Immigration: Muss Markteinwanderung staatlich begrenzt werden?
Fokus muss auf produktiver Zuwanderung liegen
von Olivier Kessler
Wenn von „Markteinwanderung“ die Rede ist, ist damit gemeint, dass der freie Markt anstelle einer staatlichen Behörde die Zuwanderung steuert. Markteinwanderung bedeutet nicht, dass jeder ein Recht hat, einzuwandern und sich auf einem Grundstück seiner Wahl niederzulassen. Bedingung für eine Niederlassung auf dem freien Markt ist, dass diese im Interesse ansässiger Bürger ist. Der Nachweis eines solchen Interesses wird durch den freiwilligen Abschluss von Verträgen mit den Einwanderern erbracht. Konkret kann sich nur niederlassen, wer von einem ansässigen Haus- oder Grundeigentümer Wohnraum zur Verfügung gestellt bekommt – sei es in Form eines Miet- oder Kaufvertrags.
Auch ist eine Bedingung für die Marktzuwanderung, dass der Einwanderer einen gültigen Arbeitsvertrag vorweisen kann oder selbst als Unternehmer vor Ort eine Firma gründet, um wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen. Allenfalls hat er im Ausland bereits genügend Vermögen aufgebaut, sodass er gar nicht mehr zwingend arbeitstätig sein muss, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das spielt keine Rolle, solange der Zuwanderer niemandem zur Last fällt.
Marktzuwanderung und humanitäre Hilfe schließen sich nicht gegenseitig aus. Natürlich ist auch die Aufnahme von Flüchtlingen möglich, sofern sich dafür Personen oder Organisationen finden, die für diese Menschen bürgen, ihnen einen Ort zum Leben und die finanziellen Mittel für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung stellen. Dies hat auf freiwilliger Basis und unter Wahrung der Eigentumsrechte zu geschehen und darf keinen staatlichen Zwang involvieren. Nicht kompatibel mit einer freiheitlichen Ordnung ist ein System, in dem der Staat Menschen aus aller Welt aufnimmt und in eine Gesellschaft zwangsintegriert. Markteinwanderung beruht immer auf den Bedürfnissen von Einwanderern und Inländern, nicht auf staatlichen Kriterien.
Markteinwanderung führt dazu, dass es mehr Wettbewerb auf dem Anbieter- und dem Arbeitsmarkt gibt. Dies bewirkt, dass sich die Leistungen der Produzenten und Arbeitenden tendenziell verbessern, was zu qualitativ vorteilhafterer und kostengünstigerer Bedürfnisbefriedigung führt. Von diesem Anstieg der Lebensstandards profitieren Einheimische und Zugewanderte gleichermaßen. Beide kommen in den Genuss der Tatsache, dass sie mit ihrem Lohn mehr oder bessere Produkte erwerben können, die ihr Leben letztlich verbessern und komfortabler machen.
In der Tat erhöht sich aufgrund der Markteinwanderung die Nachfrage nach Leistungen wie etwa Bildung, Gesundheit oder Transport. Die Errichtung und der Betrieb von Infrastrukturen wie etwa Schulen, Spitäler oder Transportunternehmen schaffen neue Arbeitsplätze, um diese Bedürfnisse zu befriedigen – und dadurch neue Einkommen, die wiederum für zusätzliche Bedürfnisbefriedigung ausgegeben werden können und eine Wohlstandssteigerung für die ganze Gesellschaft ermöglichen. Tatsächlich ist im Zeitraum von 2002 bis 2019 die Erwerbsquote in der Schweiz in Vollzeitäquivalenten von 70,6 Prozent auf 72,6 Prozent angestiegen, für Arbeitnehmer ab Alter 55 sogar von 65,9 Prozent auf 76,0 Prozent, was die These eines Verdrängungseffekts auf dem Arbeitsmarkt eindeutig widerlegt. Die Arbeitsvertragsfreiheit in Europa sollte also differenziert betrachtet werden. Ihre bekannten regulatorischen Schwächen (die weitgehend hausgemacht sind, wie etwa die Wucherung allgemeinverbindlicher Gesamtarbeitsverträge) müssen von ihrem Grundsatz unterschieden werden.
