05. April 2024 12:00

Weltliteratur Die Totalitären mitten unter uns

80 Jahre nach „The Road to Serfdom“ (Teil 14)

von Carlos A. Gebauer

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Bildquelle: Iven O. Schloesser / Shutterstock Warner und Mahner im Plandemie-Jahr 2021: Als rechte „Covidioten“ verunglimpft

Auf den ersten Blick könnte man das dreizehnte Kapitel der „Road to Serfdom“ als eine Auseinandersetzung mit Zeitgenossen des Jahres 1944 lesen, die ihre Bedeutung aus heutiger Sicht durch bloßen Zeitablauf verloren hat. Doch ein genauerer Blick auf die seinerzeitige Kritik Hayeks an den Arbeiten von John Maynard Keynes (1883–1946), Edward Hallett Carr (1892–1982) und Conrad Hal Waddington (1905–1975) macht deutlich: Hier ging und hier geht es um mehr als nur um die intellektuelle Widerlegung der Darstellungen eines Ökonomen, eines Historikers oder eines Biologen. Die Warnung vor den „Totalitären mitten unter uns“ ist ein Weckruf, dessen Bedeutung auch nach achtzig Jahren nichts an seiner Aktualität und Relevanz verloren hat. Ein Abgleich der damaligen analytischen Bestandsaufnahme mit der – aus heutiger Sicht historisch manifest gewordenen – Empirie macht dies nur allzu deutlich.

Hayek beginnt mit seiner zeitgenössischen Beobachtung, man wähne sich im England der 1940er Jahre ohne Grund vor genau jenen totalitären Strukturen sicher, die Deutschland zu dieser Zeit so fatal ergriffen hatten: „Wenn wir das nationalsozialistische Deutschland betrachten, so scheint uns ein so gewaltiger Abgrund zu trennen, dass nichts, was dort geschieht, zu irgendeiner möglichen Entwicklung in England in Beziehung gesetzt werden kann. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass vor fünfzehn Jahren nicht nur neun von zehn Deutschen selber, sondern auch die feindlich eingestellten Beobachter es für phantastisch gehalten haben würden, dass so etwas einmal in Deutschland passieren könnte.“

Doch im Abgleich der vormaligen Ausgangslage in Deutschland mit seiner konkreten Situation in England sah Hayek bereits bedenkenswerte Parallelen: „Die zunehmende Verherrlichung des Staates, die Bewunderung der Macht und der Größe um ihrer selbst willen, die Begeisterung für die ‚Organisation‘ von allem und jedem (heute Planung genannt) und jene ‚Unfähigkeit, irgendetwas der bloßen Kraft organischen Wachstums zu überlassen‘, fallen heute in England ebenso sehr in die Augen wie damals in Deutschland.“

Um seinen Lesern „einen angemessenen Begriff von dem erschütternden Eindruck zu geben, den man bei der Lektüre einiger englischer Werke“ gewinnen müsse, blickt Hayek zunächst auf Texte von Keynes und Carr. Keynes setzte sich beispielsweise im Jahr 1915 mit einem deutschen Autor auseinander, der beschrieb, wie „das Wirtschaftsleben auch [über das Ende des Krieges hinaus] im Frieden mobilisiert bleiben müsse. Mit dem Individualismus müsse völlig Schluss gemacht werden. Ein System von Regulierungen sollte geschaffen werden, dessen Ziel nicht die Steigerung des Glücks des Individuums sei, sondern die Stärkung der organisierten Staatseinheit zwecks Erreichung der höchsten Leistungsfähigkeit, die dem Individuum nur indirekt zugutekomme. Ausländische Kapitalanlagen, Auswanderung und jene Art der Industriepolitik, die in der jüngsten Vergangenheit die ganze Welt als einen Markt betrachtete, sind zu gefährliche Dinge. Die alte Wirtschaftsordnung, die heute stirbt, beruht auf dem Profit; das neue Deutschland wird jenem System des Kapitalismus ein Ende bereiten.“

Hayek zitiert diese Sätze aus einem Werk Keynes’ über die Kriegswirtschaft in Deutschland mit dem ergänzenden Hinweis, dass in dem Werk keine Stelle zu finden sei, „die nicht ihr Gegenstück in einem großen Teil der englischen Literatur der Gegenwart hätte“. Und er zieht daraus den Schluss: „Wie damals in Deutschland, so stammen auch in England die meisten Werke, die dem Totalitarismus den Weg bereiten, aus der Feder aufrichtiger Idealisten.“

