Wilhelm Reichs Massenpsychologie des Faschismus – Teil 8: Stalins langer Schatten bringt Reich schließlich zu Fall
Auswertung der FBI-Akten zum „Fall Reich“
von Stefan Blankertz
Seit Wilhelm Reich im August 1939 aus dem skandinavischen Exil in die USA übersiedelt war, stand er unter der Aufsicht des US-Geheimdienstes FBI (Federal Bureau of Investigation). Zunächst konnte er allerdings unbehelligt ein Labor aufbauen und Forschungen weiterführen. Er hatte nämlich begonnen, nach einer von ihm postulierten biologischen Energie zu suchen und sie zu „akkumulieren“, um sie für die Therapie (besonders von Krebs), aber auch für mechanische Anwendungen (er arbeitete daran, einen Motor zu konstruieren) nutzbar zu machen. Diese Energie nannte er „Orgon“. Nun gewann er Mitarbeiter und Ärzte, die seine Erkenntnisse einem Praxistest unterziehen wollten. Bei Anwendungen an Kranken wurden diese informiert, dass es sich um die Erprobungsphase handele: Es könne nicht nur keine Heilung versprochen, sondern auch keine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausgeschlossen werden.
Mitte der 1940er Jahre erschienen verleumderische Artikel in Zeitungen (wie im skandinavischen Exil Reichs eine Pressekampagne das Nichtverlängern der Aufenthaltsgenehmigung vorbereitet hatte). Schließlich untersagte ihm die Food and Drug Administration (FDA) den Einsatz des „Orgon-Akkumulators“. Nach der Missachtung des Verbots wurde Wilhelm Reich 1957 verhaftet; er starb im gleichen Jahr in Haft, offiziell an Herzversagen. Die Angaben zu seinem Gesundheitszustand zuvor sind widersprüchlich, und es bestand die Chance, dass er möglicherweise begnadigt worden wäre; sein Todeszeitpunkt lädt also zu allerlei Spekulationen ein.
Unterdessen hatten Beamte der FDA Wilhelm Reich, seine Angehörigen sowie Mitarbeiter dazu gezwungen, das eigene Labor zu zerschlagen, darunter auch Geräte im Versuchsstadium, von denen keine weiteren Konstruktionszeichnungen überliefert sind. Tonnenweise wurden Schriften von Wilhelm Reich verbrannt und ihr Besitz blieb bis in die 1960er Jahre hinein verboten.
Von den Ärzten, die den Orgon-Akkumulator anwendeten, wurde ein Mitarbeiter Reichs ebenfalls verurteilt, die übrigen blieben unbehelligt; damit zeigt sich deutlich, dass sich die Aktion der FDA gezielt gegen Reichs Existenz richtete und keineswegs dem Schutz der Kranken vor einer falschen Behandlung diente.
In den 1960er Jahren, als die rebellierenden Jugendlichen der „Neuen Linken“ Wilhelm Reich entdeckten, fanden sie es naheliegend, in den Aktionen der FDA ein Komplott des FBI zu sehen. Reich selber allerdings machte eine Verschwörung von Sowjet-Kommunisten für seine Verfolgung verantwortlich. Eine Verschwörung von Kommunisten in den kapitalistischen USA? Das leuchtete den „Neuen Linken“ nicht ein und sie erklärten Reichs Vermutungen zu Auswüchsen seines Irrsinns. Allerdings wissen wir heute, dass in der FDA, eine unter Präsident Franklin D. Roosevelt im Zuge seines New Deal stark ausgebaute Behörde, zahlreiche Kommunisten Zuflucht gefunden hatten, als die Stimmung in den USA umkippte und in eine Kommunistenverfolgung mündete. Hatten die Kommunisten in der FDA nichts Besseres zu tun, als den Renegaten aus Deutschland zu drangsalieren? Möglicherweise überschätzte Reich seine Bedeutung. Die FBI-Akten bezüglich Wilhelm Reichs sind inzwischen als PDF-Dokumente zugänglich. Soweit ich es recherchieren konnte, bin ich der Einzige, der sie durchgearbeitet und ausgewertet hat. Sie ergeben nach meiner Durchsicht folgendes Bild:
Nachdem der Report eines US-Diplomaten aus Oslo Wilhelm Reich als „Kommunisten“ bezeichnet hat, leitet das FBI im März 1941 eine Untersuchung ein, ob er ein „gefährlicher Ausländer“ sei. Mitte Dezember 1941 wird Reich als Ausländer (Deutscher) interniert, Anfang Januar 1942 entlassen. Eine Klassifizierung vom 31. Januar 1942 stuft ihn als im mittleren Bereich gefährlich ein, Stufe B (zwischen A, sehr gefährlich, und C, ungefährlich). Bemerkenswerterweise geben spätere Akten (wie zum Beispiel am 15. Mai 1943) für ihn die Klassifizierung C an.
