14. August 2024 10:00

„Repräsentative Demokratie“ Wo Harald Schmidt nun mal recht hat …

… aber bei den „freien Wahlen“ bin ich mir nicht sicher

von Axel B.C. Krauss

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Bildquelle: brushpiquetr / Shutterstock Freie, gleiche und geheime Wahlen in einer „Repräsentativen Demokratie“: Tatsächlich?

Kaum hatte Harald Schmidt, Ausnahmeerscheinung des deutschen Humors, ehemals SAT.1-Letterman und scharfsichtiger Beobachter des Zeitgeschehens und seiner Kapriolen, doch glatt verkündet, dass Politiker, denen die Wahlergebnisse von AfD oder BSW nicht passen, eben eine bessere Politik machen müssten, war das Malheur auch schon geschehen: spontane Schließmuskelerschlaffung, vollständige Entleerung in die Zeitungshose. Wie kann er nur.

Richtig: Wie kann er nur auf etwas hinweisen, das eigentlich selbstverständlich sein sollte? Es ist ja schon albern genug – worauf Schmidt in gewohnt schelmischer, gewitzter Weise hinweist –, eine scharfe Trennung vollziehen zu wollen zwischen Ursache und Wirkung. Will sagen, die Erfolge der einen sind die Misserfolge der anderen. Wen soll das nach Jahren geballter Ampelkompetenz überraschen?

Doch gibt es leider auch einen kleinen Kritikpunkt: Schmidt sagte, so laufe das nun mal in freien Wahlen. Also ich weiß nicht. Sind sie wirklich so frei, wie immer behauptet? Übersieht man dabei nicht die massiven Einflussnahmen auf psychologischer Ebene, die Propaganda, das „Nudging“, also „Stupsen“ der Wähler auf allen Kanälen rund um die Uhr, die bezahlten Influencer auf Social Media, die „überparteilichen“ Blätter voller politisch stinkneutraler Leitartikel, das Framing und Blaming, kurz, den ganzen manipulativ-suggestiven Klumpatsch, der sich aus allen politischen Richtungen über die Steuerwollepflücker ergießt?

Und sollte man nicht auch etwas genauer unterscheiden zum Beispiel zwischen direkter und sogenannter „Repräsentativer“ Demokratie, statt – wie es in der Presse stets geschieht – stets nur von einer etwas vagen „Demokratie“ zu reden, die es, soviel sollte doch heute jedem klar sein, eigentlich gar nicht gibt? Denn wäre das der Fall und wären die „Repräsentanten“ der etymologischen Bedeutung des Wortes wirklich treu („Volksherrschaft“), mithin ihrem Eid, „Schaden vom deutschen Volke abzuwenden“, wäre die derzeitige Politik in erstaunlich kurzer Zeit beendet, ja, das ginge rappzapp.

Also was heißt das jetzt: „Repräsentative Demokratie“? Dazu eine vereinfachte Beispielrechnung.

Lassen Sie uns annehmen, eine Bevölkerung besteht aus 1.100 Mitgliedern. 100 davon stellen die Regierung, die restlichen 1.000 sind alle wahlberechtigt und gehen in regelmäßigen Abständen wählen. Lassen Sie uns weiter annehmen, die Beteiligung an einer bestimmten Wahl betrüge, sagen wir mal, 60 Prozent. Von 1.000 Wahlberechtigten hätten also 600 gewählt, die anderen 400 hatten keinen Bock. Von diesen 600 wiederrum haben sich 350 für Partei A entschieden, die anderen 250 in verschiedenen Anteilen für die Parteien B, C und D. Partei A erhält also eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen und wäre somit fähig, alleine zu regieren. Von 1.000 Wahlberechtigten haben also gerade mal 350 – 35 Prozent – diese Partei gewählt. Nun stellt sich nach der Wahl aber heraus, dass diese Partei einen schlechten Job macht und durch viele Fehlentscheidungen auf verschiedenen politischen Ebenen – zum Beispiel Wirtschafts-, Bildungs- und Finanzpolitik – das Land in eine Schieflage bringt.

Wer oder was wurde hier bitte „repräsentiert“? Die gesamte Bevölkerung jedenfalls nicht. Dies wirft die nicht unerhebliche Frage auf, warum sich 650, also immerhin 65 Prozent der Bevölkerung, von gerade mal 350 Leuten, die eine schlechte Entscheidung gefällt und eine unfähige Partei gewählt haben, eigentlich „repräsentieren“ lassen sollen. Inwiefern bitte? Warum sollten sie einfach akzeptieren „müssen“, von weit weniger als der Hälfte der Bevölkerung „repräsentiert“ zu werden, die eine Entscheidung gefällt hat, die sich für das Wohlergehen der gesamten Bevölkerung als abträglich erweist?

Und vor allem – siehe oben – kam tatsächlich eine mündige, freie, unbeeinflusste Wahlentscheidung zustande? Sind manche oder vielleicht gar viele derjenigen, die Partei A gewählt haben, möglicherweise einfach nur geschickter Wahlkampfpropaganda auf den Leim gegangen? Bis zu welchem Grad war die gefällte Entscheidung also wirklich „meine eigene“ statt diejenige cleverer PR-Strategen? Eine Technik, die in den USA zum Beispiel schon sehr früh im 20. Jahrhundert angewendet und in den Jahrzehnten danach und bis zum heutigen Tage perfektioniert wurde. Dort bedienen sich die Parteien (Dems und Reps) tatsächlich regelmäßig gewiefter PR-Firmen, beispielsweise der berühmten „Madison Avenue“, um zu beeinflussen, wie sie und ihre Politik wahrgenommen werden. Et cetera, et cetera.

Aus solchen Gründen tue ich mich ein bisschen schwer damit – gerade im heutigen, sozusagen vollbetreut-vernudged-verframten Politklima –, von wirklich „freien Wahlen“ zu sprechen. Kann ich mir sicher sein – wirklich sicher –, dass alle Wahlberechtigten sich der zuweilen sehr subtilen Methoden der Beeinflussung und Manipulation bewusst sind? Kann ich sicher wissen, dass sie über die nötigen Informationen verfügen, um bei Themen wie Finanz- und Wirtschaftspolitik eine vernünftige Entscheidung zu treffen? Ist garantiert, dass ich gut repräsentiert werde?

Ich frag ja nur.

Bis nächste Woche.


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