Als weiteres Beispiel für eine allzu kritiklose Übernahme des destruktiven kollektivistischen Denkens führt Hayek anschließend Edward Hallett Carr an. Carr habe sich „offen als Anhänger der ‚historischen Schule‘ der Realisten bekannt, die in Deutschland zu Hause war und deren Entwicklung ‚an den großen Namen Hegel und Marx verfolgt‘ werden könne. [Dieser Schule zufolge müssten] die alten Moralanschauungen mit ihren ‚abstrakten allgemeinen Grundsätzen‘ verschwinden, weil ‚der Empiriker den konkreten Teil nach seinen Besonderheiten behandelt‘. Mit anderen Worten, nur die Zweckmäßigkeit zählt, und es wird uns sogar versichert, dass ‚der Grundsatz pacta sunt servanda kein moralisches Prinzip‘ sei. Wenn Carr behauptet, dass ‚wir heute in der den Denkern des 19. Jahrhunderts geläufigen Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Staat keinen rechten Sinn mehr entdecken‘,“ dann stellt Hayek dem zwei Fragen entgegen: „Ist er sich darüber klar, dass dies genau die Lehre Carl Schmitt ist und dass sie im Kern der Definition des Totalitarismus entspricht?“ Und: „Ist er sich ferner darüber klar, dass die Anschauung, nach der ‚das heute noch weit verbreitete Vorurteil gegenüber dem Wort Propaganda weitgehend dem Vorurteil gegen die Lenkung von Industrie und Handel entspricht‘, in Wahrheit eine Rechtfertigung für die nationalsozialistische Gleichschaltung ist?“

Der Historiker Carr ist in seinen Werken – zum Entsetzen Hayeks – sogar der Auffassung, Sowjet-Russland und Deutschland hätten den Wettstreit gegen freiheitliche Wirtschaftsordnungen gerade deswegen gewonnen, weil sie bewusst in die Richtung einer Schaffung größerer Einheiten mit zentralisierter Planung und Lenkung gedrängt hatten. Hayek notiert hierzu: „Die Entwicklung wird mit der ganzen Schicksalsgläubigkeit aller Pseudohistoriker seit Hegel und Marx als zwangsläufig hingestellt: ‚Wir wissen, in welche Richtung die Welt sich bewegt, und dem müssen wir uns beugen oder untergehen‘. Carr hat für alle Ideen der Nationalökonomen eine ebenso große Verachtung wie alle deutschen Schriftsteller, die wir im vorigen Kapitel angeführt hatten. Nach alledem nimmt es kaum mehr Wunder, wenn Carr frohlockt über den ‚Sinn und Zweck‘ des Krieges, den er als ‚das stärkste Mittel der sozialen Integration‘ bezeichnet.“

Im Anschluss an diese Zitate vielbeachteter britischer Denker dieser Zeit wendet sich Hayek dann der Frage zu, wer überhaupt die technische Umsetzung einer solchen „sozialen Integration“ des Individuums in eine zur Einheit verschmolzene Gesamtheit von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu bewirken imstande sein solle. Seine Darstellung liest sich mit einiger Beklemmung aus der Perspektive des Jahres 2024, nachdem die Periode seit 2020 angefüllt war von öffentlichen Aufrufen, „der Wissenschaft zu folgen“ und Expertenrat tunlichst niemals infrage zu stellen: „Vielleicht haben wir einen Zug der geistigen Entwicklung in Deutschland noch nicht genügend betrachtet, einen Zug, der jetzt in fast der gleichen Form in England auftaucht: Wissenschaftler, die für eine ‚wissenschaftliche‘ Organisierung der Gesellschaft Stimmung machen. Die Ungeduld mit dem Laien und die Verachtung für alles, was nicht von einem überlegenen Geist bewusst nach einer wissenschaftlichen Blaupause organisiert worden ist – das alles waren Erscheinungen, die man im öffentlichen Leben Deutschlands schon seit Generationen kannte. Die Beflissenheit, mit der sich dann die deutschen Gelehrten und Wissenschaftler fast ausnahmslos den neuen Machthabern zur Verfügung stellten, ist eines der erschütterndsten und beschämendsten Schauspiele in der ganzen Geschichte des Aufstiegs des Nationalsozialismus. Wir hatten bereits Gelegenheit, ein englisches Erzeugnis dieses Schlages zu erwähnen. Wir wollen hier eine Arbeit betrachten, die typischer noch und in weiten Kreisen bekannt geworden ist. C. H. Waddingtons kleine Schrift mit dem charakteristischen Titel ‚The Scientific Attitude‘ ist ein besonders gutes Beispiel für eine Literaturgattung, die sich der besonderen Gunst der einflussreichen Wochenschrift ‚Nature‘ erfreut und die nicht nur größere politische Macht für Wissenschaftler fordert, sondern auch gleichzeitig mit Begeisterung für totale ‚Planung‘ eintritt. Waddington ist sich darüber klar, dass die von ihm dargestellten und unterstützten Tendenzen zwangsläufig zu einem totalitären System führen, doch scheint er das der ‚heutigen wild gewordenen Affenhauszivilisation‘, wie er es nennt, vorzuziehen. Die Freiheit, so erklärt er, ‚ist für einen Gelehrten ein sehr unerfreuliches Thema, zum Teil deshalb, weil er letzten Endes nicht davon überzeugt ist, dass es so etwas gibt‘. Die ‚Hure der humanistischen Bildung‘, über die Waddington so viel Abfälliges zu sagen weiß, scheint uns gründlich in die Irre geführt zu haben, als sie uns Toleranz gelehrt hat! Wie in fast allen Veröffentlichungen dieser Art werden auch Waddingtons Überzeugungen durch seinen Glauben an ‚zwangsläufige historische Tendenzen‘ bestimmt.“

