Gesellschaftsentwicklung im Mittelalter: Wie die Kernfamilie zur Freiheit beiträgt
Die Auflösung von Clanstrukturen führte zur Entstehung von Unternehmen
von Robert Grözinger
Nur das christliche Abendland brachte der Menschheit die Industrielle Revolution. Über diese Korrelation und über die möglichen kausalen Zusammenhänge haben bereits viele geschrieben, auch ich hier bei Freiheitsfunken. Dieses historische Phänomen wird vom derzeitigen Mainstream meistens ignoriert. Wenn nicht, wird es als beispielhaft für Ausbeutung von Natur und Mitmenschen durch die „Weißen“ rassistisch verzerrt und negativ dargestellt. Es erfährt also die Behandlung wie so viele andere Tatsachen, die dem Narrativ des derzeit vorherrschenden Clown-Weltbildes widersprechen.
Gründe für den oben genannten Zusammenhang sind unter anderem
- die der christlichen Religion inhärenten Begünstigung des Willens, in der Ausübung des Rechts der Würde des Menschen als Abbild Gottes gerecht zu werden,
- rationales Denken und die Erforschung der von Gott geschaffenen Welt,
- die Förderung der Ehrlichkeit und damit des Vertrauens sowie
- die Förderung der Zukunftsorientiertheit und damit langfristiger Investitionen.
Kürzlich stieß ich auf einen weiteren Zusammenhang zwischen Christentum und der Industriellen Revolution. Und zwar im Artikel des amerikanischen Mises-Institutes mit dem Titel „Der Aufstieg der Kernfamilie und das ‚Europäische Wunder‘“. Die Hauptaussage des Autors Ryan McMaken ist diese: Der Aufstieg der Kernfamilie ist eine Spezialität des Christentums und des Westens und trug entscheidend zur Entstehung von Unternehmen bei.
McMaken schreibt: „Ein beachtenswertes Merkmal Westeuropas nach dem Frühmittelalter ist ein ungewöhnlich hoher Anteil an Kernfamilien. Außerhalb Westeuropas waren sogenannte ‚Stammfamilien‘ und ‚gemeinschaftliche Familien‘ häufiger anzutreffen. In diesen beiden Familientypen lebten erwachsene Kinder und ältere Erwachsene häufiger zusammen, und die Gründung neuer Haushalte war weniger üblich als in Gebieten mit Kernfamilien. In gemeinschaftlichen Familien lebten umfangreiche Großfamilien in unmittelbarer Nähe oder sogar auf einem einzigen Anwesen zusammen (eine Variante dieses Modells ist das römische Ideal des ‚pater familias‘).“
Wer war für diese Sonderentwicklung Westeuropas verantwortlich? McMaken verweist auf den Wirtschaftshistoriker Avner Greif. Ihm zufolge hätte die katholische Kirche im Mittelalter Ehegesetze sowie Bräuche, die Sippen schwächten, eingeführt. „Polygamie, Konkubinat, Scheidung und Wiederverheiratung wurden unterbunden, wodurch die Gesamtgröße der Familien begrenzt wurde. Darüber hinaus beschränkte die Kirche ‚blutsverwandte‘ Ehen – im Allgemeinen Ehen zwischen Cousins und Cousinen ersten Grades oder anderen nahen Verwandten.“ Feministinnen sollte, wird es aber nicht interessieren, dass „die Kirche auch verlangte, dass Frauen ausdrücklich in ihre Ehen einwilligen. Die beiden letztgenannten Faktoren trugen wesentlich dazu bei, die Macht von Patriarchen großer Familien zu beschneiden, die ihre Macht durch arrangierte Ehen und Ehen zwischen Cousins und Cousinen zu festigen suchten.“
Mit dieser Schwächung von Sippenverbindungen verursachte die Kirche jedoch ein grundlegendes Problem. Wer Hilfe brauchte, ein fehlendes Gut oder ein spezielles Fachkönnen, suchte sich diese üblicherweise in der Sippe. Arbeitsteilung fand im Wesentlichen nur innerhalb der Großfamilie statt. Was aber tun, wenn diese faktisch nicht mehr existiert? Großfamilien waren als Wirtschaftskraft zwar ineffizient, aber eine Kernfamilie war viel zu klein, um sich allein auf interne, wenn auch ineffiziente Arbeitsteilung verlassen zu können.
