24. Februar 2024 11:00

Ökonomie Wie Arbeitslöhne steigen

Kapitalinvestitionen versus Politik

von Karl-Friedrich Israel (Pausiert)

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Bildquelle: FamVeld / Shutterstock Ein Vollzeiteinkommen reicht heutzutage meist nicht mehr zum Leben: Damit fehlt zum Beispiel Zeit für die Kinder

Seit dem Aufkommen der marxistischen Ausbeutungstheorie gibt es das weitverbreitete Vorurteil, dass an ihr was dran sei. Arbeiter werden von Unternehmern und Kapitalisten ausgebeutet, weil sie ihnen systematisch zu niedrige Löhne zahlen. Aber was ist eigentlich zu niedrig? Wir hätten doch alle gern etwas mehr. Deshalb ist im Grunde jedes Lohnniveau zu niedrig, ganz egal, wie hoch es ist und wie schnell es wächst. Es könnte stets noch mehr sein.

Im ersten Band seines Hauptwerkes „Das Kapital“ kritisierte Marx den kapitalistischen Produktionsprozess und präsentierte seine weiterentwickelte Ausbeutungstheorie. Es ist ein erstaunlicher Zufall, dass dieses so einflussreiche Werk, in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts publiziert wurde (genau 1867). Marx’ Gedanken zur Ausbeutung der Arbeiterklasse wurden also geradewegs in eine Zeit hineingeboren, in der es sowohl rasantes Wirtschaftswachstum als auch massive Lohnsteigerungen gab. In den Vereinigten Staaten von Amerika, dort, wo zu jener Zeit die kapitalistische Produktionsweise fast in Reinform praktiziert wurde, sind zwischen 1860 und 1890 die Arbeitslöhne um 50 Prozent gestiegen und die durchschnittliche Arbeitswoche hat sich mehr verkürzt. Arbeitslosigkeit war höchstens ein temporäres Übergangsproblem einzelner Arbeiter. Die Inflation ist in dieser Statistik schon rausgerechnet. Aber damals gab es ohnehin tendenziell stabile bis fallende Preise. Über eine Generation hinweg sind die Reallöhne also um 50 Prozent gestiegen. Und trotzdem sind die marxistischen Vorurteile bis heute geblieben. Am wenigstens haben sie in den USA an Popularität gewonnen. Aber selbst dort gibt es erschreckend viele, insbesondere junge Menschen, die mit sozialistischen Ideen sympathisieren.

Betrachtet man die heutige Entwicklung der Arbeitsmärkte, ergibt sich natürlich ein anderes Bild. Die Reallöhne steigen nicht in dem Maße wie zur Zeit des klassischen Goldstandards. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass die Reallöhne heutzutage sogar sinken, auch wenn die offizielle Statistik etwas anderes suggeriert. Zwar sinkt die durchschnittliche Arbeitszeit pro Arbeitnehmer, aber das liegt schlichtweg daran, dass immer mehr Haushalte zwei Arbeitnehmer ins Rennen schicken. Statt von einem Einkommen zu leben, haben Haushalte heute oftmals zwei: ein Vollzeit- und ein Teilzeitarbeitseinkommen. In Deutschland hat sich zum Beispiel die Zahl der Vollzeitangestellten zwischen 1999 und 2019 fast nicht verändert. Die Zahl der Teilzeitangestellten ist aber um 68 Prozent gestiegen. Das senkt die durchschnittliche Arbeitszeit pro Arbeitnehmer, aber erhöht die durchschnittliche Arbeitszeit pro Haushalt.

Es wird also insgesamt mehr Zeit in Lohnarbeit verbracht. Und es bleibt weniger Zeit für all die anderen Dinge, die man auch tun könnte: Hausarbeit, Kinderbetreuung, Vereinstätigkeit, Ehrenämter, Freizeit. Sinkende Reallöhne, die für breite Bevölkerungsschichten Realität zu sein scheinen, kann man durch den Übergang vom Ein- zum Zweiverdiener-Haushalt kompensieren, aber nur auf Kosten von weniger Zeit außerhalb von bezahlter Lohnarbeit. Unter diesen Bedingungen wird die marxistische Ausbeutungstheorie wahrscheinlich noch attraktiver. Sie liefert eine einfache Erklärung: Es ist der globalisierte Kapitalismus, der die Menschen knechtet. Man kann ihm nur durch politische Kontrolle und Regulierung entgegenwirken.        

Es stimmt zwar, dass man dem Kapitalismus mit politischer Kontrolle und Regulierung entgegenwirken kann, aber will man das? Was kann die Politik realistischerweise tun, um das Lohnniveau und damit den materiellen Lebensstandard zu steigern? Im Allgemeinen nichts. Sie kann immer nur partiell einige ausgewählte Gruppen schützen und besserstellen, aber nur auf Kosten anderer. Erhöht der Staat durch Gesetze und Regulierungen die Kosten, die ein Arbeitgeber pro Arbeitnehmer tragen muss, so wird er tendenziell weniger Leute einstellen. Drückt der Staat das Lohnniveau durch Mindestlöhne nach oben, so steigt in der Tat der ausgezahlte Lohn für alle, die vorher unter Mindestlohn beschäftigt waren und danach weiterhin beschäftigt bleiben. Einige Arbeitnehmer werden allerdings aus dem Arbeitsmarkt gedrängt. Implementiert der Staat Zölle für bestimmte Güter, um die heimische Industrie vor ausländischer Konkurrenz zu schützen, so wird er die heimischen Angestellten in dieser Industrie vor Lohnsenkungen und Arbeitslosigkeit schützen. Die Reallöhne dieser Gruppe werden stabilisiert oder steigen sogar. Dies gelingt aber nur auf Kosten eines höheren Preisniveaus und damit niedrigerer Reallöhne für alle anderen.

Die Politik ist also im Wesentlichen eine Umverteilungsmaschine. Den einen wird was genommen, den anderen wird was gegeben. Das kann in bestimmten Fällen wünschenswert sein, aber das langfristige Wirtschaftswachstum und die damit einhergehenden Lohnsteigerungen über die gesamte Bevölkerung basieren nicht auf Umverteilung, sondern auf produktiven Kapitalinvestitionen. Das verfügbare reale Kapital – Maschinen, Werkzeuge, Infrastruktur, und vieles mehr – bestimmt die Produktivität der Arbeitskraft. Je höher die Qualität und die Quantität des Kapitals, desto höher die Arbeitsproduktivität und das Lohnniveau. Unser Lebensstandard wird bestimmt durch das, was wir an realen Gütern produzieren können.

Der Prozess der produktiven Kapitalinvestitionen, der die Grundlage für Wirtschaftswachstum schafft, wird allerdings systematisch durch die Politik torpediert. Dies geschieht nicht nur durch bestimmte Regulierungen, Steuern und Subventionen, sondern vor allem auch durch eine inflationäre Geldpolitik. Die kontinuierliche Inflation schafft ein Wirtschaftsumfeld, in dem spekulative Investitionen, die auf Preissteigerungen von Vermögenswerten setzen, attraktiver werden. Sie verdrängen zunehmend die produktiven Investitionen in den realen Kapitalstock. Wenn diese allerdings verdrängt werden, können auch die Löhne langfristig nicht mehr steigen.   

Israel, K.-F., & Schnabl, G. (2024). Alternative measures of price inflation and the perception of real income in Germany. The World Economy, 47(2), 618–636.


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