05. September 2024 06:00

„Demokratie“ Wer hat hier wirklich die Macht?

Der Staat ist nicht „wir alle“

von Olivier Kessler

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Bildquelle: Antimon / Shutterstock Politiker: Haben Gewaltmonopol zur Durchsetzung ihrer Interessen

Wir leben heute in einer egalitaristisch orientierten Gesellschaft, in einer post-monarchischen Epoche, in der gesetzliche Sonderprivilegien als ungerecht empfunden und die Könige gestürzt wurden. „L’état c’est moi“ wich dem Glauben, dass der Staat wir alle seien. Damit meinen viele, das Machtproblem gelöst zu haben, weil die Macht neu in den Händen vieler (Demokratie) statt in den Händen weniger liege. Macht wird deshalb heute nur noch dann als Problem erachtet, wenn Private über zu viel Einfluss verfügen (wenn zum Beispiel ein Konzern zu groß geworden ist), während man beim wachsenden Staatsapparat gerne wegschaut und hier keine gefährliche Machtkonzentration erkennt.

Das Problem mit dem Begriff der Macht ist, dass er oftmals den falschen Personengruppen zugeschrieben wird, wodurch der gesellschaftliche Unmut auf aufgebauschte Sündenböcke gelenkt wird anstatt auf die wirklich Mächtigen.

Wenn hier von Macht die Rede ist, so ist damit nicht die Autorität einer Vorbilds- oder Vertrauensperson gemeint, die ein Mensch aufgrund seiner Erfahrung, Werte, Rolle, Ausstrahlung, Handlungen oder seines Wissensvorsprungs erlangen kann.

Gewiss hat ein charismatischer Popstar oder Social-Media-Influencer das Potenzial, Millionen von Fans zu beeinflussen, genauso wie ein wortgewandter Intellektueller auf die öffentliche Meinung einwirkt. Natürlich hat auch ein Arzt „Macht“ über seine Patienten, ein Vorgesetzter über seine Untergebenen, eine Ehefrau über ihren Ehemann und umgekehrt. Doch wir wollen bei diesen Phänomenen in Abgrenzung zu unserem engeren Verständnis von Macht von natürlicher Autorität sprechen, weil sie nicht auf menschlichem Zwang basiert. Ein Patient kann seinen Hausarzt bei Unzufriedenheit wechseln. Ein Angestellter kann seinen freiwillig eingegangenen Arbeitsvertrag auflösen und sich eine andere Stelle suchen. Eheleute haben die Möglichkeit, sich scheiden zu lassen. All diese Beziehungen beruhen nicht auf Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung, sondern auf Freiwilligkeit.

Hier ist also jene Macht gemeint, die es einem Einzelnen oder einer Gruppe von Menschen erlaubt, anderen ihren Willen durch die Androhung oder Ausübung physischer Gewalt aufzunötigen. Es geht nicht um die Fähigkeit, seine Mitmenschen mit guten Argumenten oder Angeboten (die sie ablehnen können) zu überzeugen, sondern diese gegen ihren Willen zu Handlungen oder Unterlassungen zu zwingen (die sie ablehnen würden, wenn sie die freie Wahl hätten).

Oftmals herrscht Konfusion: Macht wird insbesondere von Etatisten reichen Privatpersonen oder Konzernen zugeschrieben, jedoch selten dem Staat selbst, der als ungefährlich erachtet wird, weil dieser ja „dem Gemeinwohl“ verpflichtet sei. Es wird behauptet, in einer Demokratie seien der Staat „wir alle“ und „wir alle“ könnten ja bestimmen, was der Staat tun solle. Dieser Sichtweise liegt aber ein unzulässiger Anthropomorphismus zugrunde, der ein abstraktes Gebilde wie den Staat fälschlicherweise als handelndes Wesen darstellt, das im Gegensatz zu Privaten ausschließlich dem Gemeinwohl diene. Der Staat aber sind nicht „wir alle“. Es sind jene Akteure, die in seinem Namen handeln. Auch sie verfolgen – wie alle anderen Menschen auch – Eigeninteressen. Diese Eigeninteressen legen sie nicht ab, wenn sie zum Parlamentarier, Regierungsmitglied oder Richter gewählt werden oder in der öffentlichen Verwaltung zu arbeiten beginnen. Worin bestehen diese Eigeninteressen? In der Maximierung ihres Einflusses und ihres Einkommens sowie in ihrer Wiederwahl zur Sicherung ihrer Macht und Einkünfte.

