09. März 2024 23:00

Debatte um Arbeitspflicht Selektive Empörung über Zwangsarbeit

Situation in Gefängnissen wird oft übersehen

von Thorsten Brückner

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Bildquelle: DarSzach / Shutterstock Zwangsarbeit hinter Gittern: Auch in deutschen Gefängnissen

In drei ostdeutschen Bundesländern droht die CDU in diesem Jahr bei Landtagswahlen hinter die AfD zurückzufallen. Doch zumindest jetzt im beginnenden Frühjahr schaut es erst einmal so aus, als sei es der Partei gelungen, eine Trendwende herbeizuführen und den Kahn der öffentlichen Meinung in ein für sie wieder bespielbareres Fahrwasser zu lenken. Dabei haben Merkels Erben ausgerechnet Asylbewerber und Arbeitslose als Sündenböcke entdeckt, auf deren Kosten sie nun seit ein paar Monaten ihren Dauerwahlkampf austragen. Merz und Linnemann wissen genau: Je mehr sich Karl-Heinz Wutbürger über Bürgergeld-Gammler und faule Asylbewerber aufregt, desto weniger denkt er im Superwahljahr darüber nach, welcher Partei er Teuerung und Masseneinwanderung zu verdanken hat. Und je weniger er darüber nachdenkt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass der brave Karl-Heinz AfD wählt.

74 Prozent befürworten laut einer RTL/ntv-Umfrage aus dem vergangenen November die CDU-Forderung, Bürgergeld-Empfänger zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten. Und seit einigen Wochen fliegen der Partei in Gestalt ihres Kommunalpolitikers Christian Herrgott wieder die Herzen der Deutschen zu, weil der in seinem Thüringer Landkreis erst eine Bezahlkarte und nun auch noch eine Arbeitspflicht für Asylbewerber eingeführt hat. Vier Stunden pro Tag, 80 Cent pro Stunde. Hierfür sprechen sich laut Insa im Auftrag von „Bild am Sonntag“ sogar 82 Prozent der Deutschen aus. Nur zehn Prozent halten das für problematisch. 

Zu diesen zehn Prozent tendiere auch ich. Asylbewerbern wird der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt durch die Politik nämlich zunächst einmal künstlich versperrt. In den ersten drei Monaten dürfen sie gar nicht arbeiten, später ist die Arbeitsaufnahme enorm bürokratisch und zeitaufwendig. Bewohner von Sammelunterkünften (und um die geht es bei Herrgotts Plänen konkret) sind zumindest in den ersten neun Monaten vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Linke Kritiker sprechen sogar von Zwangsarbeit. Und tatsächlich geht eine Arbeitspflicht für Asylbewerber bei gleichzeitigem Ausschluss vom Arbeitsmarkt schon in diese Richtung. Bei einer, wie ebenfalls von der CDU geforderten Arbeitspflicht für Bürgergeld-Empfänger könnte man zumindest noch argumentieren, dass diese sich ja immerhin jederzeit beim Jobcenter abmelden und ihre Arbeitskraft frei anbieten könnten. Zumindest in der Theorie. Wie schnell durch eine Entscheidung der Politik, auf die man überhaupt keinen Einfluss hat, der eigene Job weg sein kann, hätte doch jeder zwischen 2020 und 2023 erkennen können. Tagtäglich macht der Staat Menschen durch den Entzug des Führerscheins oder anderer willkürlicher Lizenzen arbeitslos. Soll für diese Leute dann auch Arbeitspflicht gelten? Und dies für den 50-jährigen Familienvater, der 30 Jahre ins System zwangseingezahlt hat und nun als Selbstständiger bei schlechter Auftragslage ins Bürgergeld rutscht, weil er sich die Krankenversicherung für die Kinder nicht mehr leisten kann, gleichermaßen wie für einen alleinstehenden Iraker, der seit acht Jahren in Deutschland lebt und noch nie einer Beschäftigung nachgegangen ist? Wie war das noch mal mit Ungleiches ungleich behandeln? 

Besonders problematisch fände ich es, wenn die Weigerung zu arbeiten irgendwann in die Bewertung und den Ausgang des Asylverfahrens miteinfließen könnte. Spätestens wenn die Alternative für den Einzelnen ist: gemeinnützige Arbeit oder Deportation nach Eritrea, ist es keine Entscheidung mehr, die diesen Namen verdient. Wenn man sieht, wie sich hierzulande die Stimmung gegenüber Ausländern im Allgemeinen und Asylbewerbern im Besonderen in nur zehn Jahren komplett gedreht hat, halte ich ein solches Szenario, aus politischem Druck geboren, perspektivisch gar nicht mal für so unwahrscheinlich. Das Beschäftigungsverbot für Asylbewerber aus sogenannten sicheren Herkunftsländern ist ein solches Beispiel. Für Menschen aus diesen Ländern existiert de facto kein Individualrecht auf Asyl in Deutschland mehr. Und das nur, weil damals die Politik Druck aus dem Kessel lassen wollte. Wer kann schon bis zum Abschluss des Verfahrens vom eigenen Ersparten leben?

