Libertarismus: Plädoyer für mehr Zwiebelsuppe unter Libertären
Raus aus dem Wolkenkuckucksheim, rein in die Realität. Eine Antwort auf Julian Schloddarick.
Dass die Informationslage in diesem Land mittlerweile katastrophal schief hängt, ist keine Neuigkeit – das seit Jahren hörbare Lamentieren über die „Bildungsmisere“ ist zwar berechtigt, nur bemüht sich kaum noch jemand, ihr entgegenzuwirken. Und das nicht nur in der Schule. Die hochgradig gepanschten Weltbilder, vor allem wenn es um Politik geht, egal ob national oder international, schreien schon lange nach einer Entgiftungskur von billigem Fusel. Im Mainstream sowieso, das ist altbekannt – aber auch unter „Alternativen“. Spätestens seit 2016 scheint es leider auch unter Libertären Usus geworden zu sein, diversen Führerkulten um politische Gurus auf den Leim zu gehen und sich mit der äußersten Zwiebelschicht zu begnügen, statt die Schalen konsequent abzutragen und sie in Suppe zu schneiden, wo sie hingehören, um zu Kern vorzudringen. Geht es zum Beispiel um sogenannte „freie Unternehmer“ wie (den Staatsprofiteur) Elon Musk, ist zwar durchaus verständlich, warum gerade Libertäre solchen vorgeblichen Heldenfiguren schnell verfallen und glauben, diese würden nun die Welt vor dem politischen Erstickungstod retten.
Das Problem ist nur: Weder Trump noch Musk noch Milei sind als Libertäre anzusehen, und als Lichtgestalten noch viel weniger. Gerade was die ersten beiden betrifft, öffnet sich hier für Libertäre keineswegs ein Fenster, sondern eher ein dystopisches Bullauge.
Es ist natürlich keine Schande, auch mal mangelhaften oder bewusst irreführenden (Des)Informationen auf den Leim zu gehen, die heuer sintflutartig über Medienkonsumenten hereinbrechen, gerade auch im Internet und erst recht, wenn es um einen Trump oder Musk geht. Niemand kann alles wissen, das ist banal – allerdings schrumpfen die Möglichkeiten, sich noch damit herausreden zu können, es „nicht besser gewusst“ haben zu können, angesichts der Fülle an harten Fakten zu Figuren wie Donald Trump, dem Technokraten Elon Musk oder dem Blender Javier Milei ganz rapide. Ich selbst hatte vor einiger Zeit aus einer exzellenten Analyse von Mileis vermeintlich libertärer Politik zitiert, die dieses falsche Bild mit profundem Wissen, analytisch scharfsichtig und vor allem faktenreich widerlegte. Man mag sich über einzelne ihrer Kritikpunkte streiten, kein Problem – aber die völlig realitätsferne Dauer-Lobhudelei, die Milei zuteilwurde und wird, führt nicht nur in die Irre, sondern zeigt eben auch, dass die äußerste Epidermis einer Wunschzwiebel allein nicht satt macht. Wer das alles nicht zur Kenntnis nehmen will, bitte sehr – aber dann braucht man später nicht rumzujammern, zum x-ten Male auf irgendetwas oder jemanden hereingefallen zu sein, der sich – ganz große Überraschung – dann doch nicht als der von Anfang an fast schon mystisch überhöhte Oberguru erwies.
Dies gilt umso mehr für die Herren Trump und Musk, dessen Bild als „Retter“, „Befreier“ und dergleichen Blödsinn längst widerlegt wurde – ebenfalls sehr faktenreich. Seit vielen Jahren höre ich regelmäßig Klagen aus der libertären Szene Deutschlands darüber, dass man es so schwer hätte und kein Bein auf den Boden bekäme. Kein Wunder, da ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann, dass es viele Menschen gibt, die bereits viel besser informiert sind und deshalb angesichts der absolut ungerechtfertigten Schmetterchöre für solche Gestalten nur noch den Kopf schütteln. Auch dazu ein kleines Beispiel: Als Trump in gewohnter Manier großmäulig ankündigte, die Klimapolitik einstellen zu wollen, wurde – wie immer – viel zu vorschnell verzückt applaudiert, statt erst einmal nachzuschauen, ob dieses nach außen transportierte Bild überhaupt stimmt. Hat er sie wirklich beendet? Natürlich nicht. Also was tat Trump wirklich? Dazu muss man eben etwas tiefer in die Zwiebel schneiden:
„Während Trumps erster Amtszeit kam die offene Klima- und ESG-Agenda zum Stillstand, aber die Automatisierung selbst beschleunigte sich: Deregulierung, beschleunigter Ausbau der Rechenzentrumsinfrastruktur, KI-Initiativen auf Bundesebene und Beschaffungsreformen stärkten still und leise das digitale Rückgrat. Unter Biden kehrte die moralische Geschichte zurück – Klima, Gerechtigkeit und »unsere Demokratie« – und wurde einfach in dieselben Kanäle gegossen. Die eine Regierung verkauft die Architektur als »America First«, die andere als Schutz jedes Einzelnen. Strukturell funktioniert dies wie die Einführung desselben automatisierten Kontrollsystems durch zwei Parteien: Die eine baut die Maschine, die andere liefert die universelle moralische Nutzlast – die Wissenschaftsreligion im Stil von Paul Carus, die nun in Form von SDGs, ESG-Scores und KI-»Sicherheit« zum Ausdruck kommt. Tatsächlich wurden die Architektur und ihre Ethik voneinander entkoppelt und nacheinander eingesetzt: die Maschine durch Trump, das universelle moralische Rahmenwerk – die globale Ethik – durch Biden, um zu rechtfertigen, dass alle durch sie laufen.“ (aus: ESC, „Die Vorlage für den Friedensrat“, 25.11.2025).
