Parlamentswahl im Vereinigten Königreich: Populismus schreckt Herrscherkaste auf
Das Wahlergebnis in Großbritannien ist symptomatisch für den seit der Finanzkrise 2008 in Zeitlupe ablaufenden Zusammenbruch
von Robert Grözinger
Die in Großbritannien 14 Jahre lang bis letzte Woche regierenden Konservativen haben die Wahl am 4. Juli erwartungsgemäß haushoch verloren. Während der Ausgang der Wahl lange klar war, rätselten viele, weshalb Premierminister Rishi Sunak sein Privileg nutzte, einen vorzeitigen Wahltermin auszurufen, wenn er doch bis November dieses Jahres hätte ausharren und auf günstigere Wahlumfragen hoffen können. Inzwischen kursieren drei Antworten auf diese Frage. Alle drei haben direkt oder indirekt mit dem zunehmenden Populismus und seiner im Vereinigten Königreich unübersehbaren Galionsfigur Nigel Farage zu tun.
Nicht die offizielle Oppositionspartei „Labour“ unter Kier Starmer fürchteten die Konservativen, sondern ein starkes Ergebnis für die „Reform UK“ Partei. Wie sich am Wahlabend zeigte, zu Recht. „Labour“ gewann jede Menge Wahlkreise, aber kaum mehr Stimmen hinzu. Aber: In etwa 180 der 411 von 650 Wahlkreisen, die an „Labour“ gingen, ist der Stimmenabstand zwischen dem Sozialisten und seinem konservativen Rivalen kleiner als die Zahl der Stimmen für „Reform UK“.
Die aus der Brexit-Partei hervorgegangene Partei wurde von Farage gegründet, aber bis vor kurzem nicht geführt. Bekannt war aber, dass die Umfrageergebnisse für „Reform UK“ in die Höhe schossen, wann immer vorausgesetzt wurde, dass „Mr Brexit“ die Partei führte und selber kandidierte.
Kurz vor der Ausrufung des Wahltermins hatte Farage bekannt gegeben, den Sommer in den USA verbringen zu wollen, um seinem Freund Donald Trump im Präsidentschaftswahlkampf zu helfen. Als dann Sunak Ende Mai den Juli-Wahltermin erklärte, änderte der langjährige Plagegeist seiner Partei seine Pläne. Zwei Wochen später gab Farage bekannt, dass er seine USA-Pläne umgeworfen, die Führung seiner Partei übernommen und im Wahlkreis Clacton an der südostenglischen Küste kandidiert. Die Umfragewerte für „Reform UK“ stiegen fast über Nacht von zehn auf 15 Prozent.
Farage selbst vermutet einen weiteren Grund für den Juli-Termin: Das absehbare Scheitern des Plans der Konservativen, illegale Migranten nach Ruanda abzuschieben. Sunak hatte versprochen, im Juli würden die ersten Illegalen in das kleine, zentralafrikanische Land verfrachtet. Aktivistische Juristen standen allerdings Gewehr bei Fuß, den Plan, wie schon bei vorherigen Versuchen, gerichtlich scheitern oder zumindest verzögern zu lassen. Das hätte im Sommer ungünstige Schlagzeilen für die Konservativen eingebracht.
Den dritten Grund für den frühen Wahltermin vermittelte der Journalist Andrew Pierce in der „Daily Mail“ vom vergangenen Samstag. Sunaks stellvertretender Premierminister und „engster politischer Freund“ Oliver Dowden habe vorgerechnet, dass bis November etwa 800.000 Hypotheken mit Festzinsverträgen erneuert werden müssen. Aufgrund der seit vergangenem Jahr viel höheren Zinsen haben viele Hypothekengläubiger bereits jetzt ein böses Erwachen erlebt. Und nun würden bis November zusätzliche 800.000 Menschen – oft mit Familie – einen schmerzhaften Zusammenstoß mit der Realität eines Fiatgeldsystems erleben.
Alle drei vermuteten Gründe für die vorgezogene Wahl weisen auf eine fundamentale Bruchstelle im autoritären, planwirtschaftlichen Globalisierungsprojekt hin. Nämlich das Scheitern der zentralplanwirtschaftlichen Steuerung der Geldmenge. Diese führte zu einem von „Experten“ lange geleugneten, aber von den ignorierten Ökonomen der Österreichischen Schule als unvermeidbar vorhergesehenen Schneeballsystem, das in die Finanzkrise von 2008 mündete. Von dieser hat sich die Welt, zumindest die westliche Welt, noch nicht erholt – vor allem, weil man nicht an die Ursachen herangeht. 2019 begann eine weitere Finanzkrise, die von den finanziellen Pandemiemaßnahmen übertüncht wurde. Nun soll die resultierende Inflation wieder eingefangen werden – mit drastisch erhöhten Zinsen.
Auch die Migrationskrise, das andere Riesenärgernis, für das die Menschen ihre Regierung abstrafen wollen, ist auf unser planwirtschaftliches Geldsystem zurückzuführen. Das leicht zu druckende Fiatgeld fördert seit vielen Jahrzehnten die Gegenwartsorientierung und die Tendenz, auftauchende Probleme schnell zu lösen – anstatt gründlich. Etwa das Problem der Kinderlosigkeit. Die gründliche Lösung wäre gewesen, den Materialismus und Hedonismus zu bekämpfen, unter anderem und notwendigerweise durch die Etablierung eines Geldes, das uns die Wahrheit über relative Knappheiten und die Notwendigkeit des Sparens in einer Welt voller Unsicherheiten aufzeigt. In einem solchen System würden viel mehr Menschen sparen und auf die Zukunft bedacht sein. Wer spart, wird das Geld jemandem vererben wollen. Normalerweise seinen Kindern.
