23. September 2024 21:00

Putins Krieg gegen die Wahrheit Russische Separatisten

Teil drei

von Christian Stolle

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Bildquelle: Fotokon / Shutterstock.com Region Donezk, Ukraine: Pro-russische Milizmitglieder am 23. Mai 2014

Der Westen erkannte die neue Regierung sofort an, obwohl sie durch einen Staatsstreich eingesetzt wurde, der gegen ukrainisches Recht verstieß. Russland erkannte den Staatsstreich nicht an. Putin sagte später, dass er nach der Absetzung Janukowitschs den Befehl gab, „mit der Arbeit der Rückholung der Krim nach Russland zu beginnen“. Außerdem befahl er dem Verteidigungsministerium, „Spezialkräfte des GRU [Militärgeheimdienst] sowie Marinesoldaten und Kommandotruppen zu entsenden“. Interessanterweise besagt die Ehrenmedaille „Für die Rückholung der Krim“ des russischen Verteidigungsministeriums jedoch, dass Russlands Kampagne zur Rückholung der Krim bereits zwei Tage vor Janukowitschs Absetzung begann, nämlich am 20. Februar, dem Tag des Maidan-Massakers. In jedem Fall übernahmen pro-russische Politiker, Aktivisten und Milizen, unterstützt von zehntausenden russischen Soldaten, in einem unblutigen Staatsstreich die Macht auf der Krim. Drei Wochen später hielten die neuen Machthaber ein Referendum über den Beitritt zu Russland ab, das mit 97 Prozent Zustimmung endete. Die neue pro-westliche Regierung in Kiew erkannte das Ergebnis des Referendums ebenso wenig an wie die UN. Laut einer Umfrage des US-amerikanischen Pew Research Center aus dem Jahr 2014 hielten jedoch 91 Prozent der Krimbewohner die Abstimmung für frei und fair, und 88 Prozent sprachen sich dafür aus, dass die Regierung in Kiew das Ergebnis respektieren sollte. Die Umfrage zeigte aber auch, dass die Krim die einzige ukrainische Region war, in der sich eine Mehrheit für Separatismus oder einen Anschluss an Russland aussprach. Demnach wollten 70 Prozent der Ostukrainer sowie 58 Prozent der russischsprachigen Ostukrainer die territoriale Integrität der Ukraine bewahren.

Die Krim beherbergt seit 1783 die russische Schwarzmeerflotte, die dort auch nach dem Zerfall der Sowjetunion verblieb, wobei Russland für die Nutzung des Marinestützpunkts in Sewastopol eine jährliche Pacht an die Ukraine zahlte. Der Landkorridor von der Krim nach Russland verläuft durch den Südosten der Ukraine, einschließlich des Donbass. Parallel zur Annexion der Krim finanzierte Russland pro-russische Aktivisten, um Aufstände in dieser Region anzuzetteln. Dies geht aus abgehörten Gesprächen zwischen Putins Berater Sergej Glasjew, dem Gründer des Moskauer Instituts der GUS-Staaten, Konstantin Zatulin, und dem stellvertretenden Direktor des Instituts, Kirill Frolow, hervor. Zatulin bestätigte die Echtheit der Aufnahmen, sagte aber, sie seien aus dem Zusammenhang gerissen.

Halya Coynash von der „Kharkiv Human Rights Protection Group“ schrieb zu den Aufnahmen:

„Glasjew sagt eindeutig, dass alle Aufstände den Anschein erwecken müssen, von den Einheimischen auszugehen, wobei es besonders wünschenswert ist, dass Kommunen und so weiter an Russland appellieren, zu intervenieren. Eines der Gespräche ist mit dem russischen Politiker Konstantin Zatulin, der davon spricht, verschiedenen Gruppen ,wie versprochen‘ Geldbeträge zu zahlen.

