31. März 2025 16:00

Alter und neuer Bundestag Herrschaft der Skrupellosen und Hemmungslosen

Der weltweit vorherrschende Korporatismus entledigt sich der Demokratiesimulation

von Robert Grözinger

von Robert Grözinger drucken

Artikelbild
Bildquelle: Juergen Nowak / Shutterstock.com Kurzzeitiger Narrenkönig der Bundestagsputschisten: „Dienstalterspräsident“ Gregor Gysi

„Ich habe nicht gewusst, dass so etwas möglich ist“, soll es einem entgeisterten britischen Politiker entfahren sein, als seine Regierung zu Beginn des Ersten Weltkriegs die Goldbindung des Pfunds aufhob – wie es gleichzeitig die Regierungen der anderen kriegführenden Nationen mit ihren Währungen ebenfalls taten. Dieser zuvor undenkbare Schritt war ein für die Länge und massenmörderische, totale Erbarmungslosigkeit des Krieges unverzichtbare monetäre Voraussetzung.

Es ist ein Kennzeichen des Totalitarismus, auch in seiner Anfangsphase, dass die in ihm und in seinem Sinne Handelnden Dinge tun, die man zuvor für unmöglich hielt. Mehr noch: Für undenkbar. Zumindest in der westlichen, europäischen, hochindustrialisierten, wohlhabenden, kapitalistischen Zivilisation, denn diese baute auf individueller Freiheit und somit Tugenden wie Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit auf. Diese Tugenden wurden in Gebräuchen und oft ungeschriebenen Gesetzen aufrecht erhalten. Jenes Paradigma funktionierte, solange seine Grundvoraussetzung, der Glaube an eine absichtliche Schöpfung einer rationalen, von unumstößlichen physikalischen und moralischen Gesetzen beherrschten Welt, in der Bevölkerung weit verbreitet und tief verankert war. Ein rationaler, von guter Absicht durchdrungener Geist beherrschte die Gesellschaft.  

Aber das ist lange her. Seit etwa zwei Jahrhunderten genehmigte der Westen dem Irrationalen zugeneigten Personen wie Psychopathen einen immer freieren Lauf. Entsprechend sieht er jetzt aus. Dieser Prozess setzt sich zur Zeit beschleunigt fort. Siehe zum Beispiel den vor gut zwei Wochen illegitim zusammengetretenen deutschen Bundestag. Er hat wieder einmal etwas getan, was man als Kind europäischer Zivilisation nicht für möglich, weil nicht für denkbar gehalten hat.

In der obersten Kammer der von vielen inzwischen als „Freiluftirrenhaus“ empfundenen Bundesrespublik Deutschland trat ein im Dezember vergangenen Jahres aufgelöster Bundestag am 18. März nochmal zusammen, um kurz mal die Staatsschuldenquote drastisch zu erhöhen und unter anderem dafür das Grundgesetz signifikant zu verändern. Die notwendige Zweidrittelmehrheit der an diesem Schurkenstück beteiligten Parteien war eben diesem Grundgesetz zufolge zwar schon futsch – das Volk, laut Artikel 20 des Grundgesetzes der Souverän, hat es diesen Parteien am 23. Februar weggenommen – aber ein guter, also skrupelloser bis psychopathischer Putschist weiß, dass Papier geduldig ist.

Der Grund, weshalb das möglich war, ist der, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes ein solches Vorgehen für unmöglich, ja undenkbar hielten. Trotz der kurz zuvor durchlebten totalitären Diktatur konnten sie es sich nicht vorstellen, dass „Demokraten“ so etwas je tun würden. Und sie hatten nicht Unrecht. Es waren nicht „Demokraten“, die dies taten, sondern selbsternannte „Unseredemokraten“, kurz „UNdemokraten“.

Auch nach der Wahl haben die UNdemokraten im Parlament noch immer eine satte Mehrheit. Mit ihrem linken Reserverad erst recht. Ihr Verhalten erinnert mich an eine Szene im Spielfilm „Wir Wunderkinder“. Dort geht es um das Leben in der Nazizeit. Der Film wurde 1958 produziert, als also fast alle Erwachsenen eine klare Erinnerung an die zwölf NS-Jahre hatten, man dem Publikum also keinen Schmu erzählen konnte.