In einer Anweisung vom 21. Juli 1943 fordert John Edgar Hoover einen Spezialagenten in Newark dazu auf, Reich aus der Liste der gefährlichen Zielpersonen zu streichen, und verweist auf einen (in den Akten nicht aufzufindenden) Report vom 7. Februar 1942. Am 10. August 1943 wird festgestellt, dass in Newark eine Verwechslung mit William Robert Reich, einem kommunistischen Aktivisten, stattgefunden habe.
Ein „Office Memorandum“ wiederholt am 2. Januar 1945, dass keine Erkenntnisse über kommunistische Aktivitäten von Reich vorlägen. Es bleibt allerdings im Dunklen, wodurch das Memorandum ausgelöst beziehungsweise von wem es angefordert wurde.
Am 25. Oktober 1947 wird ein Vertreter der FDA beim FBI vorstellig und begehrt Einsicht in die Akten Wilhelm Reichs, gegen den ein Verfahren wegen betrügerischer Heilbehandlung laufe. Doch erst fünf (!) Jahre später liegt ein auf den 20. August 1952 datierter Begleitbrief vor, der Unterlagen an die FDA avisiert. Die Unterlagen sind aus den FBI-Akten entfernt worden. Auskünfte gegenüber nichtstaatlichen Organisationen, die sich bezüglich Reichs informieren wollten, hatte das FBI zuvor abgelehnt (zum Beispiel am 3. Mai 1949; in diesem Fall eine christliche Organisation, die sich von einer Anhängerin Reichs kritisiert sah).
Reich und seine Mitarbeiter informieren das FBI mehrfach, dass FDA-Beamte sich als vom FBI kommend ausgegeben und widerrechtlich das Grundstück des „Orgone Institute“ betreten hätten. Der Direktor des FBI benachrichtigt am 6. Dezember 1950 einen Agenten über die Anschuldigungen, bittet zwar um Auskunft, aber untersagt gleichzeitig bis auf Weiteres Untersuchungen des Falles. Die FDA sieht sich jedoch am 10. September 1952 schließlich genötigt, eine Rechtfertigung an das FBI zu senden. In einem späteren Fall wird am 30. September 1955 FBI-intern eine Untersuchung angeregt; ob dies tatsächlich geschehen ist, bleibt unklar.
In der Folgezeit bietet Reich dem FBI mehrfach seine Hilfe im Kampf gegen den Kommunismus an und bittet ab Anfang 1957 in persönlichen Briefen an John Edgar Hoover teils handschriftlich um Hilfe, während die FDA das FBI bezüglich der Ermittlungen gegen Reich auf dem Laufenden hält. Hoovers Büro leitet sämtliche von Reich und seinen Mitarbeitern ans FBI gerichteten Briefe am 17. Oktober 1957, wenige Tage vor Reichs Tod, an die FDA weiter. Der zunehmende Wahnsinn Reichs ist persönlicher und damit lächerlicher Natur, derjenige, der sich in den bürokratischen Abläufen sinnfreier „Memoranden“ des FBI und den bösartigen Angriffen der FDA Bahn bricht, ist mehrheitsfähig sowie etabliert; deshalb scheinbar rational und gesund.
Am 26. November 1955 legt Reich Materialien vor, die seine Verfolgung durch Kommunisten belegen sollen, darunter eine ziemlich überzeugende Konkordanz zwischen von Kommunisten verfassten Abhandlungen gegen ihn und den Anschuldigungen der FDA.
