30. September 2024 21:00

Putins Krieg gegen die Wahrheit Verhärtete Fronten

Teil vier

von Christian Stolle

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Bildquelle: Shutterstock Russland versus Ukraine: Wie kam es zur Eskalation?

Im März 2015 stimmte das ukrainische Parlament für eine Aufstockung der Armee von 184.000 auf 250.000 Soldaten. Der Waffenstillstand im Donbass wurde weitgehend eingehalten, bis die Separatisten im Juni eine Offensive bei Marinka starteten. Nach zahlreichen Waffenstillständen, die umgehend wieder gebrochen wurden, brachte ein erneuter Waffenstillstand im September die Kämpfe auf den niedrigsten Stand seit Beginn des Krieges. Dennoch kam es immer wieder zu Gefechten entlang meist unveränderter Frontlinien.

Im Dezember 2015 kündigte Russland an, die Ukraine aus dem GUS-Freihandelsabkommen auszuschließen. Die ukrainische Regierung verhängte daraufhin Handelsbeschränkungen gegen Russland und unterzeichnete ein Handelsabkommen mit der EU.

In den folgenden Jahren machte die Ukraine keine nennenswerten Fortschritte in Bezug auf die Krim, den Donbass oder die Wirtschaft. Es überrascht nicht, dass die Ukrainer laut einer Umfrage des Internationalen Republikanischen Instituts aus dem Jahr 2017 mit diesen Entwicklungen unzufrieden waren. Demnach waren die postrevolutionären Regierungen, deren Korruption und wirtschaftspolitisches Versagen als Hauptursachen für die weit verbreitete Armut angesehen wurden, allgemein eher unbeliebt. Die Wirtschaftsblockade gegen die Separatistengebiete wurde überwiegend abgelehnt, ebenso wie eine Abspaltung der Gebiete von der Ukraine. Nur sechs Prozent der Ukrainer im von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teil des Landes sprachen sich für eine Abspaltung der Separatistengebiete aus, im ukrainisch kontrollierten Teil des Donbass sogar nur vier Prozent.

Die Umfrageergebnisse des Internationalen Republikanischen Instituts wurden durch Erhebungen des Berliner Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien aus den Jahren 2016 und 2019 bestätigt. Demnach sprachen sich 2016 im ukrainisch kontrollierten Donbass 7,6 Prozent für eine Abspaltung der Separatistengebiete von der Ukraine aus, 2019 sank die Zahl auf 4,6 Prozent. In den Separatistengebieten selbst waren die Zahlen deutlich höher. 44,5 Prozent waren 2016 für eine Abspaltung von der Ukraine, 2019 waren es 45,5 Prozent. Dennoch gab es somit fünf Jahre nach Gründung der Volksrepubliken selbst innerhalb dieser Regionen keine Mehrheit für eine Abspaltung von der Ukraine. Die Bewohner der Separatistengebiete sprachen sich klar für eine Dezentralisierung der politischen Macht innerhalb der Ukraine und mehr Autonomie für den Donbass aus, wollten sich aber nicht von der Ukraine abspalten oder Teil Russlands werden, ganz im Gegensatz zu dem, was die Separatistenführer anstrebten. Kritiker könnten hinter dieser Untersuchung westliche Propaganda vermuten, jedoch bestätigte sie auch, dass die Selbstidentifikation der Menschen im ukrainischen Donbass als ukrainische Staatsbürger zwischen 2016 und 2019 deutlich zurückging, was sicher nicht im Sinne der ukrainischen oder westlichen Propaganda ist. Zudem bestätigte die Untersuchung, dass die Bewohner der Separatistengebiete sich ethnisch und sprachlich eher als russisch denn als ukrainisch sahen. In der Frage der Staatsbürgerschaft war es jedoch umgekehrt, wobei die größte Gruppe sich weder als ukrainische noch als russische Staatsbürger identifizierte, sondern als gemischt ukrainisch-russisch und als Bürger des Donbass.

