16. November 2025 18:00

Freiheit Wenn der Präsident zum Prediger wird

Der Glaube an die alten Eliten bröckelt

von Volker Ketzer drucken

Demokratie: Moralische Schwere einer Staatsrhetorik
Bildquelle: e-Redaktion Demokratie: Moralische Schwere einer Staatsrhetorik

Als der Bundespräsident die Republik zum Glaubensbekenntnis aufrief, klang Demokratie plötzlich wie eine Religion – mit Sünde, Erlösung und Exkommunikation.

Nur: In einer Republik braucht es keine Priester, sondern freie Bürger.

Frank-Walter Steinmeier hielt seine große November-Rede. Ein Datum der Mahnung, gewiss.

Doch wer genau hinhörte, hörte weniger Mahnung als Missionierung.

Er sprach nicht zu Bürgern, sondern zu Gläubigen.

Nicht über Freiheit, sondern über Feinde.

Nicht als Präsident, sondern als Prediger einer Staatskirche, deren heiliges Wort „Demokratie™“ heißt – aber deren Dogma längst Gesinnung ist.

Er warnte, er appellierte, er ermahnte.

Er sprach vom Kampf gegen „Feinde des Rechtsstaats“.

Und man merkte, wie das Schloss Bellevue zum Tempel wurde.

Wie die Würde des Amtes in moralischem Weihrauch verschwand.

Wie aus einer Nation von mündigen Menschen wieder ein Haufen schuldbewusster Bekenner gemacht wurde.

Die neue Liturgie ist bekannt:

Man soll „Haltung zeigen“, „aufstehen“, „klare Kante“ haben.

Alles klingt edel – bis man merkt, was es bedeutet:

Ein Land, das ständig Kante zeigt, verliert irgendwann seine Mitte.

Steinmeier sagt, die Demokratie müsse „wehrhaft“ sein.

Das klingt vernünftig. Aber was meint er wirklich?

Er meint: bestimmte Parteien, bestimmte Stimmen, bestimmte Themen – weg damit.

Ein bisschen Gesinnungspflege hier, ein bisschen Empörung dort.

Und fertig ist die neue deutsche Staatsmoral.

Doch ein Präsident, der Freiheit verteidigen will, darf sie nicht einschränken.

Er darf nicht sagen, wer dazugehört und wer nicht.

Er darf nicht aus dem Amt heraus Etiketten kleben und Menschen sortieren.

Denn dann steht er nicht über den Parteien – sondern mittendrin, mit einem Schild in der Hand.

Steinmeier redet, als sei das Land von Nazis umstellt.

Als würden jeden Abend neue Horden von Skinheads oder Reichsbürger-Putschisten durch deutsche Vorgärten marschieren.

Dabei weiß jeder, der mit offenen Augen lebt:

Das Problem ist nicht der braune Rand, sondern die graue Mitte der Macht, die längst verlernt hat, Kritik zu ertragen.

Das System, das sich „wehrhaft“ nennt, wird gerade ohnmächtig vor Widerspruch.

Es ruft „Gefahr!“, wo es schlicht Freiheit gibt.

Es ruft „Hetze!“, wo Menschen einfach anderer Meinung sind.

Und es ruft „Demokratie!“, wo längst Gesinnungspflicht herrscht.

Der Witz ist: Diese Art von moralischem Alarmismus verrät genau das, was sie zu verteidigen vorgibt.

Demokratie lebt von Reibung – nicht von Reinheit.

Von Widerspruch – nicht von Weihrauch.

Wenn der Präsident die Opposition zu „Feinden“ erklärt, dann löscht er den Streit, der Freiheit am Leben hält.

Dann wird der Diskurs zur Disziplin.

Ein Staat, der sich ständig selbst moralisch adelt, verliert irgendwann seine Würde.

Denn Würde braucht Zweifel.

Würde braucht Selbstbegrenzung.

Würde braucht den Mut, auch Unangenehmes zuzulassen.

Das Schlimmste ist nicht, dass Steinmeier das nicht weiß.

Das Schlimmste ist: Er weiß es genau – und macht es trotzdem.

Weil er spürt, dass die alte Deutungshoheit bröckelt.

Weil er merkt, dass die Menschen nicht mehr jeden Alarm glauben.

Weil er ahnt, dass der Wind sich dreht.

Darum diese Reden.

Darum diese aufgesetzte moralische Gravität.

Darum dieses ständige „Wir müssen…“ – als wäre das Land ein Volk von ungezogenen Kindern.

Doch man merkt es in der Stimme: Das ist kein Selbstbewusstsein.

Das ist Panik, die sich als Pathos verkleidet.

Die Wahrheit ist:

Nicht das Volk ist radikal – die Macht ist nervös.

Nicht die Bürger gefährden die Demokratie – die Bürokraten tun es,

die Politiker, die Journalisten, die Dauer-Pädagogen im Staatsfunk,

die glauben, sie könnten Meinungen kontrollieren wie die Mülltrennung.

Aber die Leute spüren, was los ist.

Sie merken, dass der Tonfall von oben schriller wird.

Sie merken, dass jede Abweichung sanktioniert wird.

Und sie merken: Wer so hysterisch predigt, der hat Angst, dass der Glaube bricht.

Und genau das ist die gute Nachricht.

Denn wenn der Prediger lauter wird, ist das die letzte Phase vor dem Schweigen.

Wenn der Präsident anfängt, zu missionieren, dann hat er das Vertrauen der Gemeinde schon verloren.

Der ganze moralische Apparat – Medien, Politik, Verbände – schleppt sich auf den letzten Metern seiner Glaubwürdigkeit.

Man hört es knirschen. Man sieht die Risse.

Und hinter all der Kanzelrhetorik wächst das, was sie am meisten fürchten:

eine stille, souveräne, freie Mehrheit, die sich nicht mehr schulmeistern lässt.

Steinmeier hat also recht – aber aus Versehen.

Ja, es ist ein Kampf um die Demokratie.

Nur führt ihn nicht das Schloss Bellevue, sondern die Straße. Die Werkstatt. Der Küchentisch.

Dort, wo Menschen längst begriffen haben, dass Freiheit kein staatliches Geschenk ist, sondern das Recht, dem Präsidenten zu widersprechen –

laut, klar, ungebeten.

Der Kampf, den Steinmeier führen will, ist in Wahrheit der letzte Kampf der Eliten gegen ihre eigene Bedeutungslosigkeit.

Und genau deshalb verlieren sie ihn.

Denn wenn der Präsident zum Prediger wird, dann ist das kein Zeichen der Stärke –

sondern das Amen vor dem Ende.

Steinmeiers Rede war keine Verteidigung der Demokratie, sondern ein Symptom ihrer Verengung.

Er predigt Gesinnung, weil ihm die Deutung entgleitet.

Doch das Volk hat die Predigt längst durchschaut –

und das ist das schönste Zeichen einer lebendigen Freiheit.

Bleib frei im Kopf.


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