In der unten verlinkten Szene betritt der Held des Films, Hans Boeckel, nach einem längeren Urlaub erstmals wieder sein Büro in der Redaktion und findet neues Personal vor. Betrachten Sie diese und die folgende Betriebsversammlungs-Szene – insgesamt etwa zwei Minuten – und entscheiden Sie selbst, ob Sie Ähnlichkeiten, einschließlich des „Neusprechs“, zur heutigen Zeit erkennen. Beachten Sie insbesondere folgenden Dialog. Boeckel, gespielt von Hansjörg Felmy, fragt entsetzt: „Sie räumen einfach fremde Schreibtische aus?“ Der neue, uniformierte und mit Hakenkreuzbinde versehene  Mitarbeiter antwortet in schnodderigem Ton: „Wir werden noch ganz was anderes ausräumen, Herr Doktor Boeckel!“  

Der hier dargestellte Typ, der uns unter anderem auch in Sebastian Haffners autobiographischen Erinnerungen der Jahre 1914 bis 1933 – „Geschichte eines Deutschen“ – mehrfach begegnet, ist wieder sehr präsent im öffentlichen Raum und gerade dabei, „ganz was anderes“ auszuräumen: Redefreiheit etwa, Privatsphäre, Eigentum, Anstand und Würde.

Letzteres unter anderem, als der neugewählte Bundestag endlich zusammentreten durfte. Um den 84-jährigen AfD-Mann Alexander Gauland als Alterspräsidenten zu verhindern, hievten die UNdemokraten ausgerechnet das Mitglied der Mauermörderpartei SED Gregor Gysi, den 77-jährigen dienstältesten Abgeordneten, in dieses – nur, aber immerhin – symbolträchtige Amt. Die gegenwärtig pominenteste Ausgeburt also der „Drachenbrut“ (so Liedermacher Wolf Biermann über die SED-Nachfolgepartei im Bundestag). Die AfD hat sich in dieser Situation richtig verhalten. Ihre Redner haben den Narrenkönig auf dem Präsidiumssessel so gut es ging ignoriert und ansonsten nur mit dem Hintern angeschaut.

Das war ein Lehrstück sondergleichen. Bestens geeignet dafür, die These des Ökonomen der Österreichischen Schule, Friedrich von Hayek, in der Praxis zu bestätigen, der einst schrieb, dass „in einer zum Totalitarismus neigenden Gesellschaft die Skrupellosen und Hemmungslosen wahrscheinlich erfolgreicher sein werden.“ Denn, so Hayek in seinem Bestseller „Der Weg zur Knechtschaft“: „So wie der demokratische Staatsmann, der sich an die Planung des Wirtschaftslebens macht, bald vor die Alternative gestellt wird, entweder diktatorische Befugnisse zu übernehmen oder seine Pläne aufzugeben, so würde der totalitäre Diktator bald zwischen der Missachtung der allgemeinen Moral und dem Scheitern wählen müssen.“

Nebenbei: Die SED hätte spätestens wenige Wochen nach der Wiedervereinigung 1990 verboten werden müssen, allen Beteuerungen von Gysi und Konsorten zum Trotz, von nun an gute (UN-)Demokraten sein zu wollen. Ihr Vermögen hätte zur Finanzierung der Erneuerung der Infrastruktur in den neuen Bundesländern dienen, oder einem ähnlichen guten Zweck zugeführt werden können. Dass das nicht geschah, hat viel damit zu tun, dass viele damalige angebliche Demokraten anderer Parteien bereits UNdemokraten waren und/oder eine klammheimliche prozedurale, wenn nicht gar ideologische Nähe zur Vor-Mauerfall-SED empfanden. Außerdem hatte die SED und ihre Stasi mit Sicherheit viele Entscheider und Machthaber im Westen der Republik aufgrund kompromittierender Informationen am Wickel. Dass es damals nicht zum Verbot kam, ist ein nicht unwesentlicher Grund dafür, dass auch Deutschland jetzt in den Totalitarismus abgleitet. 

Was wir in Deutschland beobachten, ist Teil eines globalen Trends. Der weltweit vorherrschende Korporatismus, die Verschmelzung von Wirtschaft und Staat, Mussolinis Definition von Faschismus, „entledigt sich der Simulation von Demokratie, die er nicht mehr aufrechtzuerhalten braucht“, so der amerikanische Buchautor C.J. Hopkins in einem kürzlich erschienenen Artikel bei „off-guardian.org“. Er nennt das System zwar Kapitalismus, meint aber Korporatismus. Wie auch immer: „Das globale ideologische System, in dem wir alle leben, wird totalitär.“

