Wahlkampf: Die unverschämte Misstrauensfrage
Das Schauspiel der Berliner Narzissten und Hochstapler
von Oliver Gorus
von Oliver Gorus drucken
Nachdem sie vor Wochen bereits einen vorgezogenen Wahltermin ausgekungelt hatten, stellte der eine Parteifürst dem versammelten Adel nun endlich die Vertrauensfrage – natürlich, um sie absichtlich zu verlieren –, und prompt fielen die Kumpane wie verabredet übereinander her und hackten aufeinander herum, jeder gegen jeden. Den ganzen Nachmittag ging es um die Schuldfrage, der Schwarze Peter wurde vom einen zum anderen geschoben, aber niemals ging es bei irgendeinem der Hochwohlgeborenen auch nur 20 Sekunden darum, etwas zur eigenen Verantwortung an der deutschen Misere zu sagen.
Wie auf Knopfdruck hatten alle auf Wahlkampf geschaltet. Der Kanzlerfürst hätte laut Verfassung eigentlich die Aufgabe, die versammelten Volksvertreter darum zu bitten, ihm das Vertrauen auszusprechen. Man sollte erwarten, dass er aus Respekt vor den staatlichen Institutionen das mit einer Rede ausführt, die begründet, warum die Bundestagsabgeordneten Vertrauen oder eben kein Vertrauen in ihn haben sollten. Stattdessen ignorierte er das Parlament komplett und sprach in einer Feld-Wald-und-Wiesen-Floskelei aus dem Scholzomat direkt das Wahlvolk an: „Die Vertrauensfrage richte ich an die Wählerinnen und Wähler.“
Dabei verkam seine Vertrauensfrage auf würdelose Weise zu einer mittelmäßigen, handelsüblichen Wahlkampfrede. Ausgerechnet derjenige, der jetzt aus taktischen Gründen will, dass keiner ihm vertraut, will kurz darauf wieder das Vertrauen der Wähler haben. Was für eine traurige Verhohnepiepelung des Wählers. Unverschämt.
Die Vertrauensfrage wurde umgedeutet in: „Trauen wir uns zu, als starkes Land kraftvoll in unsere Zukunft zu investieren? Haben wir Vertrauen in uns und unser Land? Oder setzen wir unsere Zukunft aufs Spiel? Riskieren wir unseren Zusammenhalt und unseren Wohlstand, indem wir längst überfällige Investitionen verschleppen? Indem wir notwendige Unterstützung der Ukraine und Investitionen in unsere Bundeswehr aufrechnen gegen gute Gesundheit und Pflege, gegen stabile Renten und leistungsfähige Kommunen? …“
Unerträgliches und tausendmal gehörtes Wahlkampfgeschwafel also, das man so oder so ähnlich von jeder Partei auf jedem Parkplatz vor jedem Supermarkt vor jeder Wahl hören oder überhören kann. Alleine schon dieses unbestimmte „Wir“ … Als Bundestagsabgeordneter würde ich mir so eine respektlose Herabwürdigung des Parlaments verbitten. Unverschämt.
Und er maßte sich dabei etwas an, was einem Bundeskanzler laut Verfassung gar nicht zusteht: „Die Bundestagswahl vorzuziehen, das ist auch mein Ziel“, sagte er.
Einen vorgezogenen Wahltermin festzusetzen, ist aber alleine Aufgabe des Bundespräsidenten, und nur dann, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen, die zum Zeitpunkt der angemaßten Entscheidung des Kanzlers über die Verkürzung der verfassungsmäßigen Wahlperiode noch gar nicht vorlagen. Ausschließlich der Bundespräsident kann das Parlament auflösen. Er muss es aber nicht. In jedem Fall entscheidet das nicht der Bundeskanzler. Dass hier der Kanzler sowohl die Auflösung des Bundestags als auch den genauen Wahltermin vorab selbst mit anderen Parteifürsten abgesprochen und festgelegt hat und der Bundespräsident seinem Parteifreund das alles abgenickt hat, ist eine Farce. Die Verfassungsorgane spielen ein schmieriges Theater, und der Wähler wird dabei am Nasenring durch den Reichstag gezogen. Unverschämt.