Doch nicht nur Wissenschaftler sind, den Beobachtungen Hayeks zufolge, der Versuchung erlegen, sich durch Anbiederung an die Machthaber vermeintlich welthistorisch zwingende Privilegien zu erdienen. Auch der Typus des Unternehmers lernt innerhalb kollektivistisch organisierter Staaten schnell, sich seine Vorteile zu sichern: „Es ist nicht verwunderlich, dass die Unternehmer gern beides genießen möchten, nämlich sowohl das hohe Einkommen, das die Erfolgreichen unter dem Wettbewerbssystem beziehen, wie auch die Sicherheit der Staatsbeamten. Gewiss mögen die Unternehmer während einer Übergangszeit ihre Erwartungen erfüllt sehen, indes werden sie schon bald – wie bereits ihre deutschen Berufsgenossen – erfahren, dass sie nichts mehr zu sagen haben, sondern sich unter allen Umständen mit der Macht und dem Einkommen begnügen müssen, die die Regierung ihnen zugesteht. Es sollte klar sein, dass zum Beispiel die höheren Löhne, die ein Monopolist bezahlen kann, genauso aus der Ausbeutung stammen wie sein eigener Gewinn und dass sie nicht nur alle Konsumenten, sondern noch weit mehr alle anderen Lohnempfänger schädigen. Ein Privatmonopol ist kaum jemals vollständig und noch seltener von langer Lebensdauer. Aber ein Staatsmonopol ist immer ein Monopol unter staatlichem Schutz.“

Doch über die Unternehmer hinaus sind als Wirtschaftsteilnehmer in einer solchen totalitären Organisation auch weitere Kreise strukturell korrumpiert. Die Verdrehung der eigenen Interessen erfasst selbst die Arbeiter und ihre Organisationen: „Es war der verhängnisvolle Wendepunkt in der neuesten Entwicklung, als die Arbeiterbewegung unter den Einfluss wettbewerbsfeindlicher Lehren geriet und sich selbst in den Kampf um Privilegien verstrickte. Das jüngste Anwachsen des Monopolismus ist weitgehend auf die bewusste Zusammenarbeit des organisierten Kapitals und der organisierten Arbeiterschaft zurückzuführen, durch die die privilegierten Arbeitergruppen an den Monopolgewinnen auf Kosten der Allgemeinheit und besonders der Ärmsten teilnehmen. Die Arbeiterführer, die heute so laut verkünden, ‚dass sie mit dem verrückten Wettbewerbssystem ein für alle Mal fertig sind‘, fällen damit das Todesurteil über die Freiheit des Individuums. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, entweder eine Ordnung unter der unpersönlichen Disziplin des Marktes oder eine vom Willen weniger Individuen beherrschte Ordnung, und diejenigen, die darauf ausgehen, die erste zu zerstören, helfen – wissentlich oder unwissentlich –, die zweite aufzurichten.“

Aus der Sicht des Jahres 2024 sind die Beobachtungen Hayeks nicht alleine deswegen erschütternd, weil die ganze Welt in den Jahren seit 2020 genau einen derartigen Exzess von Staatsmonopolen und gesellschaftlicher Zwangsorganisation im Namen einer selbstanmaßend zweifelsfreien Wissenschaft durchleben musste. Insoweit ist das gesamte Horrorszenario einer Verschmelzung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft unter der Leitung einer kleinen Anführergruppe gleichsam schockartig wahr geworden.

