02. März 2025 06:00

Deutschlands Sozialpolitik Wohlfahrtsstaat am Ende

Eine neue Regierung kommt, aber die Probleme bleiben

von Antony P. Mueller

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Bildquelle: DesignRage / Shutterstock Sozialstaat: Schon längst ein Sanierungsfall

Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes in Deutschland betrug in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren gerade mal ein Prozent. Der Beitrag der industriellen Wertschöpfung ist rückläufig. Nur durch den Anstieg von unproduktiven Staatsausgaben wurde verhindert, dass das Wachstum statistisch nicht schon länger in den Minusbereich gefallen ist. Seit 2017 stagniert die Produktivität in Deutschland. Entsprechend steigen die Realeinkommen seit Jahren nicht mehr.

Der sogenannte „Altenquotient“ (Anzahl der Personen, die 60 Jahre und älter sind, im Verhältnis zu der Gruppe der 20- bis unter 60-Jährigen) lag 1990 noch bei 35, inzwischen ist er auf rund 60 gestiegen und wird nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2030 auf 77 und nach 2050 auf über 80 steigen. Dabei liegt heute schon, zu Beginn des Jahres 2025, die gesamte Sozialabgabelast der beitragspflichtigen Einnahmen bei 42,5 Prozent. Zu dieser Abgabenlast kommen die direkten und indirekten Steuern noch hinzu. Trotz enormer Staatseinnahmen beträgt das Budgetdefizit seit Jahren rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Arbeitslosenquote liegt bei sechs Prozent, Tendenz steigend, und die Zahl der Empfänger von „Bürgergeld“ steht bei über vier Millionen Personen. Inzwischen umfassen die gesamten Staatsausgaben über 51 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, davon beläuft sich das Sozialbudget der Bundesregierung auf rund 1,3 Billionen Euro und beträgt damit ein Vielfaches der öffentlichen Ausgaben für die Infrastruktur.

Der Wohlfahrtsstaat ist am Ende. Aber die Politik will es nicht wahrhaben, denn die Sozialpolitik in allen ihren Varianten dient keineswegs hauptsächlich dem Volkswohl, sondern ist ein Instrument der Politik, um Wählerstimmen zu gewinnen. Im Kampf um die Macht suchen sich die politischen Parteien mit immer neuen Entwürfen zur „sozialen Sicherung“ und zu „sozialen Hilfen“ gegenseitig zu überbieten. Mit der einen Hand wird durch Steuern und Abgaben genommen, was mit lautstarker Propaganda dann verteilt wird, wobei aber nur ein Bruchteil wieder an die Zahlenden zurückfließt.

Sozialpolitik ist weder „links“ noch „rechts“ im politischen Spektrum angesiedelt, sondern dient den Parteien quer durch das politische Spektrum, um im Wahlkampf zu punkten. So wurden im Laufe der Zeit immer mehr sozialpolitische Maßnahmen in die Wege geleitet, sodass inzwischen die sozialpolitische Agenda in alle Lebensbereiche eingedrungen ist. Inzwischen betrifft die Sozialpolitik nicht nur die Arbeiterklasse, sondern die gesamte Bevölkerung – von der Wiege bis zur Bahre.

In der einen oder anderen Weise ist heute jeder in den Sozialstaat einbezogen – sei es über die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung, über die Arbeitslosenversicherung und die betriebliche Unfallversicherung oder durch die in den Neunzigerjahren eingeführte Pflegefallversicherung. Darüber hinaus gibt es Familienförderung und Kindergeld sowie schließlich die diversen Formen der Sozialhilfe und die immer weiter anwachsende Zahl an Sonderleistungen. 

Trotz der immensen Expansion des Sozialstaates haben die gesellschaftlichen Problemlagen nicht abgenommen. Man kann immer wieder feststellen, wie die diversen sozialpolitischen Pläne die sozialen Notlagen verstärken, die Politik und Staat zu beheben vorgeben. Das System ist in der bisherigen Gestalt nicht finanzierbar. Die hohe Belastung mit Sozialabgaben lässt es für die meisten Arbeitnehmer kaum noch zu, selbst ausreichend Kapitalerträge abwerfendes Eigentum zu erwerben. Die Altersarmut steigt, und die Einzahler von heute sind die Betrogenen von morgen. Eine schrumpfende Gruppe von Aktiven muss immer mehr Inaktive versorgen.

