30. Juni 2024 06:00

Ökonomie Der falsche Kult der „Effizienz“

Ein Denkfehler

von Antony P. Mueller

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Bildquelle: Everett Collection / Shutterstock Technokratisches System: Ein „effizientes Monster“?

Neben der Ablehnung des Kapitalismus, die mit moralischen Anklagen arbeitet, gibt es auch eine technokratische Kritik, die dem Kapitalismus „Ineffizienz“ vorwirft. Der amerikanische Ökonom Thorstein Veblen (1857–1929) zählt zu den bedeutenden, heute noch häufig zitierten Autoren, der die Führerschaft der Technokratie für das technologische Zeitalter verkündete. Während die Kommunisten die Übernahme der Macht durch das Proletariat forderten, verlangt Veblen, dass Technokraten an die Stelle der Unternehmer treten sollen. Veblen formulierte Kritikpunkte, die auch heute noch von vielen geteilt werden, obgleich dem Fokus auf „Effizienz“ als Kriterium ein schwerer Denkfehler zugrunde liegt.

Effizienz über alles

Veblens Grundthese lautet, dass das kapitalistische System nicht nur ungerecht, sondern vor allem „ineffizient“ sei. Er stellt sich als Ideal eine Gesellschaft vor, in der Ingenieure und Techniker die Leitung der Gesamtwirtschaft übernehmen. Ihr Fachwissen und ihr Fokus auf Effizienz sind für ihn der Schlüssel zu einem „rationalen“ Wirtschaftssystem: „Es sind die Ingenieure und ausgebildeten Techniker, die die notwendigen Veränderungen herbeiführen können, um ein Industriesystem zu schaffen, das den kollektiven Interessen der Gesellschaft dient“ („The Engineers and the Price System“, 1921).

Veblen macht keinen Hehl aus seiner Ablehnung des unternehmerischen Kapitalismus. Dessen Ausrichtung am Gewinnmotiv hält er für ebenso verfehlt wie die Koordination der Gesamtwirtschaft durch das Preissystem. Für ihn ist die Technologie die hauptsächliche Triebfeder des sozialen und wirtschaftlichen Wandels. Seiner Ansicht nach kann der Fortschritt der Industrietechnologie nur dann zu einer besseren Gesellschaft führen, wenn sie von Ingenieuren und Technikern geleitet wird und nicht unter der Kontrolle von Geschäftsleuten steht. In „The Engineers and the Price System“ (1921) schreibt er: „Unter dem gegenwärtigen Geschäftssystem behindert das Streben nach Profit oft die technologische Effizienz. Geschäftsleute sind mehr daran interessiert, finanzielle Gewinne zu erzielen als am technologischen Potenzial der Industrie.“

Im Kapitalismus, so Veblen, herrscht das Unternehmertum, das den Profit über das Gemeinwohl stellt. Im Gegensatz zur liberalen Wirtschaftstheorie, für die das Streben nach Gewinn zugleich den allgemeinen Nutzen fördert, ist nach Ansicht von Veblen die unternehmerische Gewinnorientierung gemeinschaftsschädlich. Geleitet vom Kriterium der „Effizienz“ sieht er im marktwirtschaftlichen Wettbewerb die Ursachen von Unwirtschaftlichkeit und Verschwendung. 

In diesem Sinne schreibt er in „The Theory of Business Enterprise“ (1904): „Im Streben nach privatem Gewinn zeigt der Industrieführer eine nicht zu korrigierende Missachtung der Produktionseffizienz des Industriesystems der Gemeinschaft.“

In der von Veblen erträumten „technologischen Gesellschaft“ sollen diejenigen das Sagen haben, die die Produktionsprozesse verstehen und so die Ineffizienzen beseitigen können, die ein von Unternehmern dominiertes System kennzeichnen. In den USA, wo die sozialistische Ideologie nie richtig Fuß fasste, lebt auch heute noch als antikapitalistisches Ideal die Idee einer Gesellschaft, in der Wissenschaftler und Ingenieure in Regierung und Industrie den Geschäftsmann ersetzen sollen. In den 1930er Jahren erlebte die technokratische Bewegung ihre erste Blütezeit und hat sich beim Management der Kriegswirtschaft während des Zweiten Weltkrieges im amerikanischen System fest etabliert (hierzu mehr in Antony P. Mueller: „Technokratischer Totalitarismus“, 2023).

Begriffsverwirrung

Wie so vielen anderen Gesellschaftstheoretikern, fehlt auch Veblen die rechte Einsicht in die Funktionsweise der Marktwirtschaft. Effizienz, der Grundbegriff seiner Theorie, ist sinnvollerweise nur auf technologische Prozesse, nicht aber auf die wirtschaftlichen Vorgänge anzuwenden. Dass etwas technologisch „effizient“ abläuft, heißt noch lange nicht, dass es auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Man betreibt Wirtschaft nicht, um einen Gesamtzweck zu verfolgen. Das trifft höchstens im Extremfall der Landesverteidigung zu, bei dem es ums Überleben geht. Aber im normalen Gesellschaftsleben ist der Effizienzbegriff unangebracht. Aus der Sicht des Einzelnen ist die Wirtschaft nicht Zweck, sondern ein Mittel zur persönlichen Bedürfnisbefriedigung. Richtschnur ist deshalb nicht die technische Effizienz der Produktion, sondern der Nutzen eines Gutes und einer Dienstleistung im Vergleich zu den Kosten. Kosten sind Preise und als solche werden sie im Marktverkehr bestimmt, der als Austauschprozess von Angebot und Nachfrage zu verstehen ist. Dieser Markt besteht nicht nur für Güter und Dienstleistungen, sondern schließt auch Arbeit und die anderen Produktionsfaktoren ein. Indem jeder einzelne Marktteilnehmer sein eigenes Interesse verfolgt und sofern der Marktprozess wettbewerblich und ohne Zwang abläuft, kommt das bestmögliche Ergebnis zustande.

