22. August 2024 06:00

Gefährliche Welt(?) Realitätsverzerrung in Sachen Sicherheit

Wenn sich Bürger autoritäre Politiker wünschen

von Olivier Kessler

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Bildquelle: Rachel Juliet Lerch / Shutterstock Angst: Lässt die Realität verzerrt erscheinen

Sicherheit ist ein Grundbedürfnis aller Menschen. Kaum jemand mag es, sich unsicher zu fühlen. Unsere Aufmerksamkeit gilt evolutionär bedingt mehr den potenziellen Gefahren als den angenehmen Dingen im Leben. Das war und ist in gewissen Situationen auch vernünftig: Hätten unsere Vorfahren nicht so priorisiert und sich nicht ein paar Mal zu viel als zu wenig in Sicherheit gebracht, als sie zum Beispiel glaubten, einen Tiger hinter einem Busch bemerkt zu haben, wären wir wohl nie geboren worden. Die Menschheit wäre ausgestorben. Doch auch wenn diese Wahrnehmungsfokussierung einst überlebensnotwendig war, leitet sie uns heute oftmals in die Irre und lässt uns politischen Scharlatanen auf den Leim gehen, welche die Ängste der Menschen für ihr Machtstreben instrumentalisieren.

Unser selektiver Aufmerksamkeitsfilter, der vor allem Dramatisches und Negatives durchsickern lässt, ist auch der Grund, weshalb Medien hauptsächlich „bad news“ publizieren. Dramatische Schlagzeilen wie „Fünf Leute sind heute in der Schweiz mit oder an Corona gestorben“ erwecken viel eher unsere Aufmerksamkeit als die Meldung „700.000 Menschen haben diesen Monat eine Corona-Infektion überlebt“.

Wir müssen uns der Möglichkeit bewusst sein, dass diese selektive Sinneswahrnehmung unsere Vorstellung der Realität verzerren kann. Es ist eine vordringliche Aufgabe, diese Realitätsverzerrung mithilfe unserer Vernunft unter Kontrolle zu bringen, da wir ansonsten Gefahr laufen, bestimmte Risiken zu überschätzen und andere (zum Beispiel medial weniger beachtete) zu unterschätzen. Denn durch eine falsche Priorisierung unserer Mittel zur Bewältigung von Herausforderungen würden wir uns paradoxerweise größeren Gefahren aussetzen.

Diese Realitätsverzerrung machen sich politische Agitatoren heute schamlos zunutze. Obwohl die Welt noch nie so sicher und wenig gewalttätig war wie heute, wird sie dennoch als zunehmend instabiler und gefährlicher dargestellt. So ist etwa die Zahl der aufgrund von Naturkatastrophen umgekommenen Menschen in den letzten 100 Jahren um weit mehr als die Hälfte gesunken. Dies ist bemerkenswert, weil die Weltbevölkerung in dieser Zeit um fünf Milliarden Menschen gestiegen ist. So gesehen sterben heute nur noch sechs Prozent der Menschen an Naturkatastrophen. Das hat vor allem mit dem Wohlstand zu tun, der auf relativ freien Märkten erwirtschaftet wurde. Je mehr Mittel den Menschen zur Verfügung stehen, desto besser können sie sich gegen Naturkatastrophen wappnen. Sie bauen stabilere Häuser, die Stürmen und Erdbeben besser standhalten, sie errichten Staudämme und Kanäle gegen Überschwemmungen, installieren Klimaanlagen und Heizungen, um sich gegen Hitzetage und die kalte Jahreszeit zu wappnen und so weiter. Den meisten Menschen ist dieser Fortschritt entgangen, genau genommen wissen das gemäß Umfragen des Statistikers Hans Rosling gerade einmal zehn Prozent aller Befragten.

2016 war auch die Anzahl Gefechtstoter pro Million Menschen auf einem Rekordtief (zwölf Tote), was man kaum glauben kann, wenn man sich dem täglichen Nachrichtenstrom aussetzt. 1986 gab es auf der Welt noch 64.000 nukleare Sprengköpfe, heute gibt es in militärischen Einrichtungen nur noch 15.000, was natürlich immer noch viel zu viele sind, aber die Entwicklung ging zumindest in die richtige Richtung.

Trotz dieser gewaltigen Erfolge tut ein Großteil der Medien und Politiker so, als werde alles immer unsicherer, damit sie anschließend darauf aufbauend ihre politischen Programme vorstellen können, in denen es seltsamerweise praktisch immer darum geht, die Macht des Staates (und damit auch ihre eigene) noch weiter auszubauen. Auch wenn weltweit 18-mal mehr Menschen an Kälte als an Hitze sterben, warnt man in apokalyptischer Panikmache vor einer „menschengemachten Klimaerwärmung“, die man um jeden Preis verhindern, weshalb man auch diverse Freiheitsrechte beschneiden und neue Steuern einführen müsse.

