Political Correctness: Heute mal wieder kein Übermensch
Warum die Erwartungen an den Fußballer Antonio Rüdiger überzogen sind
von Oliver Gorus
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Antonio Rüdiger hat sich mal wieder danebenbenommen – und jetzt zerreißt sich alle Welt das Maul über ihn. Wer sich mit Fußball nicht auskennt: Rüdiger ist einer der besten deutschen Innenverteidiger und an guten Tagen einer der besten Verteidiger der Welt, also ein extrem guter Fußballer, gesegnet mit allem, was ein solcher braucht: Schnelligkeit, Größe, Kraft, Koordination, Zweikampfstärke, Kopfballstärke, Spielverständnis, Passgenauigkeit – außerdem ist er ein emotionaler Führungsspieler auf dem Platz, der sich kampfstark dazwischenwirft, einen enormen Siegeswillen besitzt, seine Mitspieler mitreißt und bis zur letzten Minute fightet. Jede Mannschaft profitiert von solchen robusten Alphatieren auf dem Platz.
Und manchmal profitiert sie auch nicht, sondern kassiert die negativen Auswirkungen der ansonsten positiven Verhaltensauffälligkeiten dieses Spielers. Jede Medaille hat zwei Seiten und man bekommt eben einfach wie bei allem im Leben nicht die Guthaben, ohne die Kosten abzuziehen. Nichts gibt es umsonst: Bei Rüdiger sind es emotionale Ausbrüche bis hin zu Unsportlichkeiten, Provokationen, Dummheiten. Der Typ ist einfach verrückt und manchmal dreht er durch.
Mehrmals provozierte er, indem er den sogenannten Tauhid-Finger, also den ausgestreckten rechten Zeigefinger, in die Luft reckte. Das ist ein muslimisches Erkennungszeichen, das sowohl von ganz normalen Mohammedanern gezeigt wird als auch von gewalttätigen Islamisten und Terroristen. Das Zeichen ist als Glaubensbekenntnis zu verstehen und symbolisiert sowohl die „Einheit mit Gott“ als auch die „Einheit Gottes“ – ist also sozusagen ein Zeichen des Monotheismus. Die ersten Worte des islamischen Glaubensbekenntnisses lauten: „Es gibt keinen Gott außer dem einzigen Gott.“ So etwa ist die Geste gemeint.
Das Problem dabei ist, dass dieses Bekenntnis sich unter anderem auch gegen die christliche Dreieinigkeit richtet: Die islamische Theologie versteht die islamische göttliche Einheit konträr zur christlichen Trinität, obwohl eine solche Opposition insofern überflüssig ist, da sich auch Christen (und auch Juden) als Monotheisten verstehen, also auch gar nichts gegen die Betonung der Einheit Gottes haben.
Wenn nun Rüdiger demonstrativ in den Social Media oder auf dem Fußballplatz den rechten Zeigefinger in die Höhe reckt, dann ist das aggressiv, provokant, unanständig, denn immerhin spielt er bei Real Madrid im christlichen Spanien, wo 73 Prozent der Einwohner und die satte Mehrheit der Fans von Real Madrid Katholiken sind. Aus meiner Perspektive ist Religion Privatsache und taugt nicht für öffentliche Kommunikation und schon gar nicht für Provokationen.
Ein andermal hatte Rüdiger nach einem umkämpften Champions-League-Spiel auf dem Platz beim Feiern des Sieges die „Kopf-ab-Geste“ in Richtung der gegnerischen Fans gezeigt. Er fuhr sich also mit dem Finger über den Hals, während er völlig irre glotzte und die Zunge rausstreckte. Wirklich wie ein komplett Wahnsinniger. Offenbar waren ihm in dieser Situation die Gäule durchgegangen, weil er während des Spiels von einigen Deppen im Publikum rassistisch beleidigt worden war. Rüdiger hat nämlich afrikanische Vorfahren und deshalb eine dunkle Hautfarbe. Rechtfertigt das ein solches Verhalten? Natürlich nicht. Fast jeder Kreisligaspieler mit dunkler Hautfarbe oder asiatischem Aussehen hat sich an gelegentliche Vorfälle von Alltagsrassismus gewöhnt und gewinnt lieber das Spiel, als sich mit Opfergetue aufzuhalten. Rüdiger kassierte vom europäischen Fußballverband Uefa für sein dämliches Theater zu Recht eine Geldstrafe und Sperre.
