Probe aufs KI-Exempel: ChatGPT als leistungsstarkes Recherchewerkzeug
… mit thematischen Einschränkungen – ein Erfahrungsbericht
von Axel B.C. Krauss
Der Hype um künstliche Intelligenz, mithin um die derzeit wohl bekannteste Software namens ChatGPT machte mich vergleichsweise spät neugierig: Bislang verließ ich mich immer noch auf die klassischen Methoden zur Recherche, also entweder auf die Online-Suche mithilfe themenbezogener Begriffe oder Begriffskombinationen oder auf die Lektüre entsprechender Sachbücher. Letzte Woche wollte ich dann aber doch mal einen Blick „unter die Haube“ werfen, weshalb ich einige Fragen vorbereitet hatte, von denen ich glaubte, die KI damit vielleicht ein wenig auf die Probe stellen zu können.
Manche der Fragen waren sehr einfach und es war mir klar, dass eine KI, die Zugriff auf riesige Datensätze hat, keinerlei Probleme haben wird, aus diesen Informationen die zur Beantwortung nötigen zu extrahieren und zu einem durchgehenden Text zusammenzufügen. Sie dienten mehr dem Test grundlegender Funktionen der Software. Andere Fragen hingegen entstammten geistesgeschichtlichen und naturwissenschaftlichen Randbereichen und waren von mir bewusst vage formuliert – eher in Form von Andeutungen –, sodass die KI die verwendeten Begriffe erst einmal sortieren beziehungsweise richtig auseinanderhalten, ihren jeweiligen Wissenskontexten zuordnen, dann nach Hintergrundinformationen suchen, daraus vergleichbare Vorstellungen „erraten“ und schließlich eine zusammenhängende, sinnstiftende Antwort erstellen musste.
Ich verwendete die kostenlose Version mit limitiertem Leistungsumfang („Eingeschränkter Zugriff auf fortschrittliche Datenanalyse, Datei-Uploads, Bilderkennung, Onlinesuche und individuelle GPTs“).
Was die einfachen Fragen betrifft, stellte ich der KI zum Beispiel folgende: „Wieso werden Menschen in unserem Bildungssystem nicht darüber informiert, dass es sich bei Zentralbanken um Instrumente finanztechnokratischer Machtausübung handelt?“
Antwort ChatGPT: „Es gibt viele Faktoren, die dazu beitragen könnten, warum bestimmte Aspekte der Funktionsweise von Zentralbanken nicht ausführlich im Bildungssystem behandelt werden. Hier sind einige mögliche Gründe“ – worauf mir vier mögliche Ursachen genannt wurden:
Erstens die Komplexität der Thematik („Die Rolle und Funktionsweise von Zentralbanken sind oft sehr komplex und technisch. Es erfordert ein gewisses Verständnis von Wirtschaft, Finanzen und Politik, um diese Konzepte vollständig zu erfassen. In Bildungssystemen kann es schwierig sein, diese Komplexität angemessen zu vermitteln, insbesondere in einem Lehrplan, der bereits mit vielen anderen Themen überladen ist“). So weit, so gut, aber auch sehr allgemein gehalten.
Zweitens „Lehrplanprioritäten“ („Oft konzentrieren sich Lehrpläne auf grundlegende Konzepte und Fähigkeiten, die als unmittelbar relevant für das tägliche Leben und die berufliche Entwicklung angesehen werden. Themen wie die Funktionsweise von Zentralbanken könnten als weniger relevant oder weniger dringlich angesehen werden“). In der Tat, ja. Das könnte man wohl so sagen. Die KI antwortete hier also erwartungsgemäß sehr sachlich. Ich hatte sie ja auch gar nicht darum gebeten, intuitiv die richtigen Schlussfolgerungen aus der historischen Genese unseres Schul- und Bildungssystems zu ziehen: Natürlich konzentrieren sich Lehrpläne auf die Produktion gut funktionierender Steuerbitches, die nur das lernen sollen, was wir wissen, was wir nicht wissen, um reiche Steuerernte einzufahren. Da könnte ein tieferes Verständnis der Funktionsweise von „Währungshütern“ durchaus hinderlich sein. Sarkasmus – auch dazu ist die KI leider noch nicht fähig.
Beim dritten der genannten Faktoren wurde es schon etwas interessanter: „Politische Einflüsse“ („Die Behandlung von Finanz- und Wirtschaftsthemen im Bildungssystem kann auch von politischen Erwägungen beeinflusst werden.“) Yeah, Baby. Nennt sich asymmetrische Informationsverteilung zur Absicherung von Machtverhältnissen. Möge der gemeine Steuerwollepflücker nie erfahren, wie man auf seine Person Schuldtitel zieht und die künftige Arbeitskraft schon heute in Form von „Sondervermögen“ verpfändet.
