Politisches Framing: Liberale, Neoliberale, Libertäre
Die Verwässerung des Begriffes „liberal“
von Olivier Kessler
Heute bezeichnen sich fast alle Bewegungen und Parteien in irgendeiner Art und Weise als liberal. Der Begriff ist positiv besetzt, weil er für Freiheit steht, weshalb ihn jeder gerne für sich beanspruchen möchte. Doch damit wurde er auch seiner ursprünglichen Bedeutung beraubt, verwässert, ausgehöhlt und beliebig.
Historisch wurden Aufklärungsphilosophen, -autoren und -wissenschaftler wie etwa Adam Smith oder die Gründerväter der USA als „liberal“ bezeichnet. Persönlichkeiten also, die tendenziell klassisch liberale Werte teilten wie die Vorstellung, dass jeder Mensch Zweck an sich und nicht unfreiwilliges Mittel zum Zweck eines anderen sein soll, dass mit Freiheit in erster Linie die Abwesenheit von Zwang und nicht Anspruchsrechte gemeint sind und dass alle Menschen vor dem Gesetz gleichbehandelt werden sollten und es keine Privilegien geben dürfe.
Im Laufe der Zeit wurde der Begriff „liberal“ jedoch von den Gegnern dieser Werte gekapert – in den USA besonders erfolgreich, wo die Sozialisten heute ein Alleinanspruchsrecht auf den Begriff haben. Auch im deutschen Sprachraum wird unablässig daran gearbeitet, klassisch Liberale nicht mehr einfach als „Liberale“ zu bezeichnen, sondern sie in etwas Ungünstiges umzubenennen. Und dies, obwohl sie doch eigentlich das Original waren. Weil sich jetzt aber auch Etatisten aller Art neu als „liberal“ framen wollen, musste eine Abgrenzung zu den wirklich „Liberalen“ her. So werden klassisch Liberale neu kurzerhand als „neoliberal“ und „libertär“ betitelt – Begriffe, die negativ konnotiert werden.
Neoliberal klingt in den Ohren der meisten Menschen negativ, auch wegen des „Neo“, das vor allem im Zusammenhang mit heutigen Anhängern des Nationalsozialismus verwendet wird („Neonazis“). Weil beim Begriff „Nationalsozialismus“ das Wort „Sozialismus“ vorkommt und man nicht den Verdacht erwecken möchte, dass der Nationalsozialismus eine ähnliche Ideologie wie der Internationalsozialismus und Kommunismus sein könnte, nennt man sie einfach verkürzt „Neonazis“, obwohl es hier erstaunliche Parallelen zu den anderen Sozialisten gibt.
Doch wie ist der Begriff „neoliberal“ überhaupt entstanden? Inmitten der Großen Depression traf sich eine kleine Gruppe liberal gesinnter Denker – unter anderen Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek – in Paris am sogenannten Walter Lippmann Colloquium. Viele Teilnehmer kamen mit der Idee zu diesem Treffen, einen geeigneten Mittelweg zwischen „Laissez-faire“ und „Sozialismus“ zu finden. Sie wollten dem Staat und dem freien Markt klare Rollen zuteilen. Alexander Rüstow schlug für diese Bewegung den Namen „Neoliberalismus“ vor. Doch schon am Meeting selbst stieß dieser Vorschlag auf Widerstand, unter anderem von Jacques Rueff.
1947 trafen sich viele dieser Persönlichkeiten erneut – dieses Mal in Mont Pèlerin am Genfer See. Dort debattierten sie, ob man dem Aufstieg des Marxismus sowie des keynesianischen Zentralplanertums entgegenwirken könne, indem man diesen gewisse Konzessionen einräume, etwa in Form der Errichtung eines Wohlfahrtsstaates als Mittelweg zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Ludwig von Mises erhob jedoch seine Stimme entschlossen gegen solche Konzessionen und wies sie als „sozialistisch“ zurück. Diese Debatte zieht sich unter Liberalen bis heute weiter. Der Begriff „Neoliberalismus“ wurde dabei sowohl am Walter Lippmann Colloquium sowie am Mont Pèlerin Meeting stets zurückgewiesen.
