30. Mai 2024 06:00

Staatliche Markteingriffe Die Wirtschaft dem Gesundheitsschutz unterordnen?

Mythos einer angeblichen Dichotomie

von Olivier Kessler

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Bildquelle: Irina Shatilova / Shutterstock Während Corona-Plandemie: Wirtschaft wurde weltweit radikal ausgebremst

„Menschenleben und der Gesundheitsschutz sind wichtiger als das Wohl der Wirtschaft!“ Mit dieser oder ähnlicher Rechtfertigung wurden während der Covid-19-Krise enorme Staatseingriffe in die Wirtschaftsfreiheit vorgenommen. Es sei richtig, dass die Entscheide der Behörden durch den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung geleitet würden und nicht primär durch wirtschaftliche Überlegungen. Impliziert wurde damit eine Dichotomie zwischen „der Wirtschaft“ einerseits und „der Gesundheit“ oder „den Menschenleben“ andererseits, die es in der Realität gar nicht gibt.

Dass es sich bei der Gesundheit um ein hohes Gut handelt, ist unbestritten und nicht zentraler Gegenstand dieses Missverständnisses – obwohl es keine klare Trennlinie zwischen „krank“ und „gesund“ gibt und es sich auch bei Gesundheitsleistungen um eine heterogene Menge komplett unterschiedlicher Güter und Dienstleistungen handelt, die in unterschiedlicher Menge, Qualität und Kombination erhältlich sind.

„Menschenleben und der Gesundheitsschutz sind wichtiger als das Wohl der Wirtschaft!“ Mit dieser oder ähnlicher Rechtfertigung wurden während der Covid-19-Krise enorme Staatseingriffe in die Wirtschaftsfreiheit vorgenommen. Es sei richtig, dass die Entscheide der Behörden durch den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung geleitet würden und nicht primär durch wirtschaftliche Überlegungen. Impliziert wurde damit eine Dichotomie zwischen „der Wirtschaft“ einerseits und „der Gesundheit“ oder „den Menschenleben“ andererseits, die es in der Realität gar nicht gibt.

Dass es sich bei der Gesundheit um ein hohes Gut handelt, ist unbestritten und nicht zentraler Gegenstand dieses Missverständnisses – obwohl es keine klare Trennlinie zwischen „krank“ und „gesund“ gibt und es sich auch bei Gesundheitsleistungen um eine heterogene Menge komplett unterschiedlicher Güter und Dienstleistungen handelt, die in unterschiedlicher Menge, Qualität und Kombination erhältlich sind.

Noch größere Unklarheit herrscht beim Begriff der „Wirtschaft“. Was ist das überhaupt, „die Wirtschaft“? Der Ökonom Israel Kirzner machte in seiner Schrift „Der ökonomische Blickwinkel“ deutlich, dass selbst unter Wirtschaftswissenschaftlern keine Einigkeit darüber herrsche, was man darunter überhaupt verstehen soll. Ökonomen stimmten zwar darin überein, dass die Tätigkeiten von Händlern von besonderer Bedeutung seien, jedoch herrsche große Uneinigkeit darüber, weshalb. Für die einen sei entscheidend, dass seine Handlungen den Gebrauch von Geld involvierten; für andere, dass es dabei um Austauschhandlungen geht. Ein Händler sei für die einen deshalb ein wirtschaftlicher Akteur, „weil seine Tätigkeiten mutmaßlich von Eigennutz motiviert sind“. Für andere hingegen sind jene Handlungen ökonomisch, die der Erhaltung menschlichen Lebens und der optimalen Verfügung knapper Ressourcen dienen.

Die Annahme, „die Interessen der Wirtschaft“ müssten den „Gesundheitsinteressen“ untergeordnet werden, geht zu einem gewichtigen Teil auf eine bestimmte Vorstellung von Wirtschaft zurück. Demgemäß handeln in „der Wirtschaft“ typischerweise Akteure, die rücksichtslos ihrem Interesse nach einer sinnlosen Anhäufung von Geld folgen, dieses Streben über das Allgemeinwohl stellen und daher bereit sind, für ihre Profitmaximierung sprichwörtlich „über Leichen zu gehen“. Womöglich wird die Wirtschaft gleichzeitig auch noch als Nullsummenspiel betrachtet, bei dem man Gewinne nur auf Kosten anderer machen kann.

Weil es sich gemäß dieser Vorstellung bei der wirtschaftlichen Tätigkeit ohnehin nur um eine niedere und nebensächliche Aktivität zur unnötigen Selbstbereicherung handelt, darf und soll diese getrost auch über längere Zeit vom Staat eingeschränkt werden können (manche sprachen sogar von „einfrieren“), damit den „höchsten Gütern“ – nämlich der Gesundheit und dem Schutz von Menschenleben – die gebührende Priorität eingeräumt wird.