Als vierte mögliche Ursache wurde das unterschiedliche Ausbildungsniveau von Lehrkräften genannt. Schlussendlich wies mich die KI noch darauf hin, dass es wichtig sei, „anzuerkennen, dass Bildungssysteme nicht perfekt sind und dass es Raum für Verbesserungen gibt, insbesondere in Bezug auf die Vermittlung von Finanz- und Wirtschaftsbildung. Es gibt jedoch auch viele Ressourcen außerhalb des traditionellen Bildungssystems, die Menschen dabei helfen können, ein tieferes Verständnis für komplexe Themen wie die Rolle von Zentralbanken zu entwickeln.“
Okay. Dann lass mal hören. Meine nächste Frage lautete also: „Welche Ressourcen außerhalb des traditionellen Bildungssystems würdest du empfehlen, um sich umfassender über die Rolle von Zentralbanken zu informieren?“. Wohlgemerkt: außerhalb des „traditionellen Bildungssystems“. In diesem Fall versagte die KI leider vollständig. Die Antworten waren grotesk.
So wurde mir zum Beispiel ein Buch von Alan Greenspan genannt. Drollig. Hey KI, welche Bücher über die Mafia würdest du mir empfehlen? „Lies einfach den Bestseller von Don Corleone“. Witzbold. Doch es wurde noch lustiger, als mir „Akademische Artikel und Berichte“ empfohlen wurden. Original: „Die Websites von Zentralbanken wie der Federal Reserve, der Europäischen Zentralbank und anderen großen Zentralbanken veröffentlichen regelmäßig Forschungsarbeiten, Berichte und Erklärungen zu ihrer Politik und ihren Entscheidungen. Diese Ressourcen können oft tiefergehende Einblicke bieten.“
Mit anderen Worten: Die KI kommt leider noch nicht an den „Splitter im Kopf“ heran, an die juckende Stelle, die einem sagt: Irgendwas stimmt nicht mit der Welt …
Nun ja, es ist eben nur eine künstliche „Intelligenz“: Sie sucht Datenbanken nach den verfügbaren Informationen zu einem bestimmten Thema ab und generiert daraus Antworten. Auch Podcasts und Videos wurden mir zur Reintegration in die Matrix empfohlen, zum Beispiel die „Federal Reserve Bank of New York’s Educational Series“.
Vielleicht lag es auch an mir. Womöglich hätte ich noch genauere Fragen stellen sollen. Also schrieb ich: „Auf die Websites von Zentralbanken zurückzugreifen, wäre aus meiner Sicht unklug, da die Gefahr besteht, dass dort nur Inhalte veröffentlicht werden, die ihre Rolle in einseitiger Weise und zu positiv darstellen. Bitte nenne mir andere Quellen.“
ChatGPT: „Verstanden. Es ist wichtig, sich aus verschiedenen Quellen zu informieren, um ein ausgewogenes Verständnis zu erhalten. Hier sind einige alternative Quellen, die unabhängiger sein könnten“. Doch diese Quellen waren abermals so alternativ und unabhängig wie der deutsche „Ethik“-Rat der Bundesregierung: „Reputable Wirtschaftspublikationen wie ‚The Economist‘, ‚Financial Times‘, Bloomberg und Reuters bieten oft …“
Stopp. Jetzt sag mir bitte einfach, wo die versteckte Kamera montiert ist. Der „Economist“? Das Haus- und Hofmagazin der Finanztechnokraten? „Financial Times“? Sag mal, KI, sagt dir das Stichwort „Medienmatrix“ was? „Bloomberg“? Hallo, 100 Prozent Clubmitglied? Bitch, please. Immerhin teilte mir die Software mit, dass es auch „alternative Medien und investigativen Journalismus“ gebe. Gesagt, gefragt: „Bitte nenne mir einige Beispiele für die von dir genannten unabhängigen Autoren.“
Erst dann geriet die Schieflage in eine halbwegs aufrechte Position und es folgte eine Handvoll Autoren, die sich tatsächlich sehr kritisch mit der Rolle der Währungshütchenspieler auseinandersetzten. Man muss bei solchen Themen also sehr genau fragen und auch nachhaken, sonst werden nur Standardantworten geliefert.
Das zweite Fragenbeispiel ergab erfreulichere Resultate. Womit ich nicht gerechnet hätte – aufgrund der „Abwegigkeit“ der Thematik aus der Sicht herkömmlichen Denkens und der etablierten „Schulweisheit“. Das war dann doch eine positive Überraschung. Auch deshalb, weil es sich um vergleichsweise noch sehr junge Forschungsfelder handelt. Ich fragte: „Ich suche nach Literatur über mögliche Verbindungen zwischen antiken Mysterienreligionen und der modernen Quantenphysik.“
Antwort ChatGPT: „Das klingt nach einer faszinierenden Verbindung! Während es vielleicht keine direkten Verbindungen zwischen antiken Mysterienreligionen und moderner Quantenphysik gibt, gibt es einige Literatur, die mögliche Parallelen oder metaphorische Bezüge zwischen den beiden untersucht.“ Es wurden mir drei exquisite Bücher genannt: „The Tao of Physics“ von Fritjof Capra, „The Dancing Wu Li Masters“ von Gary Zukav und „Quantum Questions: Mystical Writings of the World’s Great Physicists“ von Ken Wilber.