Genauso ist es. Aber leider sucht man solche exquisiten und sehr fachkundigen Analysen in Deutschland vergeblich – man hat keine andere Wahl mehr, als ins Ausland zu schauen. Der Substack-Blog „ESC“, aus dessen Artikel obiges Zitat stammt, gehört übrigens zum Besten, was man derzeit online lesen kann. Allerdings hat er viel weniger „Follower“ als „Achtung, Reichelt!“ …
Was den ebenso wenig libertären Elon Musk betrifft, sei auch diesem Märchen hiermit abermals fachkundig der Garaus gemacht. Bitte sehr, frei Haus:
„Musk behauptet, ein »Verfechter der freien Meinungsäußerung« zu sein, zensiert aber gleichzeitig Menschen auf X. Er erklärt, dass X eine Social-Media-Plattform ist, die zwar »Meinungsfreiheit, aber keine Reichweitenfreiheit bietet«. Wer einen X-Account hat, kann auf dieser Plattform sagen, was er will, aber wenn seine »Reichweite« durch den X-Algorithmus eingeschränkt wird, haben andere X-Nutzer keine Möglichkeit, es zu lesen oder zu hören. Wie funktioniert diese Zensur? Um ein »Influencer« auf X zu werden, muss man entweder für dieses Privileg bezahlen oder vom X-Algorithmus genehmigt und aktiv gefördert werden. Das bedeutet, dass die Plattform für normale Menschen und kleinere unabhängige Journalisten eine Echokammer ist, es sei denn, X beschließt, ihre Beiträge zu fördern. Mit anderen Worten: X ist eine Maßnahme zur Kontrolle von Narrativen und eine Propaganda-Operation.“
Der letzte Satz ist pures Gold: Eine Maßnahme zur Kontrolle von Narrativen und eine Propaganda-Operation. Doch weiter im Text:
„Elon Musk ist ein Auftragnehmer für Verteidigung und Nachrichtendienste für den militärisch-industriellen Komplex der USA. Er hat Milliarden von Dollar an Schulden aufgenommen, um eine Reihe gescheiterter Geschäftsvorhaben zu finanzieren. Musk hält den Weltrekord für den größten Verlust eines Privatvermögens, als er Tesla-Aktien abstieß, um den Twitter-Deal zu finanzieren. Angeblich einer der reichsten Menschen der Welt, hat sein Kauf von Twitter und sein Bestreben, das Unternehmen in X umzuwandeln, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Thema der freien Meinungsäußerung gelenkt. Doch Musk hat es offenbar mit der Absicht gekauft, Beiträge darauf zu zensieren. […] In Zusammenarbeit mit Regierungen [hat man] Musk über Wasser gehalten, wenn seine Unternehmen zu scheitern drohten – oft durch die Bereitstellung enormer Steuersubventionen für seine spekulativen Ideen.“ (aus: Iain Davis, „Die Herstellung der extremen Rechten: Wer schüttelt das Glas?“, 27.9.2024).
So geht konsequenter Libertarismus. Kann es noch freiheitlicher werden? Wer anderen vorwirft, „Wolkenkuckucksheimer“ zu sein, sollte vorher bitte erst prüfen, ob er sich auch in einer Position befindet, die solche Äußerungen rechtfertigt. Wer ständig wehklagt, Libertäre hätten es schwer, darf sich dafür bei denjenigen bedanken, die den Ruf dieser Philosophie durch logisch konsistente, vollauf überzeugende und stimmige Argumentationen zu mehren wissen wie folgende:
„Staat ist Mist. Staat ist schlecht. Staat ist kacke. Staat ist böse. Staat ist schädlich. Staat ist abträglich. Staat muss unbedingt weg. Das predige ich als Libertärer seit Jahren. Nein, tut mir leid, da muss ich hart bleiben, diese Position ist unverhandelbar. Staat muss unbedingt weg … es sei denn, ein narzisstisch gestörter Selbstdarsteller wie Donald Trump mit einem schier unerschöpflichen Vorrat an Mackersprüchen, der sich von einem psychopathischen Menschenhändler wie Jeffrey Epstein jahrelang mit jungen Frauen »beliefern« ließ, wird von einer Handvoll Oligarchen, die sich für Demigötter halten, ins Weiße Haus finanziert, um ihre Agenda unter dem Deckmantel von »America First!« gnadenlos voranzupeitschen. Dann ist Staat wieder völlig in Ordnung.“
Dasselbe Elend bei der Migrationsagenda: Trump hätte die zügellose Einwanderung eingedämmt (die von seinen Vorgängern nicht ganz ohne Hintergedanken zugelassen wurde). Durchaus richtig. Aber warum? Aus purer Nächstenliebe zu seinen „Fellow Americans“ und aus Sorge um die USA? Aber nicht doch: Sondern um unter ihrem Deckmantel die „Digitale ID“ und möglichst lückenlose Erfassung und Überwachung leichter einführen zu können. Also genau dasselbe zu tun, was derzeit auch im Vereinigten Königreich geschieht und bald wohl auch in der EU droht. Doch lassen Sie uns solche kruden Überlegungen nicht in Erwägung ziehen: Als echte Libertäre, die wir sind, feiern wir lieber frenetisch jeden einzelnen Trojaner, der uns untergejubelt wird, und marschieren wir freiheitlich ins globale panoptische Technat.
Bis nächste Woche.
Quellen:
https://substack.com/profile/esc
https://www.iain-davis.com/die-herstellung-der-extremen-rechten-wer-schuettelt-das-glas
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