17. August 2025 06:00

Nationalökonomie Zeitpräferenz und Zinssatz

Die Perspektive der Österreichischen Schule

von Antony P. Mueller drucken

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Bildquelle: miss.cabul / Shutterstock Trump fordert von Fed-Chef Powell niedrigere Zinsen: Befinden sich beide auf einem Irrweg?

Seit Monaten fordert US-Präsident Trump vehement die amerikanische Notenbank dazu auf, „die Zinsen“ zu senken. Er meint, dass dies die Wirtschaft beleben und eine drohende Rezession verhindern würde. Der Chef der US-Zentralbank hingegen verweist auf das Inflationsrisiko und hält sich mit einem Absenken des Leitzinses zurück. Dabei verkennen beide, dass der „Zinssatz“ nicht nur ein monetäres Phänomen darstellt, sondern praxeologisch im menschlichen Handeln verankert ist. Sowohl der Regierungschef als auch die Zentralbanken befinden sich auf einem Irrweg. Ihr Credo lautet, dass der freie Markt unfähig sei, den „richtigen“ Zinssatz zu bestimmen. Man brauche deshalb eine eigene Institution, um die umlaufende Geldmenge zu bestimmen und einen sogenannten „Basiszinssatz“ als „policy rate“ administrativ festzulegen. Dabei zeigt dieser Streit vor allem eins: dass es administrativ-politisch kein Einvernehmen darüber gibt, wo der „richtige“ Zinssatz liegt.

Aus Sicht der Österreichischen Schule der Nationalökonomie irren sowohl Regierungen als auch die Notenbanken. Sie leiden unter der „Anmaßung von Wissen“ (Von Hayek) und glauben, Wirtschaft lenken zu können, als funktioniere sie so wie eine Maschine. Aber auch in dem Maße, wie weite Teile der Wirtschaftswissenschaften das menschliche Handeln in ihren Modellen ausklammern, fehlt es an Verständnis, das Wesen des Zinses richtig zu begreifen.

Die Wirtschaft ist für die Österreichische Schule der Nationalökonomie ein Teil der Wissenschaft vom menschlichen Handeln, der Praxeologie. Im Zentrum stehen die Entscheidungen einzelner Menschen. In der Österreichischen Schule werden Zinssätze, Geldnachfrage und andere monetäre Phänomene als Ergebnisse subjektiver Bewertung verstanden. Darum ist die Zinstheorie zentral: Nirgendwo wird die Rolle des subjektiven Wertes – die Gewichtung von Gegenwart und Zukunft – so deutlich.

Die begrifflichen Bausteine der österreichischen Geld- und Zinstheorie sind das Konzept der Zeitpräferenz, der daraus abgeleitete Begriff vom „Urzins“ und die Nichtneutralität des Geldes. Das Konzept der „Zeitpräferenz“ bezeichnet die menschliche Einstellung, ein Gut früher statt später zu wollen. Die Zeitpräferenz erklärt, warum es überhaupt so etwas wie Zinsen gibt. Der Zinssatz spiegelt Zeitpräferenz wider. Ein identisches Gut wird heute höher bewertet als dasselbe Gut morgen. Das ist kein moralisches Urteil (keine „Gier“), sondern eine logische Eigenschaft des Handelns in der Zeit. Ohne Zeitpräferenz (rein theoretisch) gäbe es keinen Grund, heute statt morgen zu konsumieren oder zu investieren; im Modell würde die gewünschte Wartezeit gegen unendlich tendieren und der gegenwärtige Konsum gegen null. Bei extrem hohem Zins würde sich das Aufschieben fast nie lohnen; Ersparnis und langfristige Projekte kämen zum Erliegen. In der Praxis bedeutet das: Ein Apfel heute ist uns mehr wert als derselbe Apfel in einem Jahr – auch wenn er dann noch genauso gut schmeckt. Der Zins ist der „Preis“, der diesen Unterschied im Wert zwischen heutigen und zukünftigen Gütern widerspiegelt. Der jeweils herrschende Zinssatz ist wie ein Preisschild für Zeit: Er zeigt, wie sehr wir die jetzt verfügbaren Güter im Vergleich zu künftigen Gütern wertschätzen. Ist der Zins null, gibt es kaum einen Grund, den Konsum auf morgen zu verschieben. Ist er sehr hoch, wollen wir möglichst viel für später zurücklegen. Der ursprüngliche Zins ist daher unaufhebbar. Selbst wenn Staaten Zinseinkommen konfiszieren oder maximal besteuern, bleibt die Präferenz für Gegenwart bestehen. Wird Sparen nicht belohnt, verzehrt man Kapital, statt es zu erneuern.

