07. Dezember 2025 18:00

Freiheit Freiheit im roten Mantel

Verantwortung, Freiheit und der Mythos Nikolaus in der modernen Gesellschaft

von Volker Ketzer drucken

Nikolaus: Symbol für Freiheit und Verantwortung
Bildquelle: e-Redaktion Nikolaus: Symbol für Freiheit und Verantwortung

Der Dezember hat eine seltsame Art, die Menschen weich zu kochen. Plötzlich glauben alle wieder an „Gemeinschaft“, „Zusammenhalt“ und „Wir müssen füreinander da sein“ – dieselben Floskeln, die ein Jahr lang niemand lebt, aber pünktlich zum Advent wie die Packung Spekulatius aus dem Regal zieht.

Und mitten in dieses sentimentale Grundrauschen tritt ein Mann, der mit all dem nichts am Hut hat: der Nikolaus. Er lächelt nicht. Er umarmt nicht. Er singt keine Lieder. Er hat keine Agenda, kein Paket aus pädagogischen Empfehlungen, keine staatlich geprüften Wertebotschaften. Er hat nur eine Frage: Wie hast du dich verhalten?

Und damit ist er – ausgerechnet er – der freieste Mann des Dezembers. Während sich Ministerien seit Jahren abrackern, kübelweise Moral auf die Bürger auszuschütten, und Talkshows versuchen, ein Volk zu therapieren, zieht der Nikolaus schweigend durch die Nacht. Er braucht keine Pressekonferenz. Er braucht keine Legitimation. Er braucht nicht einmal ein Amt. Alles, was er hat, ist ein roter Mantel und der älteste libertäre Grundsatz der Welt: Du bist verantwortlich für das, was du tust.

In jeder Kultur, zu jeder Zeit, verstanden Kinder sofort, was Erwachsene heute nicht mehr begreifen wollen: Es geht nicht um Strafe. Es geht um Kausalität. Du handelst – das Leben antwortet. Du pfuschst – die Rechnung kommt. Du gibst dir Mühe – jemand sieht es. Ganz ohne Staat. Ganz ohne Kollektiv. Ganz ohne Ausrede.

Doch heute lebt der Nikolaus in einem Land, in dem Verantwortlichkeit wie ein Relikt wirkt. Ein Land, in dem Kinder schon in der Schule lernen, dass nicht sie für ihr Verhalten verantwortlich sind, sondern „Umstände“, „Systeme“, „Belastungen“, „Herausforderungen“. Das Vokabular der Moderne ist eine gigantische Ausrede. Und dann kommt der Nikolaus und sagt: „Nein. Du ganz persönlich.“ Man versteht, warum er so vielen unangenehm geworden ist. Der moderne Mensch erträgt die Wahrheit nur, wenn ein Sozialpädagoge sie in 14 weichen Sätzen verpackt. Der Nikolaus dagegen spricht in klaren Bildern. Stiefel. Nüsse. Mandarinen. Rute. Fertig. Mehr braucht man nicht, um eine Moral zu vermitteln, die härter und menschenfreundlicher ist als alle Handreichungen der Besserwisser.

Dass der Nikolaus immer mehr aus dem öffentlichen Raum verschwindet, ist kein Zufall. Eine Gesellschaft, die Eigenverantwortung nicht mehr aushält, löscht ihre Symbole zuerst. Man merkt es an den Eltern, die erklären, der Nikolaus mache Kindern „Angst“. Nein. Er macht ihnen Mut, weil er ihnen etwas zutraut, was der moderne Staat nicht mehr wagt: Autonomie. Der Nikolaus hält Kinder für kleine Menschen – nicht für Objekte pädagogischer Dauerbespaßung. Er unterscheidet nicht nach Herkunft oder Privilegien. Ihm ist egal, ob du reich bist oder arm. Er fragt nicht, ob du „im System vergessen wurdest“. Er schaut dich an, und er weiß, wer du bist. Was für ein Skandal in einer Zeit, in der Menschen sich hinter Strukturen verstecken wie hinter Gardinen.

Es gibt ein schönes, altes Bild: Nikolaus klopft an die Tür. Nicht unangemeldet – aber unangreifbar. Er kommt nicht, um Macht zu demonstrieren. Er kommt, um Verantwortung zu spiegeln. Er ist der letzte Erwachsene im Raum. Kinder wissen das intuitiv. Sie stehen nicht zitternd vor ihm, sondern stolz. Sie wollen gesehen werden – nicht entschuldigt. Und vielleicht ist das der Kern der ganzen Nikolausgeschichte: Freiheit beginnt mit der Bereitschaft, sich zeigen zu lassen. Zeigen, was man getan hat. Zeigen, was man versucht hat. Zeigen, wo man gescheitert ist – aber ohne Drama.

Im roten Mantel steckt ein uralter Archetyp: Der Mensch, der vertraut. Der Mensch, der urteilt ohne zu verurteilen. Der Mensch, der Verantwortung als Zuneigung versteht. Denn wer dich ernst nimmt, erwartet etwas von dir. Der Staat erwartet nichts mehr. Die Gesellschaft erwartet nur noch, dass du „mitfühlst“ und „verstehst“. Und gehorchst. Der Nikolaus erwartet, dass du handelst. Und es ist kein Zufall, dass dieses Prinzip in der Konsumgesellschaft plötzlich als „hart“ gilt. In Wahrheit ist es das menschlichste Prinzip überhaupt.

Vielleicht brauchen wir den Nikolaus deshalb dringender denn je. Nicht als Folklore, nicht als Foto-Event in Einkaufszentren, nicht als pädagogisches Abziehbild. Sondern als Erinnerung daran, dass Freiheit ohne Konsequenzen keine Freiheit ist, sondern Dauerbetreuung. Und jeder, der in diesen Tagen ein bisschen hellhörig ist, spürt es ohnehin: Das Land sehnt sich nach Klarheit. Nach Erwachsensein. Nach jemandem, der nicht päppelt oder erklärt, sondern einfach sagt: „Du kannst das. Aber du wirst an deinen Entscheidungen gemessen.“ Das ist keine Härte. Das ist Würde.

Der Nikolaus ist keine harmlose Adventsfigur. Er ist ein stiller Lehrer, ein roter Mantel der Wahrheit, ein freundlicher Spiegel der Freiheit, und vielleicht der letzte Mythos, der sich noch traut, dem Menschen die Verantwortung zurückzugeben. Nicht aus Strenge. Aus Respekt.

In einer Zeit, da digitale Welten uns von den Konsequenzen unserer Taten entkoppeln, wirkt der Nikolaus wie ein Anker der Realität. Er mahnt uns sanft, dass echte Veränderung nicht in endlosen Diskussionen, sondern in stillen Taten wurzelt – ein Prinzip, das in der Hektik des Alltags leicht vergessen wird, doch im Glanz der Adventskerzen wieder aufleuchtet. So verbindet er Vergangenheit und Gegenwart zu einem Band der Hoffnung, das uns lehrt, Verantwortung nicht als Fessel, sondern als Flügel zu sehen.

Und deshalb ist er auch heute noch der freieste Mann Europas. Er trägt die Freiheit nicht im Herzen. Nicht im Buch. Nicht in der Moral. Er trägt sie im Mantel.

Allen Lesern eine wunderschöne, gesegnete Adventszeit!

Bleib frei im Kopf.


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