Anspruchs- versus Abwehrrechte: Unter dem Deckmantel der Freiheit gegen die Freiheit
Nur eine liberale Ordnung gewährt Würde und Selbstbestimmung
von Olivier Kessler
Freiheit ist ein starkes Gefühl. Alle sind irgendwie für Freiheit. Kein Politiker, der wiedergewählt werden will, erklärt, dass er mit Unfreiheit, Bevormundung und Knechtschaft sympathisiert, obwohl die Handlungen der meisten Politiker nur diesen Rückschluss zulassen. Doch wie kriegen diese es hin, sich einerseits als Verfechter der Freiheit, als „liberal“ darzustellen und andererseits für immer weitergehende staatliche Interventionen in das Leben der Bürger einzutreten? Ganz einfach: indem sie die Begriffe „Freiheit“ und „Liberalismus“ pervertieren und sie in ihr Gegenteil verkehren.
Es ist offenkundig, dass die Freiheit, welche die meisten politischen Akteure meinen, nichts mehr mit der liberalen Freiheit im herkömmlichen Sinne zu tun hat. Freiheit meinte in den Menschenrechten erster Generation ein Abwehrrecht gegen Zwangseingriffe des Staates. Es meinte, wie der Buchautor Roland Baader es so schön formulierte, „das Recht, in Ruhe gelassen zu werden – von jedem, den man nicht eingeladen hat oder den man nicht willkommen heißt“.
Wenn die so verstandene Freiheit gesichert ist, hat niemand ein Recht, andere unter Androhung oder Ausübung physischer Gewalt zu einer Handlung zu zwingen, die diese freiwillig nicht ausüben würden. Alle Menschen werden universell als Zweck an sich verstanden, nicht als unfreiwilliges Mittel zum Zweck für Dritte. Eine solche wahrhaft liberale Ordnung ist menschenfreundlich, weil so die Würde und Selbstbestimmung eines jeden Menschen respektiert wird und jeder sein Leben gemäß seinen eigenen Vorstellungen leben kann.
Die eigene Freiheit endet so erst an der Freiheit des Nächsten. Konkret heißt dies: an den Abwehrrechten, respektive am Privateigentum der anderen. Dieses umfasst nicht nur die rechtmäßig erlangten materiellen Güter wie etwa ein Auto, ein Haus oder die Handtasche, sondern auch den eigenen Körper. Niemand hat das Recht, mit diesem Körper ohne Einwilligung des Eigentümers (also demjenigen, der diesen Körper unmittelbar kontrolliert) irgendwelche Handlungen vorzunehmen.
Nur wenn jemand die Eigentumsrechte anderer verletzt, wenn er also zum Beispiel jemanden beraubt oder vergewaltigt, verwirkt er zu einem verhältnismäßigen Grad seine eigenen Eigentumsrechte. Das Opfer oder gegebenenfalls die Angehörigen haben wiederum ein Recht darauf, dass der Täter adäquat bestraft wird, indem zum Beispiel Schadenersatz und Schmerzensgeld eingefordert oder eine Freiheitsstrafe durchgesetzt wird, um Gerechtigkeit wiederherzustellen. Nur wenn ein konkretes Verschulden in Form einer Eigentumsverletzung vorliegt, darf in Privateigentumsrechte eingegriffen werden.
Eine solche liberale Ordnung, in der Abwehrrechte universell durchgesetzt werden, ist gekennzeichnet durch eine hohe Rechtssicherheit. Das schafft Vertrauen und erhöht tendenziell den Wohlstand. Auch ist so von vornherein klar, dass niemand mit bösen Taten einfach ungestraft davonkommt, weil die Regeln ausnahmslos für alle gelten: keine Beamtenprivilegien, keine Immunität für Politiker.
Ganz anders sieht es jedoch aus, wenn eine sozialistische Definition von Freiheit durchgesetzt werden soll. Hier wird Freiheit nicht als Abwesenheit von Zwang verstanden, sondern als Anspruch, etwas zu tun, selbst wenn man nicht über die nötigen Mittel verfügt. So wurden in den letzten Jahrzehnten zunehmend Anspruchsrechte wie etwa ein Recht auf Medizin, auf Bildung, auf Freizeit und weitere Ansprüche erfunden.
Dabei besteht die perfide Taktik darin, dass jegliche Ablehnung von sozialistischen Anspruchsrechten absichtlich so missinterpretiert wird, dass es andernfalls keinen Weg mehr gäbe, an die benötigten Güter zu kommen. Doch es geht nicht darum, dass Gegner des „Rechts auf Bildung“ oder des „Rechts auf Medizin“ anderen Menschen Bildung und Medizin vorenthalten wollen – Gott bewahre. Gegnern von solchen sozialistischen Anspruchsrechten geht es vielmehr darum, den Kerngehalt der Freiheit zu schützen – nämlich die Abwehrrechte.
