10. März 2025 11:00

Gestahlfedert: Enkeltrick Reloaded Zum Glück gab es noch keinen Mord

Zwei zufällige Begegnungen der dritten Art

von Michael Werner

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Bildquelle: Shutterstock Vorsicht vor „neuen Mietern“: Ähnliche Masche, gleicher Betrug

Nach einer so ereignislosen Woche wie der vergangenen, mit den üblichen Blamagen, Wortbrüchen, Nazi-Vorwürfen und Generalangriffen auf unsere sogenannte „Verfassung“ sowie insbesondere auf die Freiheit und das Portemonnaie der Steuersklaven, habe ich leider kein Thema gefunden, das es wert sein dürfte, so wichtig zu sein wie ein persönliches Erlebnis, das ich aus aktuellem Anlass einmal schildern möchte.

Kurz zur Einführung und Erklärung: Mein lieber Vater musste diese Welt bereits vor knapp zwanzig Jahren krankheitsbedingt verlassen. Meine Mutter, eine temperamentvolle, resolute Frau mit spanischen Wurzeln, die im Januar achtzig wurde, lebt seitdem allein in der früheren gemeinsamen Wohnung, in der auch ich aufgewachsen war, bis ich mit 21 Jahren zu der Einsicht gelangte, es sei allerhöchste Zeit, mich ihrem Kontrollwahn zu entziehen und lustvoll meine eigenen Fehler zu machen. Nun wohne ich ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt – man kann also mit Fug und Recht sagen, ich habe es nicht weit gebracht.

In letzter Zeit baut meine Mutter rapide ab, in Rekordzeit; man kann ihr quasi beim Verfall zuschauen. Aus unerfindlichen Gründen wurde also innerhalb kürzester Zeit aus einer aktiven, lebenslustigen, taffen Frau, die kein Problem damit hatte, ihre Einkäufe in die dritte Etage zu schleppen, ein inkontinentes, dementes Wrack am Rollator mit Pflegestufe drei, das niemals mehr aus eigener Kraft die Wohnung verlassen können wird. Da ich kein Verschwörungstheoretiker bin, würde ich niemals behaupten, dass das in irgendeinem Zusammenhang damit steht, dass meine Frau Mama gegen meinen ausdrücklichen Rat wirklich keinen Booster ausgelassen hat. Mit dem Resultat, dass ich mich seit knapp einem Jahr, neuerdings auch als gesetzlicher Betreuer, nun um alles kümmere, worum sich gekümmert werden muss, mit Ausnahme der Dinge, die mich tatsächlich überfordern und für die dann die Profis vom mobilen Pflegedienst ran müssen.

Am vergangenen Freitag habe ich wie immer am späten Vormittag für sie eingekauft, und kurz danach rief sie mich mobil an, um mir voller Begeisterung zu erzählen, dass sie gerade Besuch hatte: Ein Mann mittleren Alters schellte an ihrer Wohnungstür, sie öffnete ihm, und er stellte sich ihr vor als der neue Mieter, der gerade dabei sei, in die leerstehende Wohnung im Haus einzuziehen. Also bat meine Mutter ihn herein, und man kam ins Gespräch, in dessen Verlauf der Herr ihr erzählte, er sei Antiquitätenhändler. Daraufhin nahm meine Mutter ihn mit in mein ehemaliges Kinderzimmer und zeigte ihm die wertvollen antiken Möbel, die heute darinstehen, die allesamt jedoch mir gehören und nur eine Dauerleihgabe an meine Mutter sind. Der angeblich fachkundige Besucher begutachtete sie ausführlich, schaute in alle Türen und Schubladen, worin sich unter anderem auch eine Stahlcassette mit Bargeld und Bankdokumenten befanden, und sagte daraufhin, er wolle einen der Schränke sofort für 10.000 Euro kaufen, was meine Mutter jedoch richtigerweise ablehnte mit dem Verweis auf meine Eigentümerschaft. Anschließend erzählte der Besucher meiner Mutter, er ziehe zusammen mit seiner unverheirateten Tochter ein, die Goldschmiedin sei, woraufhin meine Mutter ihm auch noch ganz stolz ihren gesamten Schmuck zeigte. Der nun umfassend informierte Herr verabschiedete sich sodann mit dem Versprechen, in den nächsten Tagen eine Visitenkarte vorbeizubringen, damit ich mich wegen des antiken Schranks mit ihm in Verbindung setzen könne.

