Ökonomie: Die Dialektik der Freiheit
Neue Eliten braucht das Land …
von Thomas Jahn
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Alt-Bundespräsident Joachim Gauck behauptete einst allen Ernstes in einem Fernsehinterview, das am 19. Juni 2016 in der ARD ausgestrahlt wurde, dass gar nicht die Eliten, sondern stattdessen die Bevölkerungen das Problem seien – Zitat Gauck: „Wir müssen stärker wieder mit denen das Gespräch suchen.“ Gauck bezog sich damals auf das unmittelbar bevorstehende Brexit-Referendum und die generelle Kritik am EU-Zentralismus. Natürlich wissen wir, dass es sich seit Jahren genau umgekehrt verhält: Die Eliten sind das Problem, und Gaucks Präsidentschaft war der beste Beweis dafür, wie mächtige Funktionseliten ihre Politiker nach dem zu erwartenden Grad an Servilität und Berechenbarkeit auswählen. Gauck erschien vielen vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten noch als liberal-konservativer Hoffnungsträger und Gegengewicht zu Angela Merkel. Im Amt erwies er sich dann allerdings als hundertprozentiger Apparatschik zur Exekution der rot-grünen Agenda der damaligen Merkel-Regierungen. Das Interview mit Gauck führte damals übrigens Tina Hassel, die seinerzeit das ARD-Hauptstadtstudio Berlin leitete und Anfang 2018 durch mehrere Jubel-Tweeds auf Twitter auffiel, mit denen sie einer gewissen Annalena Baerbock, der damals noch völlig unbekannten, gerade neu gewählten Co-Vorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen zu Bekanntheit und Popularität verhalf.
Wer nicht völlig orientierungslos durch den Nebel aus Desinformation, Hofberichterstattung und medialer Schwarz-Weiß-Lyrik im Stile Hedwig Courths-Mahler tappt, weiß natürlich, dass diejenigen, die tatsächlich entscheiden, nicht gewählt sind, und diejenigen, die gewählt werden, nichts (Wichtiges) zu entscheiden haben (Zitat: Horst Seehofer). Wer aber sind die Entscheider? Diese Frage muss gar nicht konkret beantwortet werden, weil es für die Analyse des politischen Prinzips nicht von Belang ist, ob Person A mehr Einfluss ausübt als Familie B, und Diskussionen über Personen häufig dazu missbraucht werden, um vom eigentlichen Kern der Sache abzulenken. Mit Blick auf die Funktionsmechanismen der modernen Massendemokratie ergibt sich vielmehr a priori, dass Entscheidungen nur durch jene vorbereitet und am Ende durchgesetzt werden können, die die Kontrolle über Informationen, Investitionen und Innovationen ausüben, wobei die Informationskontrolle am Anfang steht. Die Kontrolle über die drei Is lässt sich nur mit ausreichend hohem finanziellen Einsatz ausüben. Über die notwendige Liquidität, mit der in diesem Falle keine unmittelbare Rendite zu erzielen ist, verfügt nur derjenige, der in der Vergangenheit im Vergleich zu seinen wirtschaftlichen Konkurrenten über die Maßen erfolgreich gewesen war. Ihren Erfolg verdanken die meisten jener „Superreichen“ dabei einem marktwirtschaftlichen System, das es ihnen ermöglichte, die Wünsche der Verbraucher besser und schneller zu erfüllen als die jeweiligen Wettbewerber. Die Ranglisten von „Forbes“ oder des Internetmagazins „Celebrity Net Worth“ über die reichsten Menschen der Geschichte dominieren daher mehrheitlich Menschen, die ihren Aufstieg einem Wirtschaftssystem mit weitestgehend freiheitlich gestalteten Möglichkeiten des Marktzugangs verdanken, gemeinhin als Kapitalismus bezeichnet. Die Ausnahmen bilden Familien, wie die frühere Zarendynastie der Romanows, deren Vermögen schon 1917 verstaatlicht wurde, oder das britische Königshaus der Windsors (ehemals Sachsen-Coburg und Gotha), das als anachronistisches Überbleibsel des Feudalsystems die Zeiten überdauert hat.
Die Dialektik der Freiheit liegt nun darin, dass ausgerechnet diejenigen, deren Aufstieg zu sagenhaftem Reichtum, beginnend ab dem 19. Jahrhundert, nur möglich war, weil frühere Eliten das Feudalsystem abschafften und dieses, vor allem mit der Einführung der Gewerbe- und Berufsfreiheit, durch ein marktwirtschaftliches System aus Freihandel, Vertragsfreiheit und Eigentumsschutz ersetzten, dieses kapitalistische Prinzip durch gezielte Einflussnahme auf staatliche Entscheidungsträger immer weiter eingeschränkt haben. Die größten Profiteure der Freiheit ließen seit über 100 Jahren nichts unversucht, um potenziellen Konkurrenten und Newcomern durch politisch erwirkte Monopole und Kartelle den Marktzugang zu versperren. Sie förderten totalitäre Ideologien, um die Zentralisierung politischer Macht im Interesse der Planbarkeit wirtschaftlicher Entscheidungen zu ermöglichen und damit faktisch geschlossene Märkte zu etablieren, um mit bestimmten Regierungen exklusive Verträge über die Lieferung von Konsum- und Investitionsgütern oder zur Förderung von Rohstoffen schließen zu können. Die seit 1945 rasant fortschreitende Zentralisierung politischer Macht durch die Etablierung von supranationalen Institutionen, die wie die Vereinten Nationen oder die Europäische Union nicht nur weltweit wirkende Agenda-Prozesse implementieren, sondern immer kleinteiliger die Fragen des Informationsflusses und die Entscheidungen darüber regulieren, was die Wirtschaftsteilnehmer konsumieren, produzieren und investieren, ließ freiheitlichen Gegenbewegungen keinen Raum. Die Vorhersage von Ludwig von Mises über die Macht der besseren Ideen, wonach sich die Freiheit von alleine durchsetzen werde, bewahrheitete sich leider nicht.