Wenn nun Anspruchsrechte durchgesetzt werden sollen, also ein Anspruch auf bestimmte Güter und Dienstleistungen, die sich jemand nicht aus eigener Kraft leisten kann, dann geht das nur, indem jemand anderem diese Dinge unter Androhung oder Anwendung von Gewalt weggenommen werden. Je mehr Anspruchsrechte gesetzlich durchgesetzt werden sollen, desto akuter wird dieses Problem des gesellschaftlichen Raubs und desto stärker müssen Abwehrrechte – also die Freiheit im ursprünglichen Sinne – verletzt werden.
Die Durchsetzung von Anspruchsrechten ist also unfreiheitlich und illiberal. Wer unschuldigen, rechtschaffenen Bürgern gewaltsam etwas wegnimmt, ist im naturrechtlichen Sinne ein Krimineller. Dasselbe gilt für all jene, die den Staat damit beauftragen (zum Beispiel durch die Wahl entsprechender Politiker oder die Zustimmung einer entsprechenden Volksvorlage), einen solchen Akt des Raubs zu begehen. Wer eine derart verbrecherische Politik als „freiheitlich“ deklariert, versteht entweder die Sachlage nicht oder täuscht die Öffentlichkeit bewusst über seine wahren Absichten.
Nun gut, werden Sie jetzt vielleicht einwenden, aber was ist denn mit jenen, die sich wichtige Güter tatsächlich nicht leisten können? Irgendjemand muss doch dafür sorgen, dass diese an lebensnotwendige Dinge herankommen? Liberale setzen hier auf eine Lösung, die ohne Verletzung elementarer Freiheitsrechte auskommt: indem sie klarmachen, dass es keine solchen gesetzlichen Ansprüche gibt. Damit werden Anreize für jeden Einzelnen gesetzt, sich für die Gesellschaft irgendwie nützlich zu machen, um so auf rechtmäßigem Weg an die benötigten Ressourcen zu kommen, die andere Gesellschaftsmitglieder dann freiwillig im Tausch gegen von ihnen benötigte Dinge (wie zum Beispiel die Arbeitskraft) hergeben.
Wer vollumfänglich arbeitsunfähig ist, wird von der Solidarität anderer (Familienmitglieder, Freunde, Hilfswerke et cetera) aufgefangen. Diese ist erfahrungsgemäß in freiheitlicheren Ländern viel größer als in sozialistischen und übermäßig interventionistischen Zwangsumverteilungs-Systemen, weil hier wesentlich mehr Wohlstand und damit überschüssige Ressourcen über das Lebensnotwendige hinaus erwirtschaftet werden: Der Kuchen wächst dank ständigen Win-win-Tauschverhältnissen. Dies erlaubt es, auch schwachen Gesellschaftsmitgliedern zu helfen.
Werden Anspruchsrechte durchgesetzt, bedeutet dies immer, dass jemand auf Kosten eines anderen gewinnt (win-lose). Doch der Kuchen bleibt dann nicht immer gleich groß, wie einige fälschlicherweise annehmen, sondern schrumpft aufgrund der negativen Anreize. Wenn den Produktiven viele Früchte ihrer Arbeit zwangsweise abgenommen werden, sinkt auch der Anreiz, etwas zu leisten. Je exzessiver die fiskalische Gier, desto demotivierter die Leistungsträger.
Wer also auf die sozialistische Definition von Freiheit hereinfällt und auf Anspruchsrechte setzt, weil er den „Bedürftigen“ helfen möchte, tut diesen nicht nur einen Bärendienst, sondern schafft paradoxerweise noch mehr Bedürftige.
In der liberalen Vision gibt es zwar keine staatlich durchsetzbare Garantie, dass den Bedürftigen geholfen wird. Die Zahlen zeigen allerdings, dass freiwillige Beiträge an Hilfswerke gerade in den freiheitlichen Ländern am höchsten sind und den Bedürftigen sehr wohl geholfen wird, auch wenn man diejenigen, die die Hilfe leisten, nicht mit staatlichen Zwangsmaßnahmen bedroht.
Die liberale Freiheitsidee ist folglich ethisch, ökonomisch und in Bezug auf die Unterstützung der Schwachen dem absurden sozialistischen Freiheitsversprechen in hohem Grade überlegen.
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