McMaken beschreibt, was dann passierte: „Um das zu ersetzen, was einst die Familiennetzwerke boten, beteiligten sich Gruppen von Familien an der Gründung von ‚Korporationen‘.“ Wir sehen hier also die Entstehung einer spontanen Ordnung, wie sie von Ökonomen der Österreichischen Schule, etwa Friedrich August von Hayek, immer wieder als Grund dafür beschrieben wird, weshalb staatliche Eingriffe und Wirtschaftslenkungen unnötig sind.
Wie sahen diese „Körperschaften“ aus? „Dies waren nicht die Unternehmen, die wir heute mit Aktiengesellschaften in Verbindung bringen“, schreibt McMaken. „Diese Organisationen waren ‚freiwillige, interessengeleitete, selbstverwaltete und absichtlich geschaffene dauerhafte Vereinigungen. In vielen Fällen waren sie selbstorganisiert und nicht vom Staat gegründet‘. Dazu gehörten die Kirche selbst, aber auch Mönchsorden, Universitäten, die italienischen Stadtstaaten, städtische Gemeinden, Milizen und Kaufmannsgilden“.
Oder auch die Hanse, siehe etwa die Rede von Freiheitsfunken-Autor Benjamin Mudlack auf der ef-Konferenz im vergangenen Jahr.
McMaken betont zwar, dass der Aufstieg der Kernfamilie nicht nur die Folge der kirchlichen Reformen sei. Er verweist wieder auf Greif, der zeigte, dass Europäer an sich mehr Individualismus zu tolerieren bereit waren, weil er in griechischen, römischen und germanischen Idealen verwurzelt sei.
Wahr ist aber auch, dass dieser Individualismus allein nicht in der Lage war, den römischen und frühmittelalterlichen Imperialismus, die Piraterie der Wikinger und später die magyarischen und mongolischen Invasoren abzuschütteln. Das gelang nur mit Hilfe der Körperschaften Kirche und Unternehmen.
Ein weiterer externer Faktor half, den Wechsel in den Familientypen herbeizuführen, nämlich, so McMaken, die Pest. Er zitiert die beiden Historiker Catherine Guirkinger und Jean-Philippe Platteau mit den Worten: „Indem sie zwischen einem Drittel und der Hälfte der europäischen Bevölkerung tötete, erhöhte sie, die Schwarze Pest, das Verhältnis zwischen Land und Arbeit.“ Ferner zitiert er Christopher Dyer, der bemerkte: „Die Löhne der ungelernten Arbeiter stiegen nach 1349 schneller als die der gelernten, ein sicheres Zeichen für einen Arbeitskräftemangel.“ Unter diesen Bedingungen wurde es leichter, neue, wirtschaftlich tragfähige Kleinhaushalte zu gründen.
Was McMaken hier nicht erwähnt, ist, dass andere Weltregionen gleichzeitig ebenfalls unter der Pest litten, was aber dort nicht zur Vorherrschaft der Kernfamilie führte. Mit anderen Worten: Der Einfluss des Christentums und der Kirche ist bei der Etablierung der Kernfamilien und des Unternehmertums höchstwahrscheinlich entscheidend gewesen.
„Leider“, bemerkt McMaken gegen Ende seines Artikels, habe „der Aufstieg neuer politischer Ideologien und Bewegungen in Europa schließlich viele unabhängige, nicht-staatliche Körperschaften vernichtet, während viele andere unter die Kontrolle des Staates gebracht wurden.“ Gegen Ende des 19. Jahrhundert, so der Autor, waren die freien Körperschaften, die Kirchen, Verbände und Unternehmen, früher „das Werkzeug der mächtiger werdenden Kernfamilien im Spätmittelalter und der Frühmoderne“, auf den Status eines „Staatsanhängsels“ reduziert worden.