Es kommt zu der für die heutige Zeit so typischen Diskursverwirrung, wenn bei der Kritik am Kapitalismus sowohl „Ineffizienz“ als auch „Gerechtigkeit“ aufgefahren werden. Hier kommen dann zwei untaugliche Begriffe als Kriterien zur Anwendung, denn was für den einen „gerecht“ ist, muss es für einen anderen noch lange nicht sein. Schließlich gibt es neben der Verteilungsgerechtigkeit (iustitia distributiva) auch die Austauschgerechtigkeit (iustitia commutativa). Wenn man zudem noch, wie heute üblich, Gerechtigkeit vor allem als „soziale Gerechtigkeit“ ins Spiel bringt, ist die Verwirrung komplett. Ein Staat, der all diese Aspekte der Gerechtigkeit und die Effizienz verwirklichen möchte, würde komplett in seiner eigenen „Ineffizienz“ versinken, was gegenwärtig ja der Fall ist.

Warum die Wirtschaft Unternehmer braucht

Die Aufgabe des Unternehmers ist der Umgang mit Unsicherheit. Anders als das Risiko, das kalkulierbar und versicherbar ist, ist Unsicherheit unkalkulierbar und daher nicht versicherbar. Dem „financial engineering“ sind damit genauso Grenzen gesetzt wie der „wissenschaftlichen“ Unternehmensführung. Die unverzichtbare Rolle des Unternehmers besteht darin, die Diskrepanzen, die in einem Markt aufgrund der Ungewissheit über die Zukunft entstehen, proaktiv auszugleichen. Gewinn und Verlust – die unternehmerischen Renditen, die entweder über oder unter dem reinen Zinssatz liegen – resultieren daraus, dass es keine sichere Gewinnkalkulation im Voraus gibt. Die paradoxe Funktion des Unternehmers ist es, einen Gewinn aus der Anpassung von Fehlanpassungen zu erzielen. Gewinne sind der Ertrag, der an jene Unternehmer geht, die zukünftige Preise richtig abschätzen konnten und entsprechend die Kapitalstruktur anpassten.

Gewinn oder Verlust sind das Ergebnis unternehmerischen Urteilsvermögens. In einer wettbewerblichen Wirtschaft bewirken die Marktkräfte, dass die verlustbringenden Unternehmen beseitigt werden, um Platz für jene zu schaffen, die profitabel sind. Der Unternehmerkapitalismus ist keine „Profitwirtschaft“, sondern eine „Profit-und-Verlust“-Wirtschaft. Verluste sind für diese Wirtschaft ebenso wichtig wie Gewinne. Es gibt sichtbar nur die „erfolgreichen“ Unternehmer. Anders als in der Politik, wo die Verlierer die Oppositionsbänke besetzen, verschwinden in der Marktwirtschaft die erfolglosen Unternehmen von der Bildfläche.

Auch in der modernen, durch Spezialisierung und hochgradige Arbeitsteilung charakterisierten Industriegesellschaft entscheiden in letzter Instanz die Verbraucher, was produziert werden soll und was nicht. Jeder Mensch, egal, welche Funktion er im Produktionsprozess einnimmt, ist immer auch Konsument. Die Verbraucher in ihrer Gesamtheit, die Arbeiter, Unternehmer und Kapitalisten zusammenfasst, entscheiden so durch ihre Kaufentscheidung, was und wie viel von den Gütern und Dienstleistungen produziert wird. In einer freien Wirtschaft bestimmen die Konsumenten auch die Faktoreinkommen, das heißt die relativen Anteile an Einkünften, die die Arbeiter, Unternehmer und Kapitalisten jeweils erhalten.

Unternehmer erzielen Gewinne durch überlegene Voraussicht und Urteilsvermögen. Um Profit zu erzielen, muss der Unternehmer Fehlanpassungen aufdecken, die zwangsläufig in einer Welt des Wandels entstehen. Deshalb sind Profite lobenswert. Je größer der Profit eines Unternehmers, desto besser hat er seine Rolle gespielt. Der erfolgreiche Unternehmer wird durch Gewinn dafür belohnt, dass er Ungleichgewicht gemildert hat. Umgekehrt zeigen Verluste an, dass Fehlanpassungen verschlimmert wurden.

Fazit

„Effizienz“ ist ein Begriff, der nicht zum Wirtschaftsleben passt. Nur bei oberflächlicher Betrachtung mag es so erscheinen, als sei Effizienz gleichbedeutend mit Produktivität. Produktivität kennzeichnet die Relation von Input zu Output und bedeutet, wirtschaftlich betrachtet, das Verhältnis von Kosten zu Ertrag. Was aber sind Kosten, wenn nicht kalkulierte Preise? Und was ist Ertrag, wenn nicht die Verkäufe des Unternehmens, die mit den Käufen der Kunden identisch sind? Wenn man neben der persönliche Nutzenverfolgung als Individualrecht noch den Aspekt heranzieht, dass Wirtschaften auch laufend Verbesserungen der Bedürfnisbefriedigung hervorbringen soll, kann man kein anderes Wirtschaftssystem als den freien Kapitalismus befürworten.

Antony P. Mueller: „Technokratischer Totalitarismus“ (2023)

Thorstein Veblen: „The Engineers and the Price System“ (1921)

Thorstein Veblen: „The Theory of Business Enterprise“ (1904)


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