16. September 2024 21:00

Putins Krieg gegen die Wahrheit Euromaidan

Teil zwei

von Christian Stolle

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Bildquelle: Fotokon / Shutterstock.com Kiew: Gedenkstätte für getötete Euromaidan-Teilnehmer

Am selben Tag, dem 21. November 2013, begannen vom Westen unterstützte Aktivisten die Euromaidan-Proteste gegen Präsident Janukowitsch, gegen die weit verbreitete Korruption und für ein Assoziierungsabkommen mit der EU. Zehntausende kamen zu den täglichen Protesten, was beachtlich war, aber weniger als während der „Orangenen Revolution“ von 2004. Während sich der Euromaidan in Kiew versammelte, nahm Janukowitsch am EU-Gipfel zur östlichen Partnerschaft in Litauen teil, wo er für trilaterale Gespräche und finanzielle Hilfen für die Ukraine plädierte. Die EU weigerte sich jedoch, mit Russland zu verhandeln und bot lediglich 610 Millionen Dollar an, während die Ukraine 160 Milliarden Dollar über drei Jahre gefordert hatte.

Der EU-Gipfel endete am 29. November. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich nur noch wenige hundert Menschen auf dem Euromaidan. Die Proteste waren abgeflaut und hätten sich vermutlich mit der Zeit aufgelöst, doch am frühen Morgen des 30. Novembers vertrieb die Polizei die wenigen verbliebenen Demonstranten mit äußerster Brutalität. Diese unprovozierte Aggression einte die Opposition und bestärkte die Ukrainer, auf die Straße zu gehen. In den folgenden Monaten schlossen sich Hunderttausende dem Euromaidan an und besetzten sogar das Rathaus.

Gewaltsame Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten häuften sich. Die Regierung versuchte, die Opposition zu beschwichtigen, doch die Spannungen eskalierten nach dem 17. Dezember, als Putin und Janukowitsch vereinbarten, dass Russland ukrainische Staatsanleihen im Wert von 15 Milliarden Dollar kaufen und den Preis für Gasexporte in die Ukraine um ein Drittel senken würde. Obwohl die Vereinbarung für die Ukraine vorteilhaft schien, wollten die Demonstranten eine engere Anbindung an die EU und nicht an Russland.

Als die Unruhen weitergingen, wurden am 16. Januar 2014 unter Verletzung mehrerer Verfahrensregeln drakonische Anti-Protest-Gesetze durchs Parlament gepeitscht. Am darauffolgenden Wochenende versammelten sich erneut Zehntausende in Kiew. Drei Aktivisten wurden durch Schüsse getötet, ein weiterer wurde kurz nach seiner Entführung tot aufgefunden. Einige Politiker der regierenden Partei der Regionen rechtfertigten die Morde, während andere sie verurteilten und Provokateure oder Extremisten dahinter vermuteten.

Als die Demonstranten immer mehr öffentliche Gebäude besetzten, trat der Premierminister am 28. Januar zurück. Präsident Janukowitsch hob die meisten der Anti-Protest-Gesetze auf und bot an, die Verfassung zu ändern, um die Befugnisse des Präsidenten einzuschränken. Außerdem schlug er vor, den Oppositionsführer Arsenij Jazenjuk zum Premierminister zu ernennen. Die Opposition bestand jedoch auf vorgezogenen Neuwahlen und dem Rücktritt Janukowitschs.

In den folgenden Wochen kam es zu Ausschreitungen in einem Ausmaß, wie sie die unabhängige Ukraine noch nicht erlebt hatte. Insgesamt war das Land jedoch gleichmäßig zwischen Anhängern und Gegnern des Euromaidan aufgeteilt. Regional gab es große Unterschiede. Die Bevölkerung im Nordwesten, einschließlich der Hauptstadt Kiew, unterstützte die Proteste überwiegend, während die Südostukrainer die Proteste mehrheitlich ablehnten.

Die Lage schien sich zu beruhigen, als die Regierung am 14. Februar 234 Demonstranten aus der Haft entließ. Zwei Tage später beendeten die Demonstranten im Austausch für eine Amnestie ihre Besetzung des Rathauses und anderer Regierungsgebäude. Sie räumten auch die wichtigsten Straßensperren, besetzten aber weiterhin den Maidan (Ukrainisch: „Majdan Nesaleschnosti“ = Platz der Unabhängigkeit).