Aus den Aufnahmen geht eindeutig hervor, dass die Aktionen von Putins Berater Glasjew finanziert und koordiniert werden, gemeinsam mit Zatulin und Frolow [ein russischer Staatsangehöriger einer pro-russischen Gruppe, die sich ,Union der orthodoxen Bürger der Ukraine‘ nennt].“

Die ersten aufständischen Demonstrationen waren keine ernsthafte Bedrohung für den ukrainischen Staat und hatten nur wenig Rückhalt in der Bevölkerung. Laut einer Umfrage des Donezker Instituts für Sozialstudien und politische Analysen lehnten 77 Prozent der Bürger von Donezk, der größten Stadt im Donbass, die separatistische Übernahme von administrativen Gebäuden ab. Nur 26,5 Prozent befürworteten pro-russische Demonstrationen. Das Internationale Soziologieinstitut in Kiew kam zu ähnlichen Ergebnissen. Demnach war der Donbass neben der Krim die Region mit den höchsten pro-russischen Zustimmungswerten. Eine Mehrheit für eine Abspaltung von der Ukraine gab es jedoch nur auf der Krim. Im Donbass befürworteten nur 30,9 Prozent eine Abspaltung der Region von der Ukraine oder einen Anschluss an Russland. 58,5 Prozent wollten, dass die Ukraine geeint bleibt, wobei die Mehrheit innerhalb dieser Gruppe mehr Autonomierechte für den Donbass innerhalb einer geeinten Ukraine befürwortete. Kritiker mögen insbesondere hinter der Umfrage des Internationalen Soziologieinstituts in Kiew ukrainische Propaganda vermuten, doch wurde diese Umfrage von Iwan Katschanowski durchgeführt, der das Maidan-Massaker als ukrainischen Anschlag unter falscher Flagge entlarvte und daher sicher kein Propagandist der ukrainischen Regierung ist.

Im April 2014 begannen von Russland unterstützte Milizen, administrative Gebäude im Donbass zu besetzen. Die ukrainische Polizei hielt sich mehrfach zurück, offenbar aus Angst, eine ausgewachsene russische Invasion wie auf der Krim zu provozieren, wegen der schlechten Moral innerhalb der Polizei, nachdem sie für das Massaker auf dem Maidan verantwortlich gemacht wurde und gerade die Krim verloren hatte, und weil ein Teil der Polizisten im Donbass mit Russland sympathisierte. Die Zurückhaltung der Polizei ermöglichte es den militanten Separatisten, Teile der Donbass-Provinzen zu besetzen und zwei Militärdiktaturen zu errichten, sogenannte Volksrepubliken, die de facto unter russischer Kontrolle standen.

Halya Coynash fasste die Situation im Donbas so zusammen:

„Anfang März 2014 versuchte Pawel Gubarew, ein Ukrainer aus Donezk mit einer Vergangenheit in der neonazistischen Partei ,Russische Nationale Einheit‘, einen ,Volksaufstand‘ in Donezk anzuzetteln und erklärte sich selbst zum ,Bürgermeister des Volkes‘. Der besagte Aufstand und die Idee, dass es einen ,Volksbürgermeister‘ geben müsse, lehnten sich eng an das Szenario an, das von Putins Berater Sergej Glasjew vorangetrieben und üppig finanziert wurde. Gubarews Aufstand scheiterte, und selbst das Auftauchen sogenannter ,Touristen‘ – stämmige Russen, die geholt wurden, um die Unterstützung zu leisten, die sie von den einheimischen Ukrainern nicht bekommen konnten – verfehlte das Ziel Moskaus. Erst als Igor Girkin [Codename Strelkow], ein russischer ,ehemaliger‘ FSB-Offizier, und seine schwer bewaffneten und ausgebildeten Männer in Slawjansk eintrafen, fielen Teile des Donbass in die Hände der russischen beziehungsweise russisch kontrollierten Kämpfer.

