12. November 2025 11:00

Krimi, Serie Serientipp für Krimifans: „Die Rote Königin“

Zwei „Sonderlinge“ lösen Sonderliches

von Axel B.C. Krauss drucken

Ein Gehirn mit einer roten Krone ficht mit einem anderen Gehirn auf einem Schachbrett
Bildquelle: e-Redaktion Ein Gehirn mit einer roten Krone ficht mit einem anderen Gehirn auf einem Schachbrett

Wie lebt man als Frau Mitte 30 mit einem Intelligenzquotienten von sagenhaften 242? Antonia Scott, so der Name der außergewöhnlich scharfsinnigen und begabten Dame, residiert in einer unmöblierten Wohnung eines Mietshauses, über dessen andere Bewohner man in der ersten Staffel der großartigen Serie „Reina Roja“, so der spanische Originaltitel, nichts erfährt – abgesehen von einem kecken Mädchen, das den 1,91 Meter großen, korpulenten Polizei-Inspektor Jon Gutierrez beim mühseligen Erklimmen der Treppenstufen zu Antonias Bleibe mit einem flapsigen Spruch begrüßt. Ihr ist sein Schnaufen und Schwitzen nicht entgangen: „Das liegt daran, dass du so dick bist!“, kichert sie. „Ich bin nicht dick“, obelixelt er zurück: „Ich bin kräftig“. Um dann mehr zu sich selbst hinterher zu flüstern: „Und jetzt geh scheißen, Göre“.

Das mag sehr uncharmant klingen, aber der Zuschauer wird Gutierrez im Laufe der sieben Folgen, aus denen sich die erste Staffel zusammensetzt, als gutherzigen Menschen kennenlernen, der gerade deshalb in seiner polizeilichen Arbeit regelmäßig in rechtliche Fettnäpfchen tritt. Der etwas bärbeißige, aber liebenswert kauzige und zuweilen lakonisch-sarkastische Ermittler hat den Auftrag, Antonia für einen rätselhaften Mordfall zu rekrutieren. Beauftragt wurde er von einem Mann namens „Mentor“ – dem Chef einer europaweit agierenden, geheimen Behörde, die verzwickte Fälle löst, an denen die normale Polizei verzweifelt. Antonia wurde aufgrund ihrer herausragenden mentalen Kapazitäten zur roten Königin gekürt: Sie ist, wie Mentor Gutierrez beiläufig erklärt, die wohl klügste Frau der Welt: „Es gibt keinen intelligenteren Menschen als sie“.

Offenbar doch. „Mr. White“, so der vorläufige Name eines kriminellen Masterminds, der von einem ähnlichen Mysterium umweht wird wie einst ein Professor Moriarty, der Erzfeind eines anderen brillanten Detektivs namens Sherlock Holmes, scheint etwas Besonderes mit Antonia vorzuhaben. „Intelligenter als du kann er ja wohl nicht sein“, frotzelt Jon, der sie zu diesem Zeitpunkt bereits ins Herz geschlossen hat. „Er ist klüger“, erwidert Antonia voller Angst. „Aber seine Intelligenz ist böse?“, fragt Jon. „Nein, sie dient nur anderen Zwecken. Gut und Böse sind Konzepte für Kinder“.

Was genau Mr. White ausbrütet, lässt die Serie bis zum Ende offen – klar ist nur, dass er Antonia aus der Versenkung holen wollte. Es scheint um einen Machtkampf zu gehen, einen Wettbewerb zwischen zwei außergewöhnlichen Denkern. Krimifans können sich also auf eine zweite Staffel freuen, die wahrscheinlich im Frühjahr 2026 erscheinen wird, vielleicht schon etwas früher. Bleibt zu hoffen, dass die Fortsetzung die hohe Qualität der ersten Staffel halten kann – Serien besitzen die unangenehme Neigung, mit zunehmender Laufzeit abzubauen, sofern sie den Fehler machen, eine eigentlich tolle Grundidee zu lange zu melken oder eine eigentlich in sich geschlossene Geschichte wieder aufzuwärmen, was schnell in die Beliebigkeit abdriften kann. Zuletzt konnte man dieses traurige Phänomen an der fantastischen Mystery-Serie „The Devil’s Hour“ studieren: Die erste Staffel war exzellent und begeisterte gerade mit ihrem offenen Ende, das dem Tenor, der sich konsequent und äußerst atmosphärisch durch alle Folgen zog, eine würdige, existenzphilosophisch melancholische Krone aufsetzte. Die zweite machte leider den Fehler, genau diese Stimmung dadurch zu zerstören, lediglich ein paar neue Figuren hinzuzufügen, um die Geschichte weiterführen zu können – mehr Komplexität bedeutet aber nicht automatisch mehr Spannung, und gerade die überzeugende Grundstimmung wurde durch den Versuch, gewohnten Serien-Gesetzmäßigkeiten zu genügen, so gut wie zunichtegemacht.