Staatliche Macht basiert auf dem Gewaltmonopol. Die entsprechenden Zwangsmittel können von jenen, die den staatlichen Machtapparat gerade kontrollieren, eingesetzt werden, um anderen ihren Willen aufzunötigen. Das Gewaltmonopol erlaubt es, andere Menschen zu unterwerfen – notfalls mit Polizeigewalt, wenn die Herumkommandierten und vom Fiskus Bedrohten sich nicht fügen wollen. Diese potenzielle Macht ist es, die für die Gesellschaft eine permanente Gefahr darstellt. Es besteht eine ständige Versuchung zum Gebrauch des Gewaltmonopols für die Durchsetzung von Interessen einiger auf Kosten anderer.

Nichtsdestotrotz hält sich aufgrund intensiver Propaganda hartnäckig der Glaube, die wirklich Mächtigen seien in Wahrheit die Reichen und die großen Konzerne. So waren nach einer Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung 74,6 Prozent der Befragten der Meinung, dass letztlich nicht die Politik, sondern die Wirtschaft in ihrem Land entscheide. Das stimmt so natürlich nicht. Kein Unternehmen und kein Reicher können einen Politiker auf legalem Weg dazu zwingen, dass dieser in seinem Sinne handelt. Wer das als Privater tut, macht sich strafbar. Über legale Instrumente der Gewaltandrohung und -anwendung verfügen einzig die Akteure des Staates.

Die „Macht“ von wohlhabenden Privaten zur Durchsetzung ihrer Interessen ist also – im Gegensatz zu jener der Politiker und Bürokraten – beschränkt (es sei denn, sie werden selbst zu Politikern oder Staatsdienern). Abgesehen von ein paar wenigen Ausnahmen (wie Volksabstimmungen) entscheiden Politiker und Beamte darüber, welche Regeln für alle gelten sollen. Auch entscheiden sie darüber, ob sie sich bestechen lassen wollen oder nicht. Ein Privater kann lediglich Bestechungsangebote machen, jedoch nicht die Entscheidung für den Politiker treffen. Deshalb gilt: „Die Herrschenden müssen bewacht werden, nicht die Beherrschten“, wie es der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) formuliert hatte.

In der Geschichte bis und mit heute wurde Macht mit wandelnden Argumenten legitimiert. Oftmals geht die Rechtfertigung für eine „legalisierte“ Zwangsanwendung durch den Staat mit der Verabsolutierung eines Werts einher. Irgendetwas – sei es eine Ideologie, eine Religion, eine wissenschaftliche Disziplin oder Studie, die Sicherheit, die Umwelt, das Klima, die Gesundheit et cetera – wird dabei verklärt und als wichtiger als alle anderen Werte dargestellt, weshalb man diesem um jeden Preis (meist ist dieser Preis die Freiheit) mit politischem Zwang zur Durchsetzung verhelfen müsse.

Verschiedene Interessengruppen favorisieren, gewichten, priorisieren dabei unterschiedliche Werte. Wenn viele dieser Gruppen auf staatlichen Zwang als Durchsetzungsinstrument ihrer Interessen setzen, ist das Ergebnis eine wachsende Machtballung beim Staatsapparat und eine zunehmende Entmachtung der Bürger in immer mehr Lebensbereichen – ein Phänomen, dass wir heute nur allzu gut beobachten können.

Je mehr Zwang in einer Gesellschaft verbreitet ist, desto stärker ist die individuelle Freiheit eingeschränkt und desto schlechter steht es um den Frieden, Wohlstand und das Glück. Das Ziel muss es deshalb sein, Macht, respektive die problematische Zwangsausübung, in der Gesellschaft auf ein absolutes Minimum zu reduzieren, damit es allen willigen Individuen möglich ist, ein selbstbestimmtes Leben in Eigenverantwortung zu führen und so ihre selbstgesetzten Ziele mit eigens definierten Mitteln zu erreichen.

Dieses Ziel, die Macht der Politik zu limitieren, könnte beispielsweise durch eine Politikerhaftung erreicht werden, damit Politiker mit ihrem Privatvermögen haften müssen, wenn sie den Bürgern einen Schaden zufügen. Auch gilt es, durch diverse Entpolitisierungs-Reformen (Abbau von Überregulierung, Abschaffung unnötiger Ämter, Steuersenkungen) den schädlichen Einfluss des Entmündigungs-, Bevormundungs- und Kontrollstaates zu minimieren.


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