Hopkins muss es wissen, denn er hat den entstehenden neuen Totalitarismus am eigenen Leib erfahren – in Berlin, wo er lebt. Ich schrieb vor über einem Jahr hier auf Freiheitsfunken darüber, siehe Link unten. Er hatte es gewagt, in einem Buch mit dem Titel „The Rise of the New Normal Reich“, die Coronamaßnahmen der Bundesregierung zu kritisieren und sie mit totalitären Maßnahmen etwa der Nationalsozialisten zu vergleichen. Er wurde angeklagt und in erster Instanz, wenn auch sehr widerwillig von einer unwürdig herumkaspernden Richterin freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein; in zweiter Instanz wurde er schuldig gesprochen. Zuletzt war zu hören, dass Hopkins mit dem Fall vor das Bundesverfassungsgericht zieht. Wenn Freiheitsfunken-Kollege Michael Werner recht hat mit seiner auf reichlicher Praxiserfahrung fußenden Aussage, dass man in Sachen Meinungsfreiheit, wenn man sich wehrt, regelmäßig recht bekommt, darf Hopkins von der obersten Instanz einen Freispruch erster Klasse erwarten.    

Doch was hilft das, wenn die Hauptstrommedien darüber nicht berichten? Medien wie „Spiegel online“ etwa, die offenbar in einen Zustand autistischer Bewusstlosigkeit verfallen sind. So veröffentlichte jenes Organ am 20. März einen Leitartikel unter dem Titel „Die neue Schamlosigkeit“, dessen Teaser folgendermaßen lautet: „Seit Donald Trump in den USA regiert, fühlen sich Autokraten weltweit ermutigt. Nun hat der türkische Alleinherrscher Erdoğan der Demokratie in seinem Land einen womöglich tödlichen Schlag versetzt.“

Der Rest befindet sich hinter der Bezahlschranke. Was wollen wir wetten, dass der Autor, Maximilian Popp, über die kürzlich von der EU ausgehende Verfolgung und Ausschaltung des EU-kritischen Präsidentschaftskandidaten in Rumänien und die Aufhebung gar seiner Wahl in der ersten Runde kein Wort verliert? Angemessen kritische Töne über den Bundestagsputsch hört man in den Massenmedien ebenso wenig wie über das unwürdige Narrentheater mit Gysi.

Das gesellschaftliche Immunsystem gegen den Glauben an den Totalitarismus, gegen Realitätsverweigerung, gegen die Errichtung eines neuen „Turms zu Babel“, ist vor über einem Jahrhundert zusammengebrochen. Daher die wiederholten Anfälle seither von Kommunismus und Faschismus. Was hilft dagegen? Freiheitsfunken-Kollege Markus Krall schlug kürzlich in einem Interview vor, einen Prozess in Gang zu setzen, an dessen Ende eine gemäß Paragraph 146 Grundgesetz „von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlosse“ neue Verfassung steht. Nebenbei: Er wies im selben Interview darauf hin, dass allein solch ein Vorschlag schon den Verfassungsschutz auf den Plan rufen würde.  

Dieser Verfassungsschutz wird nach dem jetzt unausweichlichen Zusammenbruch genauso der Vergangenheit angehören wie das ganze System, dem er dient. Um dann die westliche Zivilisation oder ihre Entsprechung wieder aufzubauen, benötigen wir eine Rückkehr zu den oben genannten gesellschaftlichen Grundvoraussetzungen, die, historisch gesehen, zuverlässiger als alles andere skrupellose und hemmungslose Psychopathen von der Macht fernhielten.    

Quellen:

„Wir Wunderkinder“-Szene in der Redaktion nach Rückkehr des Filmhelden Hans Boeckel (Youtube, zwei Minuten ab der Zeitmarke)

„Wollt ihr die totalen Schulden?“ (Youtube, Interview von Benjamin Mudlack von der „Atlas Initiative für Recht und Freiheit“ mit Dr. Markus Krall)

 „The War on Whatever“ (C.J. Hopkins, off-guardian.org)

„Freispruch zwischen zusammengebissenen Zähnen“ (Robert Grözinger, Freiheitsfunken)


Sie schätzen diesen Artikel? Die Freiheitsfunken sollen auch in Zukunft frei zugänglich erscheinen und immer heller und breiter sprühen. Die Sichtbarkeit ohne Bezahlschranken ist uns wichtig. Deshalb sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Freiheit gibt es nicht geschenkt. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit.

PayPal Überweisung Bitcoin und Monero


Kennen Sie schon unseren Newsletter? Hier geht es zur Anmeldung.

Artikel bewerten

Artikel teilen

Kommentare

Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.

Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.