19. Januar 2025 06:00

Ursprünge der modernen Technokratie Das Ziel ist eine umfassende Gesellschaftsplanung

Ein kleiner Streifzug durch die Geschichte

von Antony P. Mueller

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Bildquelle: Wikimedia Jean-Baptiste Colbert, Finanzminister unter Sonnenkönig Ludwig XIV.: „Die Kunst der Besteuerung besteht ganz einfach darin, die Gans so zu rupfen, dass man möglichst viel Federn bei möglichst wenig Geschrei erhält“

Der Sozialismus in Form der zentralistischen Wirtschaftslenkung mag tot sein, aber die Idee einer umfassenden Gesellschaftsplanung ist weiterhin virulent. Was Kommunisten und Nationalsozialisten mit Gewalt versuchten, gelingt der modernen Technokratie in subtiler Form. Wer den Geist verstehen will, der in solchen Organisationen wie zum Beispiel der Kommission der Europäischen Union herrscht, kommt nicht daran vorbei, einen Blick auf die Ursprünge dieser Gedankenwelt zu werfen.

Noch bevor Karl Marx mit seinen antikapitalistischen Ideen Furore machte, gab es Theoretiker, die zur Organisation der Gesellschaft aufriefen. Einer der Ersten, der Gesellschaft nicht als spontane und natürliche Ordnung begriff, sondern als Organisation thematisierte, war der französische Begründer der Soziologie, August Comte (1798–1857). Zusammen mit seinem Landsmann, Henri de Saint-Simon (1760–1825) stehen beide in der Tradition umfassender Staatsplanung, wie sie einst von Jean-Baptiste Colbert (1619–1683), dem Wirtschaftsminister des Sonnenkönigs Ludwig XIV., initiiert wurde.

Von dem Wunsch angetrieben, Frankreichs Größe zu mehren, verstand Colbert seine Aufgabe darin, die Wirtschaft Frankreichs auf Einkünfte für den Staat auszurichten. Unter seiner Federführung entstand der moderne Steuerstaat. Jean-Baptist Colbert schuf ein einheitliches Steuersystem für ganz Frankreich, das es seinem König erlaubte, Eroberungskriege zu führen und einen ausufernden Hofstaat zu unterhalten. Colbert zentralisierte die staatliche Verwaltung, verteilte Subventionen, führte Schutzzölle ein und initiierte Infrastrukturprojekte. Zur Förderung des technologischen Fortschritts gründete er eine Königliche Akademie der Wissenschaften. Diese Maßnahmen zeigten anfänglich eindrucksvolle Erfolge, aber sie waren nicht dauerhaft. Die Bürger Frankreichs begannen bereits unter Ludwig XV. unter der schweren Steuerlast zu leiden. Als dann die Inflation hinzukam, brach sich die Wut des Volkes ihre Bahn. Die Französische Revolution (1789–1799) versetzte der Monarchie den Todesstoß, und der Urenkel des Sonnenkönigs, Ludwig XVI., beendete 1793 sein Leben auf dem Schafott. Colberts großes Planungsprojekt endete, wie es kommen musste. Aber gelernt wurde wenig. Die Erben der Revolution arbeiteten noch eifriger daran, die Gesellschaft von oben her zu planen und zu lenken.

Von Colbert aus führt der Weg direkt zu Claude-Henri de Rouvroy (1760–1825), bekannt als Graf Saint-Simon. Er gilt als Begründer des Staatssozialismus und kann auch als Urvater der modernen technokratischen Bewegung bezeichnet werden. Als solcher war er, anders als Marx, ein Gegner des Klassenkampfes und glaubte vielmehr, in einer auf Wissenschaft und Technologie basierenden Gesellschaft käme es zu Kooperation und Solidarität zwischen den Klassen. Saint-Simon forderte eine Neuausrichtung der gesamten Gesellschaft auf die „Effizienz“. Er betrachtete die industrielle Revolution als die Chance, die Lebensbedingungen der Massen zu verbessern, wenn die Wirtschaft nicht vom Markt und vom unternehmerischen Handeln gesteuert würde, sondern wenn Wissenschaftler und Ingenieure die Führungsrolle übernähmen, um die Produktion zu steigern.

Im gleichen Sinn verkündete Auguste Comte seine Theorie des Positivismus. Demnach basiert das moderne Zeitalter auf der Herrschaft der Wissenschaft. Wissenschaftliches Wissen ist zur Voraussicht fähig, und die Fähigkeit zur Voraussicht bedeutet Macht („savoir pour prévoir et prévoir pour pouvoir“). Für Comte gilt als wissenschaftlich allerdings nur solche Erkenntnis, die mithilfe der positivistischen Methodik, also aufgrund von Beobachtungen und empirischen Daten, hervorgebracht wird. Der Positivismus von Auguste Comte besteht in dem Modell, wonach der Fortschritt eine Frage der richtigen Organisation sei. Im Unterschied zu einer spontanen Ordnung erfordert eine Organisation Führung. Nach dieser Auffassung muss die Gesellschaft gesteuert werden und verlangt so eine Elite, deren Planung auf Wissenschaft beruht.

Dass diese Gedankenwelt bis heute so wirksam ist, liegt auch daran, dass die Idee der umfassenden Gesellschaftsplanung nicht nur in Frankreich blüht(e), sondern auch in Deutschland.

In der Reihe der philosophischen Vordenker der Technokratie darf der deutsche Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) nicht fehlen. Seine Gedanken übten zu seiner Zeit, als sich das deutsche Nationalbewusstsein herausbildete, einen immensen Einfluss aus, der bis heute nachwirkt. Fichte verlangt eine autoritäre Erziehung durch den Staat, um den Bürgern gemeinsame Werte und Solidarität zur Erreichung des Gemeinwohls einzupflanzen.

