Italianisierung in Südtirol: Los von Rom!
Der endlose Freiheitskampf der Südtiroler und die neuesten Warnsignale
von Oliver Gorus drucken

Seit Jahrhunderten kämpfen die Südtiroler um ihre Freiheit. Der moderne Abschnitt ihres Freiheitskampfes begann 1919, als ihr wunderschönes Land nach dem Ersten Weltkrieg Italien zugeschlagen worden ist, als Belohnung für den Kriegseintritt Italiens an der Seite der Alliierten.
Seitdem versuchen die Italiener Südtirol als ihre Provinz Alto Adige, also „das Land am Oberlauf der Etsch“, zu italianisieren. Die Faschisten unter Mussolini waren dabei brutal, viele Italiener wurden in der deutschsprachigen Provinz zwangsangesiedelt, um die deutsche Sprache und die Südtiroler Kultur zu verdrängen. Die deutschen Ortsnamen wurden getilgt, an den Schulen wurde Italienisch die einzige Unterrichtssprache, deutschsprachige Zeitungen wurden verboten, im Gerichtssaal durfte nur noch Italienisch gesprochen werden, in den Restaurants wurden die Speisekarten zensiert, deutsche Namen für ortstypische Gerichte wurden verboten.
Ganz bitter wurde es dann im Zweiten Weltkrieg. Mussolini und Hitler vereinbarten eine „Optionslösung“ für die Südtiroler: Sie hatten sich zwischen zwei Optionen zu entscheiden. Entweder sie entschieden sich für Deutschland oder für Italien. Die erstere Option bedeutete die Umsiedlung innerhalb des Deutschen Reichs. Allerdings war unklar, wohin genau die so genannten „Optanten“ ziehen sollten. Zwischenzeitlich war sogar die Krim im Gespräch. Die zweitere Option bedeutete die Unterwerfung unter die Zwangsitalianisierung, also die Aufgabe der deutschen Sprache und Kultur. Auch die Drohung einer Zwangsumsiedlung nach Sizilien stand im Raum.
Die natürliche Option, in ihrer Heimat wohnen bleiben zu dürfen und von den Nationalsozialisten im Norden und den Faschisten im Süden in Ruhe gelassen zu werden, existierte nicht. Fast neun von zehn Südtirolern entschieden sich unter Zwang bei einem Ultimatum von zwei Monaten für die erste Option als vermeintlich geringeres Übel: Verlust der Heimat, aber dafür der Erhalt ihrer Sprache.
Die „Optionslösung“ löste nebenbei eine tiefe Spaltung unter den Südtirolern aus, sie ließen sich gegeneinander aufhetzen. Die „Dableiber“ wurden als Verräter gebrandmarkt, drangsaliert und verprügelt, ihre Geschäfte wurden boykottiert, es gab sogar Brandanschläge.
Die Umsiedlung nach Deutschland gestaltete sich allerdings schwierig, zum einen hatte die Verwendung der Optanten als Kanonenfutter im Krieg Priorität, zum anderen ist es gar nicht so einfach, fremde Menschen Ortsansässigen aufs Auge zu drücken. Die Umgesiedelten mussten ja auch untergebracht werden und Arbeit finden, und damals gab es keinen umverteilenden Sozialstaat, der einfach dem ansässigen Volk das Geld wegnimmt und es unter Millionen Fremden verteilt, um sie zu versorgen.
Auch die Versteigerung des Besitzes der Auswanderer, das Zeitspiel der Bauern bei der Bewertung ihrer Höfe und der stille Bummelstreik der örtlichen Behörden zogen das ganze Projekt in die Länge. Die Beseitigung der störrischen Bevölkerung Südtirols geriet ins Stocken und misslang schließlich. Das Kriegsende rettete die Südtiroler Kultur.
Aber nach dem Zweiten Weltkrieg hörte die Verfolgung der Südtiroler nicht auf. Anstatt sich wieder an Österreich und damit an Nord- und Osttirol anschließen zu dürfen, um ein kulturell homogenes Bundesland bilden zu können, entschieden die Siegermächte anders: Der Kalte Krieg setzte ein und die Westmächte wollten verhindern, dass Südtirol unter sowjetischen Einfluss geriet. Die Wahrscheinlichkeit hielten sie im Falle Italiens für geringer als im Falle Österreichs, also verblieb Südtirol gegen den Willen der Bevölkerung bei Italien.
Zwar wurde zwischen Österreich und Italien ein Autonomieabkommen für die italienische Provinz Südtirol unterzeichnet, aber die Italiener schlugen dem Gebiet kurzerhand auch noch die Provinz Trient zu, sodass die Italiener im Autonomiegebiet die Mehrheit hatten, die Autonomie also keinen Pfifferling wert war. Die Zwangsitalianisierung ging weiter.
Die Südtiroler aber hatten nun endgültig die Nase voll. Der Widerstandsgeist des Bauernführers Andreas Hofers erwachte wieder. In den Fünfzigerjahren gingen sie zum bewaffneten Kampf über, bildeten eine Untergrundorganisation, den Befreiungsausschuss Südtirol, verübten Terroranschläge und setzten sich zum Ziel, die Freiheit mit Gewalt zu erringen. Zuerst richteten sich die Anschläge gegen die Infrastruktur wie zum Beispiel Strommasten, später dann auch gegen italienische Polizisten.
Die Abspaltung und Wiedervereinigung mit Österreich erreichten die Separatisten so nicht, aber es wurden auf Betreiben der Uno neue Verhandlungen aufgenommen und in den 1970er Jahren erhielt Südtirol ein neues Autonomieabkommen mit erweiterten Kompetenzen. Der Terrorismus verebbte.
Die fleißigen, geschäftstüchtigen und sturschädeligen Südtiroler schafften es in den darauffolgenden Jahrzehnten nicht nur, ihre Sprache und ihre Kultur zu bewahren und zu tradieren, sondern auch wachsenden Wohlstand zu erwirtschaften. Das gewisse Maß an Freiheit genügte, um das Land zu einer neuen Blüte zu bringen. Heute erwirtschaften die Südtiroler das mit Abstand höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von allen italienischen Provinzen. Die Lebensqualität ist höher als in jeder deutschen Region. Nicht auszudenken, was möglich wäre, wenn das Land eigenständig sein dürfte.
Wer aber nun glaubt, die Italiener würden die Südtiroler nun endlich in Ruhe lassen, irrt. Der Italianisierungsdruck ist durch die erstrittene Teilautonomie nicht mehr so stark wie vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, aber neuerdings geht es wieder schleichend los: In Südtirol gibt es eine Ansässigkeitsklausel, die bislang bestimmte, dass Italiener, die nach Südtirol ziehen, erst nach vier Jahren das Wahlrecht für den Südtiroler Landtag und ihre Kommune erhalten. Damit sollte verhindert werden, dass kurzfristig Zugezogene durch ihre Stimme die Zusammensetzung des Landtags und damit auch den Schutz der deutschen und der ladinischen Minderheit in Italien beeinflussen konnten. In den letzten zehn Jahren wanderten immer mehr Italiener nach Südtirol ein. Und jetzt setzte Rom durch, dass die Ansässigkeitsklausel von vier auf zwei Jahre verkürzt wurde.
Für die freiheitsliebenden Südtiroler ist das ein Warnsignal. Sie sind gebrannte Kinder und wissen, dass der Kampf um die Freiheit nie endet, weil die Feinde der Freiheit niemals lockerlassen. Die hören einfach nie auf. Die Freiheit schwindet, sobald sie nicht mehr aktiv erkämpft wird. Und das ist nicht nur in Südtirol so, sondern überall.
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