Erwähnenswert ist, dass sich Gubarew auch einer immer größer werdenden Zahl von Russen – oder, wie er, pro-russischen ukrainischen Bürgern – angeschlossen hat, die jede Vorspiegelung eines ,Bürgerkriegs‘ im Donbass fallen gelassen haben. In einem Interview mit Maxim Kalaschnikow erklärte Gubarew ganz klar, dass es ohne die russische Beteiligung keine selbsternannte Donezker Volksrepublik gegeben hätte. Es war Girkin (und seinen schwer bewaffneten Männern) gelungen, ,den Aufstand aus einem gewöhnlichen, unbewaffneten und zahnlosen Straßenprotest herauszuziehen‘.

Girkin hat seinerseits offen zugegeben, dass die ersten Schüsse und damit die Gewalt im Donbass tatsächlich von seinen Männern provoziert wurden.

Alexander Schuchkowski, der offen neonazistische, russisch-nationalistische Ansichten vertritt, kam zusammen mit Girkin in Slawjansk an. Er veröffentlichte ein Buch mit dem Titel ,85 Days in Slavyansk‘[,85 Tage in Slawjansk‘], in dem er offen über die Rolle Russlands bei der Entfesselung und Durchführung von Militäraktionen im Osten der Ukraine spricht.

Ein anderer der ersten russischen Anführer der sogenannten Donezker Volksrepublik, der rechtsextreme Nationalist Alexander Borodai, hat ebenfalls zugegeben, dass er und die anderen Aufständischen ohne die russische Militärintervention tot wären.“

Alexander Schuchkowski ist Mitglied der ultranationalistischen Russischen Reichsbewegung, ein Tummelplatz für militante Neonazis. Der folgende Text ist aus Schuchkowskis Buch, „85 Days in Slavyansk“:

„Strelkow [Igor Girkin] und seine Krim-Kompanie waren die erste Gruppe von Freiwilligen, die die russische Grenze zum Donbass überquerte. Sie bildeten den Kern der Slawjansker Garnison und später der Streitkräfte der Donezker Volksrepublik.

Damals schrieb ich auf meinen Social-Media-Seiten über die Umstände meiner Ankunft im Donbass. In der Folge erhielt ich viele Nachrichten von Menschen, die kommen wollten. Wir blieben in Kontakt mit den Menschen, die uns geholfen hatten, die Grenze zu überqueren, und mit ihrer Hilfe organisierten wir zwei Grenzübergänge. Die Übergänge befanden sich an Orten, die es den Ukrainern unmöglich machten, die Freiwilligen festzuhalten, und verfügten über Signalmänner, die die Freiwilligen alarmierten, wenn Ukrainer in der Nähe waren.

Die Freiwilligen kamen in der Region Rostow in Russland an, meist in der Nähe des Dorfes Millerowo. Dort trafen sie auf Führer, überquerten die Grenze und fuhren dann von Luhansk nach Donezk und dann nach Slawjansk.

Oleg Melnikow und ich koordinierten in den nächsten anderthalb Jahren den Zustrom russischer Freiwilliger in den Donbass. Diese Freiwilligen fanden Informationen darüber, wie sie sich als Kriegsfreiwillige melden konnten, auf unserer VKontakte-Seite ,Berichte aus der Miliz Neurussland‘ (ursprünglich ,Berichte von Strelkow‘) sowie auf den russischen nationalistischen Websites ,Sputnik and Pogrom und Right View‘.

Die bereits erwähnte Website ,Right View‘ wird von der Russischen Reichsbewegung betrieben, einer Organisation unter der Leitung von Stanislaw Worobjew und Denis Garijew. Die Anführer waren beide in Sankt Petersburg ansässig und leiteten dort einen Militärsportverein, die Reichslegion. Die Legion rekrutierte, trainierte, versorgte und entsandte im Laufe des Krieges etwa zwanzig Gruppen in den Donbass.