Dann spricht Scholz dem von ihm ausgesuchten Sündenbock Lindner allen Ernstes die „sittliche Reife“ ab. Das sagt einer, der sich nur mit Müh und Not und mithilfe seiner politischen Immunität und seiner vorgetäuschten Vergesslichkeit vor der Strafverfolgung wegen seiner Verwicklung in Cum-Ex-Geschäfte in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister rettet. Unverschämt.
Das sagt einer, der öffentlich die Bürger verhöhnt, die sich Sorgen um Alltagsnöte machen. Im November 2022 inmitten der politisch induzierten Gaspreiskrise erzählte dieser Ausbund an sittlicher Reife beispielsweise: „Neulich kam jemand zu mir und sagte ‚Herr Scholz, ich habe meinen Elektro-Ofen gerade auf einen Gas-Ofen umgestellt‘, da wusste ich gar nicht, wie traurig ich gucken sollte“. Und dann kicherte er vergnügt. Unverschämt.
Nach der Misstrauenssitzung stand er mit seinem Fraktionschef Mützenich zusammen, seine Parteichefin Esken kam dazu, da schaute Scholz kurz zu ihr rüber, wandte sich ab und ging mit Mützenich weg, ließ die Frau einfach stehen. Unverschämt.
Später, im TV-Interview sagte er: „Fritze Merz erzählt gern Tünkram.“ „Fritze“, sagt er zu seinem Kontrahenten, obwohl er Stunden zuvor noch „Respekt“ eingefordert hatte. Unverschämt.
Nun könnte man zu jedem der Parteifürsten zu Berlin einen Nachweis der Unverschämtheit führen. Derzeit ist vermutlich Scholz der arroganteste und würdeloseste von allen. Aber die anderen folgen schon in knappem Abstand. Hochmut, Anmaßung, Überheblichkeit – Superbia ist die Krankheit der Herrscher, die sich dem Pöbel überlegen wähnen und ihre Fähigkeiten, ihren Wert oder Rang unrealistisch hoch einschätzen, weil sie den Kontakt zu den im juristischen Sinne gleichberechtigten Bürgern längst verloren haben.
Wer sich täglich die Fiktion der eigenen Überlegenheit selbst erzählt, um so mit Parteigenossen um Aufmerksamkeit zu buhlen wie Dreijährige, glaubt mangels Eingriffs des Erziehungsberechtigten seine Geschichte irgendwann. Und dann bleibt nur noch das Liebesdrama mit dem eigenen Spiegelbild im Teich.
Angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage Deutschlands, einer nach Strich und Faden gescheiterten Regierung, einer gespaltenen Gesellschaft, die laut Umfragen das Vertrauen in die politischen Akteure längst verloren hat, fragt man sich, worauf sich die angemaßten hohen Herren eigentlich etwas einbilden. Die Erziehungsberechtigten wären wir Bürger, und unsere Pflicht wäre es, die Narzissten von den Machtposten zu verjagen und wieder bescheidenes wie kompetentes Personal zu unserer Vertretung ins Parlament zu schicken. Also Parteilose, selbstverständlich.
Von einer politischen Wende und einer Wirtschaftswende ist heute wieder vielfach die Rede. Tatsächlich war die Wechselstimmung in Deutschland wohl seit 1949 noch nie so groß wie heute: Die meisten Bürger wünschen sich eine ganz andere Politik und ganz andere politische Akteure, die einen ganz anderen Stil vorleben.
In einer ähnlichen Lage hatte Helmut Kohl 1980 im Wahlkampf von einer „geistig-moralischen Wende“ gesprochen. Und genau das wäre jetzt angesagt: Von einer neuen Regierung würde ich mir eine Rückbesinnung auf Vernunft, Anstand und erwachsenes Verhalten wünschen. Alleine schon aus der Verantwortung, die aus ihrer Vorbildfunktion erwächst, die wiederum aus ihrer Medienpräsenz erwächst.
Aber das wird ein frommer Wunsch bleiben. 32 Jahre nach der Kohl’schen Wende sagte der damals abgelöste Kanzler Helmut Schmidt in einem Interview, es habe gar keine geistig-moralische Wende gegeben, sondern lediglich eine Fortführung der sozialliberalen Politik, nur das Personal sei ausgetauscht worden.
Wir werden wohl leider im Frühjahr noch nicht einmal den Austausch des Personals erleben …
Kommentare
Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.
Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.