Unmittelbar auf diese Deeskalation folgte die sogenannte Revolution der Würde, die zum Sturz von Präsident Janukowitsch führte. Am 17. Februar, als sich die ukrainischen Oppositionsführer mit Bundeskanzlerin Merkel in Berlin trafen, kündigte Russland an, weitere zwei Milliarden Dollar in die Ukraine zu pumpen. Es handelte sich um die zweite Tranche des im Dezember vereinbarten Hilfspakets, nachdem Russland die Zahlungen im Januar wegen der anhaltenden Unruhen in der Ukraine eingestellt hatte. Angesichts dieser erneuten Verstrickung mit Russland und aufgrund der Tatsache, dass Janukowitsch weiterhin an der Macht war, die Verfassung noch immer nicht geändert wurde und vorgezogene Neuwahlen nicht in Sicht waren, riefen die großen Oppositionsbündnisse für den folgenden Tag zu einem Marsch auf das Parlament auf.

Am 18. Februar 2014 marschierten Zehntausende auf das Parlament, während Oppositionspolitiker erfolglos für eine Verfassungsänderung plädierten. Die Zusammenstöße auf der Straße wurden schnell gewalttätig. Die Demonstranten setzten die Parteizentrale der Partei der Regionen in Brand und besetzten erneut das Rathaus. Auch in mehreren Provinzen, vor allem im Nordwesten der Ukraine, wurden Verwaltungsgebäude besetzt, und das Parlament der Provinz Lwiw erklärte sich für unabhängig von der Zentralregierung. Die Regierung in Kiew ging mit Spezialeinheiten und angeheuerten Schlägern, sogenannten „Tituschki“, gegen die Demonstranten vor. Insgesamt wurden bei den Zusammenstößen mindestens 25 Menschen getötet, darunter zehn Polizisten.

Am 19. Februar errichteten die Behörden in Kiew Polizei-Checkpoints und stellten den öffentlichen Nahverkehr teilweise ein, um zu verhindern, dass sich weitere Menschen den Protesten anschließen. Russland stellte seine Finanzhilfe für die Ukraine erneut ein, unterstützte die Regierung jedoch mit einer Flugzeugladung nicht-tödlicher Waffen und Munition zur Aufstandsbekämpfung. Der ukrainische Geheimdienst kündigte eine Anti-Terror-Operation in Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium, dem Innenministerium, den Provinzregierungen und dem Grenzschutz an. Bei einem nächtlichen Treffen mit Janukowitsch stimmten die Oppositionsführer einem Waffenstillstand zu. Janukowitsch erklärte daraufhin den folgenden Tag, den 20. Februar, zum Trauertag für die bei den Demonstrationen Getöteten.

Trotz des Waffenstillstandsabkommens sollte der 20. Februar der blutigste Tag der Proteste werden. Noch vor dem Morgengrauen waren die ersten Schüsse zu hören, für die sich jedoch keine Seite verantwortlich zeigte. Um 5:30 Uhr meldeten Spezialeinheiten der Polizei Schüsse aus dem von der Opposition gehaltenen Musikkonservatorium. Um neun Uhr befand sich die Polizei auf dem Rückzug, nachdem mehrere Polizisten von Scharfschützen getroffen wurden. Die Anführer des Euromaidan ermutigten die Demonstranten daraufhin, Boden gutzumachen. Sie gewannen die volle Kontrolle über den Maidan zurück und errichteten Barrikaden, gerieten aber ebenfalls unter Beschuss. Die meisten Schüsse kamen aus Gebäuden, die von der Opposition kontrolliert wurden. Es scheint, dass die Demonstranten von denselben Scharfschützen erschossen wurden, die auch auf die Polizei geschossen hatten. Insgesamt wurden an diesem Tag 49 Demonstranten getötet, die meisten von ihnen zwischen neun und zehn Uhr.