Ein weiterer Grund, weshalb „die Wirtschaft“ angeblich „der Gesundheit“ untergeordnet werden müsse, geht auf die Vorstellung zurück, wirtschaftlichen Akteuren ginge es primär ums Geld und ums Geldverdienen, nicht jedoch um die Gesundheit anderer Menschen. Hinter dem schlechten Ruf des Monetären steht eine Aversion vieler Intellektueller gegenüber dem Geld, wie der Historiker Alan Kahan aufgezeigt hat. Für viele Intellektuelle seien das Geld und jene, die für Geld arbeiteten, moralisch anrüchig. Das Geldverdienen ist aber oft ein wesentlicher Anreiz, um auf die eine oder andere Art wirtschaftlich tätig zu werden und dadurch anderen Gutes zu tun, indem man lebensnotwendige oder lebensverbessernde Produkte herstellt und anbietet. Abgesehen davon gibt es die nüchterne Notwendigkeit der Menschen, ihren Lebensunterhalt zu „verdienen“ und damit für sich und ihre Familie zu sorgen.

Geld per se enthält nichts Unethisches. Für die fortgeschrittene arbeitsteilige Gesellschaft ist Geld als Tauschmittel unabdingbar: Es ermöglicht viel mehr Tauschakte als bei einem reinen Warentausch und erleichtert dadurch zusätzliche wohlstandsbildende Prozesse. Es ist zudem ein Trugschluss, dass Geldverdienen im Widerspruch zur gesundheitlichen Fürsorge für andere Menschen stehen soll. Der Markt für Gesundheitsleistungen ist ein Markt wie jeder andere auch (wenn sich der Staat raushalten würde) – mit Angebot von und Nachfrage nach einer vielfältigen Menge an Gesundheitsgütern und -dienstleistungen: angefangen bei sportlichen und ernährungstechnischen Angeboten zur Prävention gegen gesundheitliche Risiken bis hin zu medizinischen Eingriffen, Medikamenten und Therapien.

Diese Leistungen sind aus Sicht der Kunden dann am vorteilhaftesten, wenn sie in einem marktwirtschaftlichen und wettbewerblichen Umfeld erbracht werden und wenn sich dafür Preise frei bilden können, die sich aus dem Zusammenwirken von Nachfrage und Angebot ergeben. So ist sichergestellt, dass wertvolle Ressourcen nicht verschwendet werden, indem sie in die Produktion von nicht nachgefragten und nicht prioritären Dingen fließen: Diese Effizienz kann gerade im Bereich des Gesundheitswesens Leben retten.

Was in welchem Umfang unter Berücksichtigung der Knappheit der Ressourcen nachgefragt wird und was in der Folge hergestellt werden soll, kann nur herausgefunden werden, wenn die Güter ein marktwirtschaftliches Preisschild aufweisen und Investitionen dadurch an die richtigen Orte gelenkt werden. Geld nimmt deshalb eine unverzichtbare Rolle in modernen Gesellschaften ein und man sollte entschieden dagegenhalten, das Geld selbst oder per se alle Tätigkeiten, die für Geld erbracht werden, als ethisch minderwertig abzustempeln. Denn letztlich können die restlichen Tätigkeiten, die nicht gegen Bezahlung ausgeführt werden, auch nur in einer wohlhabenden Gesellschaft erbracht werden, wo überschüssige Mittel für die zivilgesellschaftliche Solidarität vorhanden sind. Und Wohlstand ist im heutigen Ausmaß ohne monetäre Tauschmittel unvorstellbar.

Selbst unter der Annahme, dass in „der Wirtschaft“ lediglich egoistische Motive dominierten, kann man also sagen, dass sie einerseits eine entscheidende Rolle für das Funktionieren der Gesellschaft spielt und andererseits auch nicht als Gegensatz zu Menschenleben und zur Gesundheit begriffen werden kann. Dies wird insbesondere dann klar, wenn man sich bewusst macht, dass erst erzielte Gewinne weitere Investitionen beispielsweise im Gesundheitswesen ermöglichen, was wiederum zu einer Verbesserung von Gesundheitsleistungen und einer höheren Gesundheit führt. Dies zeigt sich etwa in der massiv gestiegenen durchschnittlichen Lebenserwartung in Ländern mit relativ hoher wirtschaftlicher Freiheit. Diese liegt um mehr als zehn Jahre über der Lebenserwartung in wirtschaftlich repressiven Ländern.

Anders formuliert: Wer die freie Marktwirtschaft hochschätzt und ihre wesentlichen Pfeiler – die Eigentumsrechte und die Vertragsfreiheit – schützt, fördert damit auch die Gesundheit der Bevölkerung, weil so immer mehr Mittel zur Befriedigung und immer bessere und vielfältigere Angebote im Bereich der Gesundheitsleistungen und -prävention zur Verfügung stehen. Man führe sich nur einmal vor Augen, welche wertvollen Innovationen uns die Wirtschaft die letzten zwanzig Jahre beschert hat, die uns die Bewältigung von Krankheitswellen wesentlich erleichtern: angefangen von Online-Apotheken bis hin zu Online-Kooperationstools.

Wer propagiert, „die Gesundheit der Menschen“ stehe über „den Bedürfnissen der Wirtschaft“ und wer die Politik darauf ansetzt, die wirtschaftliche Freiheit unter diesem Vorwand einzuschränken, gefährdet damit beides.


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