Überrascht war ich über die vereinzelten Zwangsarbeit-Vorwürfe dennoch. Denn einen wesentlich klareren Fall von Zwangsarbeit gibt es auch nach der Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland weiterhin. Nur regt sich komischerweise kaum jemand darüber auf und selten liest man in den Medien etwas darüber. Ich rede von Gefängnisinsassen, die für Hungerlöhne in Anstaltsbetrieben arbeiten. Nach wie vor gibt es in zwölf deutschen Bundesländern Arbeitszwang im Gefängnis, was sogar durch das Grundgesetz gedeckt ist. In Artikel 12 Absatz 3 heißt es: „Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.“ Übersetzt heißt das: Natürlich haben wir freie Berufswahl, und Zwangsarbeit ist falsch und unethisch, es sei denn, ein staatlich dazu ermächtigter Robenträger senkt vorher den Daumen. 

Die Konsequenzen für Arbeitsverweigerer sind dabei je nach Bundesland und sogar Einrichtung unterschiedlich. Doch sind überall disziplinarische Maßnahmen bis hin zum Arrest vorgesehen. Der perverse Gedanke dahinter: Häftlinge sollen für ihre Zwangsunterbringung auch noch bezahlen. Arbeitsverweigerern können sogar Haftkostenbeiträge in Rechnung gestellt werden. Problematisch ist dies besonders bei Häftlingen, die diesem repressiven Gefängnissystem wegen gewaltloser Delikte ausgesetzt sind. Neulich habe ich jemanden in der Brauerei am Nachbartisch erzählen hören, dass er im Gefängnis gesessen habe, nur weil er Haschisch geschmuggelt habe. Hat also keinem Menschen was zuleide getan, verliert dennoch seine Freiheit und wird dann sogar noch vom Staat gezwungen, für diese Freiheitsberaubung zu zahlen. Gleiches gilt für Menschen, die einsitzen, weil sie sich erdreistet haben, Teile ihres sauer verdienten Geldes vor dem deutschen Staat in Sicherheit zu bringen. Ganz zu schweigen von der Gott sei Dank immer noch überschaubaren, aber steigenden Zahl derer, die wegen Meinungsverbrechen in deutschen Gefängnissen Freiheitsstrafen verbüßen. Für den Staat, der einen verfolgt und einsperrt, auch noch arbeiten – eine entwürdigende Vorstellung. 

In den USA ist Zwangsarbeit in Gefängnissen seit 1865 Teil der Verfassung. „Weder Sklaverei noch Zwangsdienstbarkeit darf, außer als Strafe für ein Verbrechen, dessen die betreffende Person in einem ordentlichen Verfahren für schuldig befunden worden ist, in den Vereinigten Staaten oder in irgendeinem Gebiet unter ihrer Gesetzeshoheit bestehen“, heißt es im 13. Verfassungszusatz. Im besiegten Süden hat man schnell verstanden, sich die Formulierung dieses Textes zunutze zu machen. Man erfand die bizarrsten Delikte (Black Codes), die nur von Schwarzen begangen werden konnten (wie etwa einem Weißen „mit mangelndem Respekt zu begegnen“), verurteilte diese daraufhin rechtskräftig und schickte sie zurück auf die Baumwollplantagen. Was eben noch inhumanes Sklaventum war, wurde plötzlich zum respektierten Verfassungsrecht. Einige Staaten wie zum Beispiel Texas entlohnen Häftlinge für Arbeit hinter Gittern bis heute übrigens gar nicht. Andere Staaten zahlen zwischen ein paar Cent und 1,50 Dollar oder betreiben selbst heute noch „Convict Leasing“ unter anderem Namen. Eine moderne Form der Sklaverei. Der Prison-Industrial Complex ist eine Win-win-Situation für Staat und beteiligte Unternehmen. Crony Capitalism auf dem Rücken von Strafgefangenen. 

Wenn Gefangene nach Jahren das Gefängnis verlassen, droht ihnen, selbst wenn sie die ganze Zeit in der Einrichtung gearbeitet haben, die Armut. Ersparnisse konnten sie sich keine aufbauen, weil ihre Arbeitskraft vom Staat (in Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen) ausgebeutet wird. Und die Jobsuche fällt mit dem Stigma der Haft natürlich viel schwerer. Dass so viele Menschen in Deutschland immer noch automatisch davon ausgehen, dass jemand, der schon mal im Gefängnis gewesen war, schon zu Recht dort gewesen sein müsse, offenbart für mich Abgründe an Systemgläubigkeit. Ich denke, dass man da im Einzelfall sehr sorgfältig unterscheiden muss, da staatliche Schuldsprüche oft nicht den simpelsten ethischen Mindeststandards genügen. Niemand sollte wegen opferloser Verbrechen im Gefängnis sitzen. Und selbstverständlich muss es jedem freistehen, im Gefängnis eine Arbeit auch abzulehnen, wie dies in Frankreich, Spanien, aber auch in Brandenburg, Sachsen, Rheinland-Pfalz und im Saarland bereits der Fall ist.


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