15. Mai 2025 06:00

Kapitalismus Besser als sein Ruf

Ein Wirtschaftssystem mit unbestreitbaren Stärken

von Olivier Kessler

von Olivier Kessler drucken

Artikelbild
Bildquelle: nuvolanevicata / Shutterstock Schreckgespenst eines Kapitalisten: Geldgierig, kaltherzig und rücksichtlos

Der Kapitalismus hat einen schlechten Ruf. Kapitalismuskritik gehört heute gerade in intellektuellen Kreisen zum guten Ton. Das liegt sicherlich auch an seinem Namen, die ihm sein Rivale Karl Marx aufgedrückt hat, was wohl eine der erfolgreichsten PR-Coups aller Zeiten war. „Kapitalismus“ impliziert eine Überhöhung von Kapital, worunter sich die meisten Geld vorstellen (obwohl Kapital ja vielmehr als nur Geld ist, zum Beispiel Werkzeuge und Maschinen). Der Begriff suggeriert fälschlicherweise, es ginge in dieser Wirtschaftsordnung alleine um die Anhäufung von Geld und nicht um den Menschen. Die meisten assoziieren den „Kapitalismus“ deshalb mit zwischenmenschlicher Kälte, Egoismus und Gier, wohingegen beim Begriff „Sozialismus“ vor allem an das Soziale, das Miteinander, das Altruistische gedacht wird, weshalb sich Letzterer intuitiv einfach besser anfühlt.

Die meisten Kapitalismuskritiker können den Kapitalismus allerdings nicht einmal korrekt definieren. Oftmals wird er mit dem Korporatismus verwechselt, einem System also, in dem „Big Business“ mit „Big Government“ zusammenspannt, um Macht und Geld bei einigen wenigen zu konzentrieren. Doch das hat mit Kapitalismus nichts zu tun. Was also bedeutet Kapitalismus überhaupt?

Der Kapitalismus ist per definitionem ein Wirtschaftssystem, in dem sich die Produktionsmittel nicht in staatlicher Hand befinden, sondern in privatem Eigentum. Das entscheidende Kriterium, um zu beurteilen, ob es sich bei einem System um ein kapitalistisches System handelt, ist, ob das Privateigentum vollständig geschützt wird oder nicht. Ein vollständig geschütztes Privateigentum hätte zur Folge, dass jeder Mensch als Zweck per se behandelt werden müsste und nicht als unfreiwilliges Mittel für einen Zweck anderer. Jeder Mensch hätte ein Abwehrrecht gegen andere. Sämtliche Angriffe auf Leib, Leben und Eigentum durch Mitbürger oder den Staat wären dann konsequent als Verbrechen zu ahnden und zu verfolgen. Eigentumstitel könnten nur auf freiwilliger Basis den Besitzer wechseln. Der erzwungene gewalttätige Besitzerwechsel wäre im reinen Kapitalismus illegal.

Ein vollständig geschütztes Privateigentum würde bedeuten, dass jeder Mensch vor dem Gesetz gleichbehandelt würde, unabhängig von seinem Geschlecht, seiner Rasse, seiner Ethnie, seiner Religion und weiteren Unterscheidungsmerkmalen. Es gäbe keine Sonderrechte für ein paar wenige Privilegierte wie zum Beispiel Immunität für Beamte und Politiker, Frauenquoten oder Bail-outs für Großbanken. Im reinen Kapitalismus würden Abwehrrechte durchgesetzt, nicht Anspruchsrechte.

Wenn jeder rechtmäßige Eigentümer die vollständige Verfügungsgewalt über seine Eigentumstitel hätte und nur durch die Eigentumstitel anderer eingeschränkt wäre, so wäre die daraus entstehende Wirtschaftsordnung eine freie Marktwirtschaft, in der Eigentumstitel friedlich im gegenseitigen Einverständnis ausgetauscht werden könnten. Die dem Kapitalismus entsprechende politische Ordnung ist der Liberalismus, in dem die Freiheitsrechte eines jeden geschützt sind, wie zum Beispiel die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, die Medienfreiheit, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Forschungsfreiheit. Es wäre zwar immer noch kein Paradies auf Erden, aber immerhin eine ziemlich humane Ordnung, in der jedes Individuum durch das Gesetz gleichermaßen geschützt und gleichbehandelt wird.

In keinem Land der Welt ist das Privateigentum zu 100 Prozent geschützt, weshalb wir festhalten können, dass es weltweit bislang kein einziges wirklich kapitalistisches Land gibt. Es gibt lediglich Länder, die kapitalistischer sind als andere, nämlich solche, in denen die Eigentumsrechte relativ gesehen besser geschützt werden. Gemäß dem Index für Eigentumsrechte belegt die Schweiz im Jahr 2022 hinter Finnland und Singapur den dritten Rang. Am stärksten bedroht war das Eigentum im selben Jahr in Haiti, Jemen und Venezuela. Die Länder mit den besten Positionierungen in diesem Ranking sind aber ebenfalls mit einer Fülle von eigentumsbeschränkenden Staatsinterventionen durchtränkt, weshalb es sich selbst bei den Spitzenreitern nur um semisozialistische Systeme und nicht um „kapitalistische“ Länder handelt. Es ist also unredlich, sämtliche dort auftretenden Probleme pauschal dem Kapitalismus in die Schuhe zu schieben, wie das leider immer wieder geschieht.