Bei Pandemien ist eine ähnliche Realitätsverzerrung auszumachen. Seit der Spanischen Grippe 1918 sind nicht nur die wirtschaftlichen Schäden in Prozent des Bruttosozialprodukts, sondern auch die Todesraten bei Pandemien immer weiter zurückgegangen. Ein Grund dafür ist die bessere Versorgung mit Gesundheitsgütern und die bessere Ernährung aufgrund des höheren Wohlstands. Ein weiterer Grund ist die Globalisierung und der erhöhte internationale Reiseverkehr. Fünf britische Forscher (R. N. Thompson et. al.) wiesen 2019 darauf hin, dass einige Erregerstämme mit niedrigem Virulenzfaktor dazu beitragen, Immunität gegen verwandte hochvirulente Stämme zu schaffen. Häufige internationale Reisen können deshalb bewirken, dass diese niedrigvirulenten Erreger auf eine Weise verbreitet werden, die die globale Resistenz gegen virulentere Stämme stärkt. Anstatt die Ausbreitungsrisiken zu erhöhen, würden eine stärker globalisierte Welt und eine vermehrte internationale Reisetätigkeit die Wahrscheinlichkeit einer schwerwiegenden Pandemie verringern.

Nichtsdestotrotz wurde von einer Vielzahl von Bürgern begrüßt, dass der Staat im Namen des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit plötzlich radikale Maßnahmen zur Bekämpfung eines historisch verhältnismäßig harmlosen Virus erlässt, die nicht nur diesen gesundheitsstärkenden Virenaustausch unterbindet (mit einer massiven Einschränkung der Reisetätigkeit durch Grenzschließungen, Zertifikatszwang, Impfzwang, Maskenzwang et cetera), sondern auch den Wohlstand reduziert (zum Beispiel durch Lockdowns, Verschuldung, Inflation et cetera). Damit wurden unsere Handlungsmöglichkeiten bei künftigen Herausforderungen reduziert. Wir müssen verstehen, dass der Staat durch seine Interventionen die Welt unsicherer macht.

Auch der Terrorismus wird regelmäßig für massive Staatsausbauprogramme wie Massenüberwachung missbraucht. Obwohl 2016 lediglich 0,05 Prozent aller Todesfälle weltweit auf sein Konto gingen, führen medial stark beachtete Einzelfälle dazu, dass eine ganze Gesellschaft angstgesteuert entscheidende Freiheitsrechte wie die Privatsphäre über Bord wirft. Wenn hier die Vernunft am Werk wäre, würde man das Risiko nicht daran bemessen, wie groß die eigene Angst davor ist, sondern wie wahrscheinlich ein solches Ereignis tatsächlich ist und wie sehr der Einzelne dieser Gefahr ausgesetzt wäre.

Die Forschungsliteratur zeigt, dass Unsicherheit nicht nur unsere Solidarität gegenüber der eigenen Gruppe stärkt, sondern auch zu einer rigiden Gruppennormen-Konformität und einer Ablehnung von Außenseitern führt. Unsicherheit führt dazu, dass sich Menschen vermehrt starke, autoritäre Führer wünschen, die sie vermeintlich vor gefährlichen Außenseitern beschützen, durch die man sich in der persönlichen Sicherheit bedroht sieht. Was liegt also für machthungrige Politiker näher, als die allgemeine Unsicherheit in der Bevölkerung zu schüren, indem man ihr Gruselgeschichten auftischt und das Negative überbetont, indem man zum Beispiel die Terror- und Klimagefahr überhöht oder die Möglichkeit, durch einen Virus zu sterben, als viel größer darstellt, als es die Statistiken tatsächlich erlauben würden?

Wenn die Politik im Namen der Sicherheit bei irgendwelchen Ereignissen sofort drastische Maßnahmen ergreifen will, ist Skepsis angebracht. Dies gilt umso mehr, als dass einmal erlassene Maßnahmen kaum je wieder vollständig zurückgenommen, sondern zumindest partiell langfristig Bestand haben werden. Fragen Sie nach den Daten, den Fakten und den tatsächlichen Risiken. Vielleicht ist es lohnenswert, sich in diesen Momenten zu vergegenwärtigen, ob Politiker tatsächlich jemals erfolgreicher als Nicht-Politiker darin waren, Probleme zu lösen, und ob es klug ist, Ihre Freiheit unter dem Vorwand der Sicherheit aufzugeben.


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