03. September 2024 16:00

Politikdiagnose Psychische Inflation

Mit Carl Gustav Jung den organisierten Wahnsinn besser verstehen

von Christian Paulwitz

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Bildquelle: Shutterstock Prägte den Begriff der „psychischen Inflation“: Carl Gustav Jung (1875–1961)

Manchmal stößt man bei erkenntnisreicher Lektüre auf Begriffe, die so treffend gewählt sind, dass sie gerade aufgrund ihrer Vielschichtigkeit auch in ganz anderen Bereichen außerordentlich aufschlussreich wirken.So ist es mir in diesem Sommer mit Carl Gustav Jung gegangen in „Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewussten“.

Mehrfach.

Aber einen Begriff, der mich sofort wie ein Schlag getroffen hat, möchte ich hier ein wenig diskutieren, nämlich den der „Psychischen Inflation“.

Inflation ist ja ein Thema, das in den Freiheitsfunken aus ökonomischer Perspektive beinahe schon inflationär– zwinker – zur Sprache kommt. Aus gutem Grund. Die Ausdehnung der Geldmenge über ein gegebenes Maß hinaus wirkt sich in vielerlei Hinsicht schädlich auf das Leben der Menschen aus und schlägt sich in direkter Weise in höheren Güterpreisen nieder – wenn auch nicht bei allen Gütern zur gleichen Zeit und im selben Maß. Über längere Zeit hinweg und auf breiter Ebene führt Inflation in sekundärer Wirkung zu einer systematischen Vermögensumverteilung. Inflation ist also nicht für alle schädlich, nur für die meisten; für einige ist es eine lohnende Möglichkeit, es sich auf Kosten anderer in bequemer Weise gut gehen zu lassen.

Die Geldmenge in einem Fiatgeldsystem verletzt durch Inflationierung ihre gegebenen Grenzen. Übertragen auf den Menschen stellt Carl Gustav Jung bei zwei scheinbar gegensätzlichen Typen, die man wohl der neurotischen Machtpsychologie zuordnen kann, eine ihnen gemeinsame Unsicherheit über ihre eigenen Grenzen fest und eine daraus folgende Neigung, diese auszudehnen. Da ist zum einen der Überhebliche, der Hochmütige, der jedoch alles andere als frei von Unsicherheit ist. Ja, es ist gerade die Unsicherheit, die ihn dazu treibt, seine Wahrheiten überschwänglich anzupreisen und um Gefolgschaft zu werben, die ihm die Verlässlichkeit seiner Überzeugungen bestätigen. Jung beschreibt ihn als jemanden, dem es in seiner Erkenntnisfülle gar nicht so wohl sei und der sich im Grunde genommen abseits fühle. Die heimliche Angst, mit seinen Erkenntnissen alleine gelassen zu werden, veranlasse ihn, seine Meinungen und Deutungen überall anzubringen, um ja überall dabei und damit vor verzehrenden Zweifeln geschützt zu sein.

„Umgekehrt der Kleinmütige! Je mehr er sich zurückzieht und verbirgt, desto höher wächst in ihm der heimliche Anspruch auf Verständnis und Anerkennung. Obschon er von seiner Minderwertigkeit spricht, so glaubt er im Grunde genommen doch nicht daran. Es drängt sich ihm von innen her eine trotzige Überzeugung seines unerkannten Wertes auf, weshalb er auch gegen die leiseste Missbilligung empfindlich wird und immer den Ausdruck des Missverstandenen und des in seinen berechtigten Ansprüchen Gekränkten zur Schau trägt.“

Wie wunderbar doch der Politikbetrieb beiden Typen Möglichkeiten gibt, ihre jeweiligen Neurosen umfassend auszuleben! Fast bin ich geneigt hinzuzufügen: Ganz besonders in Deutschland, wo man sich politisch besonders erheben kann, indem man eine assoziierte Niedrigkeit zur Schau trägt, oder umgekehrt sich bescheiden geben kann, indem man, Wohlstand und Ressourcen hemmungslos mit Hilfe eines Zwangsapparats kollektivierend, freigebig verteilen kann, wozu man selbst nie etwas leisten musste. Doch dies ist natürlich keine deutsche Besonderheit. Politik schafft überall Räume für Neurotiker.