So werden etwa die immer wieder auftretenden Wirtschaftskrisen gerne dem Kapitalismus angelastet. Es heißt, der Kapitalismus fördere die Profitgeilheit und die grenzenlose Gier. Die Menschen könnten im Kapitalismus den Hals nicht vollkriegen und verspekulierten sich dann grandios, was wiederum die ganze Volkswirtschaft in Mitleidenschaft ziehe. Zu dem Zeitpunkt, in dem der Staat eingreift, um taumelnde Banken und Versicherungen zu retten, rufen Antikapitalisten jeweils genüsslich: „Seht ihr, wir haben es ja gesagt, dass der Kapitalismus nicht funktioniert, es braucht einen starken Staat!“

Doch es wird dabei verschwiegen, dass der Finanzmarkt einer der am stärksten regulierten Sektoren überhaupt ist. Das können Sie selbst überprüfen, indem Sie heute zum Beispiel ein Konto bei einer Bank eröffnen wollen und Ihnen der Bankberater entschuldigend unzählige Formulare unterbreitet, die er von Gesetzes wegen auszufüllen habe. Außerdem wird das Geld – das Blut in den Adern der Finanzmärkte – planwirtschaftlich durch eine politisch eingeführte Zentralbank kontrolliert, die mit dem Mittel des unlimitierten Gelddruckens die Konjunktur ankurbeln will, was rein gar nichts mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu tun hat.

Der Ökonom Ludwig von Mises hatte bereits vor über 100 Jahren aufgezeigt, dass die Inflationierung der Geldmenge durch die Zentralbanken zu Störungen im Wirtschaftssystem führt. Zunächst kommt es zu einem künstlichen Boom, in dem die Investoren durch falsche Preissignale fehlgeleitet und mehr Güter hergestellt werden, als von den Nachfragern tatsächlich gewünscht wäre. Wenn diese Fehlinvestitionen auffliegen, crasht die Wirtschaft. Insofern kann man sagen, dass wiederkehrende Wirtschafts- und Finanzkrisen dem Geldsozialismus anzulasten sind und eben nicht dem Kapitalismus.

Auch ist die Unterstellung falsch, der Kapitalismus führe zu mehr Gier und sozialer Kälte. Dass gewisse Personen gierig, rücksichtslos und asozial sind, ist eine menschliche Konstante. Diese unerwünschten Eigenschaften treten in allen Wirtschaftssystemen auf. Die Frage ist vielmehr, welches System diese menschlichen Schwächen am besten unter Kontrolle zu halten vermag. Und auch hier kommt nun eine der größten Stärken des Kapitalismus zum Vorschein. Der Kapitalismus hat den Vorteil, dass jemand seine allenfalls vorhandene Gier nur insofern ausleben kann, indem man anderen nützliche Produkte oder Dienstleistungen anbietet, die diese freiwillig kaufen. Man kommt also nur dann zu mehr Geld, wenn man anderen etwas Gutes tut.

Ganz anders in interventionistischen oder sozialistischen Systemen. Dort zählen vor allem die guten Beziehungen zu den politischen Entscheidungsträgern, die einem Privilegien verschaffen können, indem zum Beispiel Gesetze erlassen werden, die die einen übermäßig bevorteilen, während anderen die Kosten dafür auferlegt werden.

Vielleicht wäre es angebracht, dem Kapitalismus einen neuen Namen zu geben, damit die Leute seine Vorteile besser wertzuschätzen wissen und ihn nicht instinktiv ablehnen, weil sie dahinter eine Ordnung vermuten, die das Schlechteste im Menschen zutage fördert. Wie wäre es zum Beispiel mit „Voluntarismus“, was die Freiwilligkeit aller Handlungen betont? Oder ganz einfach mit „freie Marktwirtschaft“, „offene Gesellschaft“ oder „Liberalismus“?


Sie schätzen diesen Artikel? Die Freiheitsfunken sollen auch in Zukunft frei zugänglich erscheinen und immer heller und breiter sprühen. Die Sichtbarkeit ohne Bezahlschranken ist uns wichtig. Deshalb sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Freiheit gibt es nicht geschenkt. Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit.

PayPal Überweisung Bitcoin und Monero


Kennen Sie schon unseren Newsletter? Hier geht es zur Anmeldung.

Artikel bewerten

Artikel teilen

Kommentare

Die Kommentarfunktion (lesen und schreiben) steht exklusiv nur registrierten Benutzern zur Verfügung.

Wenn Sie bereits ein Benutzerkonto haben, melden Sie sich bitte an. Wenn Sie noch kein Benutzerkonto haben, können Sie sich mit dem Registrierungsformular ein kostenloses Konto erstellen.