Das System der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung ist selbstzerstörerisch. Die Gestaltung des Rentensystems zwingt ein junges Ehepaar darüber zu entscheiden, Nachwuchs aufzuziehen und somit nicht nur die Kosten der Kindererziehung zu tragen, sondern darüber hinaus auf ein Gehalt und die damit verbundene spätere Rente zu verzichten, oder keine Kinder zu haben, sodass beide weiterhin Einkommen beziehen und auch noch Rentenansprüche für beide Ehepartner erwerben. Folge ist die bekannte Geburtenschwäche, und die Alterslast steigt. Am Beispiel des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung wird deutlich, dass sich der Sozialstaat selbst zerstört. Der Wohlfahrtsstaat frisst seine Kinder und Enkelkinder.

Der Sozialstaat schafft nicht allgemeine Wohlfahrt, sondern produziert Unwirtschaftlichkeit, Intransparenz und gesellschaftliche Verdrossenheit. Selbst Fachleute können die Sozialgesetzgebung nicht mehr voll überblicken. Wird eine Maßnahme beschlossen, kann kein Regierungsbeamter oder Minister angeben, worin genau ihre Wirkung besteht und wie hoch die Nettokosten oder -vorteile sind. Die wissenschaftlichen Gutachten angeblicher Regierungsberater sind wertlos. Erstens, weil auch die Experten nicht über eine vollständige Kenntnis verfügen können, und zweitens, weil sie sich mit abweichenden Urteilen die Chance verbauen, überhaupt gehört zu werden.

Die Finanzierung der Alterssicherung und des Gesundheitssystems stellt die wohl bedeutendste politische Herausforderung der kommenden Jahrzehnte dar. Das deutsche Sozialleistungssystem war schon in der Vergangenheit überfordert, und mit der Überlastung durch Zuwanderung wird die Krise noch verschärft. Was zählt, ist ja nicht die bloße Zahl jüngerer Immigranten, sondern deren Produktivität. Die Probleme mit der Altersversorgung sind struktureller Art und durch Partialkorrekturen nicht mehr lösbar. Die Finanzierung der Alterssicherung und des Gesundheitssystems stellen die wohl bedeutendsten politischen Herausforderung der kommenden Jahrzehnte dar.

In den vergangenen Jahren wurde die Krise des Sozialstaats vom politischen Aktivismus im Zusammenhang mit der Bekämpfung einer vermeintlichen Klimakatastrophe überlagert. Dies wird in den kommenden Jahren immer weniger der Fall sein, denn die Probleme der Sozialpolitik sind nicht nur nicht verschwunden, sie haben sich vielmehr in den vergangenen Jahren noch mehr zugespitzt. Der schon bestehende Trend zu niedrigeren Zuwachsraten des Sozialprodukts wird die Verteilungskonflikte verschärfen. Die Unzulänglichkeit der vorherrschenden makroökonomischen Konzepte und die konjunkturpolitische Impotenz der Geldpolitik mit der Überlastung der öffentlichen Finanzen zeichnen sich immer mehr ab. Die ungehemmte Ausgabenpolitik und der Einsatz der Steuern für nichtfiskalische Zwecke führen notwendigerweise zu einer tiefgreifenden staatlichen Finanzkrise. Es ist eine Illusion zu glauben, die Probleme ließen sich noch länger oder sogar dauerhaft durch Geldschöpfung lösen. Die Folge wäre ein weiterer Inflationsschub.

Die Ursache dafür, dass sich der wirtschaftliche Fortschritt verlangsamt, besteht in zu viel Staatstätigkeit, in zu hoher Steuer- und Abgabenbelastung, in zu vielen Reglementierungen und in den Irritationen, die von der Geldpolitik ausgehen. Der Weg aus der Krise besteht darin, die private Initiative zu stärken. Weniger Steuern und Abgaben und weniger Reglementierungen sind dazu die ersten Schritte. Deutschland braucht nicht nur eine neue Regierung, sondern einen fundamentalen Geisteswandel.

Antony P. Mueller: „Antipolitik“ (2024)

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