11. Juli 2024 10:00

Freiheit Negativ oder Positiv?

Gibt es den einzig wahren Freiheitsbegriff?

von Sascha Koll

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Bildquelle: Chuan Muuu / Flickr Russisch-britischer politischer Philosoph Isaiah Berlin (1909–1997): Wurde bekannt durch seine Unterscheidung zwischen positiver und negativer Freiheit

Diese Woche hat mich mal wieder eine X-Diskussion zum Thema meiner heutigen Kolumne gebracht. Es ging erneut um positive gegen negative Freiheit, also um philosophische Konzepte, die unser tagtägliches Leben in Herrschaft maßgeblich beeinflussen.

Für Neulinge in diesem Thema würde ich gerne die Begriffe einmal klären und anhand von Beispielen veranschaulichen:

Die Unterscheidung zwischen positiver und negativer Freiheit geht auf ein Essay von Isaiah Berlin zurück, das er 1958 veröffentlichte und „Two Concepts of Liberty“ nannte.

Negative Freiheit bedeutet Abwesenheit von Zwang oder Einschränkungen durch andere. Es handelt sich um die Freiheit „von“ äußeren Einflüssen, die das Handeln einschränken.

Positive Freiheit bezieht sich auf die Möglichkeit, das eigene Leben selbstbestimmt und nach eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Es ist die Freiheit „zu“ etwas, also die Fähigkeit, tatsächlich bestimmte Ziele und Wünsche zu verwirklichen.

Beispiele für negative Freiheit sind zum Beispiel:

Erstens: Meinungsfreiheit: Das Recht, ohne staatliche Zensur oder Repressionen seine Meinung zu äußern.

Zweitens: Reisefreiheit: Die Möglichkeit, sich ohne staatliche Restriktionen oder Verbote frei im In- und Ausland zu bewegen.

Drittens: Versammlungsfreiheit: Das Recht, sich ohne behördliche Genehmigungen oder Einschränkungen friedlich zu versammeln und zu protestieren.

Beispiele für positive Freiheit sind zum Beispiel:

Erstens: Bildungszugang: Die Möglichkeit, Bildungseinrichtungen zu besuchen und sich weiterzubilden, um persönliche und berufliche Ziele zu erreichen.

Zweitens: Gesundheitsversorgung: Zugang zu medizinischer Versorgung und Gesundheitsdiensten, um ein gesundes und selbstbestimmtes Leben zu führen.

Drittens: Kulturelle Teilhabe: Die Möglichkeit, an kulturellen Aktivitäten und Ereignissen teilzunehmen, wie Kunst, Musik, Theater oder Sport, um das eigene Leben zu bereichern und kulturelle Identität und Gemeinschaft zu erleben.

Der große Unterschied zwischen negativer und positiver Freiheit ist, dass bei der Ausübung der negativen Freiheit autistisch gehandelt werden kann – also keine dritte Person in die Handlung involviert sein muss, bei der positiven Freiheit jedoch immer jemand Drittes benötigt wird, um diese Freiheit zu gewährleisten.

Im Privaten könnte das Gewähren positiver Freiheiten so aussehen, dass ich jemandem etwas bereitstelle, zum Beispiel, indem ich jemandem meine Bücher überlasse, damit er sich bilden kann, kostenlose Videokurse anbiete oder anderweitig mein Wissen teile. Ich könnte einem begeisterten Gärtner meinen Garten zur Nutzung überlassen, damit er sich dort nach seinen Wünschen verwirklichen kann. Ich könnte aber auch einem mittellosen Maler eine Leinwand, Tuch und Farben schenken. In diesen Fällen würde sich sicher niemand gegen die gewährte positive Freiheit auflehnen, da es sich hier um freiwillige Kooperation handelt, die keine Dritten schädigt.

Doch betrachten wir einmal, wie in der Herrschaft positive Freiheit gewährleistet wird: Im Staat sehen sich die Herrschenden damit beauftragt, positive Freiheiten zu gewähren. Sie bieten „kostenlose“ Schulen, vergünstigtes Bahnfahren und allerlei andere subventionierte Angebote an. Einige kann und darf man ablehnen; beim Schulzwang muss man abwägen, welches Übel für einen persönlich schwerer wiegt – die Kinder in die Foltereinrichtung zu schicken oder selbst eingesperrt zu werden. Diese positiven Freiheiten sind jedoch mit Kosten verbunden. Im Privaten trägt die Kosten, wer die Freiheiten bereitstellt. Im Staatlichen werden die Kosten von der Räuberbande „übernommen“, die sich mit all dem „free stuff“ ihre Wählerstimmen kauft. Die Finanzierung geschieht mit dem Mittel des Zwangs. Wir erinnern uns: Negative Freiheit ist die Abwesenheit von Zwang. Somit geht die Gewährung der positiven Freiheit im staatlichen System immer mit der Verletzung der negativen Freiheit Dritter einher und ist damit handlungslogisch stets eine feindliche Handlung, während die privat finanzierte Organisation von positiven Freiheiten immer ohne Zwang auskommt.

