12. September 2024 06:00

Staatsformen Ist der Sozialismus bislang am fehlenden guten Willen gescheitert?

Eine erfolglose Idee, die dennoch nicht stirbt

von Olivier Kessler

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Bildquelle: Sara Sanchez PHOTO / Shutterstock Auch das Beispiel Venezuela zeigt erneut: Sozialismus produziert Armut

Die autoritären und totalitären Formen des Sozialismus sind durch die Vorkommnisse im 20. Jahrhundert und darüber hinaus diskreditiert worden. Obwohl viele sozialistische Länder zu Beginn oft als „sozialistische Musterbeispiele“ bejubelt wurden, behaupten dieselben Sozialismus-Anhänger etwas später plötzlich, dass die bislang ausprobierten und allesamt gescheiterten Sozialismus-Experimente mit dem echten Sozialismus nichts zu tun gehabt hätten. Es heißt, die politischen Anführer hätten den Sozialismus falsch verstanden und inkorrekt umgesetzt – und dass er nur deshalb gescheitert sei. Der Ideal-Sozialismus wird so von jeglicher Konfrontation mit der Wirklichkeit abgeschirmt. Diese Kommunikationsstrategie verfängt, insbesondere bei den Jungen: Mehr als die Hälfte (51 Prozent) der Amerikaner im Alter von 18 bis 29 Jahren etwa sehen den Sozialismus positiv, wie das Meinungsforschungsinstitut Gallup jüngst herausfand.

Obwohl Sozialisten behaupten, ein echter Sozialismus sei noch nie ausprobiert worden, tun sie sich schwer damit, zu erläutern, was denn genau anders gemacht werden müsste, damit es ein „echter Sozialismus“ wäre. Was konkret war genau „unecht“ am Sozialismus, wie er in der Realität ausprobiert wurde? Darauf haben Sozialisten keine konkrete Antwort. Vielmehr lenken sie ab, indem sie abstrakt über hehre Ziele schwadronieren: Echter Sozialismus sei ein demokratischer von unten und sorge dafür, dass Macht und Wohlstand gleichmäßig verteilt seien. Über konkrete Wege zum Ziel schweigt man sich aber aus.

Es wird salopp unterstellt, dass der autokratische Charakter ehemaliger oder immer noch bestehender Sozialismussysteme gewollt gewesen sei. Die Annahme ist, dass die Gründer der DDR oder der Sowjetunion ihren Sozialismus anstatt diktatorisch auch basisdemokratisch hätten einrichten können, sie sich aber einfach dagegen entschieden hätten. Das Scheitern des Sozialismus hängt aber mitnichten von guten oder schlechten Absichten der Umsetzer ab, wie immer wieder behauptet wird. Selbst der Sozialismus eines Hugo Chávez, der in Venezuela – dem einst reichsten Land Südamerikas – explizit nicht den Weg der Sowjetunion beschreiten wollte, landete am Ende wieder bei einem inhumanen, planwirtschaftlichen Terror-Regime, in dem die Leute sogar ihre eigenen Haustiere verspeisen mussten, um nicht an Hunger zu sterben. Dass der Sozialismus scheitern muss, liegt nicht an Charakterschwächen von Menschen, sondern in der Natur der Sache selbst.

Sozialisten verweisen oft darauf, dass selbst Sozialismus-Vordenker Karl Marx Freiheitseinschränkungen nicht begrüßt habe und es deshalb nicht nötig sei, die Freiheit der Menschen zu beschneiden, um den Sozialismus umzusetzen. Kristian Niemietz, Autor des Buchs „Sozialismus: Die gescheiterte Idee, die niemals stirbt“, entgegnet darauf Folgendes: „Das Problem dabei ist, dass Marx die zahlreichen Schwierigkeiten, mit denen realsozialistische Systeme zu kämpfen hatten, gar nicht erst voraussah. Wie hätte ein ‚Arbeiterstaat‘ sich beispielsweise verhalten sollen, wenn ihm in Scharen die Arbeiter weglaufen, weil sie in diesem System nicht leben möchten? Wie soll er mit Massenstreiks, die die Erfüllung des Plans gefährden, umgehen? Wie soll er auf Massenproteste, die, wenn sie aus dem Ruder laufen, zu einer Restauration des Kapitalismus führen könnten, reagieren? Das sind Fragen, die Marx sich gar nicht erst gestellt hat. Wenn man solche Möglichkeiten einfach per Annahme ausschließt, dann ist es natürlich sehr leicht, sich einen Sozialismus vorzustellen, der sich hervorragend mit individuellen Freiheitsrechten verträgt. Wer eine Welt beschreibt, in der es per Annahme keine Schwerkraft gibt, der kann auch sehr leicht davon erzählen, wie in dieser Welt Menschen von Hochhäusern springen, ohne Schaden zu nehmen. Es ist daher kein Argument, dass Marx selbst keine Mauern und keine Gulags wollte. Es ist völlig egal, was Marx wollte oder nicht wollte. Wir würden auch kein anderes Gesellschaftssystem ausschließlich danach bewerten, wie seine geistigen Väter sich das ursprünglich einmal vorgestellt haben.“