So verschwand der Begriff dann auch wieder nach den späten 1940er Jahren bis in die frühen 1980er Jahre. Dann kamen mit Margaret Thatcher in Großbritannien und Ronald Reagan in den USA relativ liberale Politiker an die Macht, die vom liberalen Ökonomen Milton Friedman beraten wurden und den Wohlfahrtsstaat mit entsprechenden Reformen zurückdrängten. Es war diese Zeit, als der Begriff „neoliberal“ als abschätzende Bezeichnung für die entsprechende Politik wieder aus der Mottenkiste geholt wurde – und zwar von illiberalen Kritikern. Alles, das nicht stramm auf sozialistischer Linie war, wurde mit dem Prädikat „neoliberal“ versehen, sogar Bill und Hillary Clinton.
Heute bezeichnen sich einige selbst als neoliberal und sind stolz darauf, vor allem einige Gruppierungen in den USA (zum Beispiel das Center for New Liberalism). Tendenziell handelt es sich dabei allerdings nicht um hartgesottene Liberale, wie der Begriff implizieren könnte, sondern um solche, die einen Wohlfahrtsstaat befürworten. Sie sind der Meinung, dass der Staat die Bürger zwar nicht mit brutaler Gewalt zu etwas zwingen solle, sie aber immerhin zu den „richtigen“ Entscheidungen hin schubsen („nudgen“) sollte. Aber das sind eben keine konsequent liberalen Positionen. Man könnte sie auch als „Sozialdemokraten light“ bezeichnen, die an eine sanftere Rolle des Staates im Bereich der sozialen Wohlfahrt glauben.
Es gibt auch Liberale, die die Bezeichnung „neoliberal“ konsequent ablehnen, weil sie eben – Mises folgend – bewusst nicht einen Mittelweg zwischen Kapitalismus und Sozialismus anstreben, sondern für einen unverwässerten Liberalismus ohne Konzessionen einstehen.
Weil in den USA der Begriff „liberal“ von sozialistischen Kräften gekappt wurde, hat sich zur Bezeichnung echter Liberaler auch der Begriff „libertarian“ durchgesetzt, der im Deutschen mit „libertär“ übersetzt wird. Doch auch dieser Begriff ist nicht ganz unproblematisch: Erstens ist nicht ganz klar, was damit gemeint ist. Es könnten einerseits klassische Liberale sein, die einen Minimalstaat zum Schutz der Eigentumsrechte befürworten, oder auch Anarchokapitalisten, also jene, die den Staat in Bausch und Bogen ablehnen. Der Begriff „libertarian“ wird nun wahlweise so oder so verwendet, weshalb hier Vorsicht geboten ist, weil damit plötzlich jeder Liberale als radikaler Libertärer und damit in den Augen gewisser Kreise als Spinner gebrandmarkt werden kann.
Zweitens ist es unnötig, dass echte Liberale in Europa sich einen neuen Begriff für ihre Ideen suchen, nur weil andere sich auch liberal framen wollen. Um einer Entwicklung vorzubeugen, wie sie sich in den USA vollzogen hat, wo Sozialisten die neuen „Liberals“ sind, gilt es den durchaus positiv konnotierten Begriff zu verteidigen und für sich in Anspruch zu nehmen. Wenn man nun in der deutschen Sprache plötzlich von „Libertären“ spricht, so könnte dies fälschlicherweise implizieren, dass die so bezeichneten Personen eine gänzlich neue (extremistische) Ideologie vertreten, die außerhalb des Mainstreams angesiedelt und deshalb inakzeptabel sei. Doch der Liberalismus hat eine jahrhundertelange reichhaltige Tradition, die man nicht einfach über Bord werfen oder verleugnen sollte, indem man sich selbst umbenennt.
Vielmehr sollte man im öffentlichen Diskurs Rückgrat beweisen und aufzeigen, dass viele derjenigen, die sich gerne als „liberal“ bezeichnen, das Gegenteil dessen vertreten, was sie vorgeben zu sein. Man sollte diese Wölfe im Schafspelz enttarnen.
Echte Liberale waren und sind immer noch die Hauptfeinde aller anderen politischen Strömungen, die auf Macht, politischen Zwang und Gewalt setzen, um ihre Ziele durchzuboxen. Sowohl Kommunisten, Nationalsozialisten, Sozialdemokraten wie auch etatistische Konservative sehen im Liberalismus ihren schlimmsten Widersacher. Denn dieser würde ihnen ihre Machtpöstchen entziehen. Ihre Macht basiert letztlich lediglich auf dem wahnwitzigen Glauben, dass einige Menschen das Recht hätten, gewaltsam über andere zu herrschen. Der Liberalismus ist insofern die einzige friedliche Alternative zu den politischen Dauerkonflikten und Machtkämpfen unserer Zeit.
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