Positive und negative Freiheit können nebeneinander bestehen – doch nur ohne Staat. Mit Staat kommt es grundsätzlich zur Verletzung der negativen Freiheit, da ein Staat sich ohne diese nicht finanzieren lässt. Es mag Befürworter von „freiwilligen Steuern“ geben, die mir widersprechen wollen, doch meist ist das, was unter „freiwilligen Steuern“ verstanden wird keine Steuer und das Organisations-Konstrukt kein Staat nach der Definition des Zwangsmonopolisten, einschließlich Letztentscheidungsgewalt über alle Konflikte.

Die Fähigkeit zur Selbstverwirklichung liegt in uns allen, doch es gibt keinen Anspruch darauf, selbst nichts dafür tun zu müssen und andere die Kosten tragen zu lassen. Dieser Anspruch konterkariert den Teil des „Selbst“ im Begriff der „Selbstverwirklichung“. Wenn ich gerne jemand wäre, der die Welt umsegeln möchte, wer wäre ich, wenn ich mit vorgehaltener Waffe andere dazu zwänge, mir das zu ermöglichen? Ein Räuber? Gleiches gilt für den Herrscher, der andere Menschen auspresst wie eine Orange, um anderen ihre Wünsche nach „Selbst“-Verwirklichung zu befriedigen, um sich damit seine Wiederwahl zu sichern.

Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass der negative Freiheitsbegriff der „einzig Wahre“ sein muss, da nur er ohne Handlungen Dritter auskommen kann. Der positive Freiheitsbegriff ist insoweit problematisch, als es immer jemanden geben muss, der ihn ermöglicht. Geschieht das Ermöglichen in freiwilliger Kooperation, wird keine negative Freiheit angetastet; geschieht das im Staat, wird negative Freiheit garantiert angetastet. Wer den Staat bemüht, um Freiheit zu erlangen, fordert Privilegien auf Kosten Dritter, deren negative Freiheit missachtet wird.

In der US-Verfassung ist das Recht auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück verankert. Das Recht auf Leben ist eindeutig ein negatives Recht, das Streben nach Glück ebenso eindeutig, und so wird auch das Recht auf Freiheit als negatives Recht interpretierbar sein. In den USA scheint man sich in der Postmoderne komplett vom negativen Recht verabschiedet zu haben. Das Recht auf Leben bedeutet heute, dass Menschen für Gesundheitsdienstleistungen anderer ausgeraubt werden sollen, das Recht auf Freiheit wird so interpretiert, dass jeder tun und lassen kann, was er will, ohne selbst die Konsequenzen zu tragen, und aus dem Streben nach Glück wurde im Allgemeinverständnis ein Recht darauf, immer glücklich zu sein.

Ähnlich verhält es sich in Deutschland mit dem Grundgesetz. Ursprünglich wurde es als Abwehrrecht des Bürgers gegenüber dem Staat interpretiert. Heute interpretieren es der Staat und seine Hofschranzen als Auftrag. Sie sind nicht mehr diejenigen, die eingeschränkt werden sollen, sondern sie schränken die Bürger aufgrund ihrer Interpretation des Grundgesetzes ein. Sie haben aus einem Abwehrrecht, das die negative Freiheit bewahren sollte, ein Herrschaftsinstrument gemacht und sehen sich beauftragt, alles, was sie ursprünglich nicht antasten sollten, zu ermöglichen. Um ihre Vorstellungen umzusetzen, greifen sie wie selbstverständlich das Grundgesetz selbst an und wiegen negative Freiheit mit positiver Freiheit auf, wobei die positive Freiheit für sie immer gewinnt.

Ich hoffe, meine Gedanken waren so weit verständlich erklärt. Wer sich tiefer mit der Philosophie der Freiheit auseinandersetzen möchte, dem wären folgende drei Personen an die Hand gegeben:

Isaiah Berlin

Berlin argumentierte, dass negative Freiheit – definiert als Abwesenheit von Zwang und äußeren Einschränkungen – entscheidend für das individuelle Leben ist. Er sah die positive Freiheit – definiert als die Möglichkeit, das eigene Leben selbstbestimmt zu gestalten und eigene Ziele zu verfolgen – als potenziell gefährlich an, weil sie oft zur Rechtfertigung von Zwang und Kontrolle durch den Staat oder andere Autoritäten verwendet wurde. Für Berlin war die negative Freiheit daher grundlegend für eine freie Gesellschaft, da sie den Einzelnen vor Übergriffen schützt.

Friedrich August von Hayek

Ein weiterer prominenter Verteidiger des negativen Freiheitsbegriffs war der österreichische Ökonom und Sozialphilosoph Friedrich August von Hayek. In seinem Werk „The Constitution of Liberty“ (1960) betonte Hayek die Bedeutung der Freiheit von Zwang (negative Freiheit) als Voraussetzung für wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt. Hayek argumentierte, dass staatliche Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen in der Regel mehr Schaden als Nutzen verursachen und eine freie Gesellschaft nur dann gedeihen kann, wenn die negative Freiheit gewährleistet ist.

Robert Nozick

Ein weiterer einflussreicher Philosoph, der die negative Freiheit betonte, war Robert Nozick. In seinem Werk „Anarchy, State, and Utopia“ (1974) entwickelte Nozick eine Theorie des Minimalstaates, in der der Staat auf die Rolle des Nachtwächterstaates beschränkt ist, der lediglich die negativen Rechte der Bürger schützt, insbesondere das Recht auf Eigentum und die Freiheit von Zwang.


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