Also: Nur im Christentum entstand die Vorherrschaft der Kernfamilie und der Unternehmen und anderer, freiwilliger Körperschaften. Der Wunsch, mit Hilfe des Staates ein Utopia zu bauen, hat erst die Kirchen, dann die Unternehmen und zuletzt die Familien geschwächt.
In diesem Zusammenhang erscheint die systemische Kernfamilienfeindschaft des modernen Staates in einem neuen Licht. Ich sage bewusst „Kern“-familienfeindschaft, denn Großfamilien aus Regionen, deren Kultur weniger vom Christentum geprägt ist als die europäische, sind westlichen Staatsführern offenbar willkommen. Die Kernfamilie als notwendiger Baustein einer Gesellschaft, die weitgehend ohne Staat auskommen kann, ist letzterem logischerweise eine existenzielle Bedrohung. Ein Clan, egal welcher Herkunft, ist es nicht. Im Gegenteil: Die relative Ineffizienz einer Clangesellschaft macht eine erzwungene Umverteilung und einen übergeordneten Gewaltmonopolisten, also einen Staat, geradezu notwendig.
Eine Rückkehr zur Freiheit bedingt also eine wirtschaftliche Stärkung der Kernfamilien. Das wiederum heißt, den Staat aus der Familie herauszuhalten, denn ihn mit dem Familienschutz zu beauftragen, heißt, den Bock zum Gärtner zu machen. Um das zu erreichen, müssen wir aber nicht den Staat bekämpfen, sondern den Etatismus, den Glauben an die Erlösung durch den Staat oder die Politik.
Das wiederum heißt, den Staat aus den Schulen zu vertreiben, wo er sich ursprünglich nur deswegen breit gemacht hat, um bessere Soldaten zu züchten. Wo bald danach Ideologen weltlicher Erlösungsverheißungen erkannten, was für einen Schatz ihnen die staatliche Zwangsbeschulung bescherte: Junge, beeinflussbare Seelen für die Realisierung ihrer ersatzreligiösen, utopistischen Träume.
Nur: Mit Nichts kann man nichts bekämpfen. Vertreibung gelingt nur, wenn man etwas hat, mit dem vertrieben werden kann. Voraussetzung für die Vertreibung des States aus den Schulen ist die Vertreibung der „Unchristen“ aus den Kirchen. Genauer gesagt: Die Staatsangestellten, vor allem die höherrangigen, aus den „Staatsanhängseln“, die sich Kirchen nennen. Insbesondere jene Staatsangestellen, die sich bei der Frage, welchem Herrn sie dienen wollen, Gott oder dem Staat, für den entschieden haben, dessen Brot sie essen.
Der Glaube an und die Hoffnung auf Erlösung lassen sich nicht auslöschen, sondern nur in Bahnen lenken. Entweder in solche, die ins Verderben führen, oder solche, die tatsächlich Wohlstand und Frieden bringen, also zumindest eine weltliche Annäherung an eine Erlösung. Im Mittelalter legte das Christentum in Europa die Fundamente dazu. In der Neuzeit trugen diese Fundamente mit der Industriellen Revolution ungeahnte und präzedenzlose Früchte: Weltweit nahmen Bevölkerungszahl, Lebenserwartung, Pro-Kopf-Einkommen und Wohlstand in nie dagewesener Weise fast exponentiell zu.
„Auch heute noch“, beendet McMaken seinen Artikel, profitiere die ganze Welt „vom wirtschaftlichen Wachstum und der politischen Dezentralisierung“, die die mittelalterlichen freiwilligen Körperschaften förderten. Sie hätten zu einem „europäischen Wunder“ beigetragen, von dem wir noch heute zehren.
Erst wenn wir diese Lehre aus der Geschichte lernen, wird es der Welt gelingen, auf einen Pfad gesunden Wirtschaftswachstums in Frieden und Freiheit zurückzukehren.
Quellen:
Ryan McMaken: The Rise of the Western Nuclear Family and the “European Miracle” (mises.org)
Benjamin Mudlack: Welche Lösung bietet das Beispiel der Hanse? ef-Konferenz 2023 (Youtube)
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