Dass die Analyse Hayeks allerdings nicht nur auf ein staatsrechtliches Krisenszenario zutrifft, sondern in der zwischenzeitlichen Entwicklung auch über das Ende des Nationalsozialismus am 8. Mai 1945 mit unerbittlicher Konsequenz valide war, mögen drei detailliertere Blicke auf die Zeit der real existierenden Deutschen Demokratischen Republik, auf den Augenblick ihres Zusammenbruchs und auf die anschließende selbstkritische Einsicht eines ihrer Hauptakteure erhellen.

Der österreichische Psychologe Paul Watzlawick überführte die scheinbar historisch zwingende Staatsführung durch Erich Honecker in Ost-Berlin in einem Beitrag über „Bausteine ideologischer Wirklichkeiten“ bereits 1979 mit seinem Hinweis auf eine Arbeit Martin Gregor-Dellins: „Ein faszinierendes Beispiel [für die scheinbare Lösung paradoxer Lagen] liefert Martin Gregor-Dellin in einer Studie über sozialistische Semantik in der DDR. Er analysiert eine Rede Erich Honeckers und stößt dabei auf den Satz ‚Das ist ein gesetzmäßiger Prozess, den unsere Partei auf lange Sicht plant und leitet.‘ Dazu führt Gregor-Dellin aus: ‚Hier verrät das Vokabular den Betrüger; es stellt den angeblichen Sachwalter der Gesetze als Manipulator bloß. Also werden Gesetze nicht, nach Marx, von den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten bestimmt, sondern von der Partei, die selbst die gesetzmäßigen Prozesse plant und leitet. Es ist mir nicht darum nachzuweisen, dass Honecker den Marxismus verrät. Das Beispiel zeigt nur, dass durch den Selbstlauf einer vom Intellekt kaum mehr kontrollierten Sprache hier plötzlich für eine Sekunde das Visier geöffnet wird. Was hervorblickt, ist der Zynismus des Zentralkomitees, in dem man sich längst darüber einig ist, dass Gesetzmäßigkeiten nicht eingehalten, sondern vorgeschrieben werden müssen.‘ Und doch, dem Gläubigen bleibt damit der Schein gewahrt.“

Der Mediävist und Linguist Horst Dieter Schlosser setzte sich bereits unmittelbar im Augenblick des Untergangs der DDR mit ihrer sprachlichen und gedanklichen Realität auseinander. In „Die deutsche Sprache in der DDR zwischen Stalinismus und Demokratie“ hielt er 1990 ebenso kleinteilig wie erhellend den unbedingten Willen der DDR-Administration fest, jedwede wirtschaftliche Tätigkeit der Bürger einer total überwachten Mikrosteuerung zu unterwerfen: „Dem ‚sozialistischen Wettbewerb‘ als diffizilem System zur Leistungssteigerung im DDR-Arbeitsleben konnte sich kaum jemand entziehen. Unter Federführung des FDGB [Freier Deutscher Gewerkschaftsbund] sollte der Wetteifer der Werktätigen zu einer koordinierten Übererfüllung vorgegebener Planziele gebracht werden. In diesem Zusammenhang wurde 1974 der Begriff des Gegenplans eingeführt, der grundsätzlich eine Selbstverpflichtung der Arbeitskollektive zur Überbietung von Planvorgaben enthalten sollte. Die persönlichen und kollektiven Leistungen wurden auf offiziellen Formularen abgerechnet, die unter anderem die Normerfüllung und ein Fehlerlimit in Prozentangaben, die Einsparung von Grundarbeitszeit, Grundmaterialkosten und Ähnliches in Markbeträgen, die Anzahl von eingereichten neueren Vorschlägen, die Auslastung der Grundmittel (etwa der Werkzeugmaschinen) in Zeitangaben enthalten mussten. Die Spezifik des DDR-Systems lag in der Einbindung aller Einzelpläne in eine volkswirtschaftliche Gesamtplanung, darüber hinaus in seiner steten Anbindung an die Ideologie eines veränderten gesellschaftlichen Bewusstseins der arbeitenden Bevölkerung und einer einheitlichen ‚sozialistischen Arbeitsmoral‘. Diese sollten auch anderen freiwilligen Leistungen zugrunde liegen, etwa im ‚Mach Mit!‘-Wettbewerb oder im Wettbewerb um den Titel ‚Bereich der vorbildlichen Ordnung, Disziplin und Sicherheit‘, womit oft nicht mehr gemeint war als die Beseitigung von Schmutz und Schutt auf Gehsteigen durch freiwillige Sondereinsätze der Anwohner. Viele echte freiwillige Leistungen erbrachte der DDR-Bürger jedoch in der Feierabendarbeit, in der er einen nicht geringen Teil des Volksvermögens schuf. Im Gegensatz zur westdeutschen Schwarzarbeit waren solche Tätigkeiten nicht rechtswidrig, sondern wurden sogar gefördert, weil sie auch öffentliche Arbeiten umfassten, die nicht im Plan waren.“

