis auf die Gründerväter auf Sand gebaut. Unter denen fand man nämlich von gläubigen Christen über verschiedene deistische Überzeugungen bis hin zu Atheisten alles. Und bei vielen wechselten Überzeugungen auch mehrfach in ihrem Leben, wie das bei Menschen, die sich regelmäßig ihres Verstandes bedienen, ja auch nicht verwunderlich ist. Thomas Jefferson ist da sicher nur ein herausstechendes Beispiel dafür, wie sich die religiösen Anschauungen eines Gründervaters im Laufe eines langen Lebens radikal änderten.
Neben der offensichtlichen Verfassungswidrigkeit und dem zugrunde liegenden Problem eines staatlichen Schulsystems, das diese Frage erst zu Kulturkampfdimensionen aufbläst, darf aber schon auch die Frage erlaubt sein, warum so viele vermeintlich christliche Politiker sich derart an den Zehn Geboten aufhängen. Komisch, dass kein konservativer Politiker mal einen Kulturkampf um die Bergpredigt oder das „Doppelgebot der Liebe“ vom Zaun bricht. Diese reflektieren die Botschaft Jesu nämlich weitaus besser als der Dekalog, der nach meinem Verständnis für das Glaubensleben von Christen überhaupt keine Bedeutung hat. Exodus 20,2 liefert dazu die Begründung. „Ich bin der Herr dein Gott, der dich aus dem Lande Ägypten, aus dem Hause der Knechtschaft geführt hat.“ Also mich hat Gott nicht aus Ägypten geführt! Adressaten hier sind ganz offensichtlich Juden. Doch noch viel wichtiger ist, dass für Christen mit Jesus das Gesetz erfüllt wurde. Christen sind zur Freiheit berufen, das Studium der Zehn Gebote hat für sie historischen und theologischen, aber keinen praktischen Wert. Der Buchstabe tötet, der Geist macht lebendig, schreibt der Apostel Paulus. Dazu kommt, dass für den Dekalog traditionell wenig akkurate Übersetzungen herangezogen werden, die Gebote oft in einem falschen Licht erscheinen lassen. Bestes Beispiel: Das fünfte Gebot, „Du sollst nicht töten“, ist von Luther, aber nicht von Gott. „Lo tirzach“ steht da im hebräischen Original: Morde nicht! Für „töten“ kennt das Hebräische ein anderes Verb.
Andere Gebote wurden gezielt umgedeutet und etwa für autoritäre Erziehungsmethoden missbraucht, wie die Aufforderung, Vater und Mutter zu ehren, die sich freilich an erwachsene Menschen und nicht an Kinder richtete. Je stärker Eltern für ihre Erziehung auf Bibelzitate im Wortlaut rekurrieren, desto eher geht damit meiner Erfahrung nach ein problematischer autoritärer Erziehungsstil einher, der auch oft zu einem angstbesetzten Glauben führt, was Eltern, aber auch Lehrer oder geistliche Autoritäten wiederum gerne dazu nutzen, um Kinder gefügig zu halten. Mit Erziehung zur Freiheit hat das natürlich nichts zu tun, dabei ist es oft gerade diese Klientel, aus der sonst oft die steilsten Freiheitsbekenntnisse zu hören sind, allerdings, und das fällt auf, immer nur dann, wenn sie sich im Politisch-Abstrakten erschöpfen und zu keiner Änderung des eigenen Verhaltens führen müssen. Gerade für Kinder, die aus solchen Haushalten stammen, können die Zehn Gebote im Klassenzimmer auch durchaus traumatisierend wirken. Auf jeden Fall stehen sie für ein extrem fragwürdiges Gottesbild.
Jemand, der sich ehrliche Mühe gibt, die Botschaft Jesu zu verstehen, käme wohl nie auf die Idee, in einer Zwangskonfrontation mit biblischen Botschaften eine gute evangelistische Strategie zu erblicken. Vielleicht werden die Kirchen in den USA auch deswegen immer leerer, weil immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene angewidert davon sind, wie leichtfertig ihre Eltern dazu bereit sind, Glaubensgrundsätze, an die sie sich oft selbst nicht halten, als politische Wurfgeschosse gegen Andersdenkende einzusetzen?