Die von der Bevölkerung in den Separatistengebieten favorisierte Lösung einer größeren Unabhängigkeit des Donbass innerhalb der Ukraine scheiterte letztlich an den unvereinbaren Positionen Russlands und der Ukraine. Russland wollte die Volksrepubliken durch selbst organisierte Wahlen legitimieren und von der Ukraine abspalten, die Ukraine forderte den Abzug aller russischen Truppen sowie die Entwaffnung der übrigen Separatisten. Russland verleugnete jegliche militärische oder politische Zusammenarbeit mit den Separatisten und bemühte sich, die Separatistengebiete als Brückenkopf für eine spätere Annexion zu stärken, während die Ukraine ihre Beziehungen zu EU und NATO intensivierte, um die Gebiete militärisch zurückzuerobern.

Im Februar 2017 begann Russland, die von den Separatisten ausgestellten Kfz-Zulassungen und Personalausweise anzuerkennen und sie damit offiziell als legitime Behörden einzustufen. Im Juni machte das ukrainische Parlament per Gesetz die NATO-Mitgliedschaft zur außenpolitischen Priorität. Im Januar 2018 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das dem Präsidenten den Einsatz militärischer Gewalt erlaubt, um die Kontrolle über den Donbass wiederzuerlangen. Das Gesetz benennt Russland ausdrücklich als Aggressor. Im Februar 2019 änderte das Parlament die Verfassung, um den Beitritt zu NATO und EU zu ermöglichen. Zwei Monate später begann Russland mit der Verteilung russischer Pässe an Ukrainer in den Separatistengebieten. Damit einher ging die weitere Integration des dortigen Bildungssystems in das russische System mit Schwerpunkten auf Militarisierung und Russifizierung.

In seiner letzten Amtswoche im Mai 2019 unterzeichnete Präsident Poroschenko ein Gesetz zur Förderung der ukrainischen Sprache und zur Herabstufung des Status des Russischen. Dieser Schritt war im Südosten der Ukraine, wo Russisch die Erstsprache der meisten Ukrainer ist, äußerst unpopulär. Zu diesem Zeitpunkt hatte Poroschenko gerade die Wahlen gegen Wolodymyr Selenskyj verloren.

Selenskyj, dessen Muttersprache Russisch ist, erhielt die meisten Stimmen in Regionen mit überwiegend russischsprachigen Ukrainern. Vor seiner politischen Karriere spielte Selenskyj in einer beliebten russischsprachigen Sitcom die Hauptrolle eines Lehrers, der zum Präsidenten der Ukraine gewählt wird. Die Serie wurde erstmals 2015 ausgestrahlt, Selenskyjs Partei wurde 2018 gegründet und nach der Serie benannt. Sie lief auf einem Sender von Igor Kolomoyskyi, dem Hauptaktionär von „Burisma“, dem größten Öl- und Gaskonglomerat der Ukraine. Selenskyj war ein Protegé des zwielichtigen Oligarchen Kolomoyskyi, pflegte aber ein Image als unabhängiger Kämpfer gegen Korruption. Laut den „Pandora Papers“ des Internationalen Netzwerks investigativer Journalisten versteckte Selenskyj gemeinsam mit Dutzenden ukrainischen Politikern unversteuertes Vermögen auf geheimen Offshore-Konten. Davon handelt auch der Dokumentarfilm „Offshore 95“, dessen Ausstrahlung in der Ukraine die Selenskyj-Regierung offenbar verhindern wollte, jedoch ohne Erfolg.

2013 hatte „Burisma“ zwei enge Mitarbeiter von US-Vizepräsident Joe Biden eingestellt, der in der Obama-Regierung für die Ukraine zuständig war. 2014 stellte „Burisma“ auch Bidens Sohn Hunter ein, obwohl Hunter Biden keinerlei Erfahrung in der Ukraine oder im Energiesektor hatte. Cofer Black, ein ehemaliger CIA-Agent und US-Koordinator für Terrorismusbekämpfung, kam 2017 zu „Burisma“. „Burisma“ spendete außerdem an den „Atlantic Council“, eine in Washington ansässige Denkfabrik des tiefen Staates.

Bereits 2012 hatte die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft begonnen, gegen den Gründer von „Burisma“, Mykola Slotschewskyj, wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung zu ermitteln. Die Ermittlungen spitzten sich während der Amtszeit von Viktor Schokin zu, der 2015 Generalstaatsanwalt wurde. Im Oktober desselben Jahres ließ Schokin Hennadij Korban einen Geschäftspartner von Kolomoyskyi wegen Korruptionsvorwürfen verhaften. Einen Monat später wurde ein Attentat auf Schokin verübt, das an den kugelsicheren Fenstern seines Büros scheiterte. Gleichzeitig wurde Schokin wegen mangelnder Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung stark kritisiert. EU- und US-Diplomaten, der IWF und NGOs wie das „Anti-Korruptions-Aktionszentrum“ (AntAC) und die „Open Dialogue Foundation“ (ODF) setzten sich gegen Schokin ein. „AntAC“ wurde von der Obama-Regierung und George Soros finanziert. „ODF“ hat Verbindungen zu Google, Soros-finanzierten NGOs und dem kasachischen Oligarchen Muchtar Äbljasow.

