(„Räuber“-) Staat: „Steuergeschenke“
Wer schenkt hier wem was?
von Olivier Kessler

Ein materielles Gut kann man nur verschenken, wenn es einem auch gehört. Das weiß jedes Kind. Es hätte etwas Komisches, wenn jemand den Rasenmäher seines Nachbarn ohne dessen Zustimmung verschenken wollte oder wenn ein Räuber dem Ausgeraubten 100 Franken abnähme und ihm dann fünf Franken zurückgäbe und meinte, die fünf Franken würde er ihm als „Geschenk“ überlassen.
Doch ironischerweise wird dieser Sachverhalt in einer ganz spezifischen Situation selten durchschaut. So enervieren sich nämlich Kreise, für die der Staat den Hals nie voll genug kriegen kann, wenn andere die drückende Steuerlast reduzieren wollen. Sie sprechen dann absurderweise von „Steuergeschenken“, die man den „Reichen“ oder den „Konzernen“ mache.
Dies behaupten sie auch dann, wenn die entsprechende Steuer für alle reduziert oder abgeschafft werden soll und nicht nur für Reiche und Konzerne. Sie tun das deshalb, weil es heute die Vermögenden und größeren Firmen sind, die aufgrund der Progression prozentual am meisten Steuern abliefern. Weil diese Player am meisten Steuern zahlen, profitieren sie logischerweise auch absolut gesehen am meisten von Steuerreduktionen. Doch kann dies ein Argument zur Beibehaltung der ungesunden Steuerlast für alle sein? Wäre es mit einem derart neidgetriebenen Denken nicht unmöglich, irgendeine Steuer jemals wieder zu senken, geschweige denn abzuschaffen?
Der Begriff „Steuergeschenk“ weckt falsche Vorstellungen. Wie wir alle wissen, kann man nur verschenken, was einem auch tatsächlich gehört. Wenn man im Zusammenhang mit einer etwas milderen Besteuerung allen Ernstes von einem „Steuergeschenk“ spricht, verwendet man den Begriff falsch – ob absichtlich aus manipulativem Motiv oder unabsichtlich aus Unwissen, sei einmal dahingestellt.
Denn wer von einem Steuergeschenk spricht, der geht davon aus, dass alles, was die Bürger und Unternehmen erwirtschaften, grundsätzlich dem Staat gehört. Das ist ein totalitäres Politikverständnis. Mit einer liberalen, offenen Gesellschaft ist das jedenfalls nicht vereinbar. Denn wenn dem Staat grundsätzlich alles gehört, so sind alle Bürger lediglich Sklaven der politischen Herrscher. Und zwar nicht partielle Sklaven, wie wir das heute in unseren semisozialistischen Systemen mit einer Entmündigungsquote von rund 50 Prozent sind, wo uns etwa die Hälfte unserer Errungenschaften von der Politik unserer Verfügung entrissen wird. Es wäre eine Gesellschaft der totalen Sklaverei, in der alles den politischen Sklavenhaltern gehören würde – und den Bürgern nichts.
Um die Frage zu beantworten, wem eigentlich die Güter und Ressourcen dieser Erde gehören, lohnt es sich festzuhalten, dass es zum Selbsteigentum am eigenen Körper keine humane oder funktionale Alternative gibt. Nur unter Wahrung dieses Rechts auf Selbsteigentum kann jede Person ihren eigenen Körper frei von Zwangseinflüssen durch andere Menschen kontrollieren. Wer an die Freiheit und die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz glaubt, wer also die Werte der Aufklärung teilt, hat keine Möglichkeit, das Selbsteigentum zu verneinen.
Geht es nach den Aufklärungsphilosophen und den Naturrechtstheoretikern, ist das Selbsteigentum ein Recht, das jedem schon deswegen zusteht, weil er der Menschheitsfamilie angehört. Jeder darf mit seinem eigenen Körper tun und lassen, was er will, solange er damit nicht das Eigentum anderer verletzt.