Bei einer anderen Gelegenheit leistete er sich ein völlig sinnloses Wortgefecht mit einem Fan beim Autogrammgeben und bezeichnete ihn als „Spasti“, also als behindert. Ist das dämlich, unverschämt, unreif, infantil? Aber sicher!
Auch auf Gegenspieler auf dem Platz geht er immer mal wieder lautstark los und er ist immer der Erste, der mitrauft, wenn es auf dem Platz ein Gerangel gibt.
Und nun, bei seiner jüngsten Entgleisung, drehte Rüdiger komplett durch, weil er die knappe Niederlage gegen die Erzrivalen aus Barcelona beim Finale des spanischen Pokals nicht verkraftete. Er schrie herum, beschimpfte dabei den Schiedsrichter als „Hurensohn“ und „Missgeburt”, wollte auf den Unparteiischen losgehen, wurde von Mannschaftskameraden zurückgehalten und an Dummheiten gehindert, die ihn seine Karriere gekostet hätten, warf Gegenstände in Richtung Schiedsrichter und benahm sich insgesamt wie ein Dreijähriger.
Nun erwarten ihn vermutlich eine deftige Geldstrafe und eine lange Sperre. Und das völlig zu Recht, denn ein solches Verhalten ist grob unsportlich und der Fußballverband muss auch seine Schiedsrichter vor solchen aggressiven Einschüchterungen schützen.
So weit, so ambivalent. Auf der einen Seite ist der Mann ein phantastischer Fußballer, auf der anderen Seite ein erbärmlicher Kasper und ein Enfant terrible, das vermutlich niemals ganz in den Griff zu kriegen ist. Er ist ja immerhin schon 32 Jahre alt, insofern ein eher erfahrener Fußballer, und erfahrungsgemäß lernt ein Sportler mit Anfang zwanzig ausreichend Impulskontrolle, um in Würde zu reifen. Bei Rüdiger sind da wohl Hopfen und Malz verloren. Und wer nun mal von Haus aus keinen Sportsgeist hat und darum nicht anständig gewinnen oder verlieren kann, hat einfach eine Charakterschwäche, die bleiben und sich in Extremsituationen immer zeigen wird.
Nun aber kommt die andere Perspektive: Derzeit wird die Political Correctness beim Fall Rüdiger ausgerechnet von vielen ins Feld geführt, die diese ansonsten verdammen, wenn sie von Linkskollektivisten kommt. Wenn es gegen den „Richtigen“ geht, scheint plötzlich der Zweck die Mittel zu heiligen. Dabei wäre es ein konsistentes Verhalten, entweder politisch korrektes und dem Mainstream angepasstes Verhalten von allen und jedem zu fordern oder diesen kollektivistischen Blödsinn komplett sein zu lassen. Ich plädiere dringend für Letzteres, allein schon mit Blick auf den gesellschaftlichen Frieden.
Etliche forderten nun allen Ernstes in den Social Media, Rüdiger dürfe nie mehr für die deutsche Nationalmannschaft auflaufen, weil er als Nationalspieler eine Vorbildfunktion habe und Deutschland repräsentiere. Und dazu sei er einfach nicht geeignet.
Hier springt die Politisierung des Sports an und ich muss unwillkürlich an die latent totalitäre Innenministerin Faeser denken, die sich bei der WM in Katar im schlechtsitzenden T-Shirt mit One-Love-Regenbogenbinde auf die Tribüne gesetzt hatte, um die Reichweite des Sports für ihre Ideologie zu instrumentalisieren. Ich assoziiere mit diesen elenden Mittelstrahl-Tugendsignalisierungsnormen im Sport auch die Schleimspuraktionen vieler Bundesligavereine, die gegen „Rechts“, gegen „Rassismus“ und für „Toleranz, Vielfalt und Diversität“ Regenbogenflagge zeigen und sich als gute Menschen positionieren, anstatt sich einfach auf ihren Zweck und ihre Aufgabe zu konzentrieren: Fußball!