Im Februar 2016 beschlagnahmte Schokin das Vermögen von Slotschewskyj, der unter der Janukowitsch-Regierung Minister für Ökologie und natürliche Ressourcen sowie stellvertretender Sekretär des nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates war. Die Anklage lautete auf unerlaubte Bereicherung. Eine Woche später drohte der IWF, Kredite in Höhe von 40 Milliarden Dollar zurückzuhalten, wenn die Ukraine keine grundlegenden Reformen durchführt. US-Vizepräsident Biden drängte Präsident Poroschenko in einem Telefonat, die Forderungen des IWF zu erfüllen. Eine weitere Woche später forderte Poroschenko Schokin zum Rücktritt auf, woraufhin Schokin ein Rücktrittsgesuch an Poroschenko richtete.

Zwei Jahre später prahlte Joe Biden vor dem „Council on Foreign Relations“, dass er damit gedroht hatte, der Ukraine eine Milliarde Dollar an US-Krediten vorzuenthalten, wenn Schokin nicht abgesetzt würde. Trotz dieses Eingeständnisses bestritt Poroschenko später, dass seine Entlassung Schokins etwas mit Biden zu tun hatte und bezeichnete Schokin als verrückt, weil dieser das Gegenteil behauptete. Poroschenko sagte jedoch auch, dass er die Unterstützung der USA für die Ukraine nicht gefährden wollte, so dass seine Leugnung von Bidens Einfluss von seinem Eigeninteresse überschattet wird, die US-Machteliten nicht zu verärgern, was die Folge einer Bestätigung von Schokins Anschuldigungen gegen Biden gewesen wäre. Erwähnenswert ist auch, dass „Burisma“ Geschäfte mit Unternehmen von Poroschenko machte, der schon vor seiner Amtszeit als Präsident Milliardär war, aber bei weitem nicht so reich wie Russlands Präsident Putin.

Einen Monat vor seiner offiziellen Entlassung im April ordnete Schokin eine Razzia bei „AntAC“ wegen veruntreuter Hilfsgelder an. Schokins Nachfolger, Juri Luzenko, sagte später, die US-Botschafterin in der Ukraine, Marie Yovanovitch, habe ihn gebeten, bestimmte Personen nicht strafrechtlich zu verfolgen, darunter einen der Gründer von „AntAC“ und zwei Parlamentsabgeordnete, die die Gruppe unterstützen. Auch der stellvertretende US-Botschafter George Kent drängte ukrainische Staatsanwälte, ihre Ermittlungen gegen „AntAC“ einzustellen. Letztlich wurden sowohl „AntAC“ als auch „Burisma“ weitgehend in Ruhe gelassen.

Nach Schokins Rücktritt wurde der Fall Slotschewskyj zunächst von einem Fall unrechtmäßiger Bereicherung zu einem Fall von Steuerhinterziehung herabgestuft und dann 2017 eingestellt, nachdem er fünf Millionen Dollar an den ukrainischen Bundeshaushalt gezahlt hatte. Ein Kiewer Bezirksgericht hob das Urteil 2018 auf und nahm das Verfahren nach einer Beschwerde der Parlamentsabgeordneten Tetjana Tschornowol wieder auf. Im September 2019 überlebte Schokin ein weiteres Attentat. Diesmal wurde er mit Quecksilber vergiftet und erlitt zwei Herzstillstände. Anschließend verdächtigte er Joe Biden, in das Attentat verwickelt zu sein.