Beiden Typen der neurotischen Machtpsychologie ist eine „die individuellen Grenzen überschreitende Ausdehnung der Persönlichkeit“, eine „Aufgeblasenheit“ zu eigen, die durch den Begriff der psychologischen Inflation getroffen wird. Es wird so ein Raum ausgefüllt, „den man normalerweise nicht ausfüllen könnte. Das kann man nur tun, wenn man sich Inhalte und Eigenschaften aneignet, die als an und für sich bestehend außerhalb unserer Grenzen liegen sollten.“

Volltreffer.

Das Wesen der Politik besteht in der Einschränkung von Bereichen rein auf Freiwilligkeit gegründeter Kooperation durch Zwänge und Verbote. Mit der Setzung von Zwängen und Verboten ist wiederum eine Entgrenzung des dahinterstehenden Regelsetzers – organisatorisch abgebildet im Allgemeinen als Staat – und seines Kontrollapparats gegenüber nicht zum Schaden anderer stattfindender freiwilliger Kooperationen verbunden. Die logische Konsequenz ist die Anziehung gerade der Personen mit entgrenzender Neurose in das politische Milieu, hier beschrieben als der Typ des „Hochmütigen“ und der des „Kleinmütigen“, die ihre Entgrenzung als Gemeinsamkeit haben und so einer psychischen Inflation unterliegen. Möglicherweise handelt es sich tatsächlich gar nicht um wirklich unterschiedliche, sondern um ein und denselben Typ, der je nach seiner Umgebung sich mal in der einen, mal in der anderen Weise manifestiert. Im politischen Betrieb wäre das geradezu die Idealfigur, die viel mit der bekannten Figur des charakterlichen Radfahrers – nach oben buckeln und nach unten treten – gemein hat.

Leider bleibt es nicht bei der personellen Negativauslese von entgrenzten Psychopathen in das politische Milieu. Da sie ihre persönliche Entgrenzung dort real ausleben können, wird auch das politische Feld an sich immer weiter aufgebläht, und in Folge dessen werden immer größere Teile der Gesellschaft psychopathisiert. Wie die Inflationierung des Geldsystems ist ja auch die Inflationierung des Politikbetriebs insgesamt nicht für alle schädlich, sondern nur für die meisten. Wenige können daraus auch gezielten Nutzen ziehen – ich meine abgesehen von den Psychopathen, denen eine Behandlung und Begleitung zu einem sozialisierten Leben vielleicht sogar besser täte. Vielmehr sind Menschen mit Psychosen gut steuerbar, wenn man die Mechanismen versteht, nach denen sie funktionieren.

Das Einzige, was hilft, sich selbst gegen entgrenzte Psychopathen zu schützen, das ist, ihnen Grenzen zu setzen und auf diesen nachdrücklich und kompromisslos zu bestehen. Auf der persönlichen Ebene weiß man, dass auch dies Grenzen des Möglichen hat. So manche psychologische Empfehlung, wie man sich gegenüber einem Narzissten schützt, an den man zum Beispiel familiär oder auch beruflich gebunden ist, läuft daraus hinaus, jede Bindung aufzulösen, um nicht selbst mit der Zeit zu einem psychopathischen Fall zu werden. Die Frage ist, wie es offenbar in der Vergangenheit auch Zeiten geben konnte, die von einer deutlichen höheren Resilienz gegenüber der Inflationierung des Politischen geprägt waren. Ganz gewiss war das kollektive Wissen über notwendige Grenzen des Politischen – nicht in idealer, aber doch mehr oder weniger hinreichender Weise – zu diesen Zeiten ausgeprägter als heute. Sieht so aus, als müsste dieses kollektive Wissen von Zeit zu Zeit neu aufgebaut werden, um den Psychopathen wieder die nötigen Grenzen setzen zu können; nun, Lernprozesse laufen mitunter etwas ungemütlich ab, was aber nicht bedeutet, dass die Lernfähigkeit auf Dauer zum Erliegen kommt.


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