Slay Your Heroes: Die Kunst des kritischen Denkens
Ein Appell zur Freiheit des Geistes
von Joana Cotar
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Bitcoiner haben einen Slogan „Slay your heroes“ – „Töte deine Helden“, vertraue ihnen nicht bedingungslos, denke selbst. Ein großartiger Satz. Er erinnert uns daran, dass wir nicht blind alles glauben sollen, was uns vorgesetzt wird, sowie daran, dass auch unsere „Helden“ falschliegen können, dass selbst jene, die wir auf ein Podest stellen, fehlbar sind – und dass es unsere Pflicht ist, diese Fehlbarkeit nicht nur zu erkennen, sondern auch klar zu benennen.
„Slay your heroes“ ist kein Aufruf zur Zerstörung, sondern eher so etwas wie ein freundlicher Klaps auf den Hinterkopf, eine Einladung zum Nachdenken, zur Suche nach Klarheit. Es ist die Aufforderung, Fehler auch dort zu erkennen, wo emotionale Bindungen uns dazu verleiten könnten, sie zu ignorieren und unter den Teppich zu kehren. Unsere Helden sind keine Götter, sondern Menschen – und Menschen? Die stolpern nun mal hin und wieder und irren. Das ist keine bahnbrechende Erkenntnis und doch fordert sie in unserer heutigen Zeit so manchen heraus. Besonders im politischen Diskurs und in den sozialen Medien zeigt sich, wie schwer es vielen fällt, diese einfache Wahrheit anzuerkennen.
Hier herrscht eine seltsame Mischung aus Loyalität und blinder Folgsamkeit. Unabhängig von der ideologischen Zugehörigkeit – ob rot, blau, grün oder pink – gleichen sich die Mechanismen. Ein Leitwolf spricht und die Anhängerschaft schließt sich an, ohne auch nur einen Moment innezuhalten. Eine Meinung wird formuliert, rast wie ein Virus durchs Netz – wird geteilt, gelikt, gefeiert – und ist plötzlich ist nicht nur Gesetz, sondern wird mit einer Leidenschaft verteidigt, die jede Form von Zweifel im Keim erstickt. Kritik wird zur Blasphemie, zur persönlichen Beleidigung, die mit Empörung, Beschimpfungen oder dem Versuch des Cancelns beantwortet wird. Kaum einer macht sich die Mühe, die vorgebrachten Ansichten zu überprüfen und kurz nachzudenken – die Meinung wird zur unumstößlichen Wahrheit.
Diese Dynamik ist kein Zufall, sondern tief in der menschlichen Psyche verwurzelt. Wir lieben es, dazuzugehören, suchen nach einer Gruppe, einer Blase, einem Team, die uns Schutz und Identität bieten, Sicherheit versprechen und Rückhalt geben. Gerade in unsicheren Zeiten wie diesen, in Zeiten, in denen viele sich ausgegrenzt fühlen und für ihre Überzeugungen kämpfen müssen, greifen sie dankbar nach allem, was ihrem eigenen Weltbild entspricht – erst recht, wenn es von jemandem kommt, den sie verehren. Wenn dann auch noch die eigene soziale Blase die Argumentation unisono aufgreift, scheint die Welt wieder im Gleichgewicht. Selbst widerlegende Informationen, kritische Community Notes auf X oder eine fundierte Gegenrede spielen dann keine Rolle mehr. Die Meinung steht fest und die Aussage „des Helden“ wird mit Nachdruck verteidigt. Selbst dann, wenn dieser plötzlich seine Meinung ändert und eine 180-Grad-Wende hinlegt. Irgendwie kann auch das schöngeredet oder schlicht ignoriert werden.
Und wenn der Held einen Fehler macht?
Den machen andere auch!
Und wenn er lügt?
Das machen andere auch!
Und überhaupt sind Vorwürfe gegen die eigenen Helden, das eigene Team meist eh nur „aus der Luft gegriffen“, „Fake News“ und böswillige Versuche, um Schaden anzurichten – so die Überzeugung. Nur wenige halten inne und stellen die entscheidenden Fragen: Stimmt das eigentlich? Ist es logisch? Cui bono? Die Behaglichkeit der eigenen Blase wiegt schwerer als die Unannehmlichkeit des Zweifels, der uns dazu zwingt, uns mit Widersprüchen auseinanderzusetzen. In einer Welt, die ohnehin schon von Komplexität und Unsicherheit durchdrungen ist, scheuen viele genau diesen Schritt.
Wir erleben eine zunehmende Polarisierung, in der jede Seite ihre Ikonen verehrt und jede Kritik als Verrat brandmarkt. Die Lager schließen ihre Reihen mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Doch das ist kein Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche. Ein freier Geist lässt sich nicht von einem Leitwolf lenken – er sucht seine eigenen Antworten, auch wenn diese Suche Mühe kostet. Das bedeutet nicht, jede Bewunderung aufzugeben oder jeden Glauben zu verwerfen. Es bedeutet, die Verantwortung für unser Denken selbst zu übernehmen, auch wenn das anstrengend ist.
Wer Helden und Identifikationsfiguren braucht, soll sie haben, doch ihre offenkundigen Schwächen und Fehler zu benennen, ist kein Angriff, sondern ein Akt der Ehrlichkeit, ein Ausdruck von Respekt – sowohl ihnen als auch uns selbst gegenüber. Die Kraft des kritischen Denkens befreit uns von der trügerischen Illusion der Unfehlbarkeit und gibt uns die Kontrolle über unsere eigenen Überzeugungen zurück. Sie erlaubt es uns, die Welt nicht nur als Jünger zu betrachten, sondern als mündige Individuen, die bereit sind, ihre eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Die Welt, in der wir leben, ist zu kompliziert für blinde Gefolgschaft. Wenn wir unabhängig bleiben wollen, müssen wir den Mut finden, unsere Helden symbolisch zu töten – nicht aus Verachtung oder Hass, sondern aus einer tiefen Wertschätzung für die Wahrheit. Dieses „Töten“ ist kein Ende, sondern ein Anfang: der Anfang eines Denkens, das sich nicht in vorgegebenen Bahnen bewegt, sondern eigene Wege sucht.
Selbständiges Denken, sorgfältiges Prüfen, unablässiges Hinterfragen – das sind die Werkzeuge, die uns nicht nur vor der Macht fremder Meinungen schützen, sondern auch vor unserer eigenen Bequemlichkeit.
In einer Zeit, in der die Versuchung zur intellektuellen
Kapitulation und zum Mitlaufen groß ist, bleibt „Slay your heroes“ eine
zeitlose Mahnung – und zugleich ein Appell an unsere höchste Tugend: die
Freiheit des Geistes. Sie ist kein Geschenk, das uns
einfach zufällt, sondern eine Errungenschaft, die wir uns erarbeiten müssen –
mit klarem Verstand, einem Hauch von Neugier und der Bereitschaft, auch das
Unbequeme anzunehmen. Nur so bleiben wir, was wir im Kern sind: Individuen.
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