Gestahlfedert: XXX-Mas: Weihnachtszeit, Lügenzeit
Alle Jahre wieder tobt der Propagandakrieg
Wenn es auf Weihnachten zugeht, haben die Mythen Hochkonjunktur. Völlig klar, dass alle Seiten diese gerne für eigene Zwecke missbrauchen und dabei gerne auch mal verbiegen. Auch Libertäre sind davor nicht ganz gefeit! Daher wird es Zeit, mal mit drei Mythen aufzuräumen.
Eingeleitet wird die Winter- und Weihnachtszeit für mich gefühlt durch das Fest des Sankt Martin. Festgelegt auf den Tag der Grablegung des Martin von Tours, den 11. November, wird die Show in meiner Heimatstadt Köln vorsichtshalber ein wenig vorverlegt, um an diesem Datum nicht mit dem örtlichen Brauchtum des „besoffen die Straßen Vollkotzens und -pissens“ zu koinzidieren, also der Sessionseröffnung des Kölner Karnevals. Was okay ist, denn der eigentliche Todestag des heiligen Mannes war der 8. November, was wiederum mit meinem Geburtstag koinzidiert. So sind wir dann als Kinder in den zwei Tagen zwischen meinem Wiegenfest und Humba-Humba-Tätärää mit teilweise selbstgebastelten Laternen durch die umliegenden Häuser und Geschäfte gezogen, um arglose Menschen mit schiefem Gesang zur Herausgabe von Süßigkeiten zu nötigen.
Libertäre posten um diese Zeit gerne ein Meme mit der Aufschrift: „Sankt Martin war kein Sozialist – er teilte seinen eigenen Mantel!“ Nun ist das zwar großartig, doch leider nicht ganz wahr: Im Jahre 334, wo die Legende seiner Mantelteilung angesiedelt ist, war Martin als Soldat der Reiterei der kaiserlichen Garde im heute französischen Amiens stationiert. Der Mantel, den er mit dem nackten, frierenden Mann geteilt haben soll, war demnach Teil seiner Uniform und somit höchstwahrscheinlich nicht sein privates Eigentum, sondern „Eigentum“ des Imperium Romanum, also des Römischen Reichs 1.0 – Martin hat also vom Steuerzahler zwangsfinanziertes „Gemeineigentum“ teilverteilt. Was ihn tatsächlich von Sozialisten unterscheidet: Er hat dadurch einen persönlichen Nachteil erlitten, nämlich selbst nicht mehr optimal vor der Kälte geschützt zu sein, und vielleicht hat er auch vom Zeugwart einen auf den Deckel bekommen und musste das zerstörte Stück Staatseigentum aus der eigenen Kasse ersetzen. Insofern: Mittleres bis unteres Bullshit-Level.
Um den 6. Dezember herum geht der Spaß munter weiter, wenn Linksgrünwoke uns erzählen wollen, der heilige Nikolaus sei ein „Türke“ gewesen. Das ist – nett ausgedrückt – ein Anachronismus, aber treffender ausgedrückt kompletter Unsinn. Nikolaus von Myra lebte und wirkte ebenda und in Patara. Beide Ortschaften sind nur einen Steinwurf voneinander entfernt und gehörten Zeit seines Lebens – here we go again! – zum Imperium Romanum. Demnach war Nikolaus ein Römer, Ende der Durchsage. Beide Städte (oder das, was von ihnen noch übrig ist) liegen zwar auf dem heutigen Gebiet der Türkei, aber die gibt es erst seit dem 29. Oktober 1923. Also deutlich vor Nikolaus’ Zeit, so viel können wir gefahrlos festhalten. Insofern: Höchstes Bullshit-Level.
Last but not least wird auch der Heiland missbraucht: Alle Jahre wieder – und aus aktuellem Bezug insbesondere in diesem Jahr – hören wir, Jesus sei ein „palästinensisches Flüchtlingskind“ gewesen. Das ist so dumm und falsch, dass noch nicht einmal das glatte Gegenteil schlau und richtig wäre.
Zunächst einmal haben wir auch hier wieder einen Anachronismus, denn zur Zeit von Jesu Geburt gab es kein „Palästina“. Es war das Land der Juden und hieß „Judäa“. Im Jahre 132 probten die Juden den Aufstand (genannt „Bar-Kochba“) gegen die römische Besatzungsmacht, der sich über vier Jahre hinzog und brutalst niedergeschlagen wurde. Danach wurde Judäa von Kaiser Hadrian in „Syria Palaestina“ umbenannt, um die jüdische Bevölkerung zu demütigen, zu entwurzeln und den jüdischen Anspruch auf das Land zu untergraben. Mit durchaus einschlägigem Erfolg, der bis heute propagandistisch nachwirkt.
So, und jetzt müssen die Christen enorm stark sein: Die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten vorm Kindermord des Herodes hat nie stattgefunden, weil der Kindermord nie stattgefunden hat. Der ist genauso frei erfunden wie die Volkszählung, die Maria und Josef angeblich zur Registrierung nach Bethlehem getrieben hat. Die hat man nur erfunden, um Jesu Geburt nach Bethlehem umzulügen, weil dort laut jüdischer Überlieferung der Messias zur Welt kommen sollte, wohingegen einiges dafür spricht, dass Jeschua ben Josef, weltbekannt als Jesus von Nazareth – festhalten! – in Nazareth geboren wurde. Das hat man ihm sogar aufs Kreuz genagelt: „I.N.R.I.“ – „Iesvs Nazarenvs Rex Ivdæorvm“, also „Jesus von Nazareth, König der Juden“. Was die Juden weniger witzig fanden, denn warum sollten sie einen Hippie aus Nazareth als ihren Messias anerkennen?
Egal, nicht weiter schlimm, denn seine Anhänger haben dann ja ihren eigenen Laden aufgemacht, der bis heute mit großem Erfolg fortgeführt wird und kulturell eine Menge bewirkt hat, das meiste davon absolut brauchbar. Was beim dritten Derivat des monotheistischen Geschäftsmodells, entstanden rund sechshundert Jahre nach dem zweiten, aus gutem Grund angezweifelt werden darf.
Insofern: Allerhöchstes Bullshit-Level!
Nachdem wir das nun geklärt haben, wünsche ich allen meinen Lesern und auch allen Nichts-Lesern frohe Weihnachten. Mein größter Wunsch für alle: Werden Sie frei und unregierbar!
Eine kleine Werbung in eigener Sache sei mir gestattet: Am Erscheinungsdatum dieser Kolumne, dem 22. Dezember 2025, gibt es eine kleine virtuelle Weihnachtsfeier mit Live-Musik auf dem Youtube-Kanal „Anarcho Late Night“, wo ich so ziemlich jeden Montag einen festen Spot habe. Ab 20:30 Uhr live gestreamt und später jederzeit als Konserve abrufbar. Das Video gibt es hier: https://www.youtube.com/watch?v=Lv0H8MzZS7o
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