Warum Antonia nun unter Hunderten Kandidatinnen und Kandidaten herausstach, wird in einer ebenso pfiffigen wie witzigen Rückblende erzählt. In einem ersten Test wird ihr eine scheinbar einfache Frage gestellt: „Du befindest dich auf einer Bohrinsel. Eines nachts wirst du geweckt, da ein Öltanker außer Kontrolle auf die Bohrinsel zusteuert. Was tust du?“. Antonia überlegt nur wenige Sekunden, bevor sie fragt: „Wie lauten die geografischen Koordinaten der Bohrinsel?“. „Will die uns verarschen?“, fragt ein Assistent, der den Test durchführt, und wendet sich an Mentor. „Die ist doch ein Troll?“. Mentor gibt ihr die Koordinaten. „Wie lautet das Datum?“, fragt Antonia weiter. Es ist Januar, teilt ihr Mentor neugierig mit. „Ich tue gar nichts“, antwortet Antonia mit einem milden Lächeln. „Ich gehe wieder ins Bett und schlafe weiter“. „Wieso?“. „Wir befinden uns in der Arktis und es ist Winter. Ich glaube kaum, dass der Tanker sonderlich schnell fährt“. „Bumm!“, entfährt es dem Assistenten, der vor Verblüffung seinen Stift fallenlässt. „Ja, Bumm“, setzt Mentor nach. Da denkt jemand weit über das übliche Maß hinaus.

Die Serie basiert auf der gleichnamigen Romanvorlage des spanischen Autors Juan Gómez-Jurado, der zu den bekanntesten Schriftstellern Spaniens gehört. Viele seiner Bücher wurden bereits in 42 Sprachen übersetzt, und „Reina Roja“, im Deutschen auch als „Die Rote Jägerin“ bekannt, war einer seiner größten Erfolge. Es ist weniger die Geschichte selbst, die viele bekannte Motive des Genres aufgreift und ihren besten Momenten zumindest ein wenig an die psychologischen Abgründe eines „Sieben“ von David Fincher erinnert, sondern es ist die Erzählweise und vor allem das Spiel mit Klischees des „Buddy Movie“, das die Produktion aus der mittlerweile erdrückenden Masse an Krimiserien etwas heraushebt. Dafür sorgen vor allem die Darsteller: Victoria Luengo als Antonia Scott und Hovik Keuchkerian als Jon Gutierrez kannten sich vor Produktionsbeginn bereits aus anderen Projekten. Sie sind ein gut eingespieltes Team, was der Chemie zwischen ihren Figuren guttut.

Antonia löst Mordfälle nicht wie andere Ermittler: Ihre geschärfte Beobachtungsgabe sammelt alle verfügbaren Daten und konstruiert daraus im Kopf den Tathergang in Form eines virtuellen Szenarios. In ihrem ersten Fall nach langer Zeit werden Kinder prominenter Persönlichkeiten entführt und auf grausige Weise umgebracht. Der Täter gibt sich als „Ezekiel“ zu erkennen und hantiert dementsprechend hin und wieder gerne mit Bibelsprüchen – so weit, so aus anderen Thrillern sattsam bekannt, aber eine grundsolide, mit einigen originellen Einfällen gespickte Inszenierung sowie die urigen Dialoge zwischen Antonia und Jon trösten über das eine oder andere Krimiklischee hinweg. Schauspielerisch ist der Siebenteiler durchweg überzeugend besetzt, und allein die Szene, in der Antonias Vorstellungsvermögen nach einem Bissen der Kartoffel-Tortilla, die Jons Mutter gebacken hat, rustikale Kapriolen schlägt, ist das Einschalten wert.

Bis nächste Woche.


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