Stattdessen entschied man sich für die schnelle Lösung: Als die Leute, entgegen der flapsigen Vorhersage des Ur-Bundeskanzlers Konrad Adenauer, keine Kinder mehr bekamen, holten und holen wir uns einfach sogenannte „Kinder“ aus anderen Ländern her.
Das Wahlergebnis zeigt, dass die Menschen mehrheitlich noch immer glauben, dass die schnelle Lösung eine gründliche ersetzen kann. Auch die Populisten denken nicht daran, das Fiatgeldsystem abzuschaffen. Aber immerhin trauen sie sich, die Migrationskrise als gründlich zu lösendes Problem anzuerkennen. Sie sind damit, wenn auch nur marginal, näher an der Wahrheit als die gegenwärtige Herrscherkaste.
Wie letztere in Großbritannien den Wahlausgang betrachtet, beschrieb Tom Slater, Redakteur bei „spiked-online.com“, schon am Vorabend der Wahl so: „Die Eliten“ sähen den Sieg Starmers „als Ausweg aus dem Interregnum nach dem Brexit“ und „als eine Absage an den Populismus“. Während die Konservativen gelegentlich „aufrichtige“ Kämpfer im Kulturkampf gegen Wokismus und grünen Wahn waren, blieben sie „schlaff“ und „ineffektiv“. Labour dagegen sei „ohne Frage das wichtigste politische Vehikel“ und „der parlamentarische Flügel der neuen Elite“. Das große Problem aller normal Denkenden im Vereinigten Königreich ist, wie Slater es schreibt, dass „die langsame Eroberung unserer Institutionen durch die Grünen, die Identitären und die Technokraten – trotz (und manchmal auch wegen) unserer konservativen Regierenden – sich nun noch mehr verfestigen“ wird.
Keir Starmer, so Slater weiter, sei kein Ideologe. „Er hat keine Ideen, geschweige denn eine Ideologie.“ Aber: „Das leere Gefäß muss mit irgendetwas gefüllt werden.“ Womit? Offenbar mit „Wokismus“, „Ökologismus“ und „uneingeschränkter Expertenherrschaft“ – „all den schlimmsten Ideen unserer Zeit, an die sich Starmer und seinesgleichen verzweifelt klammern, auch wenn sie nicht immer sagen können, warum.“
Diese Eliten, die schon längst alle anderen zentralen Institutionen wie Gerichte, Universitäten und den Kulturbetrieb in ihrer Hand halten, sind nun auch der uneingeschränkte Herrscher des Parlaments. „Labour“ hat mit nur einem Drittel der Stimmen fast zwei Drittel der Mandate errungen. Ihre Führung zeigt bereits, dass sie genau weiß, wer ihr wirklicher Gegner ist. Nicht die eben geschassten Konservativen, sondern „Reform UK“, die zwar 14 Prozent der Stimmen erhielten, aber nur fünf Mandate, also weniger als ein Prozent der Sitze. Einer von ihnen ist allerdings der wortgewaltige Farage.
Genau den hat die „Labour-Partei“ jetzt verschärft im Visier. Eine anonyme Quelle nahe Keir Starmer sagte laut der gestrigen Ausgabe der „Mail on Sunday“, das Land bräuchte keine „Reform UK“-Partei, denn sie hatte bisher schon, mit den Konservativen, eine anscheinend katastrophale „Reform-lite“-Regierung. Dieselbe Quelle sagte: „Wir dürfen diese Leute nicht wieder auf das Land loslassen“, und fuhr mit elitär-arrogantem Ton fort: „Wir wollen keine weiteren ihrer Experimente, die Großbritannien in die Knie gezwungen haben – aufmerksamkeitsheischende und schlagzeilenträchtige, allzu simple Lösungen.“
Für eine technokratische Elite ist es günstiger, wenn alle glauben, dass es nur komplizierte Lösungen gibt, die nur „Experten“ liefern können. Diese Arroganz zeigt zum wiederholten Mal, dass die Herrscherkaste aus dem „Brexit“-Referendum rein gar nichts gelernt hat und es nur als Betriebsunfall betrachten. Als Unfall während der komplizierten Konstruktion einer Weltregierung – bei der sie nicht wieder gestört werden wollen.
Der Sieg „Labours“ ist auf Sand gebaut. Der Unterschied zu den frühen Jahren der Tony-Blair-Regierung ab 1997, die mit ähnlich großer Mehrheit ausgestattet war, ist dieser: Der jetzigen Regierung steht kein Geld mehr zur Verfügung. Sie wird es aus der Bevölkerung herauspressen müssen, wenn sie ihre hochfliegenden Pläne umsetzen will. Das bedeutet, dass es bei den unvermeidbaren Nachwahlen schnell zu ersten Verlusten kommen wird – und zu weiteren Siegen der „Reform UK“-Partei.
In Großbritannien, wie in Frankreich und demnächst auch in Deutschland und dem Rest der westlichen Welt, werden wir sehen, was passiert, wenn Menschen allzu lang einer schnellen Lösung einer gründlichen den Vorzug geben.
Quellen:
Tom Slater: Things can only get worse, spiked-online.com
Andrew Pierce: The real reason Sunak went for that catastrophic early election, „Daily Mail“
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