15. September 2024 06:00

Libertarismus Eine Ordnung der Freiheit und des Privateigentums

So wenig Staat wie nötig

von Antony P. Mueller

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Bildquelle: A9 STUDIO / Shutterstock Ausweitung des staatlichen Sektors: Verdrängt privates Angebot

Eine politische Ordnung der Freiheit erfordert eine Gesellschaft mit einem Minimum an Staat. Das ist der Grundsatz des Liberalismus. Der Anarchismus geht einen Schritt weiter und fordert die Abschaffung von Herrschaft, was aber nicht Ordnungslosigkeit bedeutet. Der Sinn von „Anarchismus“ ist eine Ordnung der Herrschaftslosigkeit. Vielleicht sollte man deshalb anstelle des belasteten Wortes „Anarchie“ besser von „Negarchie“ als der Negation von Herrschaft sprechen. Negarchie bedeutet Ablehnung von staatlicher Herrschaft. Das Mittel dazu ist die Antipolitik. Beide Begriffe fordern Freiheit. Antipolitik und Negarchie wären somit zwei Seiten derselben Medaille.

Freiheit erfordert das kompromisslose Festhalten an den Eigentumsrechten und freiwilligen Tauschbeziehungen. So viel Markt wie möglich – so wenig Staat wie nötig: Das bezieht sich nur auf den Weg. Letztlich ist das Ideal des Anarchokapitalismus die Abschaffung des Staates als Träger des Gewaltmonopols.

Nach dem Ideal des Libertarismus soll es eine rechtliche und eine soziale Ordnung geben, sie wird jedoch privatrechtlich sein. Der Libertarismus will nicht Anarchie im Sinne von Unordnung und Chaos, sondern die Umwandlung des Staates als öffentliche Institution in eine private Rechtsordnung.

Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen entstehen und vergehen nicht unabhängig voneinander. Deshalb muss die Frage lauten, welches Gesellschaftssystem und welche politische Ordnung am besten geeignet ist, auch die wirtschaftliche Seite berücksichtigen. Welche Ordnung der Freiheit stimmt mit einem produktiven Wirtschaftssystem überein? Die Antwort darauf ist leicht zu geben: Das produktivste Wirtschaftssystem, das mit einer Ordnung der Freiheit übereinstimmt, ist der freie Kapitalismus.

Ein freier Kapitalismus kann sich jedoch nicht in einem politischen System entwickeln, das von Gewalt beherrscht wird. In der Vergangenheit ist jede politische Ordnung aus der Gewalt entstanden und erhält sich durch die systematische Anwendung von Gewalt. Keines der existierenden Regierungssysteme hat einen freien Kapitalismus hervorgebracht. Es gab keine Periode in der Geschichte, in der die Menschen das volle Potenzial eines produktiven Wirtschaftssystems genießen konnten.

Mit dem Beginn der industriellen Revolution vor etwas mehr als zweihundert Jahren wurde nur der erste Schritt zum modernen Kapitalismus gemacht. Bis zu seiner Vollendung stehen noch weitere Etappen an. Die Blüte des freien Kapitalismus steht noch bevor. Diese zu erreichen, ist die Aufgabe der Libertären.

Auch wenn man zustimmt, dass ein freier Kapitalismus zu einer Notwendigkeit geworden ist, stellt sich die Frage, ob eine solche Gesellschaftsordnung möglich ist. Schließlich scheinen auf den ersten Blick unüberwindbare Probleme das Gedeihen einer staatenlosen Gesellschaft zu verhindern. Libertarismus bedeutet eine privatrechtliche Gesellschaft. Private Unternehmen auf dem Markt erfüllen die traditionellen Funktionen des Staates. Eine Ordnung des Anarchokapitalismus ersetzt die hierarchische Koordination staatlicher Aktivitäten durch horizontale Kooperation auf der Grundlage freiwilligen Austausches. Obwohl eine libertäre Ordnung in ihren Folgen einer Revolution gleichkommt, ist der Weg zu ihrer Entstehung nicht revolutionär. Der Weg zu einer anarchokapitalistischen Ordnung ist ein allmählicher Privatisierungsprozess. Beginnend mit dem Verkauf von halbstaatlichen Unternehmen und öffentlichen Versorgungsunternehmen, wird die Privatisierung Schritt für Schritt auf Bildung und Gesundheit ausgedehnt und umfasst auch das Sicherheits- und Justizsystem.

In diesem Sinne wird der Anarchokapitalismus nicht installiert, sondern er ergibt sich von selbst, indem die Hindernisse weggeräumt werden, die seinem Erblühen durch Staat und Politik entgegenstehen.

Einwände gegen den Anarchokapitalismus bezweifeln die Möglichkeit, staatliches Handeln durch den Privatsektor zu ersetzen. Es werden Fragen gestellt wie: „Wenn es keinen Staat gibt, wer würde die Straßen bauen, wer würde sich um die Armen kümmern, wer würde für Bildung, Gesundheit, Sicherheit und Gerechtigkeit sorgen? Wenn es keinen Staat gibt, wer zahlt dann die Renten?“ Solche Fragen sind meist nicht das Ergebnis eigenen Nachdenkens, sondern der Gewohnheit. Wenn die Versorgung mit Socken und Unterwäsche (also durchaus „essenzielle Güter“) in staatlicher Hand wäre, würden dieselben Staatsapologeten die gleichen Fragen zur Kleidung stellen. Übernimmt der Staat eine Tätigkeit, verdrängt er das private Angebot. Dadurch wird aber die Versorgung mit diesem Gut oder Dienstleistung zu einem Problem. Es kommt zu Mangelerscheinungen. Aber genau diese vom Interventionismus erst geschaffene Problemlage dient nun dazu, den Staatseingriff umso mehr zu rechtfertigen. Dies führt zu dem paradoxen Ergebnis, dass staatliche Leistungen umso unverzichtbarer erscheinen, je mehr Aktivität der Staat unter seiner Kontrolle hat. Aus dieser falschen Sicht der Dinge entsteht das populäre Vorurteil gegen den freien Kapitalismus und die Neigung vieler Menschen, ihre eigene Sklaverei zu befürworten.

Antony P. Mueller: „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie. Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik“ (KPD 2021) und „Antipolitik“ (2024)


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