Diese Geschichte ließ bei mir alle Alarmglocken Sturm bimmeln, weshalb ich sogleich den Hauseigentümer anrief und fragte, ob die (tatsächlich vorhandene) leerstehende Wohnung, die in den letzten Monaten kernsaniert wurde, jüngst neu vermietet wurde, nur um zu erfahren, dass der Vermieter erst in der kommenden Woche anfangen wolle, einen Mieter zu suchen. Somit war klar, dass meine Mutter einem Trickbetrüger auf den Leim gegangen war. Sofort startete ich eine Umfrage bei den anderen Mietparteien, um zu erfahren, dass der Täter bei einer etwa gleichalten Nachbarin, die ich selbst noch aus Kindertagen kannte, ebenfalls versucht hatte, in die Wohnung zu gelangen, nur mit einer völlig anderen Geschichte und vor allem erfolglos, denn die Dame hielt sich wenigstens selbst an den guten, alten Rat, keine Fremden in die Wohnung zu lassen. Zeitgleich musste ich traurigerweise feststellen, dass das gesamte Bargeld, das meine Mutter (wie bei Menschen ihrer Generation oft üblich) zuhause hortete und das ich erst wenige Tage zuvor noch gesehen hatte, weg war.

Zugegeben, ich war ein Stück weit sauer auf meine Mutter und auch persönlich gekränkt: In ihrer Gedanken- oder Gefühlswelt bin ich immer noch der kleine Junge, dem sie damals alles sagen, raten und erklären musste. Dass sich die Dinge inzwischen gedreht haben, will sie nicht wahrhaben. Egal, was ich ihr sage oder rate oder erkläre, sie gibt stets Widerworte, wehrt sich gegen alles, nimmt keinen Rat von mir an, lässt sich absolut nichts sagen und glaubt mir kein Wort. Wenn ich für sie einkaufen gehe, überprüft sie gerne mal die Quittung vom Supermarkt, ob ich mir nicht heimlich einen Schokoriegel auf ihre Kosten geleistet oder das Flaschenpfand auch wirklich für sie und nicht für mich eingelöst habe. Lange Zeit wusste ich gar nicht, wo sie ihre Wertsachen aufbewahrt. Aber einem Wildfremden, den sie noch nie gesehen hat, der einfach bei ihr klingelt und ihr eine nette Geschichte erzählt, zeigt sie nach drei Minuten die ganze Wohnung und sämtliche Wertsachen. Das ist schwer nachvollziehbar, weshalb ich mich damit entsprechend schwertue.

Dennoch musste ich nun über meinen Schatten springen, die Sache in die Hand nehmen und auf meine Weise regeln, notfalls auch unter lautem Gemecker, um sie vor weiterem Schaden zu bewahren. Da meine Mutter sehr autoritätsgläubig ist, entschloss ich mich also, mir staatliche Schützenhilfe zu nehmen.

Die höchste Aufklärungsquote, nämlich nahezu hundert Prozent, hat unsere Polizei bei Tötungsdelikten – also bei Verbrechen, wo das Opfer nichts mehr davon hat. Bei Einbrüchen beträgt sie keine 15 Prozent, bei Betrugsdelikten zum Nachteil älterer Menschen sogar nur 2,5 Prozent, zumindest hier in Nordrhein-Westfalen. Meine Motivation, kostbare Zeit für eine Anzeige zu verschwenden, war also tendenziell nonexistent und nur der faktischen Notwendigkeit geschuldet. Dass ich direkt neben einer Polizeiwache wohne, machte mir die Überwindung leichter, und so bin ich also Samstagmittag da reinspaziert, nicht zuletzt, um mir meine libertären Vorurteile über staatliche Institutionen bestätigen zu lassen. Polizisten – das sind für mich diejenigen, die auf Befehl von oben Menschen mit einer anderen Meinung morgens um sechs Uhr die Bude auf den Kopf stellen.

In der Wache wurde ich ohne eine Sekunde Wartezeit von einem sehr freundlichen Polizeibeamten empfangen, der sich meine Geschichte aufmerksam anhörte, ein paar ergänzende Fragen stellte und mich dann ausführlich beriet, wie mit solchen Dingen umzugehen ist, auch präventiv für die Zukunft. Er händigte mir noch ein paar Broschüren mit Informationsmaterial aus, die er sorgsam auswählte, und riet mir, die Anzeige online zu erstatten, weil das schneller ging.