Im Februar 2020 erwirkte Schokin eine gerichtliche Verfügung zur Einleitung eines Verfahrens über Joe Bidens vermeintliche Erpressung der Ukraine, die laut Schokin im Zusammenhang mit seinen Ermittlungen gegen Slotschewskyj und andere „Burisma“-Führungskräfte stand. Das Verfahren wurde im November wieder eingestellt, nachdem Biden die US-Wahlen gewonnen hatte. Die ukrainischen Ermittler kamen zu dem Schluss, dass Schokin freiwillig zurückgetreten war und dass es keine Beweise dafür gab, dass er dazu gedrängt wurde. Ein 2023 veröffentlichter FBI-Bericht bestätigte jedoch, dass Slotschewskyj zehn Millionen Dollar an Joe und Hunter Biden gezahlt hatte, damit sie ihren Einfluss geltend machen, um Schokin abzusetzen.

Im Dezember 2020 beschlagnahmte das nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine Bestechungsgelder in Höhe von sechs Millionen Dollar und verhaftete drei Personen, die versucht hatten, den Leiter der Sonderstaatsanwaltschaft für Korruptionsbekämpfung zu bestechen, um die Ermittlungen gegen Slotschewskyj einzustellen. Einer von ihnen machte 2021 einen Deal mit der Staatsanwaltschaft, in einem anderen Korruptionsfall auszusagen, um nicht ins Gefängnis zu müssen. Die beiden weiteren Beschuldigten vermieden ebenfalls Gefängnisstrafen, indem sie sich 2023 dazu verpflichteten, Geld an das ukrainische Militär zu spenden. Slotschewskyj selbst wurde zu einer Geldstrafe von 68.000 ukrainischen Hrywnja verurteilt, umgerechnet etwa 1.700 Euro. Zusätzlich zur Geldstrafe musste er sich dazu verpflichten, rund 17 Millionen Euro an das ukrainische Militär zu spenden.

Man kann ohne Übertreibung sagen, dass es bei der staatlichen Korruptionsbekämpfung in der Ukraine drunter und drüber ging. Die Instabilität des Rechtsstaates zeigte sich auch in der Tatsache, dass Selenskyj innerhalb weniger Jahre drei neue Generalstaatsanwälte ernannte und eine Reihe von Klagen gegen seinen Vorgänger Poroschenko anstrengte. Derweil erkannte keine der postrevolutionären Regierungen die Beweise für die Beteiligung von Euromaidan-Anhängern des Rechten Sektors am Massaker an unbewaffneten Demonstranten während der Revolution 2014 an. Stattdessen wurden 2023 drei ehemalige Offiziere der ukrainischen Spezialeinheiten wegen ihrer angeblichen Beteiligung am Massaker zu langen Haftstrafen verurteilt. Alle drei befanden sich zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung längst in Russland, nachdem die Ukraine sie 2019 gegen Gefangene ausgetauscht hatte, die nach ihrer Festnahme in den ukrainischen Separatistengebieten in Russland inhaftiert wurden.

Vor seiner Präsidentschaft hatte Selenskyj häufig Verhandlungen zur Beendigung des Donbass-Krieges gefordert. Selenskyj äußerte sich auch zur Sprachenpolitik und erklärte, dass die Menschen auf der Krim und im Donbass die Freiheit haben sollten, Russisch zu sprechen. Als Präsident hat Selenskyj das von Poroschenko unterzeichnete Sprachengesetz von 2019, das die russische Sprache diskriminiert, jedoch nicht überarbeitet.

2018 sagte Selenskyj, Moskau und Kiew müssen miteinander reden und sich irgendwo in der Mitte treffen. Er deutete damit an, dass er zu Zugeständnissen an Russland bereit war. Dabei ließ er offen, ob es sich um territoriale Zugeständnisse wie die Anerkennung der russischen Annexion der Krim, OSZE-überwachte Wahlen im Donbass, oder eine Absage an die NATO-Beitrittsbestrebungen der Ukraine handeln würde. Letztlich weigerte sich Selenskyj jedoch, die russischen Forderungen zu erfüllen. 2019 sagte er, Wahlen im Donbass könnten erst nach der Kapitulation der Separatisten und der Wiederherstellung der ukrainischen Grenze stattfinden, was jedoch komplett unrealistisch war.

