10. Juli 2024 06:00

Politikwechsel Prinzip und Pragmatismus

Warum Politik und Parteien notwendig sind, um sich selbst abzuschaffen

von Oliver Gorus

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Bildquelle: Zelfit / Shutterstock Statt nur libertäre Luftschlösser zu bauen: Ins Tun kommen!

Prinzipien sind Grundsätze. Das Wort bedeutet: die erste Stelle einehmend. Wer Prinzipien hat, hat Prioritäten und weiß, was wichtig und richtig ist.

Und Pragmatiker sind Macher. Das altgriechische Wort Pragma bedeutet Handlung, Sache. Wer pragmatisch ist, ist handlungsfähig.

Nun gibt es diejenigen, die solche Prinzipien, Ideen, Maximen oder Theorien aufstellen oder in sich tragen, aber aus verschiedenen Gründen nicht die Handlungsfähigkeit besitzen, gemäß diesen Richtlinien zu handeln. Sei es, dass sie zu schwach oder zu feige oder einfach nicht begabt sind, Sachen anzupacken und zu erledigen. Das sind dann Theoretiker, Intellektuelle oder Schwätzer.

Und es gibt die anderen, denen es an Prinzipien als Maßstab ihres Handelns fehlt, die darum keine Probleme damit haben, opportunistisch immer gerade das zu tun, was ihnen in den Kram passt, ungeachtet der längerfristigen Folgen für sich und andere. Machen können sie, aber ethisch, stringent oder verantwortlich handeln ist für sie schwierig, weil sie die zugrunde liegenden Prinzipien nicht erkennen können. Das sind dann, je nach Grad ihrer neurotischen Störung, Politiker, Kriminelle, Psychopathen.

Beide beschriebenen Typen von Menschen gibt es in jeder Gesellschaft zuhauf, die beiden Pole beschreiben sozusagen ein Spektrum des Versagens. Wenn Sie aber die richtigen Versager an der richtigen Stelle haben, ist das für alle bestens. Und beide Ausprägungen werden ja auch tatsächlich gebraucht. Denn jede Gesellschaft braucht Theoretiker und Macher. Nur möchten Sie beide nicht in Führungspositionen haben. Denn die Ersten bekommen nichts umgesetzt, und die Zweiten schaden der Gemeinschaft oder reiten sie in den Abgrund.

Für Führungsaufgaben brauchen Sie die Minderheit derjenigen, die sowohl Prinzipien als auch Pragmatismus haben.

Fehlentscheidung

Anlässlich der derzeit laufenden Europameisterschaft und weil man mit Fußball generell die Welt erklären kann, hier ein Beispiel aus dem Fußball-Business.

Schiedsrichter und Verbände haben die Regeln für den Fußball codiert, und weil es für Schiedsrichter aufgrund der hohen Geschwindigkeit der Handlungsabläufe durchaus schwierig ist, manche Regelverstöße im laufenden Spiel zu erkennen und richtig zu deuten, gibt es für die Schiedsrichter als Hilfsmittel den Videobeweis: In einer kniffligen Situation kann er sich Hinweise vom Video-Assistenten geben lassen und er kann sogar das Spiel unterbrechen, um sich die Videobilder in Zeitlupe anzuschauen. So weit die prinzipielle Idee. Jetzt müssen es die Schiedsrichter auf dem Feld nur noch umsetzen.

In der Verlängerung des EM-Viertelfinalspiels Deutschland gegen Spanien schoss ein deutscher Spieler aufs Tor, ein spanischer Spieler stand mit abgespreiztem Arm im Strafraum im Weg, blockte den Ball mit der Hand. Das ist nach den Regeln ein Handelfmeter. Die Prinzipien waren also ausgearbeitet, der britische Schiedsrichter kannte sie, er kannte auch die Regeln und seine Hilfsmittel. Der Video-Assistent würde ihm per Funk in den Kopfhörer einen Hinweis geben, falls er die Situation nicht sofort erkennen würde. Und bei Unsicherheit würde er sich die Szene noch mal genau auf dem Videoschirm anschauen.

Nur: Er tat es einfach nicht. Weder pfiff er den Elfmeter, noch versicherte er sich seiner Entscheidung mit seinen Hilfsmitteln. Und das, obwohl es um sehr viel ging. De facto entscheid er mit seiner Fehlentscheidung wohl das Spiel, vielleicht sogar das ganze Turnier.

Dieser Schiedsrichter hatte alle Grundlagen, Richtlinien, Konzepte, Ideen, die er brauchte. Aber er versemmelte es trotzdem. Über die Gründe kann man nur spekulieren, doch Fakt ist: Er war nicht willens oder nicht fähig, pragmatisch gemäß den Prinzipien zu handeln. Das Ergebnis ist Ungerechtigkeit. Frustration. Und ein schädlicher Eingriff in den Wettbewerb.

Das Prinzip Verantwortungslosigkeit

In der Politik gibt es sehr viele Beispiele, in denen prinzipiengeleitetes Handeln alle wichtigen Probleme lösen könnte. Dass in der Politik heutzutage kaum mehr Probleme gelöst, sondern vielmehr laufend neue geschaffen werden, hängt vor allem damit zusammen, dass viele Politiker genau andersherum versagen wie der britische Schiedsrichter: Sie handeln opportunistisch, aber prinzipienlos.