Die Gesamtzahl der Freiwilligen im Donbass-Krieg ist schwer zu ermitteln, da niemand jemals eine Zählung durchgeführt hat. Sehr groben Angaben zufolge dienten zwischen 35 und 50.000 Männer in der Miliz.“

Offenbar rekrutierten russische Staatsdiener gezielt ultranationalistische Kräfte für den Krieg im Donbass. Wer sich weigerte, war Repressalien ausgesetzt, während Beihilfe mit Geld und politischen Posten belohnt wurde, berichtet der auf der Krim geborene ukrainische Politologe und Faschismusforscher Anton Schechowzow:

„Zwei prominente russische Ultranationalisten, Alexander Below und Dmitri Demuschkin, erklärten, russische Beamte hätten versucht, sie zu überreden, Mitglieder ihrer Organisationen als Freiwillige in die Ukraine zu schicken, um auf der Seite der Separatisten zu kämpfen. Below und Demuschkin weigerten sich, am Krieg teilzunehmen, und die russischen Behörden begannen, sie aus verschiedenen, offenbar haltlosen Gründen zu verfolgen.

Im Mai 2014 wurden Alexander Borodai und Igor Girkin – zwei Geschäftspartner von Konstantin Malofejew, einem russischen Geschäftsmann und Eigentümer von Marshall Capital Partners – zum Premierminister und Verteidigungsminister der Donezker Volksrepublik ernannt.“

Aufgrund der Zurückhaltung der ukrainischen Polizei und des Militärs waren irreguläre Truppen, darunter auch privat finanzierte paramilitärische Neonazis, in der Anfangsphase des Widerstands gegen die Donbass-Separatisten maßgeblich beteiligt, wie Iwan Katschanowski beschreibt:

„Russland unterstützte die Separatisten im Donbass zunächst, indem es Freiwillige und Waffen über die Grenze aus Russland einreisen ließ und den Separatisten Waffen, Rekrutierung, Ausbildung und einen sicheren Unterschlupf bot. Die russische Regierung drohte auch mit dem Einsatz militärischer Gewalt in der Ukraine und stationierte im Frühjahr und Sommer 2014 eine große Zahl von Militärs in der Nähe der Grenze zu den Regionen Donezk und Luhansk und anderen Regionen der Ukraine.

Viele der Regierungstruppen zögerten zunächst, den Befehl zum Einsatz von Gewalt gegen die Separatisten zu befolgen. Paramilitärische Einheiten und spezielle Polizeibataillone, die von radikalen nationalistischen und neonazistischen Organisationen mit Hilfe der Regierung und von Oligarchen organisiert wurden, waren demzufolge viel stärker ideologisch motiviert und bereit, Gewalt anzuwenden.

Spezielle Polizeibataillone, das Asow-Bataillon/Regiment und paramilitärische Formationen wie das Ukrainische Freiwilligenkorps, die seit Frühjahr und Sommer 2014 von rechtsextremen Organisationen wie dem Rechten Sektor, der Sozial-Nationalen Versammlung und Swoboda organisiert und angeführt werden, bildeten während des Krieges im Donbass eine Minderheit der ukrainischen Streitkräfte, doch waren diese rechtsextremen Formationen überproportional am gewaltsamen Konflikt beteiligt, insbesondere an der Gewalt gegen Zivilisten und Kriegsgefangene.“

Es dauerte eine Weile, bis das ukrainische Militär gegen die Separatisten vorging, aber bis August 2014 hatte die Ukraine einen Großteil der Separatistengebiete zurückerobert. Russland verstärkte daraufhin seine militärische Unterstützung für die Separatisten. Putin bestritt dies, aber der Donbass grenzt nur an die Ukraine und Russland, und es ist zweifelhaft, dass viel Nachschub aus der Ukraine kam. Tatsächlich waren die Separatisten auf die Unterstützung verschiedener Ebenen der russischen Gesellschaft, einschließlich der Streitkräfte, angewiesen. Zu jener Zeit starben nach offiziellen russischen Angaben ungewöhnlich viele russische Soldaten im Rahmen einer nicht näher bezeichneten Sondermission „an einem Ort der vorübergehenden Versetzung“. Als Reaktion auf die russische Offensive verbot die Ukraine 14 russische Fernsehsender und der ukrainische Verteidigungsminister erklärte, die Ukraine habe es mit einer russischen Invasion zu tun.

