Hebel der Macht: Die Herrschaft der Angst
Wo bleibt das eigenständige Denken?
von Joana Cotar
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„Am Anfang kommen das Einsparpotenzial und die Umschichtungen im Haushalt, die dringend notwendig sind.“ Mit diesen Worten hat Friedrich Merz im Wahlkampf die Fahne der fiskalischen Vernunft geschwenkt. Keine Reform der Schuldenbremse, kein Schuldenrausch auf Kosten unserer Kinder – so lautete das Credo, mit dem er um Wählerstimmen warb. Doch kaum ist die Wahl vorbei, zeigt sich die Verlässlichkeit dieses Versprechens: Nicht nur eine Reform der Schuldenbremse steht plötzlich im Raum, sondern ein 500-Milliarden-Schuldenpaket für Infrastruktur wird aus dem Hut gezaubert – beschlossen nicht vom neuen, sondern vom alten abgewählten Bundestag. Konrad Adenauer lässt grüßen: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“ Die Botschaft ist klar: Prinzipien sind verhandelbar, wenn die Macht winkt. Das Sahnehäubchen dieser politischen Kehrtwende? Die Begründung, dass nur so die „nationale Sicherheit“ gewährleistet werden könne, als ob Freiheit und Verantwortung ohne Schuldenberge nicht denkbar wären.
Dagegen habe ich Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben. Die Resonanz war überwältigend positiv – ein Zeichen dafür, dass viele Bürger den Bruch von Wahlversprechen und die Missachtung demokratischer Prinzipien nicht stillschweigend hinnehmen wollen. Doch zwischen den unterstützenden Stimmen fanden sich auch Vorwürfe: Ich würde den Ernst der Lage verkennen. Die Bundeswehr müsse angesichts der „aktuellen Bedrohungslage“ schnell fit gemacht werden, Schulden seien unvermeidlich. Alles andere sei naiv, unverantwortlich, ja geradezu ein Gefallen an Putin – ich sei eben ein „RuZZentroll“.
Wer mich kennt, weiß, wie absurd dieser Vorwurf ist. Doch die Reaktionen haben mich nachdenklich gemacht – nicht über meine Haltung, sondern darüber, wie mit Angst Politik gemacht wird, um die Vernunft auszuschalten und Kritik zu ersticken.
Angst ist der perfekte Hebel der Macht. Sie ist universell einsetzbar. Ob es die Angst vor der Klimakrise ist, die den Weltuntergang durch die Erderhitzung prophezeit, die Angst vor einem tödlichen Virus, das uns alle dahinrafft, die Angst vor russischen Panzern, die bald durch das Brandenburger Tor rollen könnten, oder die Angst vor einem vom Westen provozierten Weltkrieg, der uns alle in den Abgrund reißt. Die Mechanismen sind stets dieselben: Angst schaltet das Denken aus. Sie macht Menschen gefügig, bereit, Narrative zu schlucken, ohne sie zu hinterfragen. Wer Angst hat, klammert sich an vorgefertigte Antworten, anstatt Dinge zu hinterfragen und nach Lösungen zu suchen. Gegenargumente sind nicht nur unerwünscht, sondern werden zur Häresie erklärt – ein Verrat an der vermeintlich einzig wahren Sache.
Politik und Parteien haben so leichtes Spiel. Sie müssen lediglich ein Bedrohungsszenario aufbauen – sei es real oder konstruiert –, und schon ist der Weg frei für Maßnahmen, die unter normalen Umständen auf breiten Widerstand stoßen würden. 500 Milliarden Euro Schulden? Ohne die Angst vor einem äußeren Feind undenkbar. Eine Sondersitzung eines abgewählten Parlaments? Ohne den Ruf nach „dringendem Handeln“ wäre es ein handfester Skandal. Ausgangssperren, Lockdowns und Restaurantverbot für Ungeimpfte? Nicht machbar ohne die Angst vor dem Tod. Angst rechtfertigt alles: den Bruch von Wahlversprechen, Ausnahmen vom Rechtsstaat, ja sogar Einschränkungen der Freiheit im Namen einer höheren Sache. Sie verwandelt Bürger in Untertanen, die dankbar jede Kette akzeptieren, solange die sie nur vor dem großen Unbekannten schützt.
Doch Angst ist nicht nur ein Instrument der Macht – sie ist auch ein Spiegel unserer kollektiven Schwäche. Warum lassen wir uns so bereitwillig in diesen Zustand versetzen? Vielleicht, weil wir die Illusion von Sicherheit der Mühsal des selbstbestimmten Denkens vorziehen. Der Philosoph Isaiah Berlin warnte einst vor der Versuchung, Freiheit gegen vermeintliche Gewissheit einzutauschen. Heute sehen wir, wie recht er hatte: Angst ist der Preis, den wir zahlen, wenn wir aufhören, Verantwortung für uns selbst zu übernehmen. Statt die Herausforderungen – Klimawandel, geopolitische Spannungen, wirtschaftliche Unsicherheiten – mit kühlem Kopf und innovativen Ideen anzugehen, flüchten wir in die Arme von Politikern, die uns mit immer größeren Schuldenbergen, höheren Steuern, mehr Vorschriften, mehr Verboten, weniger Rechten und immer lauteren Panikrufen „retten“ wollen.
Sich der Herrschaft dieser Angst zu widersetzen, bedeutet, Narrative zu hinterfragen, auch wenn sie uns von allen Seiten eingehämmert werden – sei es durch Medien, Experten oder die selbsternannten Hüter der Moral. Ja, es gibt reale Probleme, die Lösungen erfordern, aber die Antwort kann nicht sein, kopflos in Panik zu verfallen.
Schuldenberge auf Kosten der nächsten Generation sind kein Zeichen von Stärke, sondern von Kurzsichtigkeit – ein faustischer Pakt, der uns kurzfristige Erleichterung verschafft und langfristige Knechtschaft hinterlässt. Eine Regierung, die ihre Bürger mit Angst lenkt, statt mit Argumenten zu überzeugen, verdient kein Vertrauen, sondern Skepsis.
Vielleicht liegt der eigentliche Ernst der Lage nicht in den äußeren Bedrohungen, sondern in unserer inneren Kapitulation. Wir haben es verlernt, mit Vernunft und einem gesunden Maß an Skepsis eigenständig zu denken. In einer Welt, die von schnellen Antworten, vorgefertigten Meinungen und einem ständigen Strom an Informationen geprägt ist, scheint es einfacher, sich dem Strom anzupassen, anstatt den eigenen Weg zu suchen.
Es ist aber ein Akt des notwendigen Widerstands, trotz aller Unsicherheiten die Herausforderung anzunehmen, an der Freiheit und dem eigenen Denken festzuhalten. Es bedeutet, sich gegen die Bequemlichkeit der Passivität zu entscheiden und seinen Verstand zu nutzen – mit Neugier, kritischem Geist und der Bereitschaft, Fehler zu machen. Wenn wir das nicht tun, haben wir schon verloren – nicht durch Panzer, Krieg oder wegen der Erderwärmung, sondern durch unsere Unterwerfung unter die Herrschaft der Angst.
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