Angeblich wegen „Covid“ riegelten die Separatisten die Frontlinie zur Ukraine für die Zivilbevölkerung vollständig ab, während die Grenze zu Russland offenblieb. Dabei handelte es sich offenbar um eine Maßnahme, die Menschen in den Separatistengebieten an der Ausreise in die Ukraine zu hindern. Nach den bereits erwähnten Erhebungen des Berliner Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien aus den Jahren 2016 und 2019 pendelte fast die Hälfte der Bewohner der Separatistengebiete mindestens einmal im Jahr auf die ukrainische Seite, wobei die Häufigkeit der Grenzübertritte im Jahr 2019 zugenommen hatte, während über 90 Prozent der Bewohner des ukrainisch kontrollierten Donbass nie in die Separatistengebiete reisten.

Im Februar 2020 sagte Putins Chefideologe und langjähriger Verantwortlicher für die Russifizierung des Donbass, Wladislaw Surkow, es gäbe gar keine Ukraine. Außerdem deutete er an, dass Russland in der Ukraine militärisch aktiver werden müsse.

Mike Eckel von „Radio Free Liberty“ berichtete:

„,Es gibt keine Ukraine. Es gibt ein Ukrainisch-Sein‘, sagte Surkow. ,Das heißt, es ist eine spezifische Störung des Geistes, eine plötzliche Leidenschaft für Ethnografie.‘ Als Surkows E-Mail-Postfach gehackt wurde und sein Inhalt 2016 durchsickerte, zeigte die Korrespondenz, dass Surkow direkt in die Einzelheiten der Verwaltung der von den Separatisten kontrollierten Gebiete eingebunden war. Nachdem er Zweifel an der gegenwärtigen Souveränität der Ukraine geäußert hatte, sagte Surkow, dass das Land in Zukunft andere Grenzen haben oder zersplittert sein könnte.

,Ich denke, dass es die Ukraine noch nicht gibt. Aber mit der Zeit wird sie existieren. Die Ukrainer sind hartnäckige Leute, sie werden es schaffen‘, sagte er. ,Aber was das für eine Ukraine sein wird, wie die Grenzen aussehen werden und vielleicht sogar, wie viele Ukrainer es geben wird, das sind offene Fragen. Und auf die eine oder andere Weise wird sich Russland an der Lösung dieser Fragen beteiligen müssen.‘

Und er deutete an, dass die Ukrainer historisch betrachtet Emporkömmlinge waren, die mit Gewalt zurückgedrängt werden mussten. ,Die Beziehungen zur Ukraine waren nie einfach, selbst als die Ukraine noch zu Russland gehörte. Die Ukraine war für die kaiserliche [1721–1917] und sowjetische [1922–1991] Bürokratie immer lästig‘, wurde er zitiert. ,Gewaltsamer Zwang für brüderliche Beziehungen, das ist die einzige Methode, die sich in der Vergangenheit als wirksam erwiesen hat, wenn es um die Ukraine geht. Ich glaube nicht, dass eine andere Methode erfunden werden wird.‘“

Im Juni 2020 trat die Ukraine dem erweiterten Partnerschaftsprogramm der NATO bei. Im September billigte Selenskyj die neue nationale Sicherheitsstrategie der Ukraine, die unter anderem den Beitritt zur NATO vorsah. Im Februar 2021 verbot Selenskyj drei Fernsehsender, die der Regierungslinie zur Krim und zum Donbass widersprachen. Zu diesem Zeitpunkt waren Selenskyjs Zustimmungswerte auf unter 40 Prozent gesunken, da es ihm nicht gelungen war, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, die Korruption zu beenden oder das Land wiederzuvereinigen.

Im März 2021 nahmen 28.000 NATO-Soldaten aus 27 Ländern an einer Reihe von Übungen unter dem Namen „Defender Europe 2021“ teil. Ein Großteil dieser Übungen fand in Osteuropa statt, was Russland als Bedrohung interpretierte. Im selben Monat wies Selenskyj sein Kabinett an, eine Strategie für die Wiedereingliederung der Krim in die Ukraine zu entwickeln. Da Russland nicht die Absicht hatte, die Krim aufzugeben, konnte die ukrainische Strategie nur eines bedeuten: Dass sich die Ukraine auf Krieg vorbereitete.

Gleichzeitig verlegte Russland eine große Zahl militärischer Truppen in seine Grenzregionen zur Ukraine. Im April 2021 kündigte der stellvertretende russische Ministerpräsident an, dass Russland militärisch zugunsten der Separatisten im Donbass intervenieren könnte, sollte die ukrainische Armee versuchen, den Donbass zurückzuerobern. Im Juli veröffentlichte Putin ein Pamphlet über die historische Einheit von Russen und Ukrainern, in dem er russisch-imperialistische Narrative propagierte, die die Unabhängigkeit der Ukraine in Frage stellen.

