09. Oktober 2024 10:00

(Poly?-) Krise in Nahost Weiterer Turbolader für Dekarbonisierung, demographische Druckentlastung und digitale IDs?

Oder „einfach nur“ Krieg?

von Axel B.C. Krauss

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Bildquelle: Andy.LIU / Shutterstock Neben der Ukraine nun ein weiterer Krisenherd im Nahen Osten: Cui bono?

Die lange, leidvolle Vorgeschichte des sich derzeit scheinbar unerbittlich zuspitzenden Konfliktes in Nahost, momentan in Gestalt der beiden wichtigsten „Protagonisten“ Israel und Iran, dürfte hinlänglich bekannt sein. Nicht nur, was die ideologischen, religiösen, aber vor allem regionalpolitischen Ursachen betrifft, sondern auch die geopolitisch-hegemonialen: Laut offizieller Lesart wird Israel von einigen der umgebenden Länder, darunter natürlich auch der iranischen Regierung, als „Brückenkopf“ westlichen Vormachtsstrebens in der Region betrachtet, wobei die USA an erster Stelle genannt werden.

War es Anfang des 20. Jahrhunderts immer noch das britische Kolonialreich, das in der Region seine „Supremacy“ zu sichern versuchte, vor allem durch geheimdienstlich eingefädelte „Regime Changes“, künstliche Grenzziehungen und seinen „Vorposten“ namens Saudi-Arabien, wurde diese Rolle bald vom „American Century“ übernommen. Die Regierungen Russlands und Chinas trachten dort ebenfalls seit längerer Zeit nach Machtprojektion, ganz zu schweigen von wirtschaftlichen Interessen: Zum Beispiel hatte Peking der iranischen Führung 2021 versprochen, 400 Milliarden Dollar im Austausch für Öl und Kraftstoff zu investieren – ein Deal, der durch westliche Sanktionen gegen die islamische Republik behindert wurde. Dasselbe gilt für Moskau, das vor allem für seine Unterstützung des Assad-Regimes im ebenfalls geheimdienstlich befeuerten „Bürgerkrieg“ in die internationalen Schlagzeilen geriet, nachdem „Rebellen“ 2013 und 2015 ar-Raqqa und Idlib eingenommen hatten.

Um es abzukürzen: Die komplexen und zuweilen kaum noch zu durchdringenden Macht- und Ränkespiele in der Region sind, sarkastisch gesprochen, für die geopolitische Bühne das, was „Dallas“ oder der „Denver Clan“ fürs Fernsehen waren. Es gab und gibt Dutzende Splittergruppen und Fraktionen, die nicht selten mit Unterstützung der Supermächte einen innenpolitisch „gestaltenden“ Einfluss auf die politische und wirtschaftliche Struktur der Region nehmen sollen, sei es in der Parteilandschaft der nahöstlichen Länder durch Bestechung/Korruption, sei es in Form diverser Agents provocateurs (Rebellen/Terroristen), um destabilisierend zu wirken zwecks anschließenden „Hilfsangebots“ durch die „humanitären Retter“ (sprich Einsetzen von Marionettenregimen zur Absicherung der Machtbasis).

Es ist mittlerweile leider obligatorisch, dass bei jedem sich abzeichnenden Krieg das Weltuntergangsgezeter in Form verschiedener hysterischer Armageddon-Horrorszenarien Purzelbäume schlägt. Das war zu Beginn des Ukraine-Krieges ja nicht anders: Oh shit, Frau Schmidt, Atomkrieg! Wohingegen Stimmen, die bei Besinnung blieben, einige sehr berechtigte Fragen stellten, über die nachzudenken sich durchaus lohnt. So zum Beispiel die Journalistin Stavroula Pabst, die zur Ukraine schrieb: „Diese chaotischen Vorgänge in der Ukraine sind ein Mikrokosmos des größeren geopolitischen Augenblicks, in dem die Weltelite versucht, die Verbreitung und den Status antidemokratischer öffentlich-privater Partnerschaften in der Zivilgesellschaft zu fördern. Während die Befürworter solche öffentlich-privaten Initiativen und Kooperationen als ganzheitlich und innovativ darstellen, untergraben sie das heutige System der westfälischen nationalen Souveränität (was davon übrig ist), indem sie kritische Infrastrukturen an nicht rechenschaftspflichtige Institutionen, NGOs und Unternehmen vergeben, die den Interessen der Machtelite Vorrang einräumen. Die Einführung der vierten industriellen Revolution in der Ukraine zwingt zu Spekulationen darüber, ob es sich bei den anhaltenden Feindseligkeiten um geopolitische Kämpfe im herkömmlichen Sinne handelt oder um die Erleichterung von Initiativen, die für den ‚Great Reset‘ entscheidend sind, oder um eine Kombination aus beidem. Es gibt zwar echte Feindseligkeiten zwischen den Nationalstaaten der Welt, aber die Erfolgsbilanz zeigt, dass sich die Länder bei der Umsetzung vieler der von mir in diesem Beitrag vorgestellten Maßnahmen einig sind oder auf andere Weise zu einer Einigung gebracht wurden“ (Stavroula Pabst, „Die Zukunft der Ukraine liegt im Großen Reset“, 16. Mai 2023).

