02. September 2024 16:00

Politisches Spektrum Freiheitlich gegen autoritär statt rechts gegen links

In der ganzen westlichen Welt kippt die „Diskursachse“

von Robert Grözinger

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Bildquelle: Wikimedia Commons / Public Domain Wird von Wikipedia als „nicht neutral übersetzte deutsche Version“ bemäkelt: Nolan-Diagramm

Was wir in den USA im Vorlauf zur Präsidentschaftswahl beobachten, kommt einem Kippen der politischen Diskursachse gleich. Eine Achse, die seit zwei Jahrhunderten so festgefügt zu sein schien wie die Erdachse. Eine – wenn auch noch sehr schwache – Kopie dieses Kippens sehen wir in Deutschland im Zusammenhang mit den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen und bald wohl auch in Brandenburg.

Es ist mal wieder an der Zeit, das alte Nolan-Diagramm hervorzukramen. Denn es ist aktueller als je zuvor. Links gegen rechts, sozialdemokratisch gegen konservativ war gestern. Mehr und mehr drehen sich politische Debatten um freiheitlich gegen autoritär. Genauer gesagt: Debatten als solche gibt es derzeit nicht, weil die autoritäre Seite mangels stichhaltiger Argumente den Diskurs verweigert und nach Möglichkeit erstickt. Was sich ironischerweise für einzelne Gruppen und Parteien auf der autoritären Seite jetzt fatal auswirkt. Wie etwa in den ostdeutschen Bundesländern.    

Im Osten Deutschlands sinken die „Ampelkoalitionsparteien“ so tief, dass sie, um eine weitere astronomische Allegorie zu bemühen, dem politischen Ereignishorizont gefährlich nahekommen – falls sie nicht schon darüber hinaus und im „schwarzen Loch“ der Diskursirrelevanz verschwunden sind. Sehr wahrscheinlich für immer. Ob die stark aufstrebende AfD so freiheitlich ist, wie sie sich gibt, wird sich aber erst zeigen, wenn sie Regierungsverantwortung trägt. In der Zwischenzeit wird sie als ein von einem autoritären Staat und seinen erbärmlichen Flügelleuten in den Medien verfolgte Oppositionspartei immerhin als Freiheitssymbol wahrgenommen und gewählt.

Man kann das sogar von dem „BSW“ behaupten – mit noch mehr Einschränkungen. Denn diese aus dem linken Milieu hervorgegangene neue Partei steht, wie nicht anders zu erwarten, für mehr Umverteilung und Regulierung. Aber sie steht auch gegen Kriegshetze und Migrationschaos, die beide erheblich freiheitsbedrohend und somit bei autoritär gestrickten Charakteren höchst populär sind. Positiv anzurechnen ist ihr auch, dass ihre pure Existenz die zum Reserverad des Establishments verkommene Ex-SED vernichtet. Wenn sie nach den Landtagswahlen allerdings ihre Rolle darin sieht, das neue Reserverad des autoritären Staates zu sein, dann wird sie sich am anderen Ende der neuen politischen Achse wiederfinden.  

Diese ersten Andeutungen eines Kippens der deutschen politischen Diskursachse ist aber nur ein schwacher Abglanz dessen, was derzeit in den USA abläuft. In der vergangenen Woche haben sich zwei prominente Ex-Demokraten der Trump-Kampagne angeschlossen: Robert F. Kennedy Jr. und Tulsi Gabbard. Die Begründungen für diesen Schritt lauten bei beiden ähnlich. Gabbard, von 2013 bis 2021 für die Demokraten im Repräsentantenhaus, stößt sich unter anderem an der „Wokeness“ der Biden-Regierung. Im Nominierungsrennen für die Präsidentschaftswahl vor vier Jahren war sie Kandidatin und versetzte ihrer Konkurrentin Kamala Harris in den Debatten mit Hinweisen über ihre Verfehlungen gegen die Freiheit einen solch vernichtenden Todesstoß, dass Letztere noch vor jeder Vorwahl aus dem Rennen scheiden musste. Heute sieht die Militärveteranin Gabbard in den von Harris unterstützten Kriegen und speziell der Konfrontation mit Russland eine existenzielle Gefahr für die USA.

Das mit den Kriegen sieht der ebenfalls aus der Partei der Demokraten ausgetretene Kennedy ebenso. Seine Unterstützung Donald Trumps ist noch gewichtiger als die Gabbards, weil er gleichzeitig seine unabhängige Präsidentschaftskampagne einstellt. Was, so hofft er, Trump zugutekommt. Ihm ist, so sagt er, die Verhinderung einer Präsidentschaft Harris wichtiger als die Fortsetzung seiner Kampagne, von der er zumindest einen höheren Bekanntheitsgrad seiner Themen und Positionen erhoffte. Die, wie wir gleich sehen werden, im Hinblick auf die Achse freiheitlich-autoritär höchst bedeutsam sind.

