18. November 2025 18:00

Freiheit der Popkultur Robert Eggers

Ein visionärer Filmemacher und Beschwörer historischer Ästhetik

von Sascha Blöcker drucken

The Northman
Bildquelle: ChatGPT The Northman

„Hollywood sei kreativ am Ende“ ist einer der wohl am häufigsten vorgetragenen Vorwürfe der letzten Jahre, wenn das Gespräch auf Kino und Film fällt. Mehrfach beschwor ich hier bereits, dass dem nicht so ist, zumindest nicht in der Absolutheit, mit der es häufig dargestellt wird. Heute möchte ich Ihnen einen der besten „neuen“ Filmemacher vorstellen, den ich persönlich kenne und der in weiten Teilen mit dafür verantwortlich ist, dass ich positiv in die Zukunft von Film schaue. Die Rede ist natürlich von Robert Eggers. Mit nur vier Filmen hat er Maßstäbe gesetzt und eine Liebe zum Detail gezeigt, die im Zeitalter verschwommener CGI-Hintergründe wie das Licht am Ende des Tunnels wirkt.

Eine Ästhetik der Besessenheit und der historischen Beschwörung

Robert Eggers (1983) ist innerhalb eines einzigen Jahrzehnts zu einem der konsequentesten und radikalsten Autorenfilmer des gegenwärtigen amerikanischen Kinos geworden. Mit nur vier abendfüllenden Spielfilmen – The Witch (2015), The Lighthouse (2019), The Northman (2022) und Nosferatu (2024) – hat er eine Handschrift entwickelt, die sich so kompromisslos von der Masse abhebt, dass man sie fast schon als Gegenkino bezeichnen möchte. Sein künstlerischer Wert liegt nicht in erzählerischer Innovation im engeren Sinne und auch nicht in explizit politischen Statements, sondern in einer fast manischen Hingabe an historische Rekonstruktion, mythische Tiefe und eine Ästhetik des Unheimlichen, die allein aus der totalen Versenkung in vergangene Epochen und deren Dämonen entsteht.

Die Methode Eggers

Die Methode Eggers ist inzwischen legendär: Er arbeitet nicht mit Geschichte, er beschwört sie. Für The Witch ließ er die Dialoge aus originalen puritanischen Tagebüchern, Gebetbüchern und Hexenprozess-Protokollen des Jahres 1630 zusammensetzen und von einem Dialektcoach in das exakte Neuengland-Englisch jener Zeit übersetzen. Bei The Lighthouse stammen selbst die Flüche und Seemannslieder aus echten Logbüchern des späten 19. Jahrhunderts. The Northman entstand in enger Zusammenarbeit mit isländisch-Philologen, Wikinger-Archäologen und einem praktizierenden Schamanen, damit jedes Ritual, jedes Kettenhemd und jeder Todesgesang authentisch bleibt. Und Nosferatu ist keine bloße Hommage an Murnau, sondern eine pedantisch recherchierte Rückkehr zu den mittelalterlichen Vampirvorstellungen Osteuropas, zur Pest-Panik und zur voraufgeklärten Todessehnsucht des 19. Jahrhunderts. Diese Obsession ist kein akademisches Beiwerk. Sie ist das eigentliche Medium des Grauens. Nur weil wir spüren, dass jede Diele wirklich so geknarrt hätte, jedes Kleid wirklich so gerochen hätte, jedes Gebet wirklich so geklungen hätte, glauben wir auch an die Hexe im Wald, an den Seegeist im Leuchtturm, an die altnordischen Götter und an Graf Orlok als wandelnde Seuche. Eggers’ Historizität ist die Voraussetzung für die Wiederkehr des Mythischen. Alle vier Filme kreisen um ein und dieselbe anthropologische Grundfrage: Was passiert, wenn der Mensch mit Mächten konfrontiert wird, die älter, dunkler und mächtiger sind als seine Vernunft, seine Moral und sein Wille zur Selbstbestimmung? Der Puritanismus in The Witch erweist sich als hilfloser Exorzismusversuch gegen etwas, das schon immer da war. Die aufgeklärte Moderne in The Lighthouse zerbricht an der eigenen verdrängten Triebhaftigkeit und an archaischen Meeresgottheiten. Der Wikingerkodex in The Northman entpuppt sich nicht als heroische Freiheit, sondern als gnadenloses Schicksal, das Amleth wie eine Marionette durch Blut und Wahnsinn zieht. Und in Nosferatu steht die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts ebenso ratlos vor dem Vampir wie der mittelalterliche Aberglaube. Eggers zeigt immer wieder: Je vehementer sich der Mensch von Mythos, Aberglaube und Trieb zu emanzipieren versucht, desto brutaler holt ihn das Verdrängte ein.

Wie geisteskrank arbeitet Eggers?