Zwei Monate nach dem Massaker behauptete der ehemalige georgische General Tristan Zitelaschwili, dass georgische Scharfschützen beteiligt waren. Dies wurde 2017 von drei Georgiern gegenüber dem italienischen Sender „Canale 5“ bestätigt. Koba Nergadse, Alexander Rewasischwili und Kwarateskelia Salogi sagten, dass sie dafür bezahlt wurden, am 20. Februar 2014 auf Polizisten und Demonstranten zu schießen. Sie sollen Anweisungen von einem ehemaligen Scharfschützen der US-Armee, Brian Christopher Boyenger, sowie von den ukrainischen Politikern Andrij Parubij und Sergej Paschinski erhalten haben. Forensische Beweise deuten auf die gleichen Politiker sowie auf ein geheimes extremistisches Netzwerk unter den Euromaidan-Demonstranten, das mit dem Rechten Sektor verbunden ist – einer Koalition militanter Ultranationalisten, die den Waffenstillstand vom 19. Februar nicht akzeptiert hatten.

Der ukrainische Politikwissenschaftler Iwan Katschanowski analysierte die forensischen Beweise des Maidanmassakers, insbesondere Fotos, Videos und Zeugenaussagen. Er schrieb:

„Das Massaker auf dem Maidan am 20. Februar 2014 verlief mit Beteiligung rechtsextremer und oligarchischer Parteien, und es war ein Schlüsselelement des gewaltsamen Sturzes der korrupten und oligarchischen, aber demokratisch gewählten Regierung in der Ukraine. […]

Bewaffnete Gruppen und die Führung rechtsextremer Organisationen wie der Rechte Sektor und Swoboda sowie oligarchische Parteien wie Vaterland waren direkt oder indirekt in verschiedenen Funktionen an diesem Massaker an den Demonstranten und der Polizei beteiligt. Dieser Massenmord war eine erfolgreiche Operation unter falscher Flagge, die von Elementen der Maidan-Führung und verdeckten bewaffneten Gruppen organisiert und durchgeführt wurde, um den asymmetrischen Konflikt während des Euromaidan zu gewinnen und die Macht in der Ukraine zu übernehmen. […] Die genaue Art und das Ausmaß der Beteiligung jeder dieser politischen Organisationen sowie bestimmter Führer und bewaffneter Demonstranten bleibt jedoch unklar. Ein solches Massaker unter falscher Flagge kann naturgemäß nur von einer kleinen Zahl von Maidan-Führern und Demonstranten organisiert und erfolgreich durchgeführt worden sein. Die absolute Mehrheit der Maidan-Demonstranten, Aktivisten, Mitglieder und Unterstützer der Euromaidan-Massenproteste und der Parteien, die diese Proteste anführten, einschließlich der Opfer unter den Demonstranten, hatten keine Kenntnis von den tatsächlichen Organisatoren und Tätern dieser politisch motivierten Morde und waren auch in keiner anderen Weise an diesem Massenmord beteiligt. […]

Die Analyse der Umstände, der Zeitpunkte und der Orte, an denen 49 Demonstranten getötet wurden, zeigt, dass fast alle von den vom Maidan-kontrollierten Gebäuden und Orten aus getötet wurden, insbesondere vom Hotel Ukraine und dem Oktober-Palast. Diese Studie präsentiert direkte Beweise wie Videos, Fotos und Zeugenaussagen über Gruppen von Maidan-Scharfschützen in diesen Gebäuden und deren Schüsse von diesen Positionen in Richtung der Demonstranten zur gleichen Zeit, als die Demonstranten aus diesen Richtungen mit Waffen desselben Kalibers und derselben Art getötet und verwundet wurden. […]

Dieser Massenmord beendete nicht nur viele Menschenleben, sondern untergrub auch die Demokratie, die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine. Das Massaker an den Demonstranten und der Polizei war ein wesentlicher Bestandteil des gewaltsamen Umsturzes der Regierung in der Ukraine und ein schweres Menschenrechtsverbrechen. […] Der gewaltsame Sturz der ukrainischen Regierung führte auch zu einer Eskalation des zwischenstaatlichen Konflikts zwischen dem Westen und Russland über die Ukraine.“

Die Führer des Euromaidan machten sofort die Regierung für das Massaker verantwortlich, obwohl Polizei und Demonstranten nachweislich aus denselben Gebäuden und offenbar von denselben Scharfschützen angegriffen wurden.