In einer öffentlichen Schule haben die Zehn Gebote genauso wenig verloren wie eine Koransure. Es ist heuchlerisch, wenn Konservative einerseits zu Recht die politische Indoktrination in staatlichen Schulen beklagen und dieser dann mit religiöser Gegenindoktrination begegnen wollen. Doch anders als in Deutschland, wo Homeschooling-Familien staatlich verfolgt werden, haben Eltern in den USA in den meisten Bundesstaaten ganz unbürokratisch die Möglichkeit, ihre Kinder von zu Hause zu unterrichten, wenn sie mit dem Curriculum oder anderen Aspekten des staatlichen Schulsystems nicht einverstanden sind. Das steht religiösen Eltern genauso offen wie den liberalen Kritikern des Gesetzes. Statt sich in Prozessen gegen den Staat aufzureiben, wäre es doch viel einfacher, die Zehn-Gebote-Farce zum Anlass zu nehmen, sein Kind von der Schule abzumelden.
Die Wichtigkeit der Trennung von Religion und Staat würde vermutlich, solange es denn Staaten geben muss, jeder freiheitlich denkende Mensch befürworten. Doch oft höre ich gerade von Libertären auch grundsätzliche Kritik an der intellektuellen Vereinbarkeit von Glauben und Freiheit. Warum, wird da manchmal gefragt, ordnet sich jemand, der sonst jede Herrschaft ablehnt, nun ausgerechnet einem kosmischen Herrscher unter, der von ihm teilweise Zumutungen verlangt, die selbst die frechsten Forderungen des Staates in den Schatten stellen? Ich denke, dass es hier am Ende ganz auf das individuelle Gottesbild ankommt. Ein rachsüchtiger Gott, der bedingungslosen Gehorsam verlangt und Menschen ansonsten zu ewigen Höllenqualen verurteilt beziehungsweise, in der calvinistischen Horrorversion, Menschen vor Anbeginn der Zeit für die Hölle auserkoren hat, ist in vielerlei Hinsicht die Antithese nicht nur zur Freiheit, sondern auch zu der Liebe, die Gott doch laut dem Autor des 1. Johannesbriefs sein soll.
In Amerika gibt es eine kleine Bewegung christlicher Anarchisten/Voluntaristen, das „Bad Roman Project“. Ihr Motto: No King but Christ. Ich denke nicht, dass Gott über uns herrschen will, ich glaube nicht, dass Gott irgendetwas von uns will oder braucht, daher kann ich mich diesem Motto, das ich für wenig zielführend bei der Beschreibung eines wohlverstandenen, nicht am Bibelwort klebenden, denkenden christlichen Glaubens als auch für die Verbreitung libertärer Ideen halte, wenig anfangen. Allerdings will ich das gleich ein wenig einschränken. Denn „No King but Christ“ bedeutet für viele auch eine Abkehr vom Herrschaftssystem Kirche, eine geistliche Befreiung, auf der ein angstfreier individueller und unmittelbarer Glaube wachsen kann. Die Bibel liefert einige Hinweise auf Gottes Natur und Charakter, aber sie ist leider auch durchsetzt mit Passagen, die Angst schüren und offensichtlich dazu gedacht sind, Gläubige zu einem von anderen Menschen beabsichtigten Verhalten zu manipulieren – im Alten wie im Neuen Testament. Wer das für Gottes Wort hält, hat wenig von Gott verstanden. Der Richter-Gott ist meiner Meinung nach eine Schöpfung menschlichen Macht- und Kontrollstrebens auf der einen und entsprechenden Ängsten auf der anderen Seite. Es ist der Gott von Sylvia Taylor, Dodie Horton und anderen politisierten Berufschristen, die anderen ihren Glauben aufzwingen wollen und damit die christliche Botschaft ziemlich durch den Dreck ziehen.
Kommentare
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