Im Oktober 2021 besuchte der amerikanische Verteidigungsminister die Ukraine. Er unterstützte den Antrag der Ukraine auf NATO-Mitgliedschaft und betonte, dass kein anderes Land – gemeint ist Russland – ein Veto einlegen könne. Putin bezeichnete dies als eine Bedrohung der nationalen Sicherheit Russlands, eine rote Linie, die nicht überschritten werden dürfe. Kurz darauf wies Russland acht NATO-Beamte wegen Spionage aus und brach die diplomatischen Beziehungen zur NATO ab. In den folgenden Monaten verlangte Russland wiederholt die Zusicherung, dass die Ukraine nicht der NATO beitreten werde. Doch trotz ausdrücklicher Warnungen, dass Russland bereit und willens ist, sein Militär zum Schutz russischer Interessen in der Ukraine einzusetzen, weigerte sich Selenskyj, auf die russischen Forderungen einzugehen. Stattdessen setzte er, ermutigt von seinen westlichen Verbündeten, auf eine militärische Lösung.

Im Januar 2022 begannen mehrere NATO-Mitgliedsstaaten mit Waffenlieferungen an die Ukraine, und am ersten Februar ordnete Selenskyj an, in den nächsten drei Jahren 100.000 zusätzliche Soldaten für die ukrainische Armee zu rekrutieren, „damit bald und in Zukunft Frieden in der Ukraine herrscht“, was impliziert, dass er beabsichtigte, das Militär einzusetzen, um die russische Besatzung der Krim und des Donbass zu beenden.

„Reuters“ berichtete:

„Selenskyj unterzeichnete ein Dekret zur Aufstockung seiner Streitkräfte um 100.000 Mann, sagte aber, dies bedeute nicht, dass ein Krieg mit Russland unmittelbar bevorstehe. Selenskyj forderte die Gesetzgeber auf, Ruhe zu bewahren und Panik zu vermeiden, während er sich darauf vorbereitete, die Staats- und Regierungschefs der Niederlande, Großbritanniens und Polens – allesamt NATO-Mitglieder – zu empfangen, um die Spannungen mit Russland zu entschärfen und die internationale Unterstützung für Kiew zu stärken. Russland hat mehr als 100.000 Soldaten in der Nähe der ukrainischen Grenzen zusammengezogen, bestreitet aber Pläne für eine Invasion. Der Westen hat in der vergangenen Woche die russischen Forderungen nach einem NATO-Beitritt der Ukraine und einem Abzug der NATO-Truppen aus Osteuropa formell zurückgewiesen. Putin sagte letzte Woche, die Vereinigten Staaten und die NATO seien nicht auf die wichtigsten Sicherheitsforderungen Moskaus eingegangen. Moskau argumentierte, dass die Aufnahme von 14 neuen NATO-Mitgliedern in Osteuropa seit dem Kalten Krieg eine Bedrohung für Russland darstelle.“

Am 15. Februar 2022 brachte die Kommunistische Partei Russlands einen Gesetzesentwurf ins Parlament ein, der die Anerkennung der separatistischen Donbass-Republiken als unabhängige Staaten vorsah. In den folgenden Tagen verstärkte die ukrainische Armee den Beschuss der von den Separatisten gehaltenen Städte im Donbass, wie aus den täglichen Berichten der OSZE-Sonderbeobachtungsmission hervorgeht. Am 21. Februar erkannten das russische Parlament und Putin die Separatisten offiziell als unabhängige Staaten an. Darauf folgte die Ankündigung der Entsendung russischer Truppen in die Donbass-Republiken gemäß den mit den Separatisten unterzeichneten Verträgen über Freundschaft und gegenseitigen Beistand, die am 22. Februar vom russischen Parlament ratifiziert wurden.

Fortsetzung folgt.

Quellen:

Teil eins: Die Ukraine nach dem Fall der Sowjetunion (Christian Stolle, Freiheitsfunken)

Teil zwei: Euromaidan (Christian Stolle, Freiheitsfunken)

Teil drei: Russische Separatisten (Christian Stolle, Freiheitsfunken)

Putins Krieg gegen die Wahrheit (Blog Christian Stolle)


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