Anders als zwei Tage zuvor, als sich Polizisten und Demonstranten im Nahkampf gegenseitig töteten, schossen die Mörder vom 20. Februar aus der Distanz. Sie zielten nicht auf die Anführer des Euromaidan, die Hauptbühne der Proteste oder die bewaffneten Maidan-Sicherheitskräfte, sondern auf Polizisten und unbewaffnete Demonstranten.

Die meisten Sympathisanten der Opposition innerhalb und außerhalb der Ukraine gaben sofort der Regierung die Schuld. Sie vermuteten, dass die Demonstranten die Polizei zurückgedrängt hatten und dass der anschließende Massenmord an unbewaffneten Demonstranten ein Racheakt der Polizei war. Die EU-Außenminister kündigten umgehend Sanktionen gegen ukrainische Offizielle an und auch die USA zögerten nicht, Janukowitsch für das Massaker verantwortlich zu machen.

Um 9:32 Uhr, inmitten des Massakers, wurde bekannt gegeben, dass das Parlament an diesem Tag nicht zusammentreten würde. Das Massaker – insbesondere der Massenmord an unbewaffneten Demonstranten – erschütterte den Staat bis ins Mark. Staatsdiener wollten nicht mit dieser schrecklichen Bluttat in Verbindung gebracht werden und auch nicht die Regierung vertreten, die weithin als Schuldiger angesehen wurde. Dutzende Polizisten ergaben sich offenbar, wurden aber in jedem Fall von den Demonstranten gefangen genommen. Am Nachmittag öffnete das Parlament zu einer Dringlichkeitssitzung. An der Sitzung nahmen Abgeordnete der Opposition und etwa ein Viertel der Abgeordneten der Partei der Regionen teil, die sich der Opposition anschlossen und dafür stimmten, die Polizei von den Maidan-Protesten abzuziehen.

Zunächst hatte Janukowitsch die Kontrolle über die Sicherheit auf dem Maidan verloren, was Dutzende von Toten zur Folge hatte. Dies führte zu einem Vertrauensverlust in die Regierung, selbst innerhalb der Regierungspartei. Einige Parteifunktionäre forderten die Abspaltung der südöstlichen Regionen der Ukraine, sollte es Janukowitsch nicht gelingen, die Lage zu stabilisieren.

Am folgenden Tag, dem 21. Februar, waren zahlreiche hohe Beamte entweder zurückgetreten, aus der Partei der Regionen ausgetreten oder aus Kiew geflohen, darunter der Bürgermeister, der Innenminister, der stellvertretende Generalstabschef und der Generalstaatsanwalt. Präsident Janukowitsch traf sich unterdessen mit Oppositionsführern und Vertretern aus Deutschland, Frankreich und Polen in Anwesenheit eines russischen Offiziellen. Sie einigten sich auf einen Waffenstillstand zwischen Polizei und Demonstranten, die Bildung einer Übergangsregierung innerhalb von zwei Wochen, Verfassungsreformen bis September und Präsidentschaftswahlen bis spätestens Dezember. Janukowitsch floh jedoch noch in derselben Nacht gen Russland.

Einen Tag später setzte das Parlament Janukowitsch ohne die erforderliche Dreiviertelmehrheit offiziell ab und ernannte Arsenij Jazenjuk zum Chef einer Übergangsregierung und anschließend zum Premierminister. Bereits vor der Revolution war Jazenjuks „Open Ukraine Foundation“ offiziell mit der NATO, „Chatham House“ und dem US-Außenministerium assoziiert.

Damit war der Erfolg der „Agents Provocateurs“ besiegelt. „Agents Provocateurs“ sind verdeckte Agenten, die Straftaten begehen oder andere zu Straftaten anstiften, um einen politischen Gegner zu belasten. Im Fall der Ukraine trug das von militanten Extremisten verübte Massaker dazu bei, die Regierung zu diskreditieren. Der Massenmord an Demonstranten destabilisierte die Regierung Janukowitsch so sehr, dass sie zusammenbrach.

Fortsetzung folgt.

Quelle:

Teil eins: Die Ukraine nach dem Fall der Sowjetunion (Christian Stolle, Freiheitsfunken)

Putins Krieg gegen die Wahrheit (Blog Christian Stolle)


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