Stilistisch verweigert er sich jeder zeitgenössischen Bequemlichkeit. Er dreht fast ausschließlich bei verfügbarem Licht – Kerzen, Öllampen, Mondschein –, nutzt extrem weitwinklige Objektive, die die Welt gleichzeitig riesig und erdrückend erscheinen lassen, und lässt die Kamera oft minutenlang reglos auf einem Gesicht oder einem leeren Raum verharren. Der Ton ist so präsent, dass man die Feuchtigkeit der Luft, das Salz auf der Haut, das Wispern des Windes körperlich spürt. Die Farbwelten orientieren sich an den Gemälden der jeweiligen Epoche: Rembrandt’sche Chiaroscuro-Dunkelheit in The Witch, die bleichen Grautöne Caspar David Friedrichs in The Northman, die giftigen Sepia- und Smaragdtöne expressionistischer Stummfilme in Nosferatu. Das Ergebnis ist ein Kino, das sich bewusst gegen die glatte, schwerelose Perfektion digitaler Blockbuster stemmt und stattdessen eine fast haptische, körperliche Unruhe erzeugt. Genau darin liegt sein eigentlicher künstlerischer Rang. In einer Ära, in der das Mainstream-Kino immer stärker auf Franchise-Logik, algorithmische Dramaturgie und CGI-Spektakel setzt, betreibt Eggers eine radikale Gegenbewegung – und das mit Budgets, die eigentlich für Superheldenfilme gedacht waren. Er nimmt Millionen Dollar in die Hand und macht daraus Filme, die sich anfühlen wie experimentelle Kunstwerke aus den 1970er Jahren. Er zwingt Hollywood-Stars wie Anya Taylor-Joy, Robert Pattinson, Willem Dafoe, Nicole Kidman, Alexander Skarsgård oder Lily-Rose Depp zu einer Intensität und Hingabe, wie man sie sonst nur bei Tarkowski, Bergman oder Herzog findet. Er beweist, dass man auch 2025 noch einen Film drehen kann, der zugleich archäologisch genau und zutiefst verstörend ist, ohne dass eines das andere verrät. Robert Eggers ist kein Geschichtenerzähler im klassischen Sinne. Er ist ein Beschwörer. Seine Filme funktionieren wie rituelle Ausgrabungen in die dunkelsten Schichten der menschlichen Kultur und Psyche. Er gräbt so tief, bis die alten Götter, die wir für tot erklärt hatten, wieder zu bluten beginnen. In einer immer stärker entmythologisierten, digital geglätteten und psychologisch verharmlosten Welt ist das nicht nur ein ästhetischer, sondern ein existenzieller Akt von höchster Brisanz. Sollte das Kino des 21. Jahrhunderts noch einmal die Kraft finden, mehr zu sein als bloße Unterhaltungsindustrie, dann wird es auch Filmemacher wie Robert Eggers brauchen: Regisseure, die bereit sind, sich besessen zu machen – von der Vergangenheit, vom Mythos und von der Dunkelheit, die immer noch in uns wohnt.

Für wen ist Eggers?

Eggers ist nahezu einzigartig, denn trotz seines für Hollywood untypischen Stils begeistert er das Publikum. Mich persönlich hat er damit in eine Welt entführt, von der ich nicht wusste, dass es sie gibt. Er ist allerdings auch nicht für jedermann das Richtige. Wer seinen Film acht Mal unterbricht, um ein Telefonat zu führen oder zu prüfen, ob irgendjemand den neuesten X-Beitrag gelikt hat, der wird es nicht schaffen, die von Eggers zur Verfügung gestellten Welten zu betreten. Es ist die Immersion, die sein Werk besonders macht, aber sie verlangt von dir, mein lieber potenzieller Zuschauer, auch etwas Hingabe. Wenn du immer wieder auf dein Handy schauen willst, weil dein von TikTok maltretiertes Gehirn nicht in der Lage ist, auch mal einen Moment der Stille und der eisernen Kamera zu ertragen, ja, dann versuch es gar nicht erst. Für dich werden Blockbuster gemacht. Denn in denen erklären die Filmemacher dir den Plot dreimal. Nur für dich, denn sie wissen, dass du die Aufmerksamkeitsspanne einer Fliege hast. Für alle anderen ist Eggers einen Versuch wert. Als Einstieg würde ich persönlich The Northman empfehlen. Er ist der wohl massentauglichste von allen seinen Filmen. Auch wenn ich persönlich The Lighthouse noch etwas besser finde.

Fazit

Eggers ist all das, was heute an Hollywood bemängelt wird, nicht. Dennoch kennen ihn sehr wenige.

Woran liegt das? Nun, kaum jemand kann noch Film schauen, anscheinend auch dann nicht, wenn wir aktuell bei der Entstehung einer möglichen zukünftigen Hollywood-Legende dabei sind. Sein nächstes Projekt macht mich ganz besonders glücklich, denn er nimmt sich die bereits tausendmal verfilmte „Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens vor. Ich liebe Weihnachtsfilme und ich liebe die Geschichte von Charles Dickens, und eventuell ersetzt er ja gar „Die Geister, die ich rief“ als meine liebste Interpretation dieser. Ich traue es ihm zu und bin bereits jetzt heiß auf die Nummer.

Nun gut, dann bleibt mir nichts weiter zu schreiben, als: Geben Sie Eggers eine Chance und danke für Ihre Lesebereitschaft.


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