Neuer Sprachkodex in der Formel 1: Rapper und Rennfahrer
Die FIA und das F-Wort
Als Ersten traf es Max Verstappen. In der Pressekonferenz vor dem Großen Preis von Singapur hatte der dreifache Weltmeister den Zustand seines Fahrzeugs als „fucked up“ bezeichnet. Damit brachte er den Motorsport-Weltverband FIA und dessen Präsidenten Mohammed Ben Sulayem auf die Palme, der dem Fluchen in offiziellen Pressekonferenzen zuvor den Kampf angesagt hatte. Daraufhin wurde der Niederländer von den Rennkommissaren zu einer noch nicht näher definierten Gemeinschaftsarbeit verdonnert, der sich als Retourkutsche fortan ziemlich einsilbig zeigte, wenn er bei FIA-Presseterminen Rede und Antwort stehen musste. Vergangenes Wochenende rutschte dann auch Ferrari-Fahrer Charles Leclerc das F-Wort raus, als er danach gefragt wurde, was ihm bei seinem Fast-Abflug in der Endphase des Großen Preises von Mexiko durch den Kopf gegangen war. Doch anders als Verstappen könnte der Monegasse Glück haben, weil er sich noch vor laufender Kamera sofort entschuldigte und ihm auch nicht, wie Verstappen, das Böse-Buben-Image anhaftet.
Seit Wochen sorgen die neuen Sprachrichtlinien der FIA für Wirbel im Formel 1 Paddock. Das begann bereits mit der Begründung Sulayems für die neue Regelung. „Wir sind keine Rapper, die das F-Wort wie oft in der Minute sagen? Das sind die und wir sind wir“, so die holprige Rechtfertigung des ehemaligen Rallye-Fahrers, die sofort Lewis Hamilton auf den Plan rief, der darin ein rassistisches Element erkennen wollte. Der siebenfache Weltmeister, der am Rande des Großen Preises von Miami die Situation von Schwulen und Lesben im republikanisch regierten Florida mit der in Saudi-Arabien verglichen hat, merkte an, dass Rapper ja oft schwarz seien. Zu sagen, man sei nicht „wie die“, sei folglich rassistisch. Darauf muss man erst mal kommen!
Viele Motorsport-Fans in Fan-Foren und sozialen Netzwerken zeigten sich über die FIA-Sprachpolizisten empört und beklagten eine Einschränkung der Meinungsfreiheit der Fahrer. Diesen Vorwurf musste sich die FIA bereits vor zwei Jahren anhören, als sie politische Äußerungen der Piloten an Rennwochenenden verbot. Zu diesem Schritt sah sich der Weltverband auch wegen Lewis Hamilton gezwungen, der gerne die Bühne, die ihm ein Rennwochenende bot, für politische Agitation nutzte, sich aus Solidarität mit der Black-Lives-Matter-Bewegung in der Startaufstellung hinkniete und auf einem T-Shirt, mit dem er demonstrativ durch die Boxengasse lief, die Verhaftung von Polizisten forderte. Und auch der mittlerweile zurückgetretene rasende Klimaschützer Sebastian Vettel brachte die FIA durch politische Statements immer wieder in peinliche Situationen.
Mit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit hat beides freilich nichts zu tun. Niemand verbietet den Rennfahrern, sich politisch auf Facebook zu äußern oder auch öffentlich mit dem F-Wort um sich zu werfen. Zumindest solange sie dies nicht am Boxenfunk oder bei offiziellen Pressekonferenzen tun. Prinzipiell habe ich auch als Fan dafür Verständnis, dass die FIA einen bestimmten Verhaltenskodex vorgibt. Warum soll man zulassen, dass ein oder zwei Fahrer die Marke Formel 1 für ihre politischen Ambitionen kapern? Und damit auch andere Fahrer unter Druck setzen, sich politisch zu äußern. Charles Leclerc etwa wurde 2020 von Fans als Rassist beschimpft, weil er sich weigerte, sich am Startaufstellungskniefallzirkus für Black Lives Matter zu beteiligen. Die Formel 1 war auf dem Weg zu einer komplett politisierten Veranstaltung, weswegen sich auch zahlreiche Fahrer und Teamchefs mit dem Maulkorb einverstanden zeigten.
Doch mit der F-Wort-Sanktion, da herrscht Einigkeit im Fahrerlager, ist die FIA zu weit gegangen. Nein, es hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, die Benutzung dieses Wortes im Rahmen der Formel 1 zu untersagen. Jeder der 20 Fahrer verpflichtet sich, einen bestimmten Kodex einzuhalten, den die FIA ziemlich willkürlich festsetzen kann. Das ist gegenüber der Beschneidung der Redefreiheit durch den Staat grundverschieden. Anders als die Formel-1-Fahrer, die sich den geltenden Regeln der FIA freiwillig unterordnen, hat der Staat niemanden vorher gefragt, ob er sich bestimmten Regeln unterwerfen und die Regierung mit deren Durchsetzung betrauen will. Die Fahrer haben sich dazu verpflichtet, die Regeln zu achten, der Bürger hingegen wird vom Staat dazu gezwungen.
Ein Fahrer, dem das Reglement nicht passt, kann entweder zurücktreten, was Verstappen auch wiederholt angedroht hat, oder in eine andere Rennserie wechseln, wo man verbale Ausrutscher etwas liberaler handhabt. Etwa in der amerikanischen Indycar-Serie, die mittlerweile die genau entgegengesetzte Richtung der Formel 1 in Sachen Sprechverbote zu gehen scheint. Er sei so „fucking close“ gewesen, zu gewinnen, sagte McLaren Indycar-Pilot Pato O’Ward, als er in diesem Jahr knapp den Sieg bei der Indy500 auf dem Indianapolis Speedway verpasste. Nicht nur gab es dafür keine Strafe. Die Rennserie verbreitete das Statement sogar über ihre offiziellen Social-Media-Kanäle. Hierzu muss man wissen, dass viele TV-Stationen in den USA einen sehr rigiden Umgang mit vermeintlichen „curse words“ pflegen, was eigentlich so gar nicht zur Mentalität der Amerikaner passt, die das F- und auch das S-Wort sehr liberal und meist nicht mit bösen Absichten benutzen.
Sulayems Äußerung, Formel-1-Fahrer seien nicht wie Rapper, ist natürlich nicht rassistisch, blendet aber völlig die Tatsache aus, wie weitverbreitet die Nutzung dieses Wortes in der Populärkultur ist, die maßgeblich aus den Vereinigten Staaten geprägt wird. Junge Fahrer wie Lando Norris oder Max Verstappen sind, gerade im Rennsport, mit solchen Ausdrücken aufgewachsen. „Fuck“ ist da ein ganz normales Wort, bei dem man sich nichts Böses denkt.
Ziemlich verlogen ist das Verhalten der FIA vor allem, wenn man sich daran erinnert, was den Formel-1-Boom der vergangenen Jahre, gerade in Übersee, befördert hat. Die Netflix-Serie „Drive to Survive“ hat Millionen neuer Fans zur Formel 1 geführt. Bisheriger Star der Show, die in diesem Jahr bereits in sechster Staffel zu sehen ist: der aus Südtirol stammende und in den USA lebende ehemalige Haas-Teamchef Guenther „Fucking Hell“ Steiner, der sich in der Doku-Serie einen Namen damit gemacht hat, eine F-Bombe nach der anderen rauszuhauen, was das internationale Netflix-Publikum offenbar begeisterte, Steiner Kultstatus einbrachte und der Formel 1 eine völlig neue Fanklientel erschloss. In der Causa Verstappen rät Steiner dann auch der FIA, einen Gang herunterzuschalten. Ihm sei heutzutage kein Kind bekannt, das nicht das F-Wort kenne und deswegen in den Medien davor geschützt werden müsse.
Als Max Verstappen das letzte Mal FIA-Community-Service ableisten musste, ging dem übrigens eine physische Konfrontation mit einem anderen Fahrer außerhalb des Rennwagens voraus. Damals musste Verstappen zur Strafe das Formel-E-Rennen in Marrakesch besuchen. Das sagt übrigens auch sehr viel über eine Rennserie aus, wenn sie so unpopulär ist, dass man prominente Fahrer aus anderen Serien zwingen muss, ihr einen Besuch abzustatten, um so die Medienwahrnehmung zu erhöhen.
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