02. März 2024 11:00

Ökonomie Warum die optimale Kriminalitätsrate nicht null ist

Über Grenzkosten und Grenznutzen

von Karl-Friedrich Israel

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Bildquelle: Audio und werbung / Shutterstock Albtraum Einbruch: Wird sich leider nie ganz verhindern lassen – ebenso wenig wie andere Verbrechen

Wenn man normale Menschen fragt, „Was ist die optimale Kriminalitätsrate?“, bekommt man in der Regel die Antwort: „Null!“ Keine Kriminalität wäre doch eindeutig am besten. Jede Straftat verursacht Schaden für die Opfer (bei Rot über die Straße gehen zählt nicht). Es wäre am besten, wenn es diesen Schaden nicht gäbe. Diese Antwort ist nachvollziehbar und auf einer gewissen Ebene auch korrekt. Der Ökonom kann aber viel Aufsehen erregen, wenn er die ökonomische Brille aufsetzt und sagt: „Das ist Unsinn, die optimale Kriminalitätsrate ist auf jeden Fall größer als null.“

Wenn man noch einen draufsetzen will, sagt man die „sozial“ optimale Kriminalitätsrate. Das verleiht dem Ganzen noch mal eine andere Gewichtigkeit. Und wenn darauf ein „Häh, wie jetzt?“ folgt, kann der Grundlagenkurs Ökonomie beginnen.

Warum begehen Menschen Straftaten? Weil sie sich etwas davon erwarten. Sie glauben, in irgendeiner Form von der Straftat einen Nutzen für sich oder andere ziehen zu können. Man kann Kriminelle als rational handelnde Menschen verstehen. Sie wägen das Für und Wider ab. Natürlich gibt es auch blinde Zerstörungswut, die keine im engeren Sinne rationale Kosten-Nutzen-Abwägung zulässt. Aber selbst in solchen Fällen können wir in der Regel trotzdem darauf beharren, dass eine Art Bedürfnisbefriedigung durch die Straftat erreicht wird. Die Lust zu zerstören kann sehr verlockend sein. Und im Grunde besteht auch hier, wenn auch nur rudimentär, ein Abwägen der Kosten dieser Bedürfnisbefriedigung. Damit sind nicht zwingend monetäre Kosten gemeint, sondern Kosten jedweder Art, materielle und immaterielle. Böses geschieht vor allem dort, wo keine Konsequenzen zu befürchten sind.

Die Kernfragen zur Kostenabwägung sind: „Komme ich damit durch?“ und „Was, wenn nicht?“. Der Sachverhalt ist also wesensverwandt zum strategischen Kalkül eines Kindes, das der Mutter hoch und heilig versichert, die Mathehausaufgaben bereits gemacht zu haben, obwohl ... Jeder kann sich in solche Situationen hineindenken. Und es geht hier nicht darum zu sagen, dass Kriminelle wie Kinder seien oder andersherum. Sondern es geht darum zu erkennen, dass man Verhalten in allgemeineren Kategorien denken kann.

Will man nun bestimmte Verhaltensweisen verhindern, muss man die erwarteten Kosten dieses Verhaltens erhöhen. Das ist sowohl in der Kindererziehung als auch in der Kriminalitätsbekämpfung so. Das Problem ist aber, dass sich die Kosten nicht von allein erhöhen lassen. Es kostet etwas, die Kosten von Fehlverhalten zu erhöhen.

Wer ist schon bereit, das zu tun, was nötig wäre, um jedes Fehlverhalten seines Kindes zu verhindern? Niemand. Der Aufwand stünde in keinem vernünftigen Verhältnis zueinander, oder die Mittel, die man aufwenden müsste, wären selbst eine Straftat. Deswegen ist die „sozial“ optimale Menge an kindlichem Fehlverhalten auf jeden Fall größer als null. Und so ist es bei der Kriminalitätsbekämpfung eben auch.

Was können wir tun, um Straftaten zu verhindern? Wir können kontrollieren („Komme ich damit durch?“) und wir können Strafen androhen („Was, wenn nicht?“). Das sind die zwei Mittel, die uns in unterschiedlichsten Farben und Formen zur Verfügung stehen.