Nehmen Sie die Corona-Maßnahmenkrise: Mit der Entscheidung über die Maßnahmen wie Lockdowns, Maskenpflicht, Schulschließungen, das Verbot, sterbende Angehörige zu besuchen, Kontaktbeschränkungen, Versammlungsverbote, Diskriminierung Ungeimpfter mit 2G/3G-Regeln, partieller oder allgemeiner Impfzwang waren viele Politiker im Endeffekt überfordert. Aber nicht, weil sie nicht handlungsfähig waren, sondern weil es ihnen an Prinzipien fehlte.

Hätten Sie beispielsweise das Prinzip der individuellen Grund- und Freiheitsrechte verinnerlicht oder das Prinzip, dass bei jeder staatlichen Maßnahme die Abwägung der Vor- und Nachteile, der positiven und negativen Folgen und Wirkungen Pflicht ist, oder das Prinzip, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist, dann wäre es recht einfach gewesen, die Maßnahmen abzulehnen und einen ähnlichen Kurs wie Schweden zu fahren, das insgesamt wesentlich besser durch die Pandemie kam als Deutschland.

Unsere Politiker haben mit ihren übergriffigen Maßnahmen zwar ihre Handlungsfähigkeit bewiesen, nicht aber ihre Ausrichtung nach Prinzipien. Mit ihrem kurzfristig kalkulierten Opportunismus konnten sie nicht nur die Älteren nicht schützen, sondern demolierten auch die Wirtschaft, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Vertrauen in die staatlichen Akteure. Das Resultat ist auf Jahre hinaus verheerend.

Das Prinzip, dass Fehler aufgearbeitet werden müssen, damit sie nicht wieder begangen werden, fehlt bei den Politikern nun ebenso wie das Prinzip der Verantwortlichkeit beziehungsweise der Haftung. Auch generell wären viele politische Entscheidungen viel einfacher zu treffen und zu erklären, wenn die Politiker nicht nach ihrem kurzfristigen Machtinteresse, sondern nach grundsätzlichen Leitlinien vorgehen würden. Beispielsweise nach den freiheitlichen Prinzipien. Nehmen Sie die Garantie des Privateigentums, aus dem folgt: so viel Staat wie nötig, so wenig Staat wie möglich. Oder das Prinzip des Verbots initiierender Gewalt, was Zwangsmaßnahmen wie Impf- oder Militärzwang prinzipiell ausschließt.

Kopfsprung ins Haifischbecken

Gerade die Freiheitlichen verfügen über ein Gerüst aus glasklaren Prinzipien, das in ihrer Stringenz einzigartig ist. Der Liberalismus ist gegenüber dem Konservatismus und dem Sozialismus der rationalste, durchdachteste und hinsichtlich seiner Ergebnisse erfolgreichste Politikansatz. Er führt nachweislich zu Wohlstand für alle, zu Frieden und technologischer Entwicklung, ganz im Gegensatz zum Sozialismus. Im Zusammenspiel mit dem eher gefühligen Konservatismus kann der Liberalismus Gesellschaften stabil halten und dennoch voranbringen.

Was aber vielen Freiheitlichen heute fehlt: Sie machen nicht ernst. Sie heiligen ihre Prinzipien, aber verdammen den Pragmatismus. Ja, viele Freiheitliche schauen verächtlich und spöttisch von der Tribüne aus auf jene herab, die sich in den Staub der Arena begeben und sich die Hände schmutzig machen, um etwas tun, um die freiheitlichen Prinzipien in die Tat umzusetzen.

Sie feilschen um Begriffe, diskutieren, um Recht zu behalten, verachten Politik, Parteien und Demokratie, entwerfen Luftschlösser im Himmel des Theoretischen. Und sie tun nichts.

Wie wohltuend dagegen sind Macher wie Titus Gebel, der alle Hebel in Bewegung setzt, um seine Idee der freien Privatstädte in die Tat umzusetzen. Oder wie Javier Milei, der als Freiheitlicher den Sprung von der universitären Lehre in das höchste Staatsamt Argentiniens gewagt und geschafft hat, wo er jetzt aufräumt.

Die Prinzipien und die Empirie sagen glasklar, dass Parteien das Problem und nicht die Lösung sind. Aber dennoch leben wir in den deutschsprachigen Ländern in einer Parteiendemokratie, in der fast ausschließlich Opportunisten ins Amt kommen und nicht diejenigen, die sowohl Prinzipien als auch Pragmatismus haben.

In der Theorie müssen die Parteien sukzessive entmachtet werden – in der Praxis geht das nur durch eine Partei mit Regierungsbeteiligung. Der Pragmatismus fordert also manchmal vorübergehend und aus strategischen Gründen das Gegenteil des Intendierten. Er fordert offensichtlich auch von verantwortungsvollen Bürgern, Politiker zu werden, um aus dieser Position heraus die Politik aus dem Privatleben zurückzudrängen.

Viele Theoretiker, Schwätzer und Intellektuelle werden sich das Maul über solche pragmatischen und paradoxen Versuche zerreißen. Und viele Politiker, Kriminelle und Psychopathen werden versuchen, diese Versuche zu bekämpfen oder für sich auszuschlachten.

Die Freiheit ist in Gefahr. Und Politik ist ein Haifischbecken. Es wird Zeit, dass Freiheitliche mit Prinzipien und Pragmatismus endlich hineinspringen.


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