Die Österreichische Schule unterscheidet den „Urzins“ vom politisch bestimmten Geldzins. Der ursprüngliche Zins entsteht aus der reinen Zeitpräferenz – ein natürliches, nicht wegzudenkendes Phänomen menschlichen Handelns. Der monetäre Marktzins ist der Zinssatz, der am Finanzmarkt als das Ergebnis von Angebot und Nachfrage nach Krediten erscheint, aber durch die aktive Geldpolitik der Zentralbanken zumindest am sogenannten „kurzen Ende“ bestimmt wird.

Der Urzins ist Ausdruck der Zeitpräferenz. Er stellt einen Aufschlag zugunsten gegenwärtiger Güter dar beziehungsweise ist als Abschlag für den späteren Erhalt der Güter zu verstehen. Der politisch bestimmte Geldzins kann vom ursprünglichen Zinssatz abweichen. Die durch diesen Interventionismus in den freien Geldmarkt hervorgerufenen Diskrepanzen sind die Ursache der immer wiederkehrenden Finanzkrisen. Demgegenüber bedeutet der „natürliche“ Zinssatz die Rate, bei der die Geldschöpfung den realen Güterstrom nicht verzerrt.

In der Praxis sehen wir den Geld- beziehungsweise Marktzins. Er kann vom ursprünglichen Zins abweichen – besonders bei Kreditausweitung (oder -verknappung) durch die Geldpolitik der Zentralbanken. Sinkt der Geldzins unter das Niveau, das die Zeitpräferenz nahelegt, erscheinen zukünftige Güter relativ billiger. Unternehmer planen längere Produktionsketten, mehr Investitionen und Projekte, die nur bei künstlich niedrigen Finanzierungskosten sinnvoll wirken. Die kreditgetriebene Abweichung des politischen Zinssatzes (die sogenannte „policy rate“) vom natürlichen Zinssatz führt nicht nur zu extremen Konjunkturwellen, sondern auch zu Strukturverschiebungen in der Wirtschaft. Falsche Zinssignale verzerren das Verhältnis von Gegenwartskonsum und Zukunftsproduktion.

Der Grundsatz der Nichtneutralität des Geldes besagt, dass frisches Geld punktuell in den Wirtschaftskreislauf gelangt und sich der Effekt schrittweise verbreitet. Daher ändern sich einige Preise früher als andere und die relativen Preise und Gewinne verschieben sich. Veränderungen der Geldrelation wirken sich weder gleichzeitig noch im gleichen Ausmaß auf die verschiedenen Preise, Löhne und Zinssätze aus. Wäre diese Ungleichmäßigkeit abwesend, wäre Geld neutral. Selbst eine perfekte Information über Menge und Einstiegspunkt neuen Geldes würde es nicht erlauben, ex ante alle individuellen Neubewertungen und damit alle Preisbewegungen exakt vorherzusagen.

Der Zinssatz ist mehr als eine administrativ festgelegte Zahl. Er ist die Sprache der Zeitpräferenz. Wird diese durch Kreditausweitung verfälscht, entstehen Fehlsignale: Die Wirtschaft produziert zu viel „Zukunft“ und zu wenig „Gegenwart“. Der anschließende Abschwung ist dann die Korrektur dieser Diskrepanz – schmerzhaft, aber ordnend. Man stelle sich einfach vor, der ursprüngliche Zins (Zeitpräferenz) entspreche etwa fünf Prozent. Eine Kreditausweitung drückt den Marktzins auf drei Prozent. Lange Projekte (Immobilien, Infrastruktur, Forschung und Entwicklung mit spätem Cashflow) scheinen plötzlich rentabel. Löhne, Bodenpreise und bestimmte Vorprodukte steigen zuerst dort, wo das neue Geld eintritt. Später, wenn die Finanzierungskosten wieder steigen oder Erträge ausbleiben, kippt die Rechnung – Projekte werden abgebrochen oder abgeschrieben. Die Rezession ist als Bereinigung der Fehlleitungen des Kapitals zu verstehen. Sie ist zwar sehr schmerzhaft, führt aber den Marktzins näher an den natürlichen Zinssatz zurück. Wird dieser Prozess erneut von der Geld- und Fiskalpolitik unterbrochen, wird die Notwendigkeit der Anpassung nicht aufgehoben. Sie verschiebt sich lediglich und kehrt dann umso heftiger später wieder als noch schlimmere Krise zurück.