Libertäre Graswurzelbewegungen, auch solche, die wie die US-amerikanische „Tea Party“-Bewegung dank eines finanzstarken Unterstützerumfelds die massenmediale Aufmerksamkeitsschwelle überschreiten konnten, sehen sich heute mit einem kooperatistischen Geflecht aus politiknahen Konzernen, besser bekannt unter den englischen Begriffen „Big Business“ und „Big Tech“, aus subventionshungrigen mittelständischen Firmen und deren staatsnahen Verbandsvertretern und mit Massenmedien konfrontiert, die den Informationsfluss immer rigoroser kontrollieren. All diese hervorragend miteinander vernetzten und verwobenen milliardenschweren Giganten hätten durch die „Sünde des Wettbewerbs“ (Zitat John D. Rockefeller) viel zu verlieren, denn wer will schon seine bestens bestellten und abgesteckten Claims freiwillig irgendwelchen dahergelaufenen „Neureichen“ überlassen?
Das weitere Funktionieren des gegenwärtigen Kooperatismus setzt allerdings ein kritikloses Mitläufertum voraus, das wiederum von Mitläufern lebt, denen zumindest der Eindruck vermittelt werden muss, dass sie von ihrem Mitläufertum profitieren. Angesichts der Dauerkrisen der letzten zwei Jahrzehnte müssten aber auch innerhalb der Elitenzirkeln zumindest Einzelne inzwischen aufgewacht sein. Auch wenn selbstschädigende, öffentlichkeitswirksame Parteinahmen für ein „Weiter so“, wie die absurde Werbekampagne mehrerer deutscher Mittelständler mit dem einfältigen Titel „Made in Germany – Made by Vielfalt“ das Gegenteil befürchten lassen, finden sich inzwischen immer mehr kleinere und mittlere Unternehmer, die anders als noch vor einigen Jahren bereit sind, die für Gegenkampagnen notwendigen hohen finanziellen Mittel bereitzustellen. Die Entwicklung in Deutschland hinkt wie so häufig anderen Ländern hinterher, aber auch hier sind spätestens seit der Zeit der „Corona-Maßnahmen“ wichtige neue Institutionen, Plattformen und Medien finanziert worden, wie zum Beispiel der Radiosender „Kontrafunk“, die libertär-konservative „Atlas-Initiative“, die Medienplattform „Nius“ oder der Youtube-Kanal „Hallo Meinung“. Vor allem sogenannte alternative Medien sind dazu geeignet, die monopolartige Kontrolle über Informationen zu unterlaufen.
Das Beispiel Elon Musk zeigt, dass der Prozess des Aufbrechens politischer Monopolstrukturen in den USA im Vergleich zu Deutschland oder anderen europäischen Ländern deutlich fortgeschritten ist. Musk dürfte als einer der Ersten aus der „Big Tech Community“ erkannt haben, dass die von den aktuell noch tonangebenden Eliten seit etwa einem Jahrzehnt betriebene, immer rigorosere Einschränkung der Meinungsfreiheit die Aussicht auf Profite für die Mitläufer enorm schmälert und die „Freiheit der Rede“ als Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit auch die Grundvoraussetzung für jeden unternehmerischen Erfolg und den damit zusammenhängenden innovativen Entdeckungsprozess des Wettbewerbs ist. Gerade „Big Tech“ könnte den Anstoß geben, die „kooperatistischen“ alten Eliten durch eine Gegenelite zu ersetzen, die erkennt, dass sich ihr Erfolg nur auf Basis derselben freiheitlichen Prinzipien realisieren lässt, die schon im 19. Jahrhundert den Weg für die damaligen „Industriemagnaten“ ebneten.
Dieser Anstoß benötigt natürlich viele Milliarden und kann deshalb nicht von Graswurzelbewegungen ausgehen, die immer nur als Stachel im Fleisch oder wie Sand im Getriebe wirken können. Allerdings helfen sehr häufig schon kleinere, gezielt gesetzte Investitionen, die keine Milliarden kosten und gerade durch die finanzielle Unterstützung alternativer und unabhängiger Medienprojekte, „Thinktanks“ und politischer Freiheitsinitiativen vielfache Früchte in europäischen Ländern wie Deutschland tragen, in denen das Licht der Freiheit nur sehr schwach leuchtet und die Dunkelheit des ökosozialistischen Etatismus besonders erdrückend ist.
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