Noch zweimal betont das FBI Mitte der 1950er Jahre ausdrücklich, dass gleichgültig, welche Anklagen gegen Reich sonst vorliegen mögen, unter dem Blickwinkel der nationalen Sicherheit keine Gefahr von ihm ausgehe. Eine Notiz von 1955 verweist auf einen Report von 1950, der das festgestellt habe (während am 21. Juli 1943 ein Report vom 7. Februar 1942 angegeben wird).
Zusammenfassend ergibt die Durchsicht der FBI-Akten, dass das FBI anscheinend kein besonderes Interesse an dem Fall Wilhelm Reichs hatte. Die Verfolgung war, den Akten zufolge, einzig und allein das Werk der FDA.
Die Akten des FBI bieten keine letztgültige Lösung aller Aspekte des Falles von Wilhelm Reich. Jedoch schließen sie eine vom FBI veranlasste politische Verschwörung gegen ihn aus. Wenn es eine Verschwörung gegeben hat, hatte sie ihren Ursprung in der FDA. Aber ob Verschwörung von Kommunisten oder von Konservativen: Die Verhaftung und Einkerkerung Wilhelm Reichs, indirekt seine Tötung, die Zerschlagung seines Labors sowie die Verbrennung seiner Schriften sind ein Schandfleck für die USA und werden es immer bleiben, gleichgültig ob Reichs „Orgon“ nun ein Fünkchen Wahrheit enthält oder ein bloßes Produkt von Schizophrenie darstellt.
Wie tief der Glaube daran, dass nur Nazis oder Antikommunisten jemanden mobben könnten, verwurzelt ist, zeigt etwa die folgende Kurzdarstellung des Medizinhistorikers Wolfgang U. Eckart sowie ihre Rezeption in Wikipedia: „Aus beiden Vereinigungen [der Kommunistischen Partei und der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung] wurde er [das ist Wilhelm Reich] 1934 ausgeschlossen. Nach einem fruchtbaren Neubeginn in den USA in den Jahren zwischen 1937 und 1947 setzte in den frühen Fünfzigerjahren auch dort eine Phase der Diffamierung und Verfolgung Reichs ein, die zudem vor dem Hintergrund des zügellosen Antikommunismus der McCarthy-Ära interpretiert werden muss. Die amerikanische ,Food and Drug Administration‘ konzentrierte sich insbesondere auf Reichs ,Orgon-Akkumulator‘. Die Kampagne gegen den Psychoanalytiker bediente sich des Vorwurfs der ,Scharlatanerie‘. Auf dem Höhepunkt der Kampagne wurde Reich 1957 inhaftiert“ (Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, 1990, Seite 294).
Dies ist ziemlich schwammig formuliert, unterschlägt aber auf jeden Fall, dass es im skandinavischen Exil Kommunisten waren, die Reich diffamierten und derart seine Ausweisung betrieben. Was freilich Wikipedia, Stand 4. März 2024 um 10:32 Uhr, mit Hinweis auf diese Stelle in dem Buch macht, ist eindeutig falsch: „Der Antikommunismus der Ära McCarthy trug zum Vorwurf der ,Scharlatanerie‘ in der gegen den Psychoanalytiker betriebenen Kampagne bei.“ Egal, ob man in der FDA hintergründig Kommunisten als Drahtzieher annimmt (wie Reich selber es tat) oder nicht, der Vorwurf, dass Reich ein Kommunist sei, spielte nachweislich bei der Anklage und Verurteilung Reichs keine Rolle. Dies musste selbst vor Einsicht in die FBI-Akten als sicher gelten. Aber Glaube versetzt bekanntlich Berge. Und Tatsachen.
Wir sind am Ende des Abenteuers einer Wiederaneignung Wilhelm Reichs. Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergeht: Für mich hat sich die Sympathie vertieft; eine Prise Antipathie ist und die Unsicherheit, was Wahnsinn und was Genie ist, sind geblieben. Vor allem jedoch bleibt die große Dankbarkeit für große Einsichten, die mir ohne ihn nicht möglich gewesen wären.
Kommentare
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