Das ökonomische Scheitern des Sozialismus hat auch nicht mit einem Demokratiedefizit zu tun, wie „demokratische Sozialisten“ uns weismachen wollen. Es ist nicht die Demokratie, die ein Land wohlhabender macht (siehe dazu auch das Kapitel „Demokratie“ in diesem Buch). Es gibt diverse empirische Studien zum Verhältnis zwischen dem politischen System und der Wirtschaftsleistung. Eine davon (Adam Przeworski, 2002) vergleicht 135 Länder über mehrere Jahrzehnte hinweg und kommt zu folgendem Ergebnis: „Das politische System hat keinen Einfluss auf das Einkommenswachstum. Unter den wenigen Ländern, die während der letzten fünfzig Jahre spektakuläre wirtschaftliche Erfolge erzielt haben, gibt es genauso viele Demokratien wie Diktaturen. Im Durchschnitt sind die Einkommenswachstumsraten unter den beiden Systemen fast identisch.“

Sozialistische Diktaturen waren also nicht deswegen arm, weil sie Diktaturen waren, sondern weil sie sozialistisch waren.

Einige meinen, der Sozialismus sei gescheitert, weil die meisten Menschen sich nicht altruistisch genug verhalten hätten, um für das Gemeinwohl zu arbeiten. Doch auch das ist ein Missverständnis. Sozialistische Systeme haben kaum je auf den Altruismus der Menschen gesetzt: Es gab Produktionsvorgaben, Arbeitsnormen, materielle Leistungsanreize, Lohnunterschiede et cetera.

Der Erfolg von marktwirtschaftlichen Systemen im Gegensatz zu sozialistischen Systemen geht vielmehr auf ihre Fähigkeit zurück, wirtschaftlich relevantes Wissen zu erzeugen und zu verbreiten. Als Informationsquellen und Signale sind insbesondere Marktpreise zentral. Diese entstehen durch die Kauf- und Verkaufsentscheidungen von Millionen von Menschen. All diese Akteure verfügen über irgendwelche wirtschaftlich relevanten Kenntnisse – und sei es auch nur die Kenntnis ihrer eigenen Präferenzen, die sich ständig ändern. Märkte zapfen folglich ein enormes Reservoir an verstreutem Wissen an, das niemandem in seiner Gänze zugänglich ist. Oft handelt es sich dabei um implizites Wissen, also solches, das sehr zeit- und ortsspezifisch ist und das wir nicht, oder nicht vollständig, in Worte oder Zahlen fassen können. Personen, die dieses Wissen besitzen, sind oft nicht in der Lage, dieses zu artikulieren – aber das müssen sie in einer Marktwirtschaft auch nicht. Sie müssen nur entsprechend handeln.

Marktpreise enthalten viele wichtige Informationen in konzentrierter Form (zum Beispiel auftretende Knappheit eines Rohstoffs oder steigende respektive sinkende Nachfrage danach) und streuen diese Fakten schnell und weitläufig. Ändern sich die Bedingungen (wird zum Beispiel eine neue Verwendung für einen bestimmten Rohstoff gefunden), führt dies zu Preisänderungen. In der Folge passen die Marktteilnehmer ihr Verhalten an die neuen Bedingungen an, auch wenn sie nicht immer wissen, was konkret zu dieser Preisänderung geführt hat: Sie gehen zum Beispiel sparsamer mit dem bestimmten Rohstoff um oder suchen nach kostengünstigeren Substituten.

Dem Sozialismus fehlt eine Methode, Wissen zu erzeugen und zu verbreiten, und er kann sie auch nicht reproduzieren. Der Kapitalismus ist dem Sozialismus deswegen überlegen, weil sozialistische Planer nicht genug wissen können, um eine Volkswirtschaft zu steuern. Man muss den Sozialismus an seiner Realitätstauglichkeit messen, nicht an den Träumereien seiner Erfinder oder Verfechter. Tatsache ist, dass der Sozialismus in der Praxis bislang nirgendwo funktioniert hat – und auch nie funktionieren kann. Er gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.


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