Ich frage mich, woher der Anspruch gegen Rüdiger kommt, er solle ein guter Mensch und Vorbild für die Jugend sein. Der deutsche Fußballverband DFB und der Nationaltrainer Nagelsmann können natürlich völlig frei entscheiden, ob sie Rüdiger wegen seines schlechten Benehmens nicht in der Mannschaft haben möchten. Aber ich als Fußballfan habe doch keinen nationalen Repräsentationsanspruch gegen einzelne Spieler! Und ich kann doch nicht von jedem Sportler verlangen, ein Vorbild zu sein. Ich halte einen solchen Anspruch für anmaßend und übergriffig.
Ja, es gibt immer wieder Sportler, die sich über ihre sportliche Leistung hinaus als Vorbild entwickeln. Max Schmeling war sicherlich ein solches, Fritz Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Michael Schumacher, Boris Becker, Steffi Graf, Dirk Nowitzki – sie alle hatten neben dem sportlichen Erfolg auch Eigenschaften, die junge Menschen bewundern und denen sie nacheifern konnten – Ausnahmesportler, Lichtgestalten. Aber in erster Linie ist das nicht die Aufgabe eines Sportlers. Die besteht zunächst einmalo nur darin, maximale Leistungen zu bringen und Wettkämpfe zu gewinnen.
Und die sportliche Leistung bleibt auch dann bestehen, wenn der Sportler menschlich ein Ausfall ist. Ja, gutes Benehmen ist nie überflüssig und immer wichtig. Ich würde mir als Mannschaftskamerad oder Trainer oder Gegner einen Typen wie Antonio Rüdiger auch gehörig vorknöpfen und würde mir solche Egotrips nicht bieten lassen. Aber manchmal ist es eben so, dass mit dem Genie auch der Wahnsinn kommt. Große Sportler wie John McEnroe, Éric Cantona, Roy Keane, Dennis Rodman, Stefan Effenberg, Paul Gascoigne und Oliver Kahn waren bisweilen ziemliche „Arschlöcher“, neigten zu unsympathischen Marotten, unnötigen Gewaltausbrüchen oder unfairen Attacken – die strafwürdig und mit Sperren, Geldstrafen und anderen Disziplinarmaßnahmen völlig zu Recht zu ahnden waren.
Aber ohne ihre Defekte waren diese Ausnahmekönner eben nicht zu bekommen. Und, ganz ehrlich: Ich will doch nicht nur aalglatte, immer disziplinierte, angepasste und hochanständige gute Menschen als Sportler. Wir brauchen doch auch die Durchgeknallten, Emotionalen, Verrückten. Jede Mannschaft braucht in seinen Reihen auch einen, der mal Ecken und Kanten zeigt. Wehrhaftigkeit bedeutet auch, nicht immer jedem zu gefallen.
Ich will einen Verrückten wie Rüdiger für seine Torheiten angemessen bestraft sehen – aber wer verlangt, dass ein solcher Ausnahmespieler nie wieder für Deutschland auflaufen soll, weil er nicht angepasst genug ist, der überzieht vollkommen, der stellt Political Correctness über den Leistungsgedanken des Sports, der stellt übergriffige charakterliche Ansprüche, die ein großer Teil der Sportler nicht erfüllen kann und muss. Und der moralapostelt bierernst, wo man einfach auch nur die Kirche im Dorf lassen und belustigt den Kopf über einen Typen wie Rüdiger schütteln könnte, über so viel Kindsköpfigkeit, und sich ansonsten anerkennend zurücklehnen könnte, wenn er wieder mal einen extrem schwierigen Zweikampf in verblüffender Weise für seine Mannschaft gewinnt.
Nur Kollektivisten wollen den totalen Supermenschen als Repräsentant der Nation, der ihre eigenen Schwächen vergessen macht. Individuelle Freiheit zu gewähren beginnt beim Differenzieren: sportlich top, menschlich flop.
Kommentare
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