Günter Schabowski, der am 9. November 1989 in seiner legendären Pressekonferenz scheinbar unbedacht die Grenzen der DDR zum Einsturz brachte, resümierte zwanzig Jahre später in seinem Buch „Wir haben fast alles falsch gemacht“: „Macht bedeutet die Alleinherrschaft der Kommunisten. Schwächung, Gefährdung oder Infragestellung der Macht bedeutet Vergehen an der Menschheit, an ihren Interessen, am sozialistischen Ideal, an der Zukunft. Die rote Macht sah sich nicht nur von äußeren konterrevolutionären Feinden umzingelt. Sie hegte ein tiefverwurzeltes Misstrauen gegen die werktätigen Massen, die sie befreien wollte. Diese Mehrheit galt potenziell als anfällig für die materielle und geistige Verführung durch den Klassenfeind. Deshalb war die Diktatur des Proletariats eine über das Proletariat verhängte Beaufsichtigung. Da die Entwicklung in die klassenlose Zukunft nach bestimmten Gesetzen verläuft, so das dogmatische Paradoxon, konnten Fehl- und Rückschläge nur das Werk des äußeren Feindes im Zusammenspiel mit bewusster oder unbewusster Komplizenschaft der Bürger sein. Machtsicherung kulminierte folglich in Überwachungen, Verfolgungen und Verhaftungen.“

Die Worte Günter Schabowskis über konterrevolutionär induzierte Fehl- und Rückschläge der Macht, denen es zum Wohle einer uneinsichtigen Bevölkerung mit flächendeckender Überwachung und notfalls Verhaftungen Unwilliger zu begegnen gelte, erinnern nicht nur fatal an die ab dem Jahr 2021 weitreichend proklamierte, in Wahrheit aber kontrafaktische „Pandemie der Ungeimpften“. Der Ruf, die für Verführungen anfälligen Massen mit alleinherrschaftlicher Macht zu ihrem eigenen Glück zu zwingen, fand bekanntlich auf dem Höhepunkt der Pandemiebekämpfung gesellschaftlich wie medial erheblichen Anklang. Der selbst aus Ost-Berlin stammende Schriftsteller Thomas Brussig forderte am 9. Februar 2021 in der „Süddeutschen Zeitung“ drakonische Maßnahmen für die Volksgesundheit und überschrieb seinen Aufruf mit den Worten: „Mehr Diktatur wagen“. Der vielfach ausgezeichnete Intellektuelle formulierte: „Vermutlich haben die viel gerühmten ‚Väter des Grundgesetzes‘ in ihrem nachvollziehbaren Eifer, ein Bollwerk gegen eine Wiederholung der Nazidiktatur zu schaffen, vergessen, dass während einer Seuche die Ausübung von Grundrechten eine Gefahr für die Gesamtbevölkerung darstellen kann.“

Wo es einer Veranschaulichung bedarf, um den von Hayek warnend beschriebenen kollektivistischen Weg in die Knechtschaft durch unterwürfige Aufopferung des Individuums und Schaffung totaler technokratischer Machtstrukturen als überzeitlicher politischer Konstante zu beschreiben, da ist aus gegenwärtiger Sicht kaum möglich, ein besseres Beispiel zu finden: Die Totalitären, sie sind nach wie vor mitten unter uns.

(wird fortgesetzt)


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