In der Schrift „Reden an die deutsche Nation“ (1808) gebraucht Fichte den Begriff „Erziehungsdiktatur“ als eine Form der staatlichen Autorität, die notwendig sei, um eine einheitliche nationale Identität und ein gemeinsames Wertesystem zu schaffen. Eine solche Diktatur sei erforderlich, um aus den deutschen Ländern eine starke einheitliche Nation zu formen. Möglichst alle Bürger sollen sich mit denselben Werten und Grundsätzen identifizieren. Zu diesem Ziel muss der Staat eine umfassende Kontrolle über die Bildung und das Erziehungssystem erlangen. Der Staat muss die Menschen zu Bürgern (beziehungsweise Untertanen) erziehen. Ziel der Erziehungsdiktatur ist die Schaffung einer nationalen Identität und eines gemeinsamen Wertesystems. Die Menschen müssen im Interesse des Gemeinwohls zur Solidarität erzogen werden. Dieser Prozess ist kontinuierlich und umfasst das ganze Leben und alle Bereiche des menschlichen Daseins. Die Erziehungsdiktatur ist eine dauerhafte staatliche Aufgabe.

Um die Nation zu formen, ist auch eine möglichst autarke Wirtschaft ohne Abhängigkeit vom Ausland nötig. In seiner Schrift „Der geschlossene Handelsstaat“ (1800) setzt sich Johann Gottlieb Fichte mit der Frage auseinander, wie ein Staat seine Unabhängigkeit sichern könne. Dabei entwirft er die Vision eines autarken Staates, der durch einen geschlossenen Wirtschaftskreislauf und eine auf Selbstversorgung ausgerichtete Produktion seine Unabhängigkeit bewahren kann. Er kritisiert den Freihandel, der eine Abhängigkeit von anderen Ländern und somit eine Schwächung der eigenen Wirtschaft zur Folge hätte. Er fordert einen Staat, der seine Wirtschaftskraft durch eine autarke Produktion und eine umfassende Kontrolle des Handels und der Märkte gewährleistet.

„Der geschlossene Handelsstaat“ soll so durch einen autonomen Wirtschaftskreislauf und eine auf Selbstversorgung ausgerichtete Produktion gekennzeichnet sein. Um den Wohlstand und die Unabhängigkeit zu sichern, muss der Staat gemäß den Vorstellungen Fichtes die Wirtschaft umfassend kontrollieren und reglementieren. Fichte fordert Preiskontrollen und andere Regulierungen, um eine gerechte Verteilung der Güter zu gewährleisten.

Fichte betrachtet es als die Aufgabe des Staates, eine eigene Industrie aufzubauen. Handelsbeschränkungen sollen die heimische Industrie vor ausländischer Konkurrenz schützen. Um den „geschlossenen Handelsstaat“ zu verwirklichen, so Fichte, ist eine starke Regierung notwendig. Es ist der Staat, der nach seiner Ansicht für das Gemeinwohl sorgt. Zu diesem Zweck ist die Staatsmacht dazu berechtigt, die Einzelinteressen zu beschneiden. Erziehung kommt ins Spiel, um eine „freiwillige“ Unterwerfung des Einzelnen zu erreichen. Der geschlossene Handelsstaat hat eine starke nationale Identität zur Voraussetzung, die Solidarität und Loyalität der Bürger einfordert. Nicht nur das Erziehungssystem sei an diesem Zweck auszurichten, sondern die Regierung muss in diesem Sinn auch die gesamte Bildung, die Kunst und die Kultur einbeziehen.

Fichtes Ideen zu einer Erziehungsdiktatur und einem geschlossenen Handelsstaat sind zutiefst autoritär. Ob man will oder nicht, ein solcher Ansatz führt unweigerlich zu einem totalitären Weltbild. Der Ausgangspunkt dieser Denkweise ist der liberalen Gedankenwelt diametral entgegengesetzt. Aber nicht nur das. Fichtes Vorstellungen von Wirtschaft zeugen von einer extremen Abgehobenheit gegenüber der wirtschaftlichen Lebenswirklichkeit. Dreh- und Angelpunkt des französischen Positivismus und von Fichtes Erziehungsdiktatur ist die Annahme, dass eine von der Staatsmacht installierte „Elite“ imstande sei, das Gemeinwohl zu erkennen und entsprechend zu verwirklichen. Sobald diese Annahme wegfällt, bricht das Gedankengebäude zusammen.

So sehr sich die Ideen der Gesellschaftsplanung in der Gedankenwelt wirtschaftsferner Kreise in Deutschland festgeklebt haben, so harsch ist deren Zusammenstoß mit der Realität. Selten sind die Gläubigen aber bereit, ihre Ansichten und Absichten zu ändern, wenn sie an der Wirklichkeit scheitern. Ihrer aus der „Anmaßung des Wissens“ (Hayek) folgenden Arroganz gemäß setzen die Anhänger der Gesellschaftsplanung ihren Herrschaftswillen umso starrköpfiger fort und stellen sich umso starrer der Lebenswirklichkeit entgegen, je deutlicher ihr Scheitern offenbar wird.

Johann Gottlieb Fichte: „Der geschlossene Handelsstaat“ (1800) und „Reden an die deutsche Nation“ (1808)

Antony P. Mueller: „Technokratischer Totalitarismus. Anmerkungen zur Herrschaft der Feinde von Freiheit, Wohlstand und Frieden“ (2023)


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