In diesem Sinne identifiziert die österreichische Theorie des Konjunkturzyklus eine Reihe von Stadien in der Sequenz des Konjunkturverlauf vom Boom bis zur Krise.

Die Kreditausweitung drückt den Marktzins unter das durch Zeitpräferenz implizierte Niveau. Dadurch nehmen die Investitionen zu. Die Produktionsstrukturen „verlängern“ sich (mehr Projekte mit späterem Ertrag). Die Kaufkraft verteilt sich ungleich, weil die relativen Preise zuerst dort steigen, wo das Geld in den Kreislauf eintritt, besonders bei Vermögenspreisen (Aktien, Anleihen und Immobilien). Könnte man den Marktzins durch eine Preis- (Inflations-) Prämie exakt anpassen, ließe sich der Verzerrung entgegenwirken. Doch Erwartungen sind uneinheitlich und unsicher. Selbst wenn viele Akteure eine Inflationserwartung in den Zins einpreisen, geschieht dies nicht gleichzeitig und nicht identisch – die Verzerrungen bleiben bestehen.

Empirisch zeigt sich die Kluft daran, dass die Kredit- und Geldaggregate deutlich schneller als Einkommen und Output steigen. Die Fälligkeitsstruktur der Finanzierung verlängert sich aufgrund von mehr langlaufenden Projekten. Der Investitionsmix verschiebt sich zu „späten Erträgen“ in langfristige, zinssensitive Bereiche. Die Vermögenspreise entkoppeln sich von Fundamentaldaten. Die Renditekurve flacht sich ab und die Risk Spreads sind ungewöhnlich niedrig.

Da der politisch bestimmte Zinssatz nicht dem natürlichen entspricht, findet eine Fehlleitung der Ressourcen statt. In der Spätphase des Booms wird die fundamentale Wirtschaftsschwäche durch Kapitalkonsum übertüncht. Aber auf Dauer lassen sich die Knappheiten nicht verstecken und werden sichtbar. Die Kosten steigen, Fertigstellungen verzögern sich. Es kommt zur Konjunkturwende. Die Erwartungen drehen sich, die Finanzierung wird teurer und zahlreiche Projekte erweisen sich als Fehlallokationen. Es kommt zur Rezession, die als Bereinigung der Fehlinvestitionen wirkt. Unrentable Projekte werden aufgegeben, Ressourcen kehren zu ökonomisch nachhaltigeren Verwendungen zurück.

Geldschöpfung erhöht nicht den realen Wohlstand, sie verschiebt die Struktur der Produktion in eine Richtung, die nicht zu den tatsächlichen Zeitpräferenzen passt. Die spätere Korrektur ist dann keine „Panne“, sondern eine notwendige Bereinigung der Fehlentscheidungen der Zentralbanken und Regierungen, die oft schon viele Jahre zurückliegen. Der eskalierende Machtkampf zwischen US-Regierung und Notenbank angesichts der Rezessionsängste und steigender Preisinflation legt schonungslos offen, wie brüchig das Fundament der heutigen Geldpolitik ist. Sie greift tief in das Leben jedes Einzelnen ein – und beeinflusst im Falle der USA die gesamte Weltwirtschaft. Die Krise zeigt, dass eine grundlegende Neuordnung des globalen Geldsystems überfällig ist.

„Konjunkturtheorie auf Grundlage der Österreichischen Schule der Nationalökonomie“ (2019, Youtube)

Antony P. Mueller: „A Primer on Austrian Macroeconomics“ (Palgrave Studies of Austrian Economics, 2025)

Antony P. Mueller: „Advanced Austrian Macroeconomics. Tools for Research and Teaching“ (Amazon KDP 2025)


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