Jahresende und gesellschaftliche Erschöpfung: Es wird still
2025 - Die Erschöpfung eines Landes
von Volker Ketzer drucken
Es wird still
Es gibt Jahre, die an einem vorbeifliegen wie Staub im Scheinwerferlicht. Und es gibt Jahre, die einen mit den Händen packen und schütteln, ohne zu fragen, ob man bereit ist.
2025 war kein sanfter Begleiter.
Es war ein Jahr, das uns nicht um Erlaubnis gebeten hat. Und jetzt, kurz vor seinem Ende, ist es plötzlich still geworden.
Die Art Stille, die man nicht planen kann – sie kommt, wenn der Lärm einfach aufgebraucht ist.
Was bleibt, wenn ein lautes Jahr verstummt?
Manchmal mehr, als man erwartet.
Die Erschöpfung eines Landes
Dieses Land ist müde geworden – nicht durch eine einzige große Krise, sondern durch ein permanentes Grundrauschen aus politischem Irrsinn, steigender Inflation, Forderungen, Vorschriften und Erwartungen.
2025 hat sich nie eine Auszeit genommen. Immer brannte irgendeine Debatte, immer gab es eine neue Dringlichkeit, die man angeblich sofort fühlen musste.
Ich erinnere mich an einen Abend im Frühjahr: Ich stand im Supermarkt an der Kasse, vor mir eine ältere Frau mit vielleicht zwanzig Artikeln. Als sie nicht mehr hinterherkam, die Waren wieder in ihren Wagen zu räumen, seufzte sie nur leise und sagte zu niemand Bestimmtem: „Ich kann nicht mehr.“ Kein Geschrei, kein Drama – nur dieses tiefe, ehrliche „Ich kann nicht mehr“.
In diesem Moment war mir klar: So fühlt sich das ganze Land an.
Die Menschen sind nicht nur politisch müde, sondern menschlich.
Nicht, weil sie zu schwach wären, sondern weil niemand dafür gemacht ist, dauerhaft im Alarmmodus zu leben.
Es ist eine seltsame Müdigkeit: Überforderung gemischt mit einer sehr klaren Ahnung, dass vieles nicht stimmt – und dass man trotzdem weiterfunktioniert, weil man muss.
Die stillen Verluste
Wenn ein Jahr laut ist, reden alle nur über die großen Katastrophen. Die stillen Verluste hört niemand. Und doch sind es oft die entscheidenden.
Wir haben die Leichtigkeit verloren. Früher haben wir über absurden Quatsch aus Berlin noch gelacht – heute nicken wir nur noch und ergeben uns in unser Schicksal.
Wir haben das Vertrauen verloren – nicht unbedingt in einzelne Personen, sondern in das Grundgefühl, dass irgendjemand noch eine Richtung kennt.
Wir haben die Ruhe verloren – dieses innere „Es wird schon“, das früher selbstverständlich war.
Irgendwann merkt man: Man schleppt mehrere Schichten Müdigkeit mit sich, und keine davon hat man sich ausgesucht.
Die stillen Gewinne
Doch 2025 war nicht nur Entzug. Es war auch Offenlegung.
Viele haben eine Klarheit gewonnen, die man nicht kaufen kann. Klarheit darüber, was wirklich wichtig ist. Wem man noch zuhört. Wofür man seine Zeit hergibt. Worauf man sich verlassen kann – und worauf definitiv nicht.
Manchmal muss das Leben laut werden, damit man seine eigenen Grenzen wieder hört.
Die vielleicht wichtigste Erkenntnis dieses Jahres: Man ist nicht so allein, wie man dachte. Überall sitzen Menschen, die dieselben Fragen haben. Dieselben Zweifel. Den gleichen Wunsch nach einem Leben, das einem wieder alleine gehört.
Zwischen den Tagen
Diese Tage zwischen Weihnachten und Silvester sind seltsam leer. Der Kalender behauptet, es sei eine ganz normale Woche, aber innerlich fühlt es sich an, als würde die Zeit kurz innehalten.
Die Straßen sind wie ausgeblasen. Die Push-Nachrichten schweigen. Zum ersten Mal seit Monaten liegt das Handy stundenlang unbeachtet auf dem Tisch. Man nimmt ein Buch zur Hand und stellt fest: Man kann noch lesen, ohne nach drei Seiten wegzudriften.
Es ist ein Moment ohne Druck. Ohne Termine. Ohne Lärm.
Ein Moment, in dem man merkt: Ich bin mehr als die endlosen Diskussionen dieses Jahres. Mehr als die Nachrichten, die mich müde gemacht haben. Mehr als die Erwartungen anderer.
Diese Stille ist nicht leer. Sie ist voll von dem, was übrig bleibt, wenn nichts mehr von außen an einem zieht.
Die kleinen Wahrheiten
2025 hat eine Wahrheit offenbart, die man nicht schönreden kann: Man kann nicht warten, bis die Welt gut wird, damit man selbst zur Ruhe kommt.
Man muss sich selbst eine Richtung geben – nicht im großen politischen Sinne, sondern in den kleinen, unscheinbaren Entscheidungen:
Wen lasse ich noch an mich heran?
Was ertrage ich noch?
Was lehne ich ab?
Was will ich nicht mehr erklären müssen?
Das sind winzige Entscheidungen. Aber sie verändern alles.
Kein romantischer Rückblick
Ich werde dieses Jahr nicht verklären.
Es war anstrengend.
Es hat zermürbt.
Es hat Nerven gekostet.
Es war voll von Dingen, die falsch liefen – und voll von Momenten, in denen man selbst besser hätte sein können.
Aber gerade deshalb war es ehrlich. Der Druck hat gezeigt, was nicht mehr funktioniert. Welche Gewohnheiten, welche Erwartungen, welche Illusionen abgefallen sind wie trockene Blätter.
Manchmal lernt man am meisten, wenn man genug hat.
Der Mensch am Ende des Jahres
Wenn das Jahr verstummt, bleibt der Mensch übrig.
Nicht der Bürger. Nicht der Steuerzahler. Nicht die Rolle, die man spielt, die Maske, die man trägt.
Sondern der Mensch, der da sitzt, kurz zwischen den Tagen, und sich fragt:
Bin ich mir selbst treu geblieben?
Bin ich klarer geworden?
Was möchte ich nicht mitnehmen?
Diese Fragen sind unbequem. Aber sie sind der Anfang von allem, was 2026 braucht.
Ein leiser Optimismus
Nein, die Welt wird im Januar nicht plötzlich heil sein. Der Staat wird sich nicht bessern. Die Politik wird nicht weiser.
Aber wir – wir können ruhiger werden. Klarer. Ehrlicher mit uns selbst.
Und das ist viel. Mehr, als man denkt.
Freiheit beginnt nicht mit dem großen Knall, sondern mit einem stillen Entschluss.
2025 war laut.
Aber das Ende ist leise. Und in dieser Ruhe zeigt sich etwas, das man im Lärm nicht hören konnte:
Wir haben mehr geschafft, als wir glauben.
Wir haben mehr ausgehalten, als wir mussten.
Und wir haben etwas wiedergefunden, das kein Jahr uns nehmen kann: Die Fähigkeit, neu anzufangen – ohne Erlaubnis, ohne Applaus und vor allem: ohne Angst.
Bleib frei im Kopf.
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