Wir können also entweder die Strafen oder die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, erhöhen. Das Erhöhen der angedrohten Strafe kostet zwar nichts. Es gibt aber so etwas wie eine moralische Grenze. Wo genau diese liegt, darüber lässt sich streiten. Die meisten würden sagen, dass sie bei Todesstrafe auf Ladendiebstahl überschritten ist. Das heißt, an dieser Schraube kann man ab einem gewissen Punkt nicht mehr drehen.

Dann bleiben also nur noch die Kontrollen und die Überwachung. Und die sind sehr kostspielig. Hier greift das allgemeine Ertragsgesetz der Ökonomie. Wenn sie einen Produktionsfaktor haben, den sie erhöhen können, während die komplementären Produktionsfaktoren konstant bleiben, dann wird der Grenzertrag ab einem gewissen Punkt sinken. Übersetzt: Wenn man die Kontrollen erhöht, stehen ab einem gewissen Punkt die Kosten nicht mehr im Verhältnis zum erzielten Ergebnis.

Das liegt vor allem daran, dass die Grenzkosten der Kriminalitätsbekämpfung steigen. Je mehr Ressourcen in die Überwachung und Kontrolle der Gesellschaft fließen, desto weniger Ressourcen bleiben für andere Zwecke übrig. Diese anderen Zwecke, die wir sukzessive aufgeben müssen, haben eine steigende Wichtigkeit: Wir geben zuerst die unwichtigsten anderen Zwecke auf und dann Schritt für Schritt immer wichtigere. Zum Beispiel wäre es denkbar, dass man zunächst beim Kultusministerium die Mittel kürzt, um mehr finanziellen Spielraum bei der Kriminalitätsbekämpfung zu schaffen (das wäre vielleicht sogar eine gute Idee). Die Kriminalitätsrate wird danach aber immer noch nicht auf null sein. Also müsste man vielleicht als Nächstes bei verschiedenen Infrastrukturausgaben kürzen und so weiter und so fort. Man wird irgendwann bei Dingen kürzen müssen, die schlichtweg wichtiger sind als Kriminalitätsbekämpfung. In diesem Sinne steigen die Grenzkosten der Kriminalitätsbekämpfung. Man könnte auch sagen, dass die Opportunitätskosten der zusätzlichen Kriminalitätsbekämpfung steigen.

Außerdem wird man, relativ zum zusätzlichen Aufwand, immer weniger Ergebnisse erzielen. Der Grenznutzen der Kriminalitätsbekämpfung sinkt also. Beginnt man mit der Kriminalitätsbekämpfung, wird man zunächst recht erfolgreich sein und relativ viele Straftaten verhindern. Je weiter man fortschreitet, desto schwieriger wird es, auch noch die restlichen Straftaten zu verhindern. Das liegt daran, dass manche Straftaten einfach schwieriger zu überwachen sind als andere. Man kann Kameras aufstellen und Polizeipatrouillen des Nachts durch die Straßen schicken, um Diebstähle zu verhindern. Aber kann man jeden Diebstahl oder kann man in jedem Fall verhindern, dass Menschen Drogen konsumieren? Nein. Würde man es versuchen, würde man mehr Schaden verursachen als abwenden. Men würde im kompletten Überwachungsstaat landen. Selbst die redlichen Bürger hätten keine Privatsphäre mehr.  

Deswegen ist die „sozial“ optimale Kriminalitätsrate nicht null, sondern auf jeden Fall positiv. Falls mal wieder ein höherer Beamter oder Politiker von einer „Nulltoleranzpolitik“ zum Beispiel gegen Clankriminalität spricht: Diskontieren Sie es als politisches Geschwätz ab. Erstens ist ganz offensichtlich, dass man nicht mit Nulltoleranz gegen Clankriminalität vorgeht. Zweitens könnte man es auch gar nicht, und es wäre, drittens, nicht wünschenswert. Es gibt eben nicht nur dieses eine Problem in der Welt, sondern viele andere, die im Zweifel auch wichtiger sein könnten. „Nulltoleranz gegen Clankriminalität“ ist ähnlich sinnlos wie „Zero Covid. Es ist alles eine Frage der Verhältnismäßigkeit.    


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