Einwanderung kreiert also auch Jobs und führt nicht einfach dazu, dass den bisherigen Arbeitnehmern ihre Stelle „weggenommen“ wird. Die Wirtschaft ist keine Konstante mit einer gegebenen Anzahl von Arbeitsplätzen, die einfach verteilt werden kann, so wie es sich manche planwirtschaftlich denkenden Autoren vorstellen. Das wäre höchstens unter der unrealistischen Annahme der Fall, dass alle Menschen ihr Leben lang konstant dieselben Bedürfnisse hätten, sich mit einem absolut minimalen Lebensstandard zufriedengeben würden und die Anzahl der Menschen konstant bliebe. Doch die menschlichen Bedürfnisse sind weder eine Konstante, noch sind sie endlich. Sie sind vielmehr bunt und vielfältig. Nicht nur unterscheiden sie sich von Person zu Person und über den Zeitablauf hinweg, sondern sind genau genommen unerschöpflich und unendlich. Selbst wenn man an den Punkt gelangen würde, an dem alle Bedürfnisse aller Menschen irgendwie gestillt sind, so gäbe es auch dann immer noch Möglichkeiten, diese besser, schneller, kundenfreundlicher und umweltschonender zu erfüllen. Es gibt also immer Anlass für Verbesserungen und dadurch auch das Potenzial für neue Arbeitsplätze.
Es gibt keinen Grund, die Markteinwanderung zu fürchten. Vielmehr kann die Zuwanderung als Chance begriffen werden: Es sind neue Menschen mit neuen Bedürfnissen, die wiederum befriedigt werden wollen und dadurch neue Jobs schaffen. Natürlich wäre es falsch, dem Staat diese Bedürfnisbefriedigung zu delegieren – auch im Bereich der Gesundheit, der Bildung und der Infrastruktur nicht, denn dort, wo der Staat den Lead übernimmt, explodieren zuverlässig die Kosten, während die Qualität sinkt. Letztlich entstehen die besten Lösungen für alle Beteiligten, wenn die Wahlfreiheit und die Eigentumsrechte gewährleistet sind, damit ein fairer Wettbewerb um die Gunst der Kunden entstehen kann. Die Antwort auf „überfüllte Züge“ oder „Wohnungsknappheit“ besteht also nicht in einer weiteren staatlichen Förderung des öffentlichen Verkehrs oder des sozialen Wohnungsbaus, sondern in der Liberalisierung jener Bereiche, die sich heute in staatlicher Hand befinden oder kaputtreguliert werden.
Folglich können trotz des zusätzlichen Bedarfs an Infrastruktur die Steuern für alle gesenkt werden, weil sich das Steuersubstrat durch die zusätzlichen Einkommen erhöht und die Last pro Kopf abnimmt. Leider verschenkt die Schweiz aktuell diese Chance aufgrund der grenzenlosen Gier der staatlichen Bürokratie, der Aufblähung des Staatsapparats und der Automatismen eines reformbedürftigen Sozialstaats, die den Steuerzahler immer größere Summen kosten. Diese problematische Staatsexpansion ist jedoch kein Naturgesetz, sondern Folge einer undisziplinierten etatistischen Politik. Nicht die Markteinwanderung ist daran schuld, sondern der Mangel an einer guten Ordnungspolitik.
Marktzuwanderung bedeutet, dass produktive Zuwanderung nicht staatlich verhindert und – von den Ansässigen gewünschte – Einwanderung möglich wird. Diese Migration erhöht per se den Wohlstand im Zuwandererland, während die Regierenden des Landes, aus dem die Leute abwandern, angereizt werden, ihre politischen Rahmenbedingungen zu verbessern, um die Abwanderer von einem Verbleib zu überzeugen. Letztlich nützt auch dies wiederum der gesamten dort ansässigen Bevölkerung, wenn ihr Staat aufgrund der drohenden Abwanderung zu einem besseren Preis-Leistungs-Verhältnis gelangt. Die internationale Arbeitsvertragsfreiheit soll daher unter realistischen Bedingungen beibehalten und ausgedehnt werden.
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