Nun legte ich noch ein Schippchen drauf und ging „in medias res“. Wie oben bereits erläutert, verwendete ich dabei keine allzu genau definierten Fragen und Begriffe, um es der KI auch nicht zu einfach zu machen: „Wie würdest du die Vorstellung bewerten, dass der Gottesbegriff dieser antiken Mysterienschulen sich dadurch in die Sprache der modernen Quantenphysik übertragen ließe, es handele sich um eine Art von Bewusstseinsenergie, die durch Selbstbeobachtung beziehungsweise ‚-messung‘ aus dem Bereich der Nichtlokalität in die Lokalität, also eine konkrete Existenzialisierung/Manifestierung ‚kollabiert‘? Ließe sich damit das – aus meiner Sicht – vermeintliche ‚Paradoxon des intelligenten Beobachters‘ auflösen? So wie es der amerikanische Quantenphysiker und Philosoph David Bohm in Form seiner ‚kosmischen Wellenfunktion‘ angedeutet hatte?“
„Tja“, dachte ich, „diese Frage ist wirklich alles andere als einfach. Vielleicht kann ich die KI damit etwas länger beschäftigen. So schnell könne sie darauf erst mal keine Antwort finden.“
Falsch gedacht.
In weniger als fünf Sekunden erhielt ich eine in der Sache zutreffende und recht ausführliche Antwort: „Die Idee, den Gottesbegriff antiker Mysterienschulen in die Sprache der modernen Quantenphysik zu übersetzen, ist sicherlich interessant und regt zum Nachdenken an. In der Quantenphysik gibt es Konzepte wie die Nichtlokalität, die darauf hinweisen, dass sich Partikel auf eine Weise verhalten können, die außerhalb unserer klassischen Vorstellung von Raum und Zeit liegt. Die Idee, dass Bewusstsein oder eine Art von Bewusstseinsenergie durch Beobachtung oder Messung eine Manifestation oder Existenzialisierung hervorruft, hat Parallelen zu einigen spirituellen und philosophischen Konzepten.
David Bohm war ein bekannter Physiker, der sich intensiv mit den philosophischen Implikationen der Quantenphysik beschäftigte, und er stellte die Idee vor, dass die Realität auf einer tieferen Ebene durch ein umfassendes holographisches Feld miteinander verbunden ist, das er als ‚Implizite Ordnung‘ bezeichnete. Seine Arbeit legte nahe, dass die physische Realität nicht so separat ist, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag, und dass eine tiefere Einheitlichkeit existiert.
Ob diese Vorstellungen das ‚Paradoxon des intelligenten Beobachters‘ auflösen könnten, hängt von der Perspektive ab. Das Paradoxon des intelligenten Beobachters bezieht sich auf die Frage, wie das Beobachten eines quantenmechanischen Systems sein Verhalten beeinflussen kann. Einige Interpretationen der Quantenphysik deuten darauf hin, dass das Bewusstsein eine Rolle spielen könnte, während andere Interpretationen dies ablehnen.
Es ist wichtig anzumerken, dass die Verbindung zwischen Quantenphysik und Spiritualität oder Mystik immer noch ein Bereich der Spekulation und philosophischen Diskussion ist. Während einige Parallelen und Überschneidungen existieren mögen, bleibt die Quantenphysik in erster Linie eine empirische Wissenschaft, die auf Beobachtungen und experimentellen Ergebnissen basiert. Die Interpretation dieser Ergebnisse in einem metaphysischen oder spirituellen Kontext bleibt ein Thema der Debatte und persönlichen Glaubens.“
Hätte ich diese Frage meinen Mitmenschen gestellt, hätten 90 Prozent erst mal gar nicht gewusst, wovon ich spreche. Womit ich natürlich nicht gesagt haben wollte, dass mir Unterhaltungen mit Maschinen beziehungsweise künstlichen Intelligenzen lieber wären. Sondern nur, dass es sich um ein sehr leistungsfähiges, nützliches Werkzeug für Recherchen handeln kann – was allerdings von den abgefragten Themenbereichen und der Genauigkeit der Fragen abhängt, die man stellt. Im ersten Beispiel (Zentralbanken) war das Ergebnis enttäuschend, im zweiten Fall sehr zufriedenstellend. Allerdings fällt auch dort auf, dass die KI im Wesentlichen „nur“ die verfügbaren Informationen zu einem Thema absucht und diese zu einer Antwort „kompiliert“. Was letztere Antwort betrifft, hätte ich mir zum Beispiel Hinweise auf die möglichen Parallelen zwischen der modernen Quantenphysik und den kosmogonischen Vorstellungen in der Kabbala oder dem indischen Brahmanismus gewünscht. Trotzdem eine bemerkenswerte Programmierleistung.
Ich habe hier nur zwei Beispiele aus verschiedenen Bereichen genannt. Insgesamt hatte ich 50 Fragen gestellt, von denen ungefähr 80 Prozent sehr zufriedenstellend beantwortet wurden. Das ganze Bohei, das in letzter Zeit um die KI gemacht wurde, ist für mich jedoch nicht nachvollziehbar: ChatGPT ist zweifellos eine leistungsstarke Software, aber noch weit davon entfernt, „die Welt zu übernehmen“.
Bis nächste Woche.
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