Positiv überrascht, ging ich die paar Meter nach Hause, setzte mich an den Rechner und kämpfte mich durch die Eingabefelder der Online-Anzeige. Da konnte man auch mögliche Beweismittel in Form von Dateien hochladen, und da ich meine Mutter dazu gebracht hatte, sich von mir dabei mit dem Handy filmen zu lassen, wie sie den Vorgang schildert, fügte ich das Video hinzu. Nach dem Absenden erhielt ich sofort eine Bestätigungsmail mit der wichtigsten Info, dem Aktenzeichen.

Fest davon ausgehend, das nächste Mal erst wieder von der Sache zu hören, wenn in ein paar Wochen oder Monaten der übliche Einstellungsbescheid ins Haus flattert, mit dem bekannten Satzbaustein, man habe trotz intensivster Bemühungen den Täter leider nicht ermitteln können blablabla, wurde ich ein zweites Mal positiv überrascht: Nur eine gute Stunde später erhielt ich einen Anruf aus dem Kölner Polizeipräsidium, von einer sehr netten und engagierten Polizeioberkommissarin, mit der ich mich auf Anhieb gut verstand und Tacheles reden konnte. Als ich auf das Video mit der Aussage meiner Mutter hinwies, erzählte sie mir, sie könne diese MP4-Datei leider in dem Programm, mit dem sie die Online-Anzeigen bearbeitet, nicht öffnen. Na, endlich das erste bestätigte libertäre Vorurteil über eine staatliche Institution! Sie schlug vor, dass sie direkt mit einem Kollegen zu meiner Mutter fährt, ihre Aussage aufnimmt und ihr ein paar Fotos von einschlägig Verdächtigen zeigt, in der Hoffnung, dass meine Mutter vielleicht einen wiedererkennt. Da ich gerne dabei gewesen wäre, das aber am Samstag zeitlich nicht mehr bewerkstelligt bekäme, fragte ich, ob das auch am Montag noch ginge. Daraufhin erklärte sie mir, das sei nicht ratsam, weil bereits am Tag nach der Tat nur noch etwa siebzig Prozent der Erinnerung vorhanden sei und das nach drei Tagen nicht besser würde, insbesondere nicht, wo meine Mutter auch noch erste Anzeichen einer Demenz zeige. Um möglichst viel zuverlässige Information zu bekommen, sollte die Vernehmung umgehend stattfinden. Das überzeugte mich, also rief ich meine Mutter an, um ihr den Besuch der Polizei anzukündigen.

Etwa zweieinhalb Stunden später erhielt ich wieder einen Anruf von der Beamtin, die von der Vernehmung meiner Mutter und auch der Nachbarin berichtete und mir dabei anbot, die geplünderte Stahlcassette im Präsidium vorbeizubringen, da sie ein möglicher Spurenträger sei, um sie auf Fingerabdrücke und DNA zu untersuchen. Dieses Angebot beinhaltete leider, dass ich meine Fingerabdrücke und eine DNA-Probe abgeben müsste, um meine Spuren an der Cassette auszuschließen. Dem Staat freiwillig meine Fingerabdrücke und meinen Gencode liefern, ist so ziemlich das letzte, was ich tun will, weshalb mich dieser Vorschlag nur mäßig begeisterte. Dennoch war ich positiv überrascht, dass sich bei einer solchen Bagatelle so viel Mühe gegeben wird. Ehrlich wie ich bin, habe ich der Beamtin auch geradeheraus gesagt, dass mich ihr schnelles und engagiertes Handeln, verbunden mit der einfühlsamen Art beim Umgang mit meiner alten, kranken Mutter, zutiefst beeindruckt hat, zumal ich damit nicht gerechnet hatte, und ihr dafür aufrichtig und von Herzen gedankt. Und so erhielt ich dann am Ende doch noch die heißersehnte Bestätigung meiner Vorurteile über staatliche Einrichtungen: Auf der ehrlichen Basis, die wir im Gespräch aufgebaut hatten, ließ die nette Polizeioberkommissarin mich daraufhin wissen, dass ich quasi Glück im Unglück hatte, weil die personellen Kapazitäten dafür gerade vorhanden waren, da erst Samstagnachmittag war und es bisher noch keinen Mord gab. Wir lachten noch einmal gemeinsam, und später erhielt ich eine E-Mail von ihr, in der sie sich für den netten telefonischen Kontakt und die gute Zusammenarbeit bedankte.

Und dann kam mir der Gedanke, dass es eigentlich meine Mutter war, die Glück im Unglück hatte: Wäre sie an ein anderes Kaliber von Gangster geraten, der weniger trickreich vorgegangen wäre und ihr einfach einen übergezogen hätte, dann hätte es bereits am Freitagmittag den üblichen Mord gegeben.


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