Nebenbei registrieren wir einen bezeichnenden Vorgang: Der Spross der bekannten Politikerfamilie stellt seine Kampagne „nur“ in zehn Bundesstaaten ein, nämlich in jenen entscheidenden, hart umkämpften Staaten, die in der Vergangenheit „unentschlossen“ waren, also nie sicher mehrheitlich für die eine oder andere Partei stimmten. Aber, wie der Leiter des Mises-Instituts, Thomas DiLorenzo, auf dem Blog von „Lewrockwell.com“ kürzlich meldete, die von den Demokraten dominierten Wahlkomitees in zumindest vier dieser Staaten (Michigan, Wisconsin, Colorado und North Carolina) weigern sich, Kennedy zu „entregistrieren“ – während sie dies im Fall von Bidens Rückzug zugunsten Harris im Handumdrehen taten. Auch das ist ein weiteres Zeichen einer zunehmend autoritären, antirechtsstaatlichen Grundhaltung bei den „Demokraten“.     

Besonders wichtig ist für Kennedy die Gesundheitspolitik. Seit Jahrzehnten kämpft der sich als „Umweltanwalt“ bezeichnende Politiker für einen besseren Schutz der Gesundheit. Besonders am Herzen liegt ihm seinen Worten nach die wachsende Zahl chronisch kranker Kinder. Er wendet sich gegen die Großunternehmen in der chemischen und pharmazeutischen Industrie, die alle eng mit dem sie angeblich regulierenden Staat verbandelt sind, den sie allzu oft regulatorisch vereinnahmt haben. Mit anderen Worten: Er kämpft gegen den Korporatismus – das moderne, verschleiernde Wort für Faschismus.

Sowohl Kennedy als auch Gabbard sind entschiedene Gegner der „Transition“ von Minderjährigen und der Zulassung von Transfrauen zum Frauensport und zu Schutzräumen für Frauen. Beide sind zudem empört über den putschartigen Vorgang der Nominierung von Harris – ohne jeglichen parteiinternen demokratischen Entscheidungsprozess. 

Die Gründe für den Übertritt dieser beiden Politiker lassen sich unter dem Titel „Freiheitlichkeit“ zusammenfassen: Gegen Korporatismus, Kriegshetze, Realitäts- und Diskursverweigerung.

Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von Republikanern, die sich eher ein Auge ausreißen, oder zumindest ihre Stimme für Harris abgeben werden, als Trump zu wählen. Sie sind allesamt vermutlich vom „neokonservativen“ und Establishment-Flügel der Partei, also für Korporatismus, aggressive Außenpolitik und – um sich bei den Linken einzuschmeicheln – „Wokeness“. So schreibt die BBC auf ihrer Webseite, dass „ehemalige Mitarbeiter von George H.W. Bush und George W. Bush sowie der Senatoren John McCain und Mitt Romney“ in einem offenen Brief erklärten, dass „eine weitere Trump-Regierung die amerikanische Demokratie gefährden würde.“ In diesem Brief schrieben sie ferner: „Natürlich haben wir viele ehrliche, ideologische Meinungsverschiedenheiten mit Vizepräsidentin Harris und Gouverneur Walz. Das ist auch zu erwarten. Die Alternative ist jedoch einfach unvertretbar.“

Auch auf globaler Ebene, zumindest in der westlichen Welt, dominiert immer mehr die Spannung zwischen autoritär und libertär. Besonders deutlich wird das in der Frage der freien Rede. Die Regierung von Brasilien sperrt „X“ (vormals „Twitter“), weil der Eigentümer Elon Musk sich weigert, bestimmte „Desinformationen“ löschen zu lassen. Die EU droht Musk aus ähnlichen Gründen. Der Eigentümer der Plattform „Telegram“ wird in Frankreich festgenommen, „aus Gründen“. Mark Zuckerberg entschuldigt sich in einem offenen Brief dafür, in der Corona-Krise Informationen auf „Facebook“ gelöscht und gesperrt zu haben, die dem tiefen Staat nicht in den Kram passten.  

Der Urheber des eingangs erwähnten Diagramms war David Nolan, einer der Gründer der Libertären Partei in den USA. Auf der englischsprachigen Wikipedia-Seite über ihn heißt es, er habe das Diagramm 1969 entwickelt. Auf dem Diagramm platziert wird man je nach dem, wie man auf dazugehörige politische Quizfragen antwortet.

Für Libertäre ist natürlich die libertär-autoritär-Achse schon immer viel wichtiger gewesen als die sie im 90-Grad-Winkel kreuzende Rechts-Links-Achse. In diesem geschichtlichen Moment jedoch deckt sich diese ideologische Überzeugung für jeden immer klarer ersichtlich mit der tatsächlichen Debatte in Wort und Tat. Es ist gut möglich, dass diese Achsenkippung sich in naher Zukunft stärker ausprägen und von Dauer sein wird. Denn der Korporatismus hat die westlichen Staaten in den finanziellen und geistig-moralischen Bankrott getrieben. Aus dem kommen sie nur noch heraus, wenn sie politisch das Gegenteil dessen tun, was ihnen den Ruin eingebracht hat.  


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