Iwan Katschanowski schrieb über die russische Offensive:

„Aus verschiedenen Quellen geht hervor, dass trotz der anhaltenden Leugnung durch die russische Regierung Ende August 2014 eine direkte russische Militärintervention im Donbass begann. Sie nahm die Form von Vorstößen mehrerer bataillonsgroßer Einheiten an, um eine Niederlage der separatistischen Kräfte und Angriffe auf die Städte Donezk und Luhansk zu verhindern. Dazu gehören ein Bericht des ukrainischen Verteidigungsministeriums sowie Berichte von Separatisten, Videos von russischen Militärkonvois, Videos von gefangengenommenen russischen Soldaten und Ausrüstungsgegenständen, Berichte aus erster Hand von westlichen Medien und Augenzeugen sowie veröffentlichte Satellitenbilder von russischen Militärfahrzeugen auf der ukrainischen Seite der Grenze. […] Die russischen Streitkräfte waren in der Regel aus der Ferne an den Kämpfen beteiligt und beschossen die ukrainischen Stellungen mit Artillerie, Mehrfachraketenwerfern und Panzern. Es gibt Videos und andere Beweise dafür, dass sie im Juli 2014 mit dem Beschuss ukrainischer Stellungen vom russischen Territorium nahe der Grenze aus begonnen haben.“

Im September 2014, unmittelbar nachdem Russland mit seiner direkten militärischen Intervention keinen Zweifel an seiner Bereitschaft ließ, die Donbass-Separatisten mit aller Gewalt vor einer Niederlage zu bewahren, unterzeichneten die Ukraine, Russland und die Separatisten ein Waffenstillstandsabkommen, das Minsker Protokoll. Das Abkommen wurde jedoch schon am ersten Tag von der berüchtigten russischen Neonazi-Einheit „Russitsch“ gebrochen, die nördlich von Luhansk eine Offensive gegen die ukrainischen Streitkräfte startete.

Halya Coynash berichtete von der Offensive sowie von verstörenden Aufnahmen der „Russitsch“-Kämpfer:

„Alexei Milchakow ist ein Sankt Petersburger Neonazi, der von der Enthauptung von Hundewelpen und der Aufforderung an andere Neonazis, Penner in Russland zu töten, zur Folterung ukrainischer Soldaten im Donbass als Teil einer Formation namens ,Russitsch‘ übergegangen ist.

Am 5. September, dem Tag, an dem das erste Minsker Abkommen unterzeichnet wurde, wurden ukrainische Soldaten von der Gruppe ,Russitsch‘ angegriffen. Milchakow gehörte zu den Kämpfern, die Videos von sich selbst veröffentlichten, in denen sie einem ihrer Opfer das Ohr abschneiden.

Russische Pro-Kreml-Medien haben sowohl Milchakow als auch [seinen militanten Neonazi-Kollegen Jan] Petrovsky gerne interviewt, wobei sie indiskrete Fragen über ihre neonazistischen Ansichten vermieden haben.“

Unter Missachtung des Minsker Protokolls hielten die Separatisten im November Wahlen ab, die mit Unterstützung von Putins Berater Wladislaw Surkow organisiert wurden, wie „Reuters“ berichtete:

„Wladislaw Surkow entscheidet, wie die Pro-Moskau-Verwaltung der Ostukraine geführt wird und wer dort welche Aufgaben bekommt, sagten drei ehemalige Rebellenführer.

,Jeder Anruf aus Moskau wurde als Anruf aus dem Büro des Herrgotts selbst angesehen und sofort umgesetzt‘, erinnerte sich Alexei Alexandrow, einer der Anführer der separatistischen Rebellion in Donezk, der das Gebiet in der Ostukraine inzwischen verlassen hat. Zwei weitere Separatisten bestätigten seinen Bericht, wollten aber nicht namentlich genannt werden.