Untergrabung nationaler Souveränitäten durch eine Kette von Kriegen? Dies erinnert zwangsläufig an das von James Burnham in seinem 1941 erschienenen Buch „The Managerial Revolution“ entworfene Zukunftsbild: „Burnham machte deutlich, dass nach dem Zweiten Weltkrieg noch viele weitere Kriege geführt werden müssten, bevor sich die Managergesellschaft endgültig durchsetzen könne. Dieser andauernde Krieg würde zur Zerstörung souveräner Nationalstaaten führen, sodass nur eine kleine Anzahl großer Nationen überleben würde, die in den Kernen von drei ‚Superstaaten‘ gipfeln würden“ (Cynthia Chung, „Das Leben von James Burnham: Vom Trotzkismus über den italienischen Faschismus zum Vater des Neokonservatismus“, 17. Januar 2023).

Doch abseits solcher Überlegungen gibt es noch andere Gründe, statt finsterster Doomsday-Szenarien mal naheliegendere „pragmatischere“ Fragen zu stellen dahingehend, wie ein regional begrenzter Nahostkrieg höchstwahrscheinlich politisch ausgeschlachtet würde: Die beiden wohl wichtigsten – und offensichtlichsten – lauten natürlich:

Erstens könnte ein zwar ausufernder, aber immer noch auf die Region beschränkter Krieg die Preise für fossile Brennstoffe in die Höhe schnellen lassen. Dies käme der Dekarbonisierungsagenda überaus gelegen, wie man es schon am Anfang des Krieges in der Ukraine erleben durfte – in Gestalt dummer Sprüche wie zum Beispiel „Frieren gegen Putin“. Diesmal wäre die Losung der Wahl dann wahrscheinlich „Frieren gegen Mullahs“ oder sonst irgendeine putzige PR-Phrase, um dem Personal die „Alternativlosigkeit“ weiterer Einschränkungen beziehungsweise Rationierungen zu verklickern. Die englische Propagandapostille „The Guardian“ hatte unlängst (1. Oktober 2024) einen Artikel veröffentlicht, demzufolge eine Umfrage ergeben habe, dass sich fast die Hälfte der Humanressourcen solche Rationierungen nach Vorbild des Zweiten Weltkriegs vorstellen könne: „Ist das der Schlüssel zur Bekämpfung des Klimawandels? Fast 40 Prozent der Öffentlichkeit würden einer Rationierung von Fleisch und Treibstoff im Stil des Zweiten Weltkriegs zustimmen, um die Kohlenstoffemissionen drastisch zu senken, wie eine Umfrage zeigt.“

Auch die mit einem solchen Krieg zweifellos einhergehenden Schocks für die Weltwirtschaft würde man in diesem Sinne ausweiden (Build Back Better et cetera).

Die zweite unvermeidliche Folge wäre ein noch mal massiv steigender Migrationsdruck, vor allem Richtung Europa/EU. Da die Aufnahmeländer, darunter auch Deutschland, die teils jetzt schon an ihren Grenzen angelangt sind und mit sozialem Sprengstoff hantieren, mit neuerlichen Millionen Migranten überfordert wären, würde man dies in der EU-Zentrale zur Beanspruchung supranationaler Regelungs- und Verteilungsbefugnisse nutzen, inklusive beschleunigter Umsetzung der digitalen Identität (EUDI, European Digital Identity) zur besseren Nachverfolgung der Menschenströme.

Ein dritter Aspekt, über den allerdings nur sehr selten diskutiert wird, besteht in der Möglichkeit, dass eine demographische Entlastung von den Ländern der Region sogar mit Erleichterung quittiert werden könnte:

Die Länder des Nahen Ostens (und in Teilen Nordafrikas) haben in den letzten Jahrzehnten ein rasantes Bevölkerungswachstum erlebt. In Ländern wie Ägypten, dem Iran und auch Israel stieg die Bevölkerung dramatisch, was zu sozialen und ökonomischen Spannungen führte. Ressourcenknappheit, Arbeitslosigkeit sowie der Kampf um begrenzten Wohnraum und Wasser verschärften bereits bestehende Konflikte. Laut „Statista“ setzt sich das „kontinuierlich hohe Bevölkerungswachstum des Iran fort – die Population des Landes erhöht sich jährlich um rund 600.000 Menschen“. Laut derselben Quelle bleibt die „positive Bevölkerungsentwicklung Israels auf konstant hohem Niveau“ und könnte der dortigen Regierung zunehmendes Kopfzerbrechen bereiten.

Vorübergehendes Fazit: Die Wahrscheinlichkeit eines größeren Krieges im Nahen Osten ist also durchaus gegeben. Ob ein solcher Krieg absichtlich dazu genutzt würde, die Bevölkerungen zu reduzieren oder in Form von Migration „umzuverteilen“, bleibt spekulativ, würde sich allerdings mit der „Replacement Migration“ der UN decken; ein regionaler Konflikt könnte genau diesen Effekt haben. Bevölkerungsverschiebungen, hohe Opferzahlen und Migrationswellen könnten langfristig den Druck auf Ressourcen und Regierungen in der Region mindern, was einige Akteure im Hintergrund als „positiven Nebeneffekt“ sehen könnten. Obendrein könnte ein weiterer Krieg als „gute“ Gelegenheit gesehen werden, das bereits ausgerufene „Zeitalter der Polykrisen“ anzuheizen und die dadurch bedingten Störungen auf ökonomischer Ebene zur Forcierung von Degrowth-Politik zu nutzen. In diesem Fall würde sich der Krieg wahrscheinlich – wie in der Ukraine – über viele Jahre hinziehen.

Bis nächste Woche.


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