Das Eigentum am eigenen Körper ist für das Überleben eines Menschen nun zwar eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung, wie der politische Philosoph Murray N. Rothbard (1926–1995) argumentiert: „Menschen sind keine schwebenden Geister, sie sind keine selbstgenügsamen Entitäten. Sie können nur überleben und gedeihen, indem sie sich mit ihrer Umwelt herumschlagen. Sie müssen zum Beispiel auf einem Stück Land stehen, auch müssen sie, um zu überleben, die natürlichen Ressourcen in Gebrauchsgüter umwandeln, in Objekte also, die passend sind für den menschlichen Gebrauch. Nahrung muss kultiviert und gegessen werden. Der Mensch muss nicht bloß Eigentum an seiner Person haben, sondern auch an materiellen Objekten zu seiner Verfügung und zu seinem Gebrauch.“
Doch woher stammt dieses Eigentum der Menschen an materiellen Dingen, die nicht ihren eigenen Körper betreffen? Der einflussreiche Philosoph John Locke (1632–1704) begründete dies folgendermaßen: „Jeder Mensch hat ein Eigentum an seiner eigenen Person. Daran hat niemand außer ihm selbst irgendein Recht. Von der Arbeit seines Körpers und vom Werk seiner Hände dürfen wir sagen, dass sie einwandfrei das Seinige sind. Was er daher auch immer aus der Lage entfernt, in der die Natur es darbot und beließe, damit hat er seine Arbeit vermischt, und das hat er mit etwas, das sein Eigen ist, verbunden und es dadurch zu seinem Eigentum gemacht. Da es durch ihn aus der gemeinen Lage entfernt worden ist, in die die Natur es brachte, hat es durch diese Arbeit etwas Hinzugefügtes, das das gemeine Recht anderer Menschen ausschließt. Denn da diese Arbeit das unbestreitbare Eigentum des Arbeiters ist, kann niemand außer ihm ein Recht auf das haben, mit dem diese Arbeit erst einmal verbunden wurde. Wer sich von Eicheln nährt, die er unter eine Eiche aufsammelt, oder von Äpfeln, die er von den Bäumen im Walde pflückt, hat sich diese zweifellos angeeignet. Und will irgendeiner sagen, er hätte kein Recht an diesen Eicheln und Äpfeln, die er sich somit aneignete, weil er nicht die Zustimmung der gesamten Menschheit hatte, sie zu Seinigen zu machen? Wenn eine derartige Zustimmung notwendig wäre, so wäre der Mensch trotz der Fülle, die Gott ihm gab, verreckt.“
Locke verdeutlicht damit einen zentralen Punkt: Natürliche Ressourcen können nicht allen Menschen gleichzeitig gehören. Stellen Sie sich nur einmal vor, Sie müssten vor jedem Verspeisen eines Apfels jeden anderen zurzeit lebenden Menschen fragen, ob Sie das wirklich dürfen. Nichts anderes impliziert die Vorstellung, dass alle Güter grundsätzlich dem Staat gehörten, sie also vergemeinschaftet werden sollten. Eine solche Eigentumskonzeption ist in hohem Maße realitätsfremd, undurchführbar und muss notwendigerweise im Desaster enden.
Eine funktionale und humane Ordnung belässt die Eigentumsrechte folglich bei jenen, denen sie zustehen. Je mehr dieser Grundsatz geritzt wird, desto schlechter geht es einer Gesellschaft.
So gelangt der Index der Eigentumsrechte, der vom Liberalen Institut mitherausgegeben wird, Jahr für Jahr zum Schluss, dass jene Länder mit dem besten Schutz des Privateigentums wesentlich wohlhabender sind als andere. Der Index aus dem Jahr 2022 konstatierte etwa, dass das Pro-Kopf-Einkommen im Fünftel jener Staaten mit den am besten gesicherten Eigentumsrechten mit durchschnittlich 54.428 US-Dollar mehr als 21-mal höher war als im letzten Fünftel des Index, wo das Durchschnittseinkommen pro Kopf nur 2.535 US-Dollar betrug.
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