Die Separatisten, die sich gemeldet haben, um Surkows Rolle zu beschreiben, sagen, dass er auch eine Schlüsselrolle gespielt hat bei der Ernennung von Alexander Sachartschenko zum Führer der selbsternannten Donezker Volksrepublik (DNR) in der Ostukraine, der bevölkerungsmäßig größten abtrünnigen Einheit der Rebellen.

Sachartschenko, ein ehemaliger Bergwerkselektriker aus der Ostukraine, war der Anführer einer Anti-Kiew-Miliz, als er 2014 nach Moskau berufen wurde. Separatistenführer wollten ihn zum Verteidigungsminister machen. Aber nachdem er Surkow im Kreml getroffen hatte, kam aus Surkows Büro die Nachricht, dass Sachartschenko den Spitzenjob [Premierminister der DNR] erhalten sollte.

Zu dieser Zeit wurden die Donezker Rebellen von zwei Männern angeführt, die sich selbst als Freiwillige aus Russland bezeichneten. Der rechtsextreme ehemalige Journalist Alexander Borodai war der politische Anführer, und Igor [Girkin] Strelkow, der angab, ein ehemaliger Agent des russischen Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB) zu sein, war der militärische Befehlshaber.

Moskau wollte sie durch einen Einheimischen ersetzen, um dem Westen zu zeigen, dass der Aufstand ein Graswurzelphänomen war, sagte Borodai gegenüber ,Reuters‘. Die Wahl fiel auf Sachartschenko, den man als leicht zu kontrollieren ansah, so eine der drei ehemaligen Separatistenquellen.

Nach dem, was [Ex-Separatist] Alexandrow als mündliche Anweisung aus Surkows Büro beschrieb, traten Borodai und Strelkow still und leise zurück, so dass Sachartschenko [im November 2014] die Führung übernehmen konnte.

Surkows Aktivitäten konzentrierten sich auf die Auswahl von Personal für leitende Positionen, auf die Schaffung einer Struktur für die separatistische Verwaltung, auf die Formulierung einer Medienstrategie für die Separatisten und die Planung von Kommunalwahlen, so die Personen, die mit ,Reuters‘ sprachen.“

Auch Iwan Katschanowski stellte fest, dass die Separatistenrepubliken von Moskau regiert wurden:

„Es gibt Hinweise, auch aus separatistischen Quellen, die darauf hindeuten, dass die separatistischen Republiken im Donbass Ende des Sommers 2014 de facto zu Satellitenstaaten Russlands wurden. Bald nach der direkten russischen Militärintervention im August 2014 wurden fast alle separatistischen Einheiten im Donbass faktisch unter das Gesamtkommando von ,Kuratoren‘ oder Berater des russischen Militärs gestellt. Die meisten der ursprünglich für diese Einheiten verantwortlichen separatistischen Kommandeure, darunter auch Strelkow, wurden gezwungen, den Donbass in Richtung Russland zu verlassen. Die verbleibenden Kommandeure wurden teilweise in die neuen Einheiten integriert, die vom russischen Militär ausgerüstet und ausgebildet wurden. Einige der ursprünglichen Separatistenkommandeure wurden verhaftet oder getötet, wie Oleksij Mozgowyj, weil sie sich dieser Eingliederung widersetzten.“

Anfang 2015 eskalierten die Kämpfe erneut und im Februar errangen die Separatisten dank russischer Hilfe einen entscheidenden Sieg bei Debalzewe. Es folgte ein weiteres Waffenstillstandsabkommen, Minsk II. Iwan Katschanowski schrieb:

„Nach direkten russischen Militärinterventionen im Donbass während der Kämpfe Ende August 2014 und im Februar 2015 wurden die ukrainischen regulären Einheiten und Spezialeinheiten der Polizei sowie die rechtsextremen Freiwilligenbataillone in den Gebieten Ilowajsk und Debalzewe eingekesselt, zogen sich zurück und erlitten Verluste. In beiden Fällen hat Präsident Poroschenko seine Entscheidung, mit militärischer Gewalt gegen die Separatisten vorzugehen, schnell revidiert und die Minsker Waffenstillstandsabkommen ausgehandelt.

Die indirekte Unterstützung der Separatisten durch die russische Regierung und die anschließende direkte militärische Intervention erwiesen sich als entscheidend dafür, dass die Separatisten das Blatt wenden und die ukrainischen Streitkräfte daran hindern konnten, den gesamten Donbass zurückzuerobern.

Die Analyse verschiedener Quellen, wie die Berichte der UN- und OSZE-Missionen, Videos von den Angriffen und Berichte westlicher Journalisten vor Ort, legt nahe, dass die meisten zivilen Opfer während der ukrainischen Angriffsphase und der Stellungsphase des Krieges auf den Beschuss von Städten, Ortschaften und Dörfern durch die ukrainischen Streitkräfte zurückzuführen sind, die von bewaffneten Separatisten als Stützpunkte genutzt wurden. Allerdings waren die Separatisten beziehungsweise die russischen Streitkräfte für die meisten größeren tödlichen Angriffe während ihres Vormarsches im Januar und Februar 2015 verantwortlich, wie der Beschuss von Wolnowacha und Mariupol, der zahlreiche zivile Opfer forderte.“

Minsk II forderte einen Waffenstillstand, die Entwaffnung aller illegalen Milizen, den Abzug aller ausländischen Truppen, eine Verfassungsreform in der Ukraine, um mehr politische Autonomie im Donbass zu ermöglichen, und Wahlen im Donbass unter Aufsicht der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE), um über den politischen Status des Donbass innerhalb der Ukraine zu entscheiden. Keine dieser Bestimmungen wurde erfolgreich umgesetzt.

Zwar verabschiedete die ukrainische Regierung ein Gesetz zur Ordnung der lokalen Selbstverwaltung im Donbass, doch sollte dieses erst in Kraft treten und Wahlen ermöglichen, wenn alle ausländischen Truppen aus der Ukraine abgezogen sind, was diese strikt ablehnten.

Die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die an den Verhandlungen über Minsk II beteiligt war, erklärte 2022, dass sie nicht davon ausging, dass das Abkommen tatsächlich umgesetzt wird. Laut ihrer Aussage sollte es der Ukraine Zeit geben, ihre Armee auf eine weitere Eskalation des Krieges vorzubereiten.

Ein Vorbote dieser Eskalation war die Ermordung von Boris Nemzow am 27. Februar 2015 in Sichtweite des Kremls. Nemzow war von 1997 bis 1998 stellvertretender russischer Ministerpräsident. Nach der Machtübernahme Putins wurde Nemzow zu einem seiner größten Kritiker. Er war 2008 Mitbegründer der Oppositionsbewegung „Solidarnost“ und 2010 Mitbegründer der Partei der Volksfreiheit für ein Russland ohne Willkür und Korruption. Die Partei wurde jedoch – wie viele andere Oppositionsparteien, die keine Kreml-Marionetten sind – nie zu den Parlamentswahlen zugelassen. Nemzow kritisierte Putins Machtapparat als einen Mafia-Staat. Vor seinem Tod war Nemzow ein führender Kopf der Protestbewegung gegen Russlands Krieg im Donbass. Ein von Nemzow verfasster Bericht über die russische Invasion der Krim und des Donbass wurde posthum veröffentlicht. 2022 wurde zudem offengelegt, dass Nemzow von russischen Geheimdienstagenten unter der Leitung von Waleri Sucharew beschattet wurde, der mutmaßlich an Anschlägen auf die russischen Oppositionellen Wladimir Kara-Mursa, Alexei Nawalny und Dmitri Bykow beteiligt war.

Quellen:

Teil eins: Die Ukraine nach dem Fall der Sowjetunion (Christian Stolle, Freiheitsfunken)

Teil zwei: Euromaidan (Christian Stolle, Freiheitsfunken